Ankommen

Gutpela Apinun!

Mi bin raitim laspela tok long hia na planti taim i go pinis.

Seit sechs Wochen bin ich nun in Papua-Neuguinea und es ist viel seit meinem letzten Blogeintrag passiert. Nach der Orientierungszeit in Asaroka, an deren Ende ich mich zum ersten Mal via Blog gemeldet habe, wurde ich zusammen mit zwei meiner Mitfreiwilligen abgeholt und im Auto nach Lae gefahren. Für die etwa 350 km lange Fahrt haben wir acht Stunden gebraucht. Wir waren verhältnismäßig schnell, weil wir uns in einem Geländewagen mit fachkundigem Fahrer befanden. Busse und LKWs brauchen erheblich länger, abhängig vom Zustand des Fahrzeugs und der Straße.

Lae ist die zweitgrößte Stadt des Landes und sehr wichtig für die Einwohner*innen Neuguineas, weil die in Papua gelegene Hauptstadt Port Moresby nicht durch eine Straße mit dem Rest des Landes verbunden ist. Der Highlands Highway ist die einzige Straße, die die Küste und das Hochland verbindet. Alle Güter, die von Lae ins Hochland oder anders herum transportiert werden, befinden sich auf dieser Straße. Das gilt sowohl für jegliche internationale Ware, die in Laes Hafen ankommt, als auch für Produkte wie z.B. Coca-Cola, Cracker und Nescafé, die in Fabriken in Lae hergestellt werden. Auch Lebens- und Genussmittel, die an der Küste angebaut werden, wie z.B. Kokosnüsse, Palmöl und Buai und Erzeugnisse des Hochlands wie Kaffee, Brokkoli und Honig werden hier befördert – kurzum: Der Highlands Highway ist die wirtschaftlich wichtigste Straße PNGs.

Menschen, mit denen wir entlang des Highways in Kontakt kamen, bezeichneten ihn manchmal als „Lebensader der Highlands“. Die kraterartigen Schlaglöcher sind die fortgeschrittene Atherosklerose. Viele Personen erzählten, sie seien frustriert: Seitens der Politik würden zu Wahlzeiten viele Versprechungen gemacht, die Straße herzurichten, doch getan habe sich selten etwas. Es stimmt mich nachdenklich, wenn einzelne Personen mir vorrechnen, wie sie profitierten, wäre die Straße durchgängig gut befahrbar. Eine Verkäuferin auf dem Markt scherzte, am besten sei es, Coca-Cola und Nestlé bauten die Straße gemeinsam auf und nähmen anschließend Zoll. Leider kann ich mir das nur zu lebhaft vorstellen…

In Lae angekommen hatte ich einen Tag Zeit, um alle Sachen einzukaufen, die man in Finschhafen nicht bekommt, und mein Gepäck für die anstehende Speedboat-Fahrt angemessen einzuwickeln. Speedboats (Dingi) sind weit verbreitete Verkehrsmittel, die alle Küstenorte anfahren, zu denen keine Straße führt. Straßen gibt es nicht viele. Die vierstündige Bootsfahrt war zwar nicht minder holprig als die Autofahrten, die ich bisher erleben durfte, aber hat mir trotz der blauen Flecken um ein Vielfaches mehr Spaß gemacht.

So kam ich am 2. September in meiner neuen „Heimat“ Logaweng an. Ich wurde mit singsing begrüßt und zu meinem Haus geführt – so ist es in Logaweng Tradition. Nach dem herzlichen Empfang war es für mich schön, erst einmal Zeit mit mir alleine zu haben. Mir fällt auf, wie anstrengend es für mich ist, längere Zeit unter vielen Menschen zu sein. Ich fühle mich dann beobachtet und lenke meine Aufmerksamkeit vermehrt darauf, was ich tue und wie ich nach außen wirke.

In den ersten Tagen habe ich mein Haus geputzt, aufgeräumt und eingerichtet, mich im Seminar und in der Umgebung orientiert und viele Menschen kennengelernt. Zu Logaweng möchte ich erst in einem späteren Blogeintrag etwas schreiben, denn ich beobachte noch, versuche, die Strukturen zu verstehen, und übernehme nach und nach mehr Aufgaben. So viel vorweg: Ich fühle mich sehr wohl! Besonders dankbar bin ich für meine Nachbar*innen Anne und Knut mit ihren Kindern, Nora und Jaron (cramersinpng.wordpress.com). Sie kommen aus Deutschland und sind Dozent*innen am Seminar. Es hilft mir beim Ankommen, dass es auf diese Art etwas „Vertrautes“ gibt. In der kurzen Zeit haben sie mir schon außerordentlich viel unter die Arme gegriffen.

Sie waren es auch, die mich vom 11. bis 18. September auf eine Reise mitgenommen haben. Wir haben eine deutsche Familie besucht, die in der Nähe des etwa 100 km Luftlinie entfernten Wasu lebt. Dort befindet sich Etep, eines der lutherischen Krankenhäuser. Wasu liegt wie Finschhafen an der Küste, aber von dort aus ist es deutlich schwieriger, eine größere Stadt zu erreichen. Die Woche war wunderschön, nicht zuletzt dank der Gastfreundschaft und traumhaften Natur – auch ohne Internet. Eines meiner Highlights war der Einblick in den Betrieb des Krankenhauses samt Operationsvisite. Ich bin beeindruckt, wenn ich sehe, mit welchen Mitteln in den lutherischen Krankenhäusern PNGs gearbeitet wird, denn ich habe immer noch das Hamburger Institut für Experimentelle Herz-Kreislaufforschung vor Augen.

Von Etep aus ging es für mich direkt weiter zur National Youth Conference der Evangelical-Lutheran Church (ELC-PNG) in Lababia. Drei Nächte und zwei Tage auf einem Boot, ein paar Mal Übergeben, viele Verspätungen und Unklarheiten, einen unvorhergesehenen Einkaufstag in Lae, unzählige waitskin-Extrabehandlungen, drei nächtliche auf-dem-Schiff-spontan-Gottesdienste und einige neue Bekanntschaften später kam ich an.

Die Youth Conference war für mich sehr interessant und lehrreich in Bezug auf die Strukturen in der ELC-PNG und die Definitionen lutherischen Glaubens. Auch waren die Tage für mich sehr herausfordernd. Es gab keine Sanitäreinrichtungen oder Privatsphäre, ich hatte das Gefühl, dass immer ein Scheinwerfer auf meine Haut gerichtet ist, das Essen bestand täglich aus den gleichen Knollen und ich habe die Nächte auf einer Bambusmatte verbracht. Beim Schwimmen im Meer und Korallentauchen konnte ich die mich begleitende Anspannung etwas abschütteln.

Meine Geige ist bei allen Unternehmungen dabei und weckt viel Interesse. Sei es, dass ich bei einer Independence Day-Veranstaltung die Nationalhymne spielen soll oder im Abschlussgottesdienst der Youth Conference eingeplant bin, sie leistet gute Dienste und hilft mir, Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen. Bei der Fahrt zurück von Lababia nach Logaweng durch strömenden Tropenregen und aufgewühltes Meer ist aber leider der erste größere Schaden entstanden. Hals, Sattel, Zargen und Griffbrett haben sich gelöst. Mit dem Leim, den mir mein Geigenbauer mitgegeben hat, einer Anleitung per Mail und etwas unorthodox eingesetztem Sekundenkleber konnte ich die Geige wieder einigermaßen zusammenflicken.

Am 27. September bin ich nach Logaweng zurückgekehrt. Ich habe allerdings wieder nur ein paar Tage Aufenthalt, denn vom 3. bis 8. Oktober steht schon das International Family Retreat in Alexishafen an. Endlich eine Reise mit Flugzeug, statt mit Boot. Ich überlege mir noch, wie ich es euphemistisch als alternative Form des Klimaprotests verpacken kann… Umweltverschmutzung und Klimakrise sind in PNG in vielerlei Hinsicht greifbar. Eine Mine nahe Alexishafen hat letzte Woche Quecksilber ins Meer geleitet und es ist nicht genau bekannt, wie viel. Das ist kein Einzelfall. Die asples bilong nambis (Menschen, die an der Küste geboren und aufgewachsen sind) beobachten seit einigen Jahren das Korallenbleichen und schrumpfende Fischbestände, leiden unter Überschwemmungen und extremen Wetterlagen. Mir ist klar, dass ich meinen Lebensstil noch sehr viel drastischer verändern muss.

Bis jetzt habe ich mich überall als „Besucher“ gefühlt. Hände schütteln und den üblichen Smalltalk auf Tok Pisin kann ich mittlerweile im Schlaf. Neben Namen, Familie, Herkunft, Geige, Sonnenbrand und Freiwilligendienst gibt es einige Themen und Fragen, die mich in ihrer Häufigkeit überraschen. Viele Menschen sind interessiert, wo ich gerade herkomme und wo ich hingehe. Dafür werde ich selten gefragt, wie es mir geht. Es wird leidenschaftlich gerne vom eigenen Gemüse- und Obstgarten erzählt und meine Gesprächspartner*innen sind selten überrascht, wenn ich zugebe, dass ich keinen habe – bekanntlich kaufen sich die Weißen ihr Essen.

Ein Thema, das mich sehr beschäftigt ist meine subjektive Wahrnehmung von und mein Verhältnis zu „Zeit“:  Eine Woche hier fühlt sich für mich viel länger an als noch zuletzt in Hamburg. Ich spüre, wie viel ich zu verarbeiten habe. Gleichzeitig merke ich aber auch, dass die Zeit immer mehr anzieht, je mehr ich meine Umgebung gewohnt bin, je weniger mich alltägliche Dinge wie Stromausfall, Kochen mit Gasherd und Kratzer an den Beinen beschäftigen. Ich glaube, über manche Sachen hat mein Gehirn aufgehört nachzudenken. Es nimmt sie einfach hin.

Ich versuche an meiner Einstellung gegenüber „Warten“ zu arbeiten. Für mich ist das primäre Problem nicht das Warten an sich, sondern, dass ich oftmals nicht weiß, wie lange ich „nichts-tuend“ herumsitzen werde und worauf ich eigentlich gerade warte. Ich warte darauf, dass das Boot losfährt, ich warte darauf, dass die Veranstaltung beginnt, am allermeisten aber warte ich auf andere Personen.

Meine „Ungeduld“ trage ich manchmal gewollt oder ungewollt nach außen. In diesen Momenten wird oft entschuldigend oder mit einem Augenzwinkern etwas zu „PNG taim“ gesagt. Ich denke, „long PNG taim“ lässt sich sinngemäß am besten mit „wenn es passt“ übersetzen, „später als vereinbart“ trifft es meiner Meinung nach nicht. So fuhren die Boote bei der Fahrt von Finschhafen nach Wasu oder von Lababia nach Lae Stunden früher ab als besprochen: Anscheinend passte es allen anderen so, nur ich war darauf nicht eingestellt und packte hektisch meine Sachen.

Im Gespräch mit mir idealisieren viele Menschen das Konzept von Zeit und Pünktlichkeit, dass sie mit Deutschland bzw. „den Weißen“ verbinden. Vielleicht möchten sie nur freundlich zu mir sein, vielleicht aber wünschen sie sich tatsächlich eine Gesellschaft, die nach solchen Maßstäben funktioniert. Ich zucke manchmal zusammen, wenn eine Person aus PNG davon spricht, dass sich dieses „third world country“ endlich „entwickeln“ solle. Diese „Entwicklung“ scheitere aber an der Einstellung der Menschen bezüglich Arbeit, Zeit und Geld. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll, weil meine Sichtweise ganz anders ist.

Sehr gut erinnere ich mich an ein Gespräch mit einer älteren Person in der Wartehalle von Lutheran Shipping Services. Sie hat „PNG taim“ so definiert: „Sapos olgeta de yu hariap hariap tumas olgeta samting yu lusim i stap em i bai kamap samting nogut. Tasol sapos yu go isi isi mekim isi isi olgeta samting i kamap gutpela. Olsem na nogut yu go hariap oltaim. Samting nogut bai kamap!“ Frei übersetzt heißt das: “Wenn man sich immer beeilt, wird das, was man zurücklässt, nicht gut werden. Wenn man sich aber Zeit lässt, wird alles sorgfältig und gut gemacht sein. Deshalb ist es nicht gut, wenn man immer alles schnell macht. Schlechtes wird passieren.“

Ich habe versucht, diesen Gedanken auf mein eng getaktetes Leben in Deutschland zu beziehen. Ich denke, unter der Schnelligkeit meines Lebens leidet nicht die „Qualität“ der Sachen, die ich von meiner To-do-Liste streichen kann, sondern eher der Blick für uneingepasste Dinge und die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen, die unter den Erledigungen Platz finden müssen.

Ich habe das Gefühl, mich gerade in einem Kontext und System zu befinden, in dem ebendieser Beziehungsebene sehr viel Raum und Zeit gegeben wird. Es fällt mir sehr schwer, mich daran zu gewöhnen, und ich hoffe, dass ich in diesem Jahr lernen kann, es mehr wertzuschätzen. Das bedeutet für mich beispielsweise auch, es wertschätzen zu können, im Boot auf andere zu warten, so wie im Boot auf mich gewartet wird, wenn ich es erst zur vereinbarten Zeit schaffe.

Ich freue mich jetzt schon darauf, nach dem Aufenthalt in Alexishafen länger am Stück in Logaweng zu sein und in intensiveren Kontakt mit den Studierenden und der Belegschaft zu kommen. Ich habe viele Ideen, an welchen Stellen ich gerne (mit-)gestalten möchte, und schon Angebote zu Aufgaben bekommen, die ich übernehmen kann und darf.

Lukim yu!

Cornelius

Comments:

Janna
08.10.2019

Wow, danke für die eindrücklichen und (wenig überraschenderweise) sehr reflektierten Erlebnisse und Beobachtungen, die du hier schilderst. Ein kurzer Kommentar dazu wird dem gar nicht gerecht, aber dennoch: ich finde es unglaublich spannend, jetzt schon deine Gedankenanstöße und Umdenkprozesse und Eingewöhnungszeit mitzuverfolgen und freue mich sehr auf weitere Berichte und Erkenntnisse von dir. Viele Grüße aus dem ZMÖ Janna

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