Ankommen. Klarkommen.

Am 08.09. war es endlich auch für mich soweit. Ich stieg in den Flieger und der Tag auf den ich jetzt fast ein Jahr lang gewartet habe wurde auf einmal Realität. Sehr überfordernd und irgendwie surreal. Nach einer gefühlten aber sehr aufregenden Ewigkeit lag dann tatsächlich Kairo unter mir. Im Landeanflug tauschte ich schnell den Platz mit meinem Sitznachbarn, dem es ein großes Anliegen war mich am Fenster sitzen zu lassen, um mir Kairo aus der Luft zu zeigen. Nicht umsonst handelt es sich um die größte Stadt Afrikas, die mich schon aus dem kleinen Flugzeugfenster heraus überwältigt.

Nach meiner Ankunft und dem Versuch das Flughafen Konzept in Kairo zu verstehen folgt dann die Fahrt ins Projekt. Anafora liegt ca. eine Stunde von Kairo entfernt auf dem Weg nach Alexandria und selten hat mich eine Stunde Autofahrt so sehr fasziniert. Der Verkehr lässt sich in etwa in den Folgenden Regeln zusammenfassen:

  1. Wer am lautesten hupt darf grundsätzlich fahren.
  2. Spurmarkierungen auf der Straße sind zum einen nur Gelegenheitssache und werden zum anderen wenn vorhanden eher so als ungenutztes Angebot betrachtet. Das Straßenbild gleicht eher einem dauerhaften nicht fertig gewordenen Spurwechsel in dem sich alle zu befinden scheinen.
  3. Wer voran kommen will fährt so schnell wie er oder sie will und weicht halt den anderen kurz vorher aus.
  4. Wenn man die Autobahnabfahrt verpasst, bietet sich Rückwärtsfahren als Option an.
  5. Der Warnblinker entschuldigt alles.

Trotz der Unübersichtlichkeiten und den überfüllten Straßen habe ich mich im Straßenverkehr sicherer gefühlt als erwartet. Der Verkehr funktioniert nach einer ganz eigenen Systematik. Nach unausgesprochenen Regeln und nicht nach Schildern. Und es klappt irgendwie. Ich merke nur, dass meine deutschen Denkmuster hier vollkommen versagen. Besonders dann, wenn ich mich als Fußgängerin bewege. Jede Straßenüberquerung offenbart sich als neue Herausforderung und endet meist damit, dass ich mich an Menschen halte, die sich sicheren Schrittes in den Verkehr wagen und mich dann mehr oder weniger freiwillig mitnehmen.

Die ersten Tage in Anafora, fernab des ägyptischen Straßenvekehrs beschreibe ich mit Klarkommen. Sie sind der Versuch mich auf diesem riesigen Gelände zu orientieren. Der Versuch zu verstehen wer hier mit wem und wofür arbeitet. Der Versuch meinen Platz hier zu finden und der Versuch grob zu verstehen was hier in den nächsten 11 Monaten auf mich zukommt.

Jetzt, einige Wochen später weiß ich: Das alles braucht Zeit, sehr viel Zeit. Ich finde mich ein wenig besser zurecht und habe zumindest einen ungefähren Tagesablauf. Trotzdem ist jeder Tag hier vollkommen anders und das ist eine Herausforderung.

In der ersten Woche habe ich gemeinsam mit einer der Schwestern und einer Mitfreiwilligen aus Südafrika Schmuck hergestellt, darunter Armbänder, Hals- und Gebetsketten oder Schlüsselanhänger. Die darauffolgenden Wochen durfte ich in der Weberei eigene Teppiche herstellen. Eine weitere Woche habe ich in der Küche verbracht, in der verzweifelt versucht wurde mir ein paar weitere Worte Arabisch beizubringen. Das hört sich erstmal sehr strukturiert an, allerdings ist es wie eben schon erwähnt nicht ganz so eindeutig.

In den wenigen Wochen die ich nun hier bin fanden gleich drei große Veranstaltungen statt bei denen alle hier Anwesenden helfen sollten. Meistens werde diese sehr kurzfristig organisiert sodass sich mein Tagesablauf spontan ändert.  Das erfahre ich dann bei den morgendlichen Meetings, bei denen alle in Anafora lebenden Menschen zusammenkommen. Diesen Start in den Tag genieße ich sehr, denn die Meetings bestehen aus gemeinsamen Tee-Trinken und über die Aufgaben des Tages sprechen. Manchmal werden auch aktuelle Nachrichten besprochen, zum Beispiel, dass der Chef der ägyptischen Nationalbank gewechselt hat oder welche Entwicklungen sich im Ukraine Krieg vollziehen.

Meine Webkünste auf einem Bild zusammengefasst

Insgesamt würde ich Anafora als eine eigene kleine Parallelwelt in Ägypten beschreiben. Zum einen ist es ein Kloster, die Schwestern und Väter leben dort und die Gottesdienste (die Teilnahme daran ist den Voluntären freigestellt) finden mehrmals am Tag statt. Zum anderen ist diese Welt auch alles andere als „klostertypisch“ und konservativ. Denn Anafora ist nicht nur eine strenge Glaubensgemeinschaft sondern auch Gästezentrum, Selbstversorger, Bildungseinrichtung und Umweltprojekt. Vielleicht ist es hier an der Zeit das ganze als Retreat Center zu betiteln aber diese Welt passt nicht so richtig in nur einen Begriff.

Der Blick aus meinem Zimmer
Das Amphitheater in Anafora während einer der Veranstaltungen

Ein willkommener Kontrast zu dieser Parallelwelt sind für mich die Tage die ich in Kairo verbringen durfte und darf. Dem ruhigen Alltag in der kleinen Oase steht dann mit einem Mal diese so laute und belebte Großstadt entgegen. Dass man wirklich in Kairo ist merkt man vor allem dann, wenn nachts um halb eins die Straßen so voll sind wie am Tag und es kein Problem ist sich zu dieser Uhrzeit eine Handyhülle zu kaufen. Anders als in Deutschland schließen die meisten Geschäfte in Kairo erst sehr spät oder haben 24 Stunden auf. Wenn ihr euch fragt, was ich nachts um halb eins auf den Straßen Kairos zu suchen hatte, keine Sorge. Ich hatte bereits zu Beginn meiner Zeit in Ägypten die Möglichkeit meine Mentorin zu einer Willkommensfeier der deutschen Gemeinde in Kairo zu begleiten, die bei ihr in der Nähe stattfand.

Auch jetzt gerade melde ich mich aus Kairo. Hinter mir liegt ein zweiwöchiger Sprachkurs. Zwei Wochen die vollgestopft waren mit neuen, teils sehr überfordernden Eindrücken. So langsam macht sich der Kurs tatsächlich bemerkbar, obwohl er mir auch immer wieder verdeutlicht, warum Arabisch so eine schwere Sprache ist.

Dazu vielleicht noch eine Anmerkung zum Deutschsein. So richtig deutsch fühlt man sich nämlich erst, wenn man sich stolz auf Arabisch bedankt und einem die Menschen, ohne  einen zu kennen, sofort mit einem „Dafür nicht!“ antworten. Na toll!

Außerhalb des Kurses hatte ich die Möglichkeit Kairo als Stadt noch etwas mehr kennen- und auch ein bisschen lieben zu lernen. Bei jeder Autofahrt schaue ich wieder wie ein Kleinkind aus dem Fenster, weil alles so voll mit neuen Eindrücken ist. Auch die Tatsache, dass ich in den zwei Wochen hier regelmäßig am Nil entlang gegangen bin, lässt sich nur schwer realisieren.

Jetzt freue ich mich auf alle neuen Erfahrungen in den nächsten Wochen, von denen ich euch berichten werde. Ich merke allerdings, dass mich der neue Alltag in vielerlei Hinsicht ganz schön in Anspruch nimmt und ich nur selten die Ruhe finde zu berichten. Ich gebe mir Mühe, dass der nächste Eintrag nicht allzu lange auf sich warten lässt.

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