Es hochzeitet im Hindu Stil

Helge und ich wurden von unserer guten Freundin Sonal zu unserer ersten vollständigen indischen Hochzeit eingeladen, bei der wir bei allen 5 Tagen der Hochzeit teilnehmen durften.

In den Wochen vor der Hochzeit gingen bereits die Vorbereitungen los und wir sind mit ein Paar Freunden shoppen gegangen, um festliche traditionelle Kleidung zu kaufen. Bezahlen durften Helge und ich am Ende aber nicht, Sonal bestand darauf für uns zu bezahlen. Nachdem ich mit einem wunderschönen lilafarbenen Saree und Helge mit einer neuen blauen Kurta ausgestattet wurden ging es noch daran festliche Schuhe zu kaufen, was sich auf meiner Seite als richtige Herausforderung entpuppte, da ich für indische Verhältnisse mit einer Schuhgröße 40 weit über dem Durchschnitt liege. An einem anderen Tag bin ich bin Sonal erneut losgefahren, Ziel war der belebteste Teil Nagpurs um passende Armreifen zu meinem Saree, ein Petticoat und noch ein Paar andere Besorgungen zu kaufen.

Der erste Tag der Hochzeits-Zelebrierung begann am Sonntag damit, dass sich die enge Familie (ca. 50 Personen) Zuhause bei Sonal Zuhause trifft um sich von Henna Künstlerinnen das traditionelle Mehendi auf die Hände malen zu lassen. Damit das Design besonders intensiv wird muss das Henna erstmal 15 Minuten antrocknen bevor man seine Hände wieder bewegen kann. Danach sollte man das Henna am besten über Nacht auf der Haut lassen. Nachdem alle ihr Mehendi aufgetragen bekommen haben wurde noch gemeinsam gegessen. Die meisten von Sonals Verwandten werden über die Hochzeitstage bei ihr Zuhause untergebracht, das Haus wurde für die Hochzeit nicht nur schön geschmückt, sondern auch frisch gestrichen.

Mehendi

Für zwei der fünf Tage der Hochzeit hat mir Sonal Kleider geliehen, denn an diesen Tagen hieß es auch „dress to impress“ -und Prinzessinnen-Abendkleider standen nicht auf meiner Packliste. Für den Montagabend, an dem sich der Großteil von Sonals Familie bei ihr Zuhause offiziell zum Dinner trifft hat sie mir ein langes dunkelrotes Abendkleid und passenden Schmuck geliehen. Wir kamen an dem Abend fast eine Stunde nach dem offiziellen Beginn bei Sonal zuhause an, und trotzdem haben wir den Beginn des Essens nicht verpasst – das nennt man „Indian-standart-time“.

Sonal, ihre grosse Schwester, Swarup (die Braut)
beim Dinner (Montag)

Am Dienstag Morgen, dem Tag vor der Hochzeit kamen wir schon um 10uhr zu Sonal nach Hause um Haldi zu zelebrieren. Dieses Event war mein persönliches Highlight der ganzen Hochzeit, da es eine perfekte Mischung aus Tradition und Spaß ist. Am Tag des Haldi feiern die Familie der Braut und die des Bräutigam meist getrennt die Zeremonie die daraus besteht die Hindu Gottheit Haldi zu ehren. Hier wird zuerst die Braut von ihren Familienmitgliedern mit einer Kurkuma Paste im Gesicht und am Körper eingerieben, dieser Moment war für alle Angehörigen sehr emotional. Danach geht jeder der möchte einzeln zur Braut und darf sich gegenseitig ebenfalls Kurkuma Paste auf die Wangen schmieren. Wenn der traditionelle Teil des Events vorbei ist, geht der spaßige Teil los. Es wird laute Musik gespielt, getanzt und sich gegenseitig mit Kurkuma Paste beschmiert und mit Wasser übergossen. Am Ende des ganzen sahen wir alle aus wie Minions, gelb gefärbt durch Kurkuma und von Wasser getränkt. Es hat uns mehrere duschen und Gesichtswaschungen gebraucht und trotzdem blieben unsere Hände gelb gefärbt und unser Gesicht behielt einen Gelb film. Später gingen dann alle außer die Braut zusammen zum Haus des Bräutigams, die separat ebenfalls Haldi gefeiert haben. Die Frauen der Familie der Braut haben zahlreiche Leckereien vorbereitet die wir mitnahmen um einen weiteren Teil der Tradition zu feiern. Das Essen wird zuerst vor dem Bräutigam präsentiert, dann beginnt das spiel in dem jede Frau so tut als würde sie den Bräutigam füttern, dann im letzten Moment aber wieder zurück zieht. Dieses Spiel geht dann immer weiter, am Ende muss der Bräutigam mindestens einen Bissen von allem probieren was die Frauen mitgebracht haben.

Am Mittwoch, dem Tag der offiziellen Hochzeit musste ich schon sehr früh bei der Location sein, denn ich traf mich mit Sonal, ihren Schwestern, Tanten und ihrer Mutter zum Fertigmachen. Das war ebenfalls ein sehr schöner Moment zwischen Frauen, den ich so schnell nicht vergessen werde. Ich konnte dabei zusehen wie die anderen Frauen herausgeputzt wurden, mit dem vollen Programm; Frisur, Makeup, traditionellem Saree und natürlich Schmuck… – alles muss perfekt sein! Auch mir wurde geholfen in meinen ersten eigenen Saree zu schlüpfen, meine Haare wurden traditionell im Marathi Style hochgesteckt und mit Blumen verziert und ich wurde lieh mir ebenfalls Schmuck von Sonal. Ich wurde wie ein Teil der Familie behandelt und habe mich sehr zugehörig gefühlt. Auch wenn das Makeup für meinen Geschmack viel zu stark war, fühlte ich mich trotzdem wunderschön und werde diesen Moment in Erinnerung behalten. Bevor die Braut in den Saal eingezogen kommt wird der Bräutigam, der auf einem weißen Pferd angeritten kommt, von seiner Familie mit lauter Musik und Tanz begrüsst. Dies zieht sich so lange, bis die Braut bereit ist. Wenn die Braut fertig ist, zieht sie, unter einem Dach aus Blumen in den Saal bis zur Bühne ein. Hier wird sie vom Bräutigam in Empfang genommen und es finden zahlreiche Rituale statt, wie zum Beispiel, dass sich das Brautpaar gegenseitig Reis auf den Kopf tut und Mantras in Sanskrit gesprochen werden. Diese Rituale führen dann zur offiziellen Einigung des Brautpaars. Danach bekommt jeder die Chance auf die Bühne zu gehen und das Ehepaar zu beglückwünschen, Geschenke zu überreichen und natürlich Fotos zu schießen. Jeder der damit fertig ist kann sich dann am ausgiebigen Büffet bedienen. Später finden dann noch weitere Rituale statt, manche sind sehr emotional für die Angehörigen, da ihre Tochter nun offiziell in das Elternhaus des Ehemanns ziehen wird und somit ihre Verantwortung bei der Familie des Ehemanns liegt. (In Indien zieht man traditionell erst aus dem Elternhaus aus, wenn man heiratet- dann zieht man als Frau bei der Familie des Ehemanns ein, man wohnt also nie alleine)

Hochzeit

Das letzte Event der Hindu Hochzeit ist die „Reception“, welche am Donnerstag Abend in einer separaten Location abgehalten und von der Familie des Ehemanns organisiert wird. Die einzigen Programmpunkte ist ein weiteres Fotoshooting und ein riesiges Büffet. An diesem Abend trug ich ein weiteres geliehenes Kleid von Sonal, welches mir meinen Kindheits-Prinzessinnentraum erfüllte. Ich hatte die Chance mich gut mit einigen Verwandten und Freunden von der Familie zu unterhalten.

Alltag in Nagpur und am IPC

In der Zeit, in der Thula und ich jetzt schon hier sind, konnte ich mich an 3 Konstanten gewöhnen. Eine dieser Konstanten ist das unglaublich leckere und abwechslungsreiche Essen. Darum soll es hier aber gar nicht so ausführlich gehen, sondern mehr um die anderen beiden Dinge: die Arbeit und indische Festivals/ Feiertage.

Auf der Arbeit haben Thula und ich bei unserer Ankunft gleich eine nicht zu kleine Aufgabe hier im IPC bekommen. Wir sollten die Bibliothek neu sortieren und ein digitales Register erstellen. Eigentlich waren dafür nur ein paar Wochen eingeplant, es hat uns dann aber doch die eine oder andere Woche mehr als geplant beschäftigt. So von 0 auf 100 in eine neue Aufgabe reinzustarten, klappt dann eben doch nicht immer ganz so schnell. Nachdem wir uns aber ganz gut eingearbeitet hatten, haben wir schnell realisiert, dass einfach zu wenig Platz für die Bücher da ist. Da auch immer wieder angekündigt wurde, dass es regelmäßig Nachschub geben wird, waren wir doch etwas ratlos wohin mit den ganzen Büchern. Was die Bibliothek aber besonders macht, ist die Vielfalt an Büchern. Das Herzstück der Bibliothek sind die gesammelten Werke von Ambedkar, bestehend aus 100 Bändern. Auch gibt es eine Auflage des Korans mit englischer Erklärung aus dem Jahre 1917. Die meisten Bücher sind jedoch im Vergleich eher uninteressantere Romane. Insgesamt haben wir über 3600 Bücher erfasst, welche wir in 22 Kategorien aufgeteilt haben. Die größten Kategorien sind: „Novels“, „Religion“, „Economy & Ecology“ und Bücher die vom IPC oder der „Motherorganisation“ vom IPC veröffentlicht wurden.

Das Regal mit den veröffentlichungen des IPC/NCCI

Dabei haben wir die Bücher, welche nicht auf Englisch, sondern auf (vermutlich) Hindi und Maharati geschrieben sind noch gar nicht bearbeitet, das kommt dann sobald wir der Sprache und Schrift einigermaßen mächtig sind. Zum Glück sind das aber nicht mehr als 200 Bücher, also eine dann doch machbare Aufgabe. So viel zum inhaltlichen Teil der Arbeit im IPC, es gibt nämlich noch zwei nicht zu unterschätzende Dinge im Arbeitsalltag im IPC: Jeden Vormittag und Nachmittag gibt es nämlich eine Chai Pause, wo zusammen ein Chai genossen wird. Auch gibt es am IPC sehr häufig Besuch von 2 Straßenhunden welche natürlich auch ein kleines bisschen Aufmerksamkeit möchten, das lässt sich gerade noch so einrichten. Wir haben auch schon versucht einem der beiden Hunde „Sitz“ beizubringen. Der Erfolg war jedoch nur kurzweilig. Versucht man das Ganze ohne ein Leckerli in der Hand, ist man auf verlorenem Posten

Der Arbeitsalltag wird jedoch sehr häufig durch Festivals und Feiertage unterbrochen. Eines dieser Festivals, das Diwali Festival, möchte ich euch etwas näher vorstellen.

Das Diwali Festival ist wohl das wichtigste Familien-Fest im Bundesstaat Maharashtra. Das „Festival of lights“ ist vergleichbar mit Weihnachten und Silvester in Deutschland/ in christlichen Haushalten. Es werden Familie und Freunde besucht und nachts wird der Himmel mit Böllern und Raketen geschmückt/verschmutzt. Diwali haben wir über mehrere Tage gefeiert, von Sonntag, dem 23.10 bis Dienstag, den 25.10. – Montag und Dienstag waren Feiertage. Wir waren über Diwali bei einem guten Freund zu Hause eingeladen und haben mit ihm, seiner Familie und Freunden Diwali verbracht. Tagsüber gab es ein paar Rituale die durchgeführt wurden. Eines der Rituale ist das Erstellen eines Rangoli vor der Haustür.

Dabei werden zuerst die Rahmenlinien mit einem weißen Pulver gezeichnet und später die Innenflächen mit farbigem Pulver ausgefüllt. Das oben gezeigte Rangoli wurde von einer Freundin erstellt, sie hat ca. 2h dafür gebraucht. Ein weiteres Ritual hat den Namen „Abhyang Snan“, bei diesem Ritual wäscht man sich auf eine traditionelle Art: Man schmiert sich die Haut erst mal (leicht) mit Öl ein (wir haben ein Mandel-Öl benutzt) und danach mit einer traditionellen Seifen-Paste. Diese ist grob-körnig und war vor langer langer Zeit die Seife, die standartmäßig benutzt wurde. Das ganze wird am Ende dann abgeduscht, dabei darf an dem Tag keine normale Seife oder Shampoo benutzt werden.

Wie bereits angedeutet, wird abends wild rumgeböllert, ich finde das immer sehr schön anzusehen, doch wir haben am Dienstagabend die nicht so schöne Seite des Böllerns erlebt. Während wir mit ein paar Freunden die Aussicht auf der Dachterrasse genossen haben, hat Thula eine kleine Rauchwolke entdeckt, welche aufstieg. In wenigen Minuten hat sich diese kleine Rauchwolke zu einer riesigen entwickelt – es war eine Lagerhalle in Brand geraten.

Am Start von Diwali war ich mir nicht sicher, ob ich nicht vielleicht doch Lust hätte selber etwas zu böllern. Die Lust ist mir dann doch relativ schnell vergangen. Die Lust neue Festivals, Bräuche und Rituale kennenzulernen intensiver denn je, nach den ersten Festivals haben Thula und ich doch ein kleines bisschen „Blut geleckt“ und gucken schon freudig in Richtung der nächsten Festivals.

Fahrrad-Rally für den Frieden

Nagpur, 21.09.2022

Am 21. September wird hier im India Peace Centre der internationale Peaceday gefeiert, welcher natürlich große Bedeutung hat. Jedes Jahr findet zur Feier dieses Anlasses eine Fahrrad-Rally statt, um auf das Thema und das IPC aufmerksam zu machen. Helge und ich hatten dieses Jahr die Ehre bei der Planung von diesem wunderbaren Event mithelfen zu können. Bei diesem Event kommen Menschen aus allen Altersklassen zusammen um gemeinsam eine 14km lange Radtour durch Nagpur zu machen und ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Dieses Jahr gab es über 1000 Anmeldungen, was das bisher größte Fahrrad-Event Nagpurs gewesen wäre… leider hat es an dem Tag der Rally geregnet, weshalb nur etwa 350 willensstarke Friedens-Vertreter kamen- trotzdem war eine sehr ausgelassene Stimmung unter allen beteiligten!

Unsere Planungsgruppe bestand dieses Jahr aus ca. 30 Personen und wir kamen vor dem Event zu zwei großen Treffen zusammen um gemeinsam für einen reibungslosen Ablauf zu Sorgen. Bei diesen Treffen besprachen wir beispielsweise wie wir die online Anmeldung generieren, welche Sponsoren wir für die T-shirts bekommen können und wer am Tag des Events welche Aufgabe übernimmt. Geplant wurde ebenfalls wer an den zwei Haltepunkten während der Rally für die Wasserstelle zuständig ist, wer nach der Rally die Snacks verteilt, wer für Social Media Beiträge zuständig ist und wer das Foto-schießen übernimmt. Ebenfalls wurden Gruppen für die Verteilung der T-shirts am Tag vor der Rally eingeteilt. Helge’s und meine Aufgabe als Freiwillige bestand darin einen Überblick über die Online Anmeldungen zu bekommen und alle Anmeldedaten mit der gewünschten T-shirt Größe in einer Exel-Tabelle aufzufassen damit dann jede Person automatisch eine Bestätigung-Email bekommen konnte und nach der Rally ihre Teilnahme Urkunde. Außerdem waren wir den ganzen Tag bei der Verteilung von den T-shirts dabei und haben jedem Teilnehmenden ihr T-shirt zugeteilt.

Der Tag der Rally: 04:45Uhr – um diese Zeit mussten wir morgens Aufstehen, da sich die Planungsgruppe bereits um 5:45Uhr beim IPC getroffen hat um letzte Unklarheiten zu klären und die Route nochmal durchzugehen. Ab 6:30Uhr trudelten auch schon die ersten Teilnehmer:innen ein, da um punkt 7:00Uhr die Rally beginnt. Vor der Rally wurden noch ein Paar ansprachen gehalten, unter anderem von unserem Mentor Dr. Tejinder Singh Rawal, der nochmal einen Bezug zwischen dem Peaceday und dem IPC herstellte und auch die Wichtigkeit dieses Tages nochmal verdeutlicht.

Der erste Stop bei der Rally war beim Futala-See, allerdings wurde hier nur kurz gehalten um auf die Nachzügler zu warten. Unser zweiter Stop war dafür von Bedeutung, denn dieser war bei der berühmten Gandhi Statue. Hier wurden Gandhi ein Paar Worte gewidmet und eine Minute in Meditation verbracht. Als wir dann gegen 8:00Uhr wieder beim IPC eintreffen warten dort schon Bananen und Samosas für alle hungrigen Teilnehmer:innen. Nachdem sich alle gestärkt haben gibt es noch ein Paar ausgelassene Programmpunkte; einen Flashmob mit Tanz und Theater zum Thema Frieden, inspiriert von dem Film „RRR“ und einige andere Tänze, und musikalische Beiträge. Der größte Teil der restlichen Veranstaltung wird aber mit Fotos machen gefüllt, da jeder mit jedem gerne ein Foto hätte. Außerdem werden Helge und ich noch Teil eines Interviews in dem wir über unsere Eindrücke berichten. Wobei man sagen muss, dass wir als weiße Personen schon nach sehr vielen Fotos gefragt werden.

Insgesamt war es von allen Seiten ein gelungenes Event, auch wenn „nur“ 350 Leute gekommen sind. Wir konnten uns ein bisschen in der Planung einbringen und somit unseren Teil zum Event beitragen. Es war aber natürlich sehr anstrengend, und somit sind wir voller Eindrücke zufrieden und glücklich ins Bett gefallen :).

Indien, wir fühlen uns Willkommen!

Lüneburg, Mittwoch den 17.08.2022, 01:45:

Es Klingelt, ich wache auf und mir steht ein Känguru gegenüber. Ich blinzele, gucke hinter mich, die Treppe runter, die Treppe wieder rauf, gucke geradeaus…das Känguru steht immer noch da.

So habe ich mich zumindest gefühlt, als der Wecker um diese Uhrzeit geklingelt hat. Ähnlich wie bei Marc-Uwe-Kling und dem Känguru, hat dieses Klingeln ganz viel Auswirkung auf die kommende Zeit von Thula und mir. (Solltest du das mit dem Känguru nicht verstanden haben, empfehle ich dir mal in die Känguru Chroniken von Marc-Uwe-Kling reinzuhören.)

Jetzt aber eins nach dem anderen, warum hat der Wecker so früh geklingelt?

…weil um 06:10 der Abflug von Hamburg Airport mit dem Ziel Nagpur, Indien war. Geflogen sind wir dann über Amsterdam und Mumbai. In Mumbai mussten wir unser Gepäck abholen und nochmals aufgeben, was bei mir für ein bisschen Reise-Stress gesorgt hat. Doch wie zu erwarten hat alles gut geklappt. Ein paar Stunden später waren wir dann auch schon in Nagpur, dort wurden wir vom Team des IPC abgeholt. Vom Flughafen ging es dann direkt zu unserer Unterkunft, dem NCCI. Das NCCI ist das National Council of Churches of India und wird für die nächsten 11 Monate unser Zuhause sein. Es ist ein sehr g/roßes Gelände wo Thula und ich jeweils ein Zimmer mit Bad haben, welche beide gut ausgestattet sind. Es gibt einen Ventilator an der Decke und auch eine Klimaanlage, im Bad gibt es sogar eine Dusche mit warm Wasser.

Morgens, mittags und abends wird im NCCI jeweils frisch gekocht, es ist die reinste Wohlfühloase. Sowohl das IPC als auch das NCCI sind zwei kleine Paradiese inmitten von Nagpur. Unglaublich grün, mit tollen Bäumen, Pflanzen und Tieren und noch tolleren Menschen! Wir wurden wirklich mit offenen Armen empfangen und Willkommen – eine solche Gastfreundschaft hätten wir uns nicht Erträumen können.

Ein paar Worte zum Verkehr:

Meine bisherige Beobachtung ist, dass es im Indischen Straßenverkehr viel wichtiger ist zu hören als zu gucken. Denn jeder kündigt sich bei einer Kreuzung mit einem freundlichen Hupen an. Das Motto ist ja eh mehr Augen zu und durch, als bedacht an die Kreuzung heranfahren. Das erste was wir gelernt haben als wir ins Auto gestiegen sind ist, dass es zwar Anschnallgurte gibt, diese jedoch nur zur Dekoration da sind und auf keinen Fall zur Benutzung. Die Anschnallgurte sind aber nicht die einzige „Sicherheitsvorkehrung“ die nicht benutzt wird. Auf halber Strecke der Fahrt vom Flughafen zum NCCI habe ich erst bemerkt, dass die Außenspiegel angeklappt sind. Trotz des vermeintlichen Chaos funktioniert der Verkehr (zumindest in der Gegend in der wir wohnen) sehr gut. Für Thula und mich ist es also kein Problem den Arbeitsweg von 1,5 km mit dem Fahrrad zu fahren. Wir schwitzen zwar wie sonst was aber mit dem Verkehr haben wir kein Problem!

Tiere:

In Innenräumen läuft natürlich hier oder da mal ein Gekko oder eine kleine Eidechse rum, ansonsten gibt es drinnen keine nennenswerten Tiere. Auf dem Grundstück des IPC leben 2 (Streuner-) Hunde. Der Ältere von den beiden ist sehr scheu und sofort weg, wenn man auch nur auf 5m rankommt. Der jüngere von den beiden ist das komplette Gegenteil. Sehr zutraulich und noch super verspielt. Ansonsten sind tagsüber ab und zu auch mal ein paar Papageien zu sehen. Abends ist dann die Zeit der Fledermäuse. Die Fledermäuse sind jedoch Flughunde und haben Flügelspannweiten von teilweise mehr als 1,50m. Wir konnten unseren Augen nicht trauen, Fledermäuse so groß wie ein Adler. Da wir in einer sehr grünen Gegend wohnen, gibt es hier super viele dieser Fledermäuse. Und dann gibt es natürlich noch überall Kühe. Allerdings sind die nicht wirklich ein Stör Faktor, man fährt halt einfach drum rum und alles ist gut.

Das Wetter:

Es sind tagsüber normalerweise so 32 Grad, nachts kühlt es so auf 24 Grad herab. Das ist ja erstmal völlig in Ordnung. Wäre da nicht diese Luftfeuchtigkeit…

In meiner Wetter App (Apple Standard) wird auch die gefühlte Temperatur angezeigt. Diese liegt täglich bei über 40! Das ist zum einen natürlich echt heftig, gibt aber auch ein kleines bisschen Hoffnung, dass wir den Indischen Sommer wo es dann über Wochen hinweg tagsüber mindestens 42 Grad gibt überstehen werden. (Im Sommer ist die Luftfeuchtigkeit ja nicht so hoch und die Hitze somit angenehmer.

Nun sind wir schon fast 3 Wochen hier -gefühlt sind es aber 2 Monate. Wir haben das Privileg ein Land zu erleben, welches in seiner Vielfalt nicht reicher sein könnte. Einen kleinen Einblick in diese Vielfalt haben wir bereits bekommen, als wir unter anderem das Krishna Festival und Ganesha Festival mitfeiern durften. Wir hoffen, dass im Laufe des nächsten Jahres noch viele weitere Eindrücke dieser Vielfalt Indiens hinzukommen.

Zwar brauchen wir aktuell noch viel Zeit zur Erholung, da einfach alles neu ist, wir finden aber mit jedem Tag besser in den Alltag hinein. Auch mit unseren Hindi machen wir (sehr kleine) Fortschritte, hier und da lernt mal Immer mal wieder eine Vokabel dazu. Der Wille Hindi zu lernen ist auf jeden Fall da, einfach ist es aber nicht. Zumindest mit der Kleidung haben wir uns schon erfolgreich integriert. Vom Essen können wir gar nicht genug schwärmen. Es ist wirklich ein kleines Paradies in dem wir hier gelandet sind!

Ausnahmezustand

Früher als gedacht befinde ich mich nun wieder in Deutschland, der Grund dafür sollte mittlerweile jeder kennen, ohne dass ich ihn schreibe. Ich tue es trotzdem: Corona. Viele Menschen weltweit sind von dem Virus auf unterschiedlichste Weise beeinflusst, so auch meine Mitfreiwillige Leonie und ich. Während wir noch dachten, wir befänden uns in Sicherheit und gesagt haben „Ach hier ist alles prima, ihr braucht euch keine Sorgen machen“ erhielten wir eine E-Mail, die verkündete, unser Freiwilligendienst in Indien sei beendet. Mittlerweile bin ich froh und dankbar in Deutschland zu sein.

Unerwarteter Abschied

Nach der E-Mail folgte ein Anruf, welcher verkündete, wir würden innerhalb von drei Tagen das Land verlassen. Sofort haben wir unsere Freunde alarmiert und Treffen vereinbart, wir wollten jeden noch einmal persönlichen sehen! Ebenso sind wir direkt los gestratzt, um Kleinigkeiten für Familie und Freunde in Deutschland zu besorgen. Nach und nach haben wir dann auch unsere Koffer gepackt und die Wohnung gesäubert. Es ging schnell vorbei, war stressig und mental auch belastend. Dennoch, wir sind glücklich, denn obwohl alles sehr schnell ging, hatten wir die Chance uns von fast all denen zu verabschieden, die wir ins Herz geschlossen haben. Bis auf ein paar Ausnahmen: unsere Gastfamilie saß in ihrem Heimatdorf fest und unser Chef, Kasta Dip, ironischer weise in Deutschland, da er zuvor auf Berufsreise war. Für mich steht so oder so schon fest, dass es kein Abschied für immer ist, sondern ein Aufwiedersehen. Nach hektischen, emotional und auch irgendwie schönen letzten Tagen haben wir unsere Rückreise angetreten.

Das Abenteuer

Wenn ganz viele Leute alle gleichzeitig in ihr Heimatland zurückwollen, während eines Ausnahmezustandes, ist das ein bisschen wie Rubbellos. Wer schafft es bis zum Ziel, wer bleibt auf halber Strecke liegen und wer kommt gar nicht erst weg. Ich würde mal behaupten, wir haben das Rubbellos mit 50 Cent anstatt 1 € ergattert. Nach einigen Komplikationen haben wir es bis nach Delhi geschafft, wo wir enttäuschend feststellen mussten, dass unser Anschlussflug gestrichen wurde. Auch die folgenden Nachrichten, dass wir bis auf weiters in Delhi festsitzen, da alle Flüge nach Deutschland ausgebucht sind und in zwei Tage eine international Flugsperre verhängt wird, hat nicht sonderlich viel zum Aufschwung der Laune beigetragen. Weiter ging die Reihe der guten Nachrichten mit der Information, das sämtliche Hotels uns nicht aufnehmen wollten, aber bevor es zu dramatisch wird, erlöse ich euch: Alles gut, wir haben ein Hotel gefunden. In dem Wissen, das die deutsche Botschaft Rückholaktionen starten wird, haben wir fünf Tage lang in Hotels verweilt und die täglichen Updates des Botschafters Lindner verfolgt. An dieser Stelle möchte ich auch nochmal meinen ganz persönlichen Dank der Deutschen Botschaft aussprechen, die wirklich eine super Arbeit geleistet hat! Vielen lieben Dank! Wieso? Das erfahrt ihr jetzt. Nach Tag fünf wurden wir freundlicher Weise aus dem Hotel geworfen, aber Glück im Unglück, es hat sich um den Tag unserer Abreise gehandelt. Da in Indien ein Versammlungsverbot aufgrund von Corona galt, sind um die 500 Deutsche mit Bussen zum Garten des Botschafters gebracht worden. Dort haben wir mehrere Stunden verweilt, bis wir nachts die Reise zum Flughafen und letztendlich die Heimreise angetreten haben. Die Deutsche Botschaft kümmert sich um mehrere tausend Gestrandete, veröffentlicht täglich auf mehreren Medienkanälen Videos und Informationen zur aktuellen Lage, passt sich kurzfristig an (wenn auf einmal 500 Deutsche auf der Straße sitzen) und schafft es in diesem ganzen Trubel, die Stimmung unten und entspannt zu halten, keine Panik , kein Aufbrausen. Hier natürlich auch nochmal Danke ans ZMÖ, vor allem Nadja, die sich jeden Tag mehrmals gemeldet hat, um zu hören wie es uns geht und unsere Seelsorge war.

Bin ich hier richtig?

Der Abschied von Indien war vom Gefühl her, der Moment, in dem wir Nagpur verlassen haben. Die fünf Tage in Delhi, waren wir bereits nur von Deutschen umgeben und haben in Hotels mit westlichen Standards gelebt, sodass ich viele Dinge, von denen ich dachte, ich würde sie das erste Mal wieder in Deutschland machen, schon dort getan habe: die warme Dusche zum Beispiel. Außerdem hatten Leonie und ich keine Geheimsprache (Deutsch) mehr, da jeder um uns rum, alles verstand, von dem was wir sprachen. Komisch ist das Wort, die diese Zeit am besten beschreibt.

Zuhause angekommen ging es leider komisch weiter. Nach 7 – 8 Monaten das erste Mal seine Familie wieder zu sehen und sie nicht zu umarmen, ist komisch (Zuhause haben wir uns dann doch umarmt, hab natürlich vorher Hände gewaschen;) ). Seine Freunde nicht zu sehen, keinen Alltag zu haben und bei der Tagesschau zu sehen, es wurde die Kategorie „Was sonst so passiert“ eröffnet, das alles ist komisch. Es ist komisch, in seine Heimat zurück zu kommen, aber alles was du mit Heimat verbindest, liegt flach. Ich wusste zwar nicht so ganz wie ich mich fühlen sollte, aber es war sicherlich neben komisch eine Mischung aus Wut, Trauer, Freude… Ein bisschen von jedem. Man schwimmt einfach mit und tut das, was alle tun: sich beschäftigt halten und nicht in einen Trott verfallen.

Während den letzten 3 Wochen verfolge ich auch noch aktiv die Lage in Indien. Mittlerweile ist ein kompletter Shutdown ausgerufen worden, da versucht wird die Ausbreitung des Virus zu verhindern. In einem Land mit 1,3 Milliarden Einwohnern, großen Städten mit hoher Bevölkerungsdichte, ist Social Distancing jedoch schwer und der Virus bahnt sich seinen Weg. Die Menschen haben Angst, verständlich. Jedoch nicht nur vor dem Virus, sondern vor Ausländern. Noch während ich in Indien war, wurde uns Corona hinterhergerufen, Kinder von uns weggezogen oder direkt kehrt gemacht, wenn man uns erblickt hat. Ich kann es keinem verübeln, der Virus kam von außen und keiner weiß, dass wir schon 7 Monate in Indien sind. Wenn man dann jedoch Geschichten hört, wo andere Touristen mit Steinen beworfen worden, ist man mehr als froh, sich wieder in Deutschland zu befinden.

Während dieser Zeit, dieser komischen Zeit, ist mir eines noch einmal besonders bewusst geworden:  was ein Privileg es ist, Deutsche zu sein. Es ist nicht selbstverständlich, dass deine Regierung dich zurückholt, wenn du gestrandet bist. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass du in Zeiten von Corona, die Wahl hast, was du mit deiner Zeit machst, es ist ein Privileg, dass ich mich im Moment damit beschäftigen kann, ein Bilderbuch zu machen. Andere haben mit ganz anderen Sorgen zu kämpfen. Und ich mich bin mir darüber sehr bewusst.

Das India Peace Centre – unsere kleine grüne Insel

Die letzten 7 bis 8 Monate habe ich in Nagpur verbracht. Wo das sein soll? Ja das habe ich mich auch gefragt, als ich das erste Mal diesen Namen gehört habe. Nagpur ist eine 2,4 Millionen Einwohnerstadt, liegt im Herzen Indiens und ist wortwörtlich das geografische Zentrum. Hier liegt das India Peace Centre, ein interreligiöses Zentrum, welches für die letzten Monate mein Wohn- und Arbeitsplatz war.

Das India Peace Centre (IPC) liegt im Zentrum der Stadt und entgegen seiner eher lauten und unruhigen Umgebung, ist das IPC ein harmonischer und ruhiger Ort. Der Campus ist groß und eine grüne Oase, eine große Wiese, viele Bäume sowie Blumen und andere Pflanzen sind vorzufinden. Es ist wie eine kleine grüne Insel inmitten der Stadt, wo man die Ruhe und Zeit findet seinen Alltag zu entschleunigen. Der perfekte Ort für ein Zentrum, welches für Frieden und Gerechtigkeit kämpft.

Leonie, meine Mitfreiwillige, und ich hatten das große Glück nicht nur dort unseren Arbeitsplatz zu haben, sondern auf demselben Gelände, nur ein Haus weiter, eine Wohnung für uns zwei. Wir waren also nicht nur Mitfreiwillige, sondern auch Mitbewohnerinnen und vor allem aber gute Freundinnen!

So nun stellen sich vielleicht einige die Frage: „Und was genau hast du da so gemacht?“. Darauf gebe ich euch gerne eine Antwort! Um einen Schritt in Richtung Frieden und Gerechtigkeit zu gehen, zählt es zur Arbeit des IPC regelmäßig Programme zu verschieden Themen zu veranstalten. Anlässe wie „Earth Day“, „International Day of Peace“ oder der Geburtstag von Gandhi werden genutzt, Aktionen sowie Diskussionen in der Gesellschaft zu platzieren. Dafür werden Gäste aller Religion und Herkunft eingeladen, um in den Austausch zu kommen, zu lernen und Erfahrungen zu teilen… Meine Aufgabe war es genau, diese Programme auf die Beine zu stellen. Sprich: Sprecher sowie Gäste einladen, Poster und Banner designen, Zeitungsartikel schreiben, sowie die Social Media Seiten zu verwalten. Von Organisationarbeit bis hin zu Öffentlichkeitsarbeit war also immer was dabei. Flexibilität ist dabei das A und O! Je mehr Zeit verging, desto mehr Verantwortung durften wir übernehmen, sodass wir mit der Zeit mehr und mehr den Inhalt der Programme mitgestaltet haben und aktiv bei deren Durchführung beteiligt waren. Letztlich haben wir einen Workshop zum Thema „Gender Justice and Peace“ komplett eigenständig, ohne Anweisungen, gestalten, vorbereiten und durchführen dürfen.

Das IPC hat ein festes Team. Geleitet wird es vom Direktor Kasta Dip, unser Chef sowie Mentor. Das Büro haben wir uns mit unseren Kollegen Swati sowie Moreshwar geteilt. Gautam und Sanju haben sich zwischenzeitlich um den Garten und das Anwesen gekümmert. Es ist wie eine kleine Familie, hat einer/eine Geburtstag, feiert das ganze Team zusammen, heiratet einer/eine wird das ganze Team eingeladen, tanzt einer/eine, tanzen alle 🙂

An dieser Stelle möchte ich euch Sanju, ein guter Freund und Nachbar, genauer vorstellen. Sanju ist der offizielle Hausmeister des IPC und bis auf Mittwochs in 24 Stunden Bereitschaft hat. Mit seiner Frau Geeta hat er zwei Kinder, Aschwini und Ashwin. Wenn Sanju Stühle umstellt, fegt oder Bilder aufhängt, hat er immer ein kleines Radio dabei. Denn Sanju liebt es zu tanzen, immer und überall. Im Oktober letzten Jahres hat eine Straßenhündin Welpen im Schuppen des IPCs geworfen. Bis auf eines hat leider Keins überlebt und dieses eine wurde Tommy getauft und von Sanju adoptiert. Sanju liebt es, Leute auf den Arm zu nehmen, vor allem Swati, er liebt es zu lachen und mit Moreshwar und Gautam Karten zu spielen. Wenn ich sage, Sanju ist die Sonne in Person, dann meine ich das auch so. Sanju ist der, der tanzt und alle tanzen mit. Schlechte Laune- unmöglich.

Selbst wenn die Uhr halb fünf schlägt, die Arbeit offiziell erledigt ist und sich die kleine IPC Familie auf den Weg Nachhause macht, ist der Tag noch nicht gelaufen! Ebenfalls auf dem Campus wohnt Familie Dip (unsere Gastfamilie bestehend aus Sangeeta und Kasta sowie deren Kinder Anushka und Anubhav). Die Tür stand immer für uns offen, sodass wir gerne Zeit zusammen verbracht haben. Andernfalls haben wir uns mit Freunden getroffen, sind aus gegangen, haben Spiele gespielt und haben getan, was man halt sonst so macht in unserem Alter in Indien: Tanzparty im Wohnzimmer 🙂

Mein Leben im IPC ist, wie das Leben auf einer kleinen grünen Insel. Man kann von dort aus perfekt überall hinschwimmen und den weiten Ozean Indien erkunden.

Schlossfensterblick

“Indien ist ein riesiges Schloss und ihr schaut gerade von Außen in eines dieser Fenster. Und wahrscheinlich steht noch etwas vor dem Fenster, was Euch die Sicht versperrt. Vielleicht schaut ihr in den Ballraum oder in die Abstellkammer. Vielleicht denkt ihr auch, ihr würdet in den Ballsaal schauen und schaut eigentlich in die Abstellkammer oder anders herum.  Im Endeffekt bekommt ihr einen Eindruck. Einen kleinen Eindruck. Diesen zu verwenden, um Aussagen über das gesamte Schloss zu treffen, wäre fatal.” 

Diesen Satz schnappte ich beim Zwischenseminar in Chennai auf und seitdem ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Selten habe ich ein Beispiel gefunden, das die Perspektive, in der ich mich im Kontext meines Lerndienstes befand.

Nun befand ich mich knapp 8 Monate in Nagpur und wenn ich zählen müsste, wie oft ich dachte, Antworten auf meine einfachen, sowie komplexen Fragen im Kontext „Indien“ gefunden zu haben, um diese nach einem Erlebnis in einem anderen indischen Kontext sofort wieder revidieren zu müssen, ginge diese Zahl schier gegen unendlich. Eine Sache ist mir aber mit der verstrichenen Zeit mehr und mehr klar geworden: Ein Aufenthalt, sei er denn für einen Monat oder ein Jahr;  auch ein Job in Indien oder indische Freund*innen machen mich weder zur Indienexpertin, noch geben diese mir das Recht, generelle Aussagen über Indien zu treffen. Ich kann von dem kleinen Fenster, aus dem ich schaue, nicht das ganze Schloss begreifen.

Ich kam in Indien mit dem Wunsch an, Antworten zu finden über dieses Land, seine Kultur und die Vorurteile, die ich mit diesem Land verbinde. Außerdem trieb mich die Frage, nach der Authentizität der westlichen Berichterstattung über den global Süden an. Ich kam mit der Hoffnung an, sagen zu können “das stimmt” und “das stimmt nicht” und finde mich nun in einem Meer aus Fragen wieder und somit weiter entfernt davon einen Satz mit “In Indien ist…” zu formulieren denn je. Ich erlebe mein Indien. Und an einem anderen Ort erlebt jemand sein Indien. Mein Chef erlebt sein Indien, Leona, meine Mitfreiwillige erlebt ihr Indien und würde wahrscheinlich ganz anders über ihre Erfahrungen Bericht erstatten, als ich es täte. Wahrscheinlich würden wir beide auf die Frage “ Wie ist das denn mit den Frauenrechten in Indien?”  anfänglich gleichartige Antworten geben: Wir würden vermutlich erklären, dass es schwierig sei, eine pauschale Antwort auf so eine allumfassende Frage zu geben, dass es auf den Ort in Indien, auf die Kaste, die Sozialisation, den Reichtum, die Bildung und vielerlei anderer Aspekte ankäme, um dann konklusiv zwei Antworten zu erhalten, die komplett unterschiedliche Parameter einbeziehen, um die gestellte Frage einigermaßen differenziert beantworten zu können. 

Ein besonders wichtiger Aspekt an meiner Perspektive ist, dass es eine weiße Perspektive ist. Eine perspektive geprägt von einem unterbewusst weißem Selbstverständnis und einem eurozentristischen Schulsystem. Wenn ich von “Weißsein” spreche, dann meine ich keine biologische Eigenschaft, sondern ein politisches und soziales Konstrukt, das weit über die einfache Pigmentierung meiner Haut hinausgeht.  Mit Weißsein ist eine Dominanz und der Besitz gewisser Privilegien gemeint, die mir eine andere Stellung im Machtverhältnis Rassismus zuordnen.  Mein Weißsein verweist mich an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft und ermöglicht mir einen einfacheren Zugang zu Bildung und Ressourcen. Diese Tatsachen schaffen ein unbewusstes Identitätskonzept, das meine Selbstsicht und mein Verhalten und sicherlich auch meine Berichte hier prägen.  Gleichzeitig sorgt mein offensichtlich weißes Erscheinungsbild dafür, dass ich mich in Situationen wiederfinde, die nicht stellvertretend für eine alltägliche Darstellung Indiens stehen können. Leider ist dieser strukturelle Rassismus noch so sehr in unserer Gesellschaft verankert, dass man die Unterschiede im Umgang mit BI*PoC und weißen Menschen klar erkennen kann. Das schafft für mich einerseits viele Vorteile, wenn man die Möglichkeiten und auch die Verantwortung, die mir entgegengebracht wird materiell summieren würde. Gleichzeitig verbaut mir dieser Hintergrund auch die Möglichkeit, Menschen hier auf einer Augenhöhe zu begegnen. Ich werde die Gesellschaft nie in einer authentischen Form erleben und begreifen können, weil sich diese Differenz, die leider historisch bedingt ist, als überwindbar darstellt. Diesen Anspruch an meinen Aufenthalt zu haben, wäre auch weit verfehlt und einfach nicht realistisch. Deshalb kann ich in meinen Berichten nur von meinen persönlichen Erfahrungen berichten und integriere bevorzugt Interviews und Zitate, die Einblicke in bestimmte indische Perspektiven geben sollen. 

Wenn man Perspektiven betrachtet, ist eine Auseinandersetzung mit den geografischen Verhältnissen Indiens essentiell: Indien ist mit einer Fläche von über 3.287.469 km² ein unglaublich großes Land. Allein Maharashtra, der Bundesstaat, in dem ich arbeite, ist mit einer Fläche von 307.713 km² nur knapp 50.000 km² kleiner als Deutschland. Dabei stellt Maharashtra nur einen der 29 indischen Bundesstaaten dar.  Deswegen variieren die Perspektiven, aus denen berichtet werden auch ganz besonders an dem bewohnten oder besuchten Ort im indischen Subkontinent. Durch das föderalistische System, variieren die  auch die Regierungsparteien und damit die regionale Politik gravierend in den verschiedenen Teilen Indiens. In Kerala, im Südwesten Indiens, bildet momentan die kommunistische Partei die Regierung, während in Maharashtra die Hindu- nationalisten die Mehrheit bilden. Als Touristin, während meines Urlaubs, kam ich mir vor, als wäre ich in ein anderes Land gereist.  

Wenn jemand, ob indisch oder ausländisch also von seinen oder ihren Erfahrungen berichtet, ist der Standort, an dem diese Erfahrungen gemacht wurden unbedingt in die Evaluation miteinzubeziehen. 

Ein weiterer Punkt von zentraler Wichtigkeit ist die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Umgebung, in der sich die berichtende Person befindet: Ein*e Backpacker*in, der*die  sich hauptsächlich an Tourist*innen- Hotspots und in Hostels aufhält, wird fundamental anders über seine* ihre Erfahrungen berichten, als jemand, der mit marginalisierten Menschen arbeitet. Auch die Erzählungen meiner indischen Freund*innen müssen besonders im Zusammenhang mit ihrer Kaste gesehen werden und mit dem Reichtum ihrer Familie. So habe ich einerseits viele Freund*innen, die sehr westliche Einstellungen vertreten, besonders was ihr Konsumverhalten angeht. Sie kommen sehr oft aus extrem reichen Familien und leben einen Lifestyle, der auch weit über dem Standard ist, den ich aus Deutschland gewohnt bin. Oft möchten sie in teure Restaurants gehen, oder einen Cappuccino im teuersten Hotel der Stadt, trinken anstatt  ihn wie jeder andere in meinem Arbeitsumfeld an einem Straßenstand. Gleichzeitig habe ich auch Freund*innen, die aus Dalit oder Adivasi Hintergründen kommen. Dalits ist die Bezeichnung für die Unberührbaren, die auf Basis des indischen Kastensystems als kastenlos gelten. Adivasi ist die Selbstbezeichnug der indigenen Bevölkerung in Indien. Je nachdem, ob sie in einem Dorf oder in einer Stadt leben, unterscheidet sich der Grad, in dem sich die Fänge des Kastensystems noch auf sie auswirken. Dass ich mit diesen Freund*innen jedoch oft keinen Kaffee trinken gehen kann- auch nicht in den günstigeren Kaffees, macht mir immer wieder die Extreme bewusst, die Indien in sich vereint.

Meine Liste, der Dinge, die generalisierte und pauschalisierte Aussagen über Indien unangemessen machen, ist endlos und ich könnte noch stundenlang darüber schreiben. Was mir aber wichtig ist und, was hoffentlich deutlich geworden ist, ist, dass meine Berichte ein unglaublich subjektiver Einblick sind. Ich versuche so viele verschiedene Perspektiven wie möglich aufzugreifen, aber ein diverses Bild zu schaffen, über den indischen Subkontinent, ist schier unmöglich. Wenn sich Personen also als Indienexpert*innen bezeichnen, werde ich oft skeptisch, oder, wenn in Artikeln oder Reportagen Indien als Thema undifferenziert betrachtet wird.. Vielleicht regt dieser Artikel ja ein wenig dazu, einen etwas kritischeren Blick auf Berichte über Länder des globalen Südens im allgemeinen- und besonders auch meine Berichte zu lenken.

Was ich sagen kann über Indien? Eigentlich nichts. Was ich weiß? Viel und auch nichts? Was ich fühle? Vieles, das ich nicht an mich heranlassen kann, da es momentan den Abschied und die plötzliche Zäsur klarmacht. Nach Hause komme ich eigentlich wie immer, nach einem guten Ausflug. erschöpft, erleichtert und ein wenig nachdenklich.

Ich möchte noch auf einen Artikel meines lieben Chefs Kasta verweisen, der auf der lokalen Seite meiner Kirche veröffentlicht ist und, der seine Perspektive über Indien und Corona teilt.

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?

Ein Problem, mit dem ich mich während meines gesamten Aufenthalts in Indien über konstant konfrontiert sah, war es, meine Einsatzstelle zu beschreiben. Ob mich jemand in Nagpur fragte, der das India Peace Centre nicht kannte, auf Reisen, oder auch meine Familie Zuhause. Ich wusste nicht so ganz, was ich antworten sollte.

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?
Das ist Nagpur, die Stadt in der sich das India Peace Centre befindet.

Da der Zahn der Zeit das schnelle Entwickeln nachhaltiger Lösungsstrategien erfordert, entschloss ich mich lösungsorientiert dazu, jedes Mal etwas anderes zu erzählen. 

Mal erzählte ich über ein Zentrum, das sich für den Umweltschutz einsetzt, mal war der Hauptaspekt religiöser Dialog und Gleichberechtigung. Oft erzählte ich von der nationalen Auslegung unserer Workshops und von unseren internationalen Partner*innen, genauso oft hielt ich das in diesem partikularen Moment für lapidar. An Montagen berichtete ich, dass wir hauptsächlich im Büro arbeiteten würden und an Freitagen legte ich den Fokus auf unsere Aufgaben wie dem Anleiten von Workshops oder dem Halten von Reden.  

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?
Leona und ich verteilen Zertifikate bei dem, von uns organisierten, Malwettbewerb zum Thema “Climate Action for Peace”

Das einzige was immer gleich blieb war die Aussage, dass ich in einem Friedenszentrum arbeiten würde.

Leider war die Beschreibung meiner Einsatzstelle vor meiner tatsächlichen Tätigkeit dort konstanter, als die danach. Ich wurde im Laufe meines Aufenthalts nicht erleuchtet, wider vieler Erwartungen, die dem Land des Yogas und der Spiritualität eine magische Heil- und Selbstfindungswirkung implizieren.

Mein Text führt Euch in die Irre, denn der Titel lockt mit einer Stellenbeschreibung, einem konkreten Ergebnis, etwas handfestem, aber, wenn ich eins gelernt hab, dann, dass handfestes eher selten unseren Arbeitstag bestimmte. Also gibt es heute auch keinen handfesten Text für Euch.

Das IPC ist sowieso kein Text, es ist ein Gefühl und es ändert sich jeden Tag, weil sich das Gebäude und seine Mitarbeitenden sich jeden Tag wie magisch eine neue Funktion zuschreiben. Mal ist meine Einsatzstelle ein Kampf für Gerechtigkeit, ein Asyl für Hilfesuchende, eine Bildungsstätte, ein Spielplatz, eine Ideenwerkstatt und ganz oft, vor allem für Leona und mich: eine Herausforderung.

Wenig an meiner Arbeit ist konstant gewesen und das habe ich geliebt. Erst jetzt, wo ich wieder Zuhause bin merke ich, wie viel ich im Rahmen meiner Arbeit gelernt habe, was durch den schnellen Wechsel von Themenschwerpunkten kam. Eine Woche waren wir Leiterinnen eines Malwettbewerbs, mal Filmregisseurinnen, Reporterinnen, Lehrerinnen. Jedes Mal brauchte es eine neue Kompetenz. Mal las ich mich in das Verhältnis von Frauen und Männern in Indien ein, oft über Politisches: die Unabhängigkeit vom Vereinten Königreich, das regionale und auch das nationale Müllmanagement, die verschiedenen Religionen, Gandhi, Ambedkar ihre Vor- und Nachteile und natürlich, in diverse Computerprogramme: geteilte Dokumente auf Google, geteilte Kalender, Designprogramme, Schneideprogramme, mailmerge. Einerseits, um dem bürokratischen Aufwand gerecht zu werden, anderseits um die Bildungsangebote zu bewerben. Oft ging es auch um konkrete Inhalte und um die Frage, wie wir wieder eine jüngere Zielgruppe in Kontakt mit politischen und soziologischen Themen bringen könnten. Neben den Aufgaben haben sich auch die Orte geändert. 

Die meiste Zeit verbrachten wir definitiv in unserem Büro in Nagpur.

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?
Leona, unser Hund Tommy und ich frieren in unserem Büro im Winter.

Dazu konnten Leona und ich aber auch fast alle Teile Indiens erkunden, als in Indien arbeitende sowie als Reisende, da uns unser Chef immer ein oder zwei Urlaubstage schenkte, um einen neuen Ort zu erkunden. Unsere erste Reise ging nach Bhubaneshwar, wo wir im Rahmen unseres “Peace Education Programs” einen Vortrag über internationale Friedensbewegungen hielten und so Beispiele gaben, die den Jugendlichen Vorschläge geben sollten, wie sie ihr Gefühl einer delegitimierten Regierung nach außen tragen konnten. Andere Personen sprachen Themen, wie Ehe, Kaste und Gleichberechtigung an, was mich sehr nachdenklich machte. 

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?
Ein Bild von unserem Programm in Bhubaneswar.

Wir sahen Bangalore, wo wir unsere Englischschülerinnen auf ein leadership Programm mit einer Partnerorganisation begleiten durften und das erste Mal Lebensrealitäten der Dalits, den Unberührbaren, und der Adivasi, der indigenen Bevölkerung in Indiens kennenlernen konnten. Wir waren stolze Lehrerinnen, die sahen, wie ihre engagierten Schülerinnen alles gegeben hatten, um Englisch zu lernen und sich nun mit Freunden aus ganz Indien auf einer gemeinsamen Sprache unterhalte konnten- Englisch. 

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?
Ein Bild vom Leadership- program in Bangalore

Außerdem sahen wir Goa, das uns zum Thema des nachhaltigen Tourismus und vor allem zum Thema Müllmanagement brachte. Ich lerne beeindruckende Menschen kennen, die ihre gesamten Hotels nachhaltig gestaltet hatten. Nichts gabe es, das nicht wiederverwendet, recycelt oder verwertet wurde. So etwas habe ich selbst in Deutschland noch nie gesehen. Unglaublich fortschrittlich und innovativ. 

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?
Gab zeigt uns stolz seine Mülltrennung. 

Das sind vielleicht nicht die ersten Worte, die Dir bei “Indien” einfallen, aber ich persönlich kam in den Genuss, in den Kontakt mit inspirierenden und engagierten Menschen zu kommen, denn das IPC verbindet  – mit unseren Teilnehmer*innen, mit unsere core- group und  mit unseren Partnerorganisationen. Mal handelte es sich dabei um eine Gruppe, die für die Rechte der LGBTQI+ community eintritt, mal war es ein Psycholog*innen Verband, der sich für die Anerkennung psychischer Krankheiten einsetzte oder eine Frau, die Binden verkauft und sich für eine öffentliche Diskussion von Themen wie Sex, Ehe und Menstruation engagiert. 

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?
Girlpower- diesmal durfte ich in die Mitte. 

Für mich gab es oft konkrete Aufgaben, bei denen ich aber immer frei entscheiden konnte, wie sehr ich mich dahinterklemme, wie viel Arbeit ich hineinstecke, wie tiefgehend ich mich informiere. Denn kritisiert wurden wir eher selten. Umso mehr wurden unsere Kritik an den veralteten Methoden offen empfangen und aufgenommen, integriert und umgesetzt. Mit der Zeit wuchsen auch unsere Verantwortlichkeiten und unser Netzwerk und dann begann die Arbeit, so richtig viel Spaß zu machen. Denn es gab Platz für mich, mich einzusetzen, Themenschwerpunkte zu setzen, an einem Veränderungsprozess teilzunehmen und auch, das kleine Büro langsam zu digitalisieren. Leona und ich arbeiteten zunächst als Kolleginnen und bildeten am Ende eine Einheit.

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?

Dann ging es plötzlich nach Hause. 

Bber naja was soll’s, denn man soll ja schließlich gehen, wenn es am schönsten ist. 

Nun meine Einsatzstelle, was ist sie nun? 

Ein Friedenszentrum also, und was macht man da so?
unser IPC- Team, leider ohne Kasta

Frieden ist ein Gefühl. Frieden ist vielseitig und jeden Tag anders. Frieden zeigt Dir neue Orte, Partner und Gesichter. Frieden wandelt sich und bietet dir Raum. Und vielleicht gerade deswegen, kann ich Frieden nicht immer gleich beschreiben.

Privilegien

Seit mehr als zwei Wochen sind Leona und ich nun in Indien und es kommt mir vor, als wären wir schon zwei Monate hier.  Wir waren im Fitness Studio, in der Kirche, sind mittlerweile sogar schon Mitglieder im Kirchenchor, haben Nagpur besichtigt, einen Sari gekauft, waren bei der Schneiderin und auf der ersten indischen Hochzeit.

Einerseits gehen die Tage total schnell vorbei, andererseits bekommen wir aber auch so viel Input und neue Eindrücke, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass das alles die letzten zwei Wochen passiert sein soll. Die Momente, in denen ich so richtig merke,dass ich noch nicht sehr lange hier bin, sind meistens die, in denen mir das Essen viel zu scharf ist. (Leider sehen grüne Bohnen und grüne Chilis sich sehr ähnlich- Man kann sich ja denken wie diese Geschichte geendet ist. ;))

In diesem Post möchte ich aber gar nicht so sehr auf all diese Erlebnisse eingehen, obwohl ich viele witzige und spannende Geschichten erzählen könnte, sondern ein Paar Gedanken einfangen, die vielleicht ein bisschen besser nachvollziehen lassen, was in meinem Kopf im Moment so vorgeht. 

Als weiße Person*, wird man hier ständig angestarrt. Manchmal ist es auf eine interessierte Art und Weise, z.B ein hinterher gerufenes “Welcome to India” , manchmal aber auch aufdringlich und etwas beängstigend. Wenn Leute zum Beispiel auf ihren Bikes (Mopeds) umdrehen und einen ungefragt fotografieren.  Generell werden hier viele Fotos von und mit uns gemacht. “Fare” sein ist hier einfach ein Schönheitsideal. Eine Bekannte von uns hat uns erzählt, dass vor allem jungen Mädchen, aber auch Jungen, oft von ihren Eltern gesagt bekommen, dass sie keinen Mann finden werden, wenn ihre Hautfarbe besonders dunkel ist.  Das hat mich sehr geschockt. Natürlich wusste ich das auch, da wir in unserer Vorbereitungszeit sehr intensiv darüber geredet haben, aber das nochmal so gesagt zu bekommen, ist etwas ganz anderes. Es fühlt sich auch so falsch an und unangenehm, aber das möchte ich in dem Moment nicht zeigen, da ich dann einfach unhöflich wirke und keine lange Diskussion führen möchte. Gleichzeitig will ich oft aber auch einfach kein Foto machen.  

Es ist einfach krass, dass ich nur aufGrund meiner Hautfarbe, bestimmte Chancen habe, die Andere nicht haben und ich würde mich dem gerne verweigern, was aber in dem Moment total unpassend ist. 

Im India Peace Centre sind Leona und ich wirklich verwöhnt. Unsere Wohnung ist westlich und riesig, für indische Verhältnisse. Die Wohnungen unserer Kollegen sind nicht viel größer, obwohl sie diese mit ihrer ganzen Familie bewohnen. Oft fühlen wir uns deswegen auch schlecht- genießen es gleichzeitig aber trotzdem. 

Außerdem ist das IPC sehr weit und modern, was ihre Ansichten angeht. Wir sind hier mit sehr vielen gebildeten menschen zusammen-  ein weiteres Privileg und ich kann viel lernen, auch über Indien, die Politik und viel über bildungspolitische Arbeit. 

Umso mehr hat mich heute ein Gespräch mit unserer Kollegin geschockt, die uns von ihrem Gehalt erzählte. Erstmal bekommt sie generell super wenig- mit meinem Kindergeld verdiene ich das Dreifache und das, obwohl ich nicht, so wie sie, ein Studium hinter mir habe. Und dann bekommt sie ein viertel des Gehaltes unseres männlichen Kollegen. Man muss dazu sagen, dass dieser hier zwar schon erheblich länger arbeitet, ich ihn aber selten dabei erlebe, wirklich zu arbeiten. Meistens spielt er Solitaire an seinem Computer- während unsere Kollegin seine Arbeit erledigt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Chef das nicht bemerkt. Heute hat sie also nach mehr Gehalt gefragt und ein “Nein” bekommen, dabei war ich mir so sicher, dass unser Chef diese ungerechte Bezahlung zumindest angleicht. Ich weiß gerade selber nicht, was ich denken soll. Warum passiert das hier im IPC? Eigentlich kommen mir hier alle total weltoffen vor. Das hat mich heute ziemlich aus der Bahn geworfen. Das ist so schrecklich, ich fühle mich machtlos und weiß, dass ich nicht in der Position bin, das anzusprechen, obwohl ich es gerne würde. 

In der letzten Zeit, wird mir so sehr bewusst, wie Privilegiert ich bin. Gestern haben wir zum Beispiel gewaschen und ich wollte meine Handtücher mit heißem Wasser abkochen und habe dann das restliche, warme Wasser zum Duschen benutzt, Wir duschen hier sonst kalt- was auch voll in Ordnung ist, aber ich habe mich so sehr über diese Minuten Luxus gefreut.  Worauf ich mich auch richtig freue- ist eine Matratze, wir schlafen hier auf einer Art Holzliege und meine Matratze Zuhause ist dagegen so schön weich. Aber auch ein Luxus, den man eigentlich gar nicht braucht.

Auch mein Kaufverhalten ist mir aufgefallen- ich habe hier am ersten tag 7000 Rupis abgehoben- 62 Euro für mich. Ich komme damit zwar gut hin, hab, als ich meinen Sari gekauft habe, auch einen eher teureren genommen. Es waren 800 Rupis- etwa 11 Euro. Das ist super wenig- können sich hier aber die wenigsten einfach so leisten. Ich habe den gekauft, weil ich es schön finde, aus Spaß. Eine richtige Verwendung haben wir bis jetzt noch nicht. Einfach so- ziemlich verwöhnt. 

Mir ist wichtig, dass das nicht so klingt, als hätte man nur im Ausland die Möglichkeit zu lernen, was es bedeutet Privilegien zu haben. Das kann man auch in Deutschland ausprobieren- sich mal zu reduzieren- vielleicht einfach mal 2 Wochen mit mir kalt duschen? Ist übrigens echt gut für die Gesundheit. Sich mit Armut in Deutschland auseinandersetzen, mal mit Leuten abhängen, die nicht den gleichen Bildungssatnd haben, lesen. Es ist einfach so, dass man hier mehr damit konfrontiert wird.  Was ich hier viel mehr lerne, ist besonders, mit dem Gefühl umzugehen, so schnell nichts an Ungerechtigkeiten machen zu können. Das macht mir wirklich zu schaffen. Mir sind heute schon ein Paar Tränchen gekullert- naja meine große Klappe muss sich jetzt einmal zusammenreißen und ich muss mich disziplinieren. 

Insgesamt habe ich hier aber eine tolle Zeit, ich finde auch viel Zeit für mich, zum Lesen zum Beispiel, obwohl wir viel zu tun haben. Vielleicht erzähle ich nächstes Mal, eine meiner witzigen Geschichten- mal schauen, wie ich mich so fühle!

Weiß“ und „Weißsein“ bezeichnen ebenso wie „Schwarzsein“ keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint, die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt. Weißsein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist, was z.B. den Zugang zu Ressourcen betrifft. Eine kritische Reflexion von Weißseinbesteht in der Umkehrung der Blickrichtung auf diejenigen Strukturen und Subjekte, die Rassismus verursachen und davon profitieren, und etablierte sich in den 1980er Jahren als Paradigmenwechsel in der englischsprachigen Rassismusforschung. Anstoß hierfür waren die politischen Kämpfe und die Kritik von People of Color

INDIEN, DU BIST GUT ZU UNS!

Gerade sitze ich in unserem Wohnzimmer, mit ungefähr 10 Tonnen Mosquito Spray am Körper, durchgeschwitzt, aber unglaublich glücklich. 

Leona und ich sind nach unserer langen und  anstrengenden Reise seit Mittwoch in Nagpur. Unser erster Flug war gecancelled worden und als wir in Delhi ankamen, hat es so gewittert, dass wir noch 45 Minuten warten mussten, bis es los ging. 

UMSTIEG AM FLUGHAFEN IN AMSTERDAM (SCHLAFLEVEL EHER IM UNTEREN BEREICH)

Nagpur ist viel grüner, als wir es uns vorgestellt haben und wie soll man sagen: ziemlich indisch. Bei unserem zweiten Seminar wurde uns eingetrichtert, unseren gesunden Menschenverstand zu benutzen, vor allem im Straßenverkehr. Sorry, Nadja und Felix! Wir wollten ja; und die Autos besitzen zwar Gurte, aber nichts wo man sie festmachen könnte. Außerdem sind überall Kühe auf der Straße. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die meisten Menschen hier ziemlich gute Autofahrer*innen sind, denn ich hatte noch nie so eine Bewunderung für Menschen, die ihr Mofa/ Auto auf den millimeter genau an einer Kuh vorbei manövrieren konnten. 

SO SEHEN DIE STRAßEN HIER AUS

Wir wurden hier im IPC wirklich herzlich empfangen und ich bin unglaublich dankbar, dass wir in solch einem Umfeld leben können. Das IPC ist wirklich ein kleines Paradies inmitten Nagpurs. Umgeben von Palmen und Pflanzen haben wir unsere Wohnung. Indisches Essen haben wir auch schon probiert und es ist unglaublich lecker! Von der Schärfe her geht es auch, da alle sehr rücksichtsvoll auf unsere  Bedürfnisse eingehen. Das einzige, was ein bisschen nervt, ist das Abendessen, für unsere Verhältnisse ziemlich spät. Das Mittagessen ist meistens um eins, wohingegen das Abendessen zwischen 21:00 und 21:45 kommt. Also sitzen wir bis jetzt jeden Abend hungrig da und versuchen uns die Zeit zu vertreiben. Aber: sprechenden Menschen kann geholfen werden, also fragen wir mal nach, ob das früher geht. Irgendwie ist es auch ziemlich witzig. 

Außerdem ist mir aufgefallen, dass es in Indien ziemlich entspannt zugeht. Dagegen wirkt es in Deutschland, gehetzt, verklemmt und erdrückend. Es ist nicht wichtig, ob wir pünktlich sind, sondern, dass wir die Arbeit schaffen, wie, können wir uns einteilen. Ich empfinde viel weniger Druck und finde, dass man sich in Deutschland etwas abschauen könnte. 

Auch sind alle Menschen sehr hilfsbereit, denen wir bis jetzt begegnet  sind. Der Mann im indischen Konsulat, für unsere Registrierung vor Ort hat mir sogar seine Handynummer gegeben und ich schreibe ihm auf whatsapp, wenn wir Fragen haben.

Leona und ich schauen ganz freudig in die Zukunft. Es fühlt sich an, als wären wir bereits 2 Wochen hier, dabei sind es lediglich drei Tage, verrückt! Danke, Indien, du bist gut zu uns!