Brasilien, hier bin ich!

„Wann ich nach Brasilien gehe? Das dauert noch ein bisschen…“ war bis drei Tage vor Ausreise meine Antwort auf die Frage, wann es denn endlich für mich los gehen soll. Kurze Zeit darauf saß ich im Flieger nach São Paulo und habe eigentlich erst dann realisiert, dass es jetzt ja wirklich los geht. Und siehe da: Kaum bin ich hier, sind schon eineinhalb Monate vorbei. Es ist sehr viel passiert und die Zeit rast. Deswegen ist es auch mal Zeit, mal von mir hören zu lassen, um die ersten Erlebnisse zu teilen – viel Spaß beim Lesen 🙂 .

Mit Pink Floyd auf dem Ohr heben wir ab. Die Kopfhörer habe ich jedoch 5 Minuten nach dem Abheben aber wieder raus genommen, da ich wegen des lauten Dröhnens im Flugzeug sowieso kaum etwas von der Musik gehört habe. Nun wird mir zum ersten Mal wirklich klar: Jetzt gehts ja tatsächlich los… Eigentlich dachte ich, ich wäre schon geübt, über längere Zeit wegzufahren, da ich ja schon ein Auslandsjahr in Irland hinter mir habe. Doch dieses Jahr wird komplett anders. Ich bin so ziemlich das erste Mal auf mich alleine gestellt. Ich habe eine eigene Wohnung, muss selber einkaufen, kochen, waschen und verlasse offiziell „Hotel Mama“.

Vom Flughafen Frankfurt gehts über São Paulo nach Porto Alegre. Im Flugzeug sitzen nicht nur meine ZMÖ-Mitfreiwilligen Merle und Marc und ich, sondern auch noch Franzi, Jeelka, Jonna, Olivia und Leander, 5 weitere Freiwillige, die wie wir einen Freiwilligendienst in Brasilien machen werden. Endlich angekommen werden wir jetzt als „große Gruppe“ freundlich von unser Mentorin Simone am Flughafen in Empfang genommen und zur Studenteneinrichtung Faculdades EST gebracht, wo wir gemeinsam die erste Woche das Einführungsseminar verbringen. Jeden Morgen von 08:00 — 12:00 gibt es Portugiesisch-Unterricht; São Leopoldo, Novo Hamburgo und Porto Alegre wurden besichtigt (die Städte der Einsatzstellen der anderen Freiwilligen); uns wurde viel neues Essen gezeigt und wie man Chimarrão trinkt (koffeinhaltiges Warmgetränk, das man aus einem Holzbecher trinkt, die meisten kennen es als „Mate“); die Gruppe schweißt zusammen – der Gedanke, dass ich der Einzige bin, der wirklich weit weg von den anderen Freiwilligen wohnen wird, verunsichert mich ein bisschen. Die gute Nachricht: Ich fahre das erste mal in einem Nachtbus – mit eigenem „Liegesofa“ – und ja, ich habe reingepasst! Die Fahrt war so angenehm, dass ich fast die gesamten 12 Stunden nach Curitiba durchgeschlafen habe.

Mit einem abraço werde ich von der Projektleiterin und meiner neuen Zweit-Mama Darclê begrüßt. Wir verstehen uns ab Minute eins. Eine Person, die mir jetzt schon sehr ans Herz gewachsen ist. Sie spricht super gut Deutsch, was für die ersten Tage und Wochen sehr nützlich ist. Wie sie ständig sagt „passt die Chemie“ zwischen uns.

Dorcas ist ein Sozialprojekt mit dem Ziel der sozialen Entwicklung, um die Lebensqualität der Kindern und Jugendlichen im Projekt zu fördern. Es werden die verschiedensten Kurse angeboten, vergleichbar mit dem normalen Schulunterricht in Deutschland. Insgesamt gibt es ca. 180 5 –18 Jährige im Projekt, die als Vormittags- und Nachmittagsgruppe aufgeteilt sind. Die Gruppen wechseln Halbtags beim Mittagessen. Es gibt immer Reis mit schwarzen Bohnen (Nationalgericht Brasiliens) mit Salat und meistens einem Fleischgericht — immer super lecker. Mit den jüngeren Kindern wird gebastelt, gemalt, gespielt, sowie Schreiben und Lesen gelernt. Den Älteren werden Kurse wie Erdkunde, Informatik (Computerunterricht), Roboter und Technikunterricht oder „Zukunftsplanung“ angeboten.
Wir gehen alles Nötige einkaufen, wie Sim-Karte und Obst (schmeckt 1000x besser hier!) und sie zeigt mir mein Zuhause für die nächsten 11 Monate. Ich wohne in einem Studentenwohnheim einer Theologieuniversität und habe alles was ich brauche – ein gemütliches Zimmer mit weitem Ausblick, ein eigenes Badezimmer mit Dusche, einen Supermarkt der so ziemlich alles hat und eine Küche, die ich mir mit meinem Zimmernachbarn Alex teile.
Am Tag nach meiner Ankunft in Curitiba lerne ich direkt meine Einsatzstelle „Projecto Dorcas“ kennen. Der Tag beginnt generell damit, dass die Kinder und Jugendlichen im größten Raum mit einigen Worten und einem Gebet begrüßt werden, bevor es in den Unterricht geht. Dort stelle ich mich vor: „Ich bin Pelle aus Deutschland – Hamburg, ich bin 20 Jahre alt, ich spreche ein bisschen portugiesisch, werde für 1 Jahr hier arbeiten und bin sehr groß.“ Die Frage, wie groß denn genau wird am selben Tag noch schnell mit drei unterschiedlichen Maßbändern geklärt – zu meinem Bedauern weiß ich es jetzt offiziell und muss zugeben: 2,01m.
Die erste Woche schnuppere ich noch in den verschiedenen Angeboten und Kursen vorbei, danach bekomme ich meinen eigenen Arbeitsplan. In den ersten Monaten bin ich vor allem bei den Kleinen eingesetzt, da ich dort am Besten die Sprache lernen kann. Bei ihnen fehlt so mancher Ansatz von Grammatik oder guter Aussprache. Außerdem bringe ich meine Kenntnisse aus der Elbschule mit, wo ich die vergangenen 9,5 Monate in der Vorschule ebenfalls mit Kindern gearbeitet habe. Dazu kann ich direkt sagen, wie sehr mir die Gebärdensprache beim Verständigen hilft. Erst dachte ich, spanische Grundkenntnisse aus der Schule wären ebenfalls praktisch, da sich Spanisch und Portugiesisch sehr ähneln, jedoch ist es nicht nur ein Vorteil. Klar, ich kann dadurch schon viel mehr verstehen, doch wenn ich anfange zu sprechen, ist es eine Mischung aus beiden Sprachen, was nicht nur für meinen Gegenüber schwer zu verstehen ist, sondern mir auch für das „Sprache schnell lernen“ sehr im Weg steht. Doch auch bei der Elbschule musste ich quasi eine neue Sprache lernen und auch dort ist mir schnell bewusst geworden, dass man auch ohne Sprache auf andere Weise miteinander kommunizieren kann. Klar gibt es auch Google Übersetzer (viele der Kinder kommen immer wieder zu mir und stellen mir darüber Fragen – hauptsächlich über Fussball) oder Erzieher*innen im Projekt, die Deutsch oder Englisch sprechen, die im schlimmsten Fall auch mal kurz übersetzen können.
Vor dem Gebäude gibt es einen Fussballplatz, der jeden Tag – auch bei Regen – in Benutzung ist. Außerdem gibt es noch eine Tischtennisplatte, sowie drei Tischkicker. Als Sportangebot gibt es neben vielen Bewegungs- und Ballspielen Capoeira-Unterricht (brasilianischer Kampftanz). Fussball wird selbstverständlich auch jeden Tag gespielt… dort geht es immer um alles – seit dem ich einmal mitgespielt habe, werde ich natürlich nicht mehr „Pelle“, sondern „Pelé“ (brasilianische Fussballlegende) genannt! Ob ich auch so gut bin, wie er es war, ist zu diskutieren :).
Musik wird hier ganz groß geschrieben. Mittwoch und und Freitag sind die Musiktage. Es gibt Blockflötenunterricht, einen großen Chor, Trommelkurse und vor allem eine große Band mit Trompeten, Posaunen und weiteren Blasinstrumenten. Teilweise treten sie in der evangelischen Kirche in Curitiba auf und spielen ihre Stücke. Es macht total Spass zuzuhören, die haben es echt drauf…!

So viele Menschen – nicht nur bei Dorcas, auch beim Einkaufen, auf der Strasse oder im Studentenwohnheim sind so herzlich, fröhlich und hilfsberit. Das macht es leicht Kontakte zu knüpfen. Gerade durch das Studentenwohnheim habe ich natürlich Anschluss gefunden und konnte direkt neue Freundschaften schließen. Auch am Wochenende bin ich mit den neuen Leuten unterwegs und es wird nie langweilig. Es wird aufeinander geachtet und geguckt, dass keiner alleine ist. Sie wissen, wo es das beste Essen für den besten Preis gibt und zeigen mir die schönen Ecken von Curitiba.

Nach meinem ersten Monat im Projekt kann ich sagen, wie wohl ich mich hier aufgehoben fühle. Ich finde es außerdem so faszinierend und beeindruckend, mit wie viel Freude die Kinder und Jugendlichen hier im Projekt mitziehen. Sie haben Spaß an allen Kursen und Projekten, die ihnen angeboten werden. Vor allem beim Chor, egal ob jung oder alt, alle singen mit Freude und Elan mit und haben total Spaß dabei.
Bei so ziemlich allen Aktivitäten, egal ob es Musik, Basteln, Malen, Spielen, Fussball oder eine Partie Tischtennis ist, werde ich fast immer aufgefordert, bzw. herausgefordert und gefragt, mitzumachen und mitzuspielen – einer der Hauptgründe, mich darauf zu freuen zur Arbeit zu gehen. Es freut mich auch jedes Mal aufs Neue, von strahlenden Kindern begrüßt zu werden, die sich auch immer freuen, mich zu sehen. Schön ist auch, wenn gefragt wird, wie dies und jenes auf englisch oder deutsch heißt. Es freut mich auch, wenn wir über meine Aussprache mancher portugiesischen Wörter lachen können.
Wir können unglaublich viel von einander lernen und ich bin sehr dankbar dafür, diese Erfahrung machen zu dürfen. Das sich die Ausreise wegen Corona um ein Jahr verschoben hat, finde ich im Nachhinein nicht mehr blöd, da dieses Jahr jetzt erst begonnen hat und noch viel vor mir liegt.

Ich freue mich schon darauf, mehr von meiner Zeit hier mit euch zu teilen und bitte um Geduld, falls mal ein bisschen gewartet werden muss. Mein Alltag nimmt mich hier sehr in Anspruch…

Bis zum nächsten Mal,
Euer Pelle

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