Vulingqondo – Projektvorstellung

Liebe Leser/-innen,
sehr verspätet, aber nun ist er endlich fertig: Mein erster Bericht. Hier schreibe ich von meiner Anreise nach Durban, den Transportmitteln vor Ort und hauptsächlich meiner Einsatzstelle. Ich freue mich, nun endlich meine Erlebnisse teilen zu können und wünsche viel Spaß beim Lesen.
Für mich beginnt die Reise nach Durban an einem stürmischen Tag in Hamburg. Es ist der neunte August. Zwar geht mein Flug erst am Abend des zehnten Augusts, doch am Vortag, als das Zimmer leergeräumt und auch der letzte Rest eingepackt ist, realisiere ich langsam: Morgen geht es los.
Bis zu diesem Tag glaubte ich, ich sei bereits geübt „Wegzufahren“, „Alles Bekannte hinter mir zu lassen“ und „Ein Jahr nicht in Deutschland zu sein“, da ich durch mein Auslandsjahr inArgentinien während der Schulzeit genug Erfahrungen gesammelt habe. Plötzlich wird mir aber bewusst, dass diese zwei Auslandsjahre nicht unterschiedlicher sein können: Ich werde nicht, wie in Argentinien, geregelt zur Schule gehen, sondern arbeiten. Ich werde nicht von derOrganisation „von Haustür zu Haustür getragen“, sondern reise eigenständig. Auch, wenn ich mir keine Gedanken darüber machen muss, nicht empfangen zu werden oder alleine zum ersten Arbeitstag finden zu müssen – dieses Mal bin ich definitiv mehr auf mich alleine gestellt.
Nachdem ich von acht meiner liebsten Menschen zum Flughafen gebracht wurde, geht die Reise so richtig los. Der Flug ist sehr angenehm, weil ich glücklicherweise durch freie Nachbarsitze fast durchschlafen kann. Nach der Landung schlägt mir auf dem Rollfeld dann die 40°C warme Abendluft entgegen, ich bin mit meiner Jeans definitiv falsch für Dubai gekleidet. Zum Glück bleibe ich nur ein paar Stunden, die dadurch verkürzt werden, dass ich meine Mitfreiwilligen Leonie und Nils kennen lerne. Beide wurden über das „Evangelisch
Lutherische Missionswerk“(ELM) entsandt. Mit ihnen werde ich die kommenden zwölf Monate in denselben vier Wänden wohnen und für mich ist schnell klar: Mit den Beiden lässt es sich gut leben, denn sie zeigen bereits bei der Anreise, dass sie nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen sind. Zum Veranschaulichen: Ihr Flug am Vortag ist ausgefallen, da das Unwetter in Hamburg zu stark war. Leonie und Nils sind daraufhin weder nervös noch wütend geworden, sondern haben sich über die gemütlichen Hotels gefreut, in denen sie untergebracht wurden.
von Links: Nils, Leonie, Sandra und ichNach unserer gemeinsamen Landung in Durban wurden wir freundlich von meiner Mentorin und Leiterin der Einsatzstelle, Sandra, sowie dem Pastor einer Gemeinde in der Gegend, in Empfang genommen und zu unserer Wohnung gebracht. Wir waren sehr müde von dem zweiten Flug, aber voller Vorfreude auf das, was uns im kommenden Jahr erwartet. Inzwischen sind wir drei ein super Team geworden und fühlen uns wirklich wohl in unserer Wohnung.
Zu unserem großen Glück ist meine „Vorfreiwillige“ Anni noch für drei Tage bei uns und kann uns wertvolle Tipps mit auf den Weg geben (und hat mir ihren rosa Bademantel vererbt!). Sie hat uns
vor allem geholfen, indem sie uns beigebracht hat, die wichtigsten Wege mit den Taxen zu finden. Gemeint sind Taxibusse, die feste Routen fahren. Vergleichbar mit einem kleinen Linienbus in Deutschland, allerdings ohne Haltestellen. Wenn man weiß wie eine Taxiroute verläuft, kann man sich an den Straßenrand stellen, warten und den Finger heben, um mitzufahren. Beim Aussteigen muss man lediglich einmal laut Bescheid sagen, kurz bevor das Taxi an der gewünschten Stelle ist. Die erste Taxifahrt, die ich alleine gefahren bin (ca 1 Stunde bis zum Kindergarten), war ein pures Abenteuer. Vor allem, weil die Straßen, überall gleich aussehen, hatte ich Panik, mich zu verfahren. Keine Sorge, mir ist nichts passiert. Anni hat gute Arbeit geleistet.
Die Fahrer kennen gefühlt jedes Gebäude auf der Strecke, was alles sehr erleichtert. Sie sind übrigens meiner Meinung nach die multitaskingfähigsten Menschen der Welt. Sie bekommen das Geld (7, in manchen Taxen 8 Rand = ca. 50 ct) nach vorne gegeben, müssen dieses zählen und das Wechselgeld nach hinten reichen. Dabei achten sie auf die Menschen auf der Straße, um einen möglichen Fahrgast nicht zu übersehen und darauf, ob ein Fahrgast aussteigen möchte. Außerdem fahren sie das besagte Taxi und müssen sehr auf den Verkehr achten, da Straßenregeln hier grundsätzlich sehr viel lockerer gesehen werden, als in Deutschland. Unsicher fühlt man sich trotzdem nicht. Wir fahren schließlich täglich mit dem Taxi zur Arbeit und zurück.
Das Transportmittel, mit dem wir uns an Orte bewegen, die nicht auf unseren bekannten Routen liegen, ist Uber. Diese App ist sehr verbreitet in Südafrika, bezahlbar und funktioniert rund um die Uhr.
Mein erster Tag im Projekt ist gleichzeitig der Letzte von Anni. Ich werde hervorragend in die Tagesabläufe und Ordnersysteme eingearbeitet und es gibt ein typisch südafrikanisches Essen zum Abschied für Anni. Es gibt hervorragend gegilltes Hähnchenfleisch, dazu gebackene Süßkartoffeln, Chakalaka und ein Spinatgericht. Sehr besonders und sehr lecker.
Die Vulingqondo-Preschool ist ein Projekt der Refugee and Migrant Ministry (RMM). Sie besteht aus der Managerin und Schulleiterin Sandra, drei Lehrerinnen, zwei Frauen, die für Küche und Sauberkeit zuständig sind, einer Art Hausmeister, der alle möglichen Reparaturen durchführt aber auch für die Sicherheit des Geländes zuständig ist, und einem Freiwilligen aus dem weltwärts-Programm (zur Zeit ich). Die Idee des Vulingqondo-Projekts ist, einen privilegierten Kindergarten für nicht privilegierte Kinder zu erschaffen. Sowohl der Unterricht als auch die gesunde Ernährung sind wichtige Bausteine. Bildung und geregelte Mahlzeiten wären für die Kindergartenkinder keine Selbstverständlichkeit. Das Projekt arbeitet mit einer evangelisch-lutherischen Gemeinde und lebt von Spendengeldern. Das Gelände umfasst eine große Halle, an die die drei Klassenräume angrenzen, den Spielplatz, die Kirche und ein Haus, in dem der Pastor wohnt.

Da hier in Südafrika von „preschool“, „teacher“, „classroom“ und „student“ die Rede ist, werdeich diese Begriffe im Folgenden übernehmen. Auch wenn die Begriffe „Kindergarten“, „Erzieher/-in“, „Spielzimmer“ und „Schüler“ aus unserer Sicht passender wären. Die Vulingqondo-Preschool besteht aus drei Gruppen unterschiedlichen Alters: In der Green Group sind drei- bis vierjährige, in der Orange Group vier- bis fünfjährige und in der Blue Group fünf- bis sechsjährige Schüler. Der Tagesablauf hat für die Kinder eine festgelegte Routine. Zwischen 7:30 Uhr und 8:30 werden sie in unsere Obhut gegeben und spielen zunächst in ihren Klassenräumen. Gegen 8:00Uhr ist „Porridgetime“, sprich ein Frühstück für die Kleinen.Um 9:00 beginnt die eine Stunde „Unterricht“, also Bastelarbeiten, bei denen kleine Figuren, Collagen, Masken und viele andere kleine Dinge entstehen. Die meisten Materialien, die wir zum Basteln benutzen, sind recycelteGreen-Group mit gebastelten Kronen zum Thema Wetter Alltagsgegenstände wie Klopapierrollen, Flaschendeckel, Pappschachteln, Eierkartons und so weiter. Um 10:00 ist „Snacktime“ und jeder Schüler bekommt ein kleines Sandwich mit Erdnussbutter oder Marmelade. Anschließend wird draußen im„Junglegym“ getobt und täglich wechselnd benutzt eine der Klassen die Fahrräder um auf dem Innenhof noch schneller unterwegs sein zu können. Gegen 11:00 ist„Constructiontime“ und es wird gepuzzelt, gestempelt, Lego und Duplo gespielt und mit Bauklötzen gebaut. Dabei entsteht oft ein Kuchen, den man dann probieren muss ☺. Um 12:00 ist Mittagessen. Es gibt einen Wochenplan für die Gerichte und eine Spendengemeinde sorgt dafür, dass das gespendete Essen ausgeglichene Nährwerte hat. Nach dem Essen werden einige Schüler bereits abgeholt. Für alle anderen gibt es eine Mittagspause bis 14:30. Der Kindergarten betreut die Kinder, die nicht früher abgeholt werden können bis 17:00. Das Nachmittagsprogramm ist frei zu gestalten, spielt sich aber, solange es nicht regnet, draußen ab.

Mein Aufgabenfeld ist sehr vielseitig. Neben dem Unterrichten bereite ich viele Bastelarbeiten für die Klassen vor, ersetze fehlendes Personal und kümmere mich um die neuen Anmeldungen. Ich trage die Ausgaben und Einnahmen in Listen ein und halte im Office Ordnung. Zusätzlich bin ich für die etwa einmal im Monat stattfindenden Jumblesales zuständig. Diese kann man sich als Flohmarkt vorstellen, bei dem wir Kleiderspenden sehr günstig verkaufen um eine win – win Situation zu erschaffen. Menschen, die wenig haben, kommen gut an neue Kleidung für sich (viele verkaufen sie auch teurer weiter) und wir können kleine Projekte mit dem Gewinn durchführen. Zum Beispiel werden die gemieteten Taxen für Ausflüge bezahlt oder einzelne Spielzeuge nachgekauft.

Man sieht: Es ist viel zu tun. Ich kann aber sagen, dass ich jeden Tag gerne zur Arbeit gehe. Es ist toll, von strahlenden Kindern begrüßt zu werden, die sich immer freuen, mich zu sehen. Wir können alle unglaublich viel voneinander lernen und ich bin sehr dankbar dafür, diese Erfahrung machen zu dürfen.
In diesen Wochen bereiten wir uns auf das neue Jahr vor. Alle Spielzeuge werden gewaschen, die Anmeldelisten werden aktuallisiert und man merkt bereits in der Stadt, vor allem aber am Strand, dass der Tourismus für die bevorstehenden Sommerferien ansteigt.
Ich gebe mir Mühe, dass ihr diesmal nicht so lange auf den nächsten Eintrag warten müsst und schicke euch ganz liebe Grüße aus Durban.
Euer Justus

TGIF #6

Allmählich kehrt Ruhe in mein Leben hier in Kapstadt ein. Woran man das merkt? Die großen Ausflüge und Unternehmungen werden seltener, unser Alltag konzentriert auf lokalere Dinge, für die man keinen großen Aufwand betreiben muss.
Auslöser für dieses „Runterkommen“ und „Niederlassen“ ist vielleicht aber auch einfach die Müdigkeit. Ich spüre wie nach oder auch schon während der Arbeit immer schneller die Kraft für andere Dinge schwindet.
Das liegt unter anderem daran, dass das Schuljahr hier bald vorbei ist und die letzten Klausuren und Arbeiten geschrieben werden. Für unser Programm bedeutet das: Zwei Wochen am Stück jeden Tag die Kinder lesen, lernen und Hausaufgaben machen lassen. Keine Sessions, kein Basteln, kein Spielen. Lernen.
Was sich vermutlich jeder fragt: Wie soll das klappen? Tut es auch nicht wirklich. Vereinzelt wird tatsächlich gut gearbeitet, der Stoff wiederholt oder mit Eifer die Hausaufgaben gemacht. Die andere Hälfte der Kinder möchte aber lieber mit dem Springseil spielen, malen oder den Tischkicker benutzen. Wenn man dann pflichtbewusst versucht, Ruhe in die Gruppe zu bringen, Arbeitshefte und Bücher für jeden verteilen möchte und nebenbei auch noch helfen will, kommt man schnell an die Grenzen seiner Ausdauer und Nerven. Die Ergebnisse dieser Bemühungen werden wir dann in ein paar Wochen sehen, wenn die Zeugnisse ausgeteilt werden.
Weniger belastend für die Nerven, aber genauso anstrengend sind dagegen die Vormittage in der Educare, dem Kindergarten- und Vorschulprogramm der New World Foundation. Es ist einfach herzerwärmend und wunderschön, die Klasse zu betreten und dreißig kleine Köpfe sich nach einem umdrehen zu sehen, bevor das Geschrei, Geschubse und Gedrängel anfängt, weil natürlich jeder als erstes auf den Arm genommen werden will. Ohne mein Zutun haben die Kleinen auch schon meinen neuen Namen in der NWF etabliert: Janni. Eine schöne Erinnerung an die Zeiten in der Schule, denn neu ist dieser Spitzname nicht 😉
Wie schon angedeutet belief sich unsere Freizeit in den letzten Wochen eher auf kleine Erlebnisse in der näheren Umgebung. So waren wir unter anderem bei einem kleinen Basar, auf den uns eine der Lehrerinnen aus der Educare eingeladen hat. Dort wurden, wie auf einem Flohmarkt, alte Klamotten, Haushaltsgegenstände und ganz viel Krimskrams verkauft. Leider haben wir es wieder mal nicht rechtzeitig aus dem Bett geschafft und die meisten schönen Sachen waren bei unserer Ankunft schon weg, aber ein Glas mit echt leckerer Traubenmarmelade konnte ich noch ergattern.
Das wohl „aktivste“ Wochenende in letzter Zeit liegt bereits drei Wochen zurück. Anlass war der Besuch eines ehemaligen Freiwilligen des ZMÖs, welcher uns mit ein paar Freunden aus seiner Zeit hier auf die Long Street eingeladen hat. Ich als Dorfkind bin Club-Hopping und Partymeilen wie die Long Street nicht gewohnt, aber wurde mehr als positiv überrascht. Zwar konnten wir wieder nicht länger als bis vier Uhr morgens bleiben, aber ich hatte unglaublich viel Spaß, obwohl es nach der Arbeit noch echt Überwindung gekostet hat, zu der Einladung zuzusagen und sich fertig zu machen.
Den nächsten Tag ging es für uns zu einem Safe-Space-Treffen. Dieser Safe Space wurde vor einigen Jahren dafür geschaffen, um über den Alltag als queere (= nicht heterosexuelle) Person zu sprechen, über Probleme zu reden und Erfahrungen auszutauschen. Wir fanden uns in einem Kreis aus komplett verschiedenen und vielfältigen Menschen wieder und da dies das erste Treffen als neue Gruppe war, ging es vor allem um das Kennenlernen der anderen Mitglieder und der eigenen Bedürfnisse und Wünsche und Erwartungen an diesen Safe Space. Für mich war es das erste Mal, dass ich in so einem Rahmen über meine Sexualität reden konnte und anderen zuhören durfte und ich freue mich schon auf das zweite Treffen nächste Woche.
Mit dem Näherrücken des Dezembers und der nächsten Schulferien kommt auch etwas anderes auf uns zu: Der erste richtige Urlaub. Gemeinsam mit meiner Mitbewohnerin Jackie und einigen Freiwilligen aus der Stadt Durban werde ich ab Mitte Dezember bis kurz vor Sylvester einen Roadtrip die Ostküste runter und die Garden Route entlang machen. Zum Glück übernehmen andere die Reservierungen und Buchungen, so kann ich mich auf die Vorfreude konzentrieren. Abgesehen davon, dass das mein erster Roadtrip wird, kann ich es kaum erwarten, mehr von diesem atemberaubenden Land zu sehen. Auch den Weihnachtstagen schaue ich sehnlichst entgegen, denn es werden die ersten abseits von Zuhause sein und aller Wahrscheinlichkeit nach, werde ich sie bei der weltweit besten Sommersonne irgendwo am Strand genießen können.
Ebenfalls langsam in die Planung geht der Besuch meiner Familie. Leider streben wir dafür den Zeitraum rund um den Geburtstag meiner Mutter an, so komme ich wohl doch nicht um ein Geburtstagsgeschenk herum, aber natürlich ist auch da die Freude groß.
Denn in vielen Momenten hätte ich diese Menschen gerne um mich, besonders abends nach der Arbeit, wenn ich erzählen möchte, was so passiert ist, aber da muss ich mich aktuell noch auf WhatsApp beschränken.
Mama, Papa, liebe Schwestern, ich vermisse euch und freue mich riesig darauf euch wiederzusehen, hier,
auf der anderen Seite der Welt.

TGIF #5

(Ja, ich weiß, Freitag ist vorbei, aber die folgenden Zeilen erklären vielleicht, warum ich gestern nach der Arbeit fast sofort ins Bett gefallen bin.)
In drei Tagen geht unser zweiter Monat hier in Kapstadt zu Ende. Wenn man überlegt, dass ich vor drei Monaten weder gepackt, noch mich verabschiedet, geschweige denn alle Sachen beisammen hatte und mein Leben aus Netflix, essen und schlafen bestand, dann klingt das wie ein anderes Leben. Nach vielen Jahren, in denen sich über den Zeitraum von zwei Monaten nie viel verändert hat, ist die Müdigkeit, die mich nun immer begleitet, gut zu verstehen. Wir haben unsere Heimat verlassen, sind in eine Dreier-WG auf einem anderen Kontinent gezogen und begannen unser Abenteuer.
Mit keinen Worten könnte man die bisher vergangene Zeit angemessen beschreiben. Die neuen Menschen in meinem Leben, die zahlreichen Erfahrungen und Geschichten, das Gesehene und Erlebte, es ist in meinem Kopf noch nicht angekommen, dass das alles echt war und ist.
Was aber auch gerade die letzten zwei Wochen gezeigt haben, ist, wie anstrengend und auspowernd diese Reise ist.
Denn hier waren Schulferien. Und nein, das Problem war nicht, dass die Kinder plötzlich den ganzen Tag da waren. Das Problem war, dass sie sechs Tage lang nicht da waren. Da wir beschlossen hatten, kein Holiday-Programm anzubieten, ging es für mich an den Vormittagen in die Educare, die wohl am ehesten mit einem Kindergarten und der Vorschule zu vergleichen ist. Mit gut zwanzig Kindern stand nun jeden Morgen drei Stunden am Stück spielen, toben und das Ertragen des pausenlosen Geschreis an. Wäre nicht jedes einzelne Kind so voller Liebe und Freude mir, „dem Neuen“, gegenüber, wäre ich in diesen Tagen wohl kläglich untergegangen. Zum Glück konnte ich mich aber nach jeder der vielen Verschnaufpausen aufraffen und weiter so tun, als würde ich den Kuchen aus Bausteinen und den Kaffee aus den leeren Bechern genießen. Sobald es dann zwölf wurde und die Kinder alle auf ihren Matratzen lagen und langsam einschliefen, setzte ein unmittelbares Gefühl der Zufriedenheit ein. Der Frieden und die Ruhe, die diese winzigen, liebenswürdigen Powermaschinen ausstrahlten, hat mich überzeugt, auch weiterhin morgens runter zu den Kleinen zu gehen. Auch wenn ich jedes Mal zur Mittagspause gefühlt leblos in meinem Stuhl hing und schlicht und ergreifend nicht mehr konnte.
Eine unserer Hauptaufgaben für diese schulfreie Woche war das Erstellen des „Monthly Reports“ (monatlicher Bericht) über die Aftercare. Der Begriff kann irreführend sein, denn diese Berichte werden tatsächlich nur alle zwei Monate angefertigt und in einem großen Meeting mit allen Programmen der New World Foundation (NWF) vorgestellt. Ich spreche hier von einem länger als drei Stunden dauernden Zusammentreffen mit einem Haufen von im Kern gleichen Präsentationen. Thema dieses Staff-Meetings war das Feedback unserer „participants“ (Teilnehmenden) und gegebenenfalls der Eltern oder Vormünder. Jeder stellte kurz vor, was die Befragten zu den wichtigsten Fragen geantwortet oder angekreuzt haben. Normalerweise geht es in den Monthly Reports hauptsächlich um das Zeigen der Aktionen aus den letzten zwei Monaten und die Pläne für die kommende Zeit. Die Anzahl der Programme und der Fokus auf das Feedback haben das leider dieses Mal nicht zugelassen.
Am Dienstag der zweiten Woche ging dann auch das übliche Aftercare-Programm wieder los. Mit anderen Worten: Ein Haufen überdrehter Kinder und Jugendlicher stürmt in der Halle auf und ab, ist aufgeregt uns wieder zu sehen und hört gleichzeitig noch weniger als zuvor auf irgendetwas, das wir ihnen sagen. Es war trotzdem schön, wieder die vertrauten Gesichter zu sehen, die Namensliste abzuhaken und jeden zu begrüßen.
Eine neue Herausforderung in dieser Woche war erstmalig der Umgang mit direkter Kritik aus dem Kreis der Kinder. Von einer Person erhielt ich einen kurzen Brief, in der mir insgesamt Unhöflichkeit und unangemessener Umgang vorgeworfen wurde. Im ersten Moment trifft einen so etwas hart. Zu hören, dass das Verhalten so aufgefasst wird, ist erschreckend, wenn man sicher war, alles richtig zu machen.
Wichtig für das Verständnis dieser Situation ist das Wissen, dass manche der Kinder aufgrund instabiler Verhältnisse daheim, fehlender Elternteile oder Vätern in Gangs anders agieren als gewohnt. Sie können aggressiver sein, respektloser, teilweise gewalttätig. Wenn man diesem Verhalten dann mit klaren, lauten Worten und Anweisungen begegnet oder mit kleinen Drohungen wie dem Ausschluss von bestimmten Sessions oder kein Erhalt von Obst für den Heimweg, dann steht man schnell als der Böse dar, der kein nettes Wort zu verlieren hat, immer nur schreit und in deren Augen sich schlecht und falsch verhält.
Ein Gespräch mit der Leiterin der Programme hat mir in dieser Situation geholfen, diese Zusammenhänge zu verstehen und solche Aussagen nicht zu persönlich zu nehmen. Ich weiß jetzt besser, wie ich mit den entsprechenden Kindern umgehen muss, darf und soll und in den nächsten Wochen wird sich diese Spannung dann hoffentlich legen, denn der Böse, dem man nicht vertrauen kann, möchte ich für keines der Kinder sein.
 
Diese letzten 14 Tage bestanden aber natürlich nicht nur aus neuen Herausforderungen in der Arbeitsstelle.
Am letzten Samstag im September waren wir von einem Arbeitskollegen eingeladen worden, ihm und seiner Familie bei einer Art Fest zu helfen. Wir sollten ein Piñata bauen und spenden, dieses DIY-Projekt misslang kläglich und leider haben wir dann auch noch „vergessen“ zumindest die Süßigkeiten auszuteilen.
Aus den erwarteten zwei bis drei Stunden wurde dann ein ganzer Tag in einer großen Schulaula, gefeiert wurden die Senior*innen der umliegenden Communities. Wir bereiten Essen vor, dekorierten Tische, spielten Kellner*innen, tanzten mit den Gästen, hörten und sahen lokale Künstler*innen und hatten insgesamt eine einzigartige Erfahrung.
Die älteste Generation wird in der hiesigen Kultur sehr gepriesen, respektiert und wert geschätzt. Dazu diente diese Veranstaltung, bei der man sehr schön beobachten konnte, wie viel Leben in so manchem älteren Körper noch steckt. Überwältigend waren die Mengen an Lebensmitteln und Naschkram, die jeder am Ende als Geschenk mit nach Hause nehmen durfte. Für uns zeigte dieser Tag mal wieder eindrücklich, wie wichtig hier die Community ist, das Helfen und Unterstützen untereinander und… das Essen. Es schmeckte aber auch alles so unbeschreiblich gut!
Nachdem wir uns dann am nächsten Tag endlich aus dem Bett gerollt haben (so eine Senior*innen-Party ist anstrengender und aufregender als es klingen mag) ging es für uns zum Newlands Forest. Ich persönlich war noch nie wirklich wandern, darum war die Vorfreude und die positive Anspannung groß. Mit einigen Freunden ging es stetig den Berg hinauf, durch den Wald, der uns vor der inzwischen sehr starken Sonne schützte, mit einem Ausblick über die Stadt, die umliegenden Gebirgszüge und den Ozean. Selten findet man beides, Meer und Berge nebeneinander, aber hier in Kapstadt ist es ein atemberaubend schöner Standard, den ich nie wieder missen möchte.
Den Donnerstag haben wir für einen schnellen Ausflug in die Kapstädter Kunstszene genutzt. Jeden ersten Donnerstag im Monat sind viele Galerien und Ausstellungen kostenfrei geöffnet und so sind wir in die Stadt gefahren, haben uns diverse Werke angesehen und sind schließlich zu einem Retro Pop-Up gefahren. Was genau dort los war verstehe ich immer noch nicht. Es gab Gemälde, Vintage-Klamotten, Sonnenbrillen, Tattoos und Musik. Das Ganze eskalierte rasch zu einer wilden Party, die um neun dann zur offiziellen Afterparty-Stätte weiterzog, unser Zeichen für die Heimfahrt.
Das erste Oktoberwochenende brachte ein neues Gefühl von Zuhause in unser Heim. In Deutschlang gehörten Pflanzen im Haus für mich schon immer dazu. Ich kann mich an keine Zeit ohne Gewächs in meinem Zimmer erinnern und als ich im Gartencenter endlich die gesuchte Grünlilie gefunden habe, war das wie das Wiedersehen mit einem alten Freund. Jetzt steht ebendiese auf meinem Nachttisch und begrüßt mich jeden Morgen. Das mag für viele unverständlich klingen, aber diese kleine Veränderung tat sehr gut und in ein paar Wochen, werde ich die ersten Ableger groß ziehen können.
Am Samstag stand dann der erste große Ausflug an. Unser Weg führte uns zwei Stunden Richtung Osten nach Hermanus. Wer nach „whale watching cape town“ sucht, wird mit Sicherheit auf diesen schönen kleinen Ort mit dieser beeindruckenden Küstenlandschaft verwiesen. Man hätte sich dort selbstverständlich auch teure Bootstouren kaufen können, aber wir waren zufrieden mit einem Spaziergang über die Felsen und Wiesen. Leider konnten wir nicht mehr als ein paar Walrücken und einzelne Flossenspitzen sehen, aber das reichte, um diesen Tag einmalig zu machen. Dazu kamen eine süße Robbe und zutrauliche Klippschiefer, die die Schönheit der südafrikanischen Natur verdeutlichten. Abgesehen davon genügte schon das nahezu perfekte Wetter, um für gute Stimmung zu sorgen.
Für Bilder von all diesen Freizeitaktivitäten kann ich auf meinen Instagram-Account verweisen.
 
Nun sind die ersten zwei Monate fast rum. Zehn weitere kommen noch. Ich freue mich auf meine geplanten Sessions über Träume und Zukunft mit den Jungs in den Boys Clubs, darauf, bald die Facebook-Seite der NWF zu übernehmen, vielleicht mal an der Website rumzubasteln, wenn das Management einverstanden ist, den Tafelberg zu bezwingen, mich im District Six Museum und in Kirstenbosch umzusehen, mehr Zeit mit den Kleinen aus der Educare zu verbringen und diesen Strom von Neuem und Aufregendem nicht abreißen zu lassen. Denn es gibt zu viel, das ich noch nicht gesehen, gehört, gespürt habe, so vieles wartet noch darauf erlebt zu werden,
hier, auf der anderen Seite der Welt.

TGIF #4

Weltwärts – ein bildungspolitischer Freiwilligendienst

 
In der Vorbereitung auf unser freiwilliges Jahr im Ausland haben wir über das Thema Bildungspolitik gesprochen. Warum? Das Programm, mit dem ich diese einmalige Möglichkeit erhalte, heißt weltwärts, wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) getragen und nennt sich einen bildungspolitischen Freiwilligendienst. Damit geht es um mehr als „nur“ die Freiwilligenarbeit, sondern auch um den bildungspolitischen Aspekt.
Wichtig für unsere Entsendeorganisation, das Zentrum für Mission und Ökumene (ZMÖ) aus Hamburg, ist darum, dass es nicht ums Helfen und Weltverbessern geht, sondern vor allem ums Lernen. Wie genau man das den Menschen, denen man in seiner Einsatzstelle begegnet, gegenüber umsetzt, muss man selbst herausfinden. Für uns als Entsendete bedeutet das, eine neue Kultur und einen neuen Alltag kennenzulernen, selbstständig zu werden, neue, einzigartige Erfahrungen zu machen und Dinge zu lernen, die uns in Deutschland nicht gezeigt werden können. Und um das zu fördern, haben wir das letzte Wochenende genutzt.
Am 24. September jeden Jahres ist in Südafrika der Heritage Day. An diesem Tag und in der Woche davor kann man kostenlos viele Museen besuchen, tanzenden und singenden Menschen auf Straßenfesten zusehen und die südafrikanischen Wurzeln und das kulturelle Erbe in voller Pracht genießen.
Das bedeutete, dass wir unser erstes verlängertes Wochenende genießen durften und während diesen Tagen nur selten zuhause waren.

Um uns noch weiter mit der Umgebung Kapstadts vertraut zu machen, sind wir Freitagabend zur Camps Bay gefahren. Neben einem wunderschönen Strand kann man dort abends den Sonnenuntergang überm Meer beobachten, unterstützt durch die Atmosphäre der uns umgebenden Berge.
 
Am Samstag haben wir uns in der Innenstadt umgesehen, einen Markt besucht, auf dem von Kunst bis Kleidung alles für „almost for free“ (dt.: „fast kostenlos“) verkauft wurde. Natürlich wären wir auch an jedem Stand die ersten Kunden des Tages gewesen und nur für uns hätten die Händler*innen selbstverständlich „special prices“ (dt.: „Sonderpreise“) gemacht. Zum Glück habe ich mein Geld daheim vergessen, das wäre sonst teuer geworden. Neben dem Markt tanzte und sang eine Gruppe von Kindern in klassischer Körperbemalung und Kostümierung und wurde schnell zur Hauptattraktion für viele Passant*innen.
Am Sonntag wurden wir eingeladen, mit einer neuen Freundin ihren Geburtstag mit einem Essen zu feiern. Dieses Essen wurde dann auf einen Bar-Besuch ausgeweitet, bevor es weiter ging in der Innenstand mit einer Rooftop-Party. Der atemberaubende Blick über ganz Kapstadt konnte aber leider nicht meine Müdigkeit besiegen, darum habe ich das für zwei Uhr angesetzte Ende doch sehr begrüßt. Dieser Ausflug in die Kapstädter Party-Szene hat uns außerdem mit vielen neuen Menschen bekannt gemacht, schnell wurden Nummern ausgetauscht und erste Einladungen zu Events und Ausflügen ausgesprochen.
Eine davon haben wir dann am folgenden Montag eingefordert. Mit einem jungen Studenten haben wir uns die Slave Lodge und kurz auch das Zeitz Museum of Comtemporary Art Africa (Zeitz MOCAA) angesehen. Davor ging es für uns aber noch zum Castle of Good Hope (dt.: Burg der guten Hoffnung).
Erbaut wurde dieses von niederländischen Kolonialisten 1666 bis 1679 und ist hier damit das älteste europäische Gebäude. Es sollte als Versorgungsstation für Schiffe dienen, die um das Kap segelten und ist bis heute ein Symbol für den niederländischen Kolonialismus in Südafrika. Das Museum im Inneren beleuchtet diese Geschichte näher und klärt auf über die Dutch East India Company, Kämpfe und Kriege mit und unter den Europäer*innen auf südafrikanischem Boden aus der Kolonialzeit und die damalige Lebensweise. Insgesamt boten das Castle und das Museum einen einprägsamen Ausflug in die Geschichte Südafrikas und half uns, zu verstehen, wie die Europäer*innen in dieses Land kamen und warum manche Dinge heute so sind, wie sie sind.
 
Danach haben wir unsere Begleitung abgeholt und sind zur Slave Lodge gefahren. Da das deutsche Schulsystem beschlossen hat, die Geschichte der Sklaverei im Lehrplan weitestgehend unangetastet zu lassen, war dieser Ausflug insofern besonders, dass Dinge gezeigt wurden, die mir in dieser Form noch nie begegnet sind. Natürlich war mir bewusst, dass Sklaverei und Menschenhandel in afrikanischen Ländern Gang und Gebe waren, aber detailliert wurde tatsächlich nie oder nur extremst selten darüber gesprochen. Ein Raum beschäftigte sich beispielsweise mit Schiffen und einer exemplarischen Schlafkammer aus einem solchen Gefährt, womit die Sklav*innen in die ganze Welt verschickt wurden. Eine große Säule mit drehbaren Einzelteilen zeigte in kleiner Schrift viele Namen von Opfern dieser Zeit und erinnerte mich an die langen Pergamentrollen an den Wänden von KZ-Gedenkstätten aus Deutschland.
Aber auch der heutige Umgang mit der Geschichte der Sklaverei war ein Thema. Mit dem Projekt „The Slave Calendar“ wurde darauf aufmerksam gemacht, dass viele Sklav*innen neue Namen bekommen hatten, den Namen des Monats, in dem sie in Südafrika angekommen sind. So gehören Nachnamen wie „April“, „October“ und „Julie“ heute zum Alltag in Südafrika und stellen eine der Verbindungen zur Vergangenheit in der Sklaverei dar. Für das Projekt wurden darum zwölf Menschen porträtiert, die heute diese Namen tragen, einer für jeden Monat. Sie sind die Nachkommen von Sklav*innen und durch die neuen Nachnamen, die ihren Vorfahren gegeben wurden, fällt die Suche nach Blutsverwandten heute schwer, aber unter einander bilden die „Septembers“, „Januarys“ und „Mays“ heute Gemeinschaften, die die Erinnerung an die Sklaverei aufrecht erhalten und sich als Familien dienen. Und nicht selten konnte man in den Texten zu den Porträts lesen, dass die gezeigten Personen stolz auf ihr Erbe seien, stolz darauf, diese Namen zu tragen.
 
Es folgte ein kurzer Abstecher in das Zeitz MOCAA. Dieses widmet sich moderner Kunst afrikanischer Künstler*innen. Leider hatten wir nur circa eine halbe Stunde in dem riesigen Gebäude und da wir nicht einmal die Hälfte der ausgestellten Werke betrachten konnten, ist ein erneuter Besuch ein Muss. Das, was wir sehen konnten war großartig und verdient beim nächsten Mal mehr Ruhe und Aufmerksamkeit.
Beendet haben wir diesen freien Montag an der Waterfront. Nachdem man tagsüber auch gut in kurzen Sachen hätte herumlaufen können, froren wir nun auch trotz der Decken, die wir ergattern konnten, aber die Livemusik und das Essen konnten uns ein wenig wärmen (wer in Kapstadt mal gute Nachos essen möchte, braucht nur fragen, ich kenne da jetzt einen guten Platz).
Für das kommende Wochenende steht nun unter anderem unsere erste Wanderung an und nächste Woche Donnerstag öffnen die Kunst Galerien in der Stadt ihre Tore, also wird unsere Erkundung der südafrikanischen Kultur und Natur weitergehen.
Trotz der kürzeren Arbeitswoche kann ich nur sagen „Thank God, it’s Friday“. Da nächste Woche die Ferien für die Kinder anfangen, haben wir in den letzten Tagen Feedbackbögen ausfüllen lassen und konnten kein richtiges Programm wie sonst durchführen, mit dem Ergebnis, dass die meisten Kinder nicht ausreichend beschäftigt waren, um es mal so zu formulieren. Ich freue mich auf das Wochenende, auf die vorausgesagten 25° C und auf mein erstes Mal wandern, hier,
auf der anderen Seite der Welt.

TGIF #3

Vier Wochen.

Vier Wochen lebe ich nun schon in Kapstadt. Aus zweierlei Gründen ist das unglaublich.

  1. Es fühlt sich an wie gestern, dass ich Jackies Freundin am Flughafen mit Jackie verwechselt und das Ganze sehr peinlich habe werden lassen, dass ich in den Flieger gestiegen bin und meine erste Nacht in dem knarzenden Bett in unserer Wohnung verbracht habe.
  2. Die Erfahrungen der letzten Wochen sind so zahlreich und vielfältig, dass ganze Jahre damit gefüllt werden könnten und ich habe noch etwas mehr als elf Monate vor mir, um diesen Erfahrungsschatz sogar noch zu erweitern.

Wenn man die letzten vier Wochen aber mal zusammenfassen möchte, dann lässt sich eigentlich nur sagen: „Wow.“
Wow, weil dieses Gefühl von Familie und Gemeinschaft in der Arbeitsstelle eine Sicherheit und einen Zusammenhalt bietet, die man sonst nirgends findet.
Wow, da die Stadt und die Umgebung so überwältigend schön sind, dass ich mir aktuell keinen schöneren Ort zum Leben vorstellen könnte.
Wow, warum ist Uber noch nicht im deutschen Mainstream angekommen?
Wow, weil der südafrikanische Winter hier in Kapstadt mich doch sehr zum Frieren bringt.
Wow, denn wenn man hier ins Kino geht bekommt man kein gezuckertes Popcorn. Man muss sich selbst verschiedene Pulver (Geschmacksrichtung Salz oder Butter oder eine dritte, die ich vergessen habe) drüberstreuen, um dem Ganzen Geschmack zu verleihen.
„Wow, what?“ War unsere Reaktion, als wir hörten, dass manche Clubs hier nur bis zwei Uhr geöffnet haben, andere maximal bis vier.
Wow, weil das Lächeln eines Kindes, jeden Tag zu einem besseren macht.
Ich könnte noch sehr lange so weiter machen. Aber viel lieber möchte ich von den vergangenen sieben Tagen erzählen, den diese letzte Woche, war, glaube ich, die aufregendste.
Das Wochenende haben wir unter anderem damit verbracht, uns im Aquarium an der Waterfront umzusehen. Neben wunderschönen Lebewesen des Meeres wurde auch viel Wert auf Aufklärung für Nachhaltigkeit und die Verschmutzung der Meere gelegt. Mit interaktiven Spielen konnte man die Folgen seines Lebensstils als Verbraucher kennenlernen, es wurden Möglichkeiten für das Einsparen von Wasser und Plastik vorgestellt und natürlich über das Sterben der Meeresbewohner durch Plastikteile informiert.
Nach dieser sehr einprägsamen Tour durch die Welt unterhalb der Meeresoberfläche, sind wir im Watershed gewesen. In dieser Halle haben kleine Designer, Kunsthandwerker und viele andere kreative Geister ihre eigenen kleinen Stände und Läden und verkaufen selbstgemachte Artikel von Mode über Schmuck und Bilder bis hin zu Skulpturen aus alten Flip Flops und Taschen aus Deckeln von Cola-Dosen. Wären die Preise andere gewesen, hätten wir uns sicherlich ein paar neue Dinge für die Wohnung zugelegt.
Gegessen haben wir später etwas von Steers, einer lokalen Burgerkette, und währenddessen konnten wir uns das kleine Konzert der Medicine Dolls vor dem Victoria Wharf Shopping Centre natürlich nicht entgehen lassen. (Mein Lieblingsstück: Kiss Kiss Kill Me) Auch wenn es den Anschein hatte, dass alle Bandmitglieder entweder high oder betrunken oder beides waren, hat vielleicht gerade das den Spaß ihrer Show ausgemacht.
Am Abend waren wir dann in unserem ersten Kapstädter Club auf der Long Street. Auch wenn die Musik meinen Geschmack (die meiste Zeit) ein wenig verfehlt hat, hatten wir und zwei weitere deutsche Freiwillige aus einer anderen Einsatzstelle einen sehr lustigen Abend, bis wir dann um halb zwei erfahren haben, dass die Party in dreißig Minuten vorbei sei.
Mit besagten Begleitern sind wir dann am Sonntag nach Simon’s Town gefahren, haben die Aussicht über das Meer und die Berge genossen und die warme Sonne. Damit ging ein aufregendes Wochenende entspannt zu Ende.
Die Arbeitswoche war in der ersten Hälfte durch das Sammeln der Background-Informationen der Teilnehmenden des After Care-Programms geprägt. Alle Jugendlichen mussten ein paar Fragen zu ihrer Familie und ihrer Wohnsituation beantworten, bevor wir sie wieder in die Hausaufgabenbetreuung oder das Nachmittagsprogramm entlassen haben.
Am Dienstag nach der Arbeit sind wir mit etwa zwanzig Kolleginnen und Kollegen zum Kino in die Mall gefahren. Gezeigt wurde der Film „Ellen: The Ellen Pakkies Story“. Er basiert auf einer wahren Geschichte und handelt von einer Frau, Ellen Pakkies, die nicht unweit der New World Foundation (NWF) in Lavender Hill ihr kleines Haus hat. Sie ist Mutter und ihr jüngster Sohn, Abie, wird 2007 aufgrund von Aggressionen der Schule verwiesen und gerät in die Drogenszene des Townships, als er erfährt, dass er das Kind eines Vergewaltigers ist und der Mann, der ihn aufgezogen hat, nicht biologisch mit ihm verwandt ist. Er beginnt zu dealen und wird selbst von Crystal Meth, hier „Tik“ genannt, abhängig. Abie verliert die Kontrolle und beginnt, seine Eltern zu bedrohen und zu attackieren. Er klaut die Ersparnisse des Vaters, sowie fast alles, was sich irgendwie verkaufen lässt aus dem Haus seiner Familie. Er schlägt seine Mutter, die hin und her gerissen ist zwischen Angst vor und Sorge um ihn. Schutzzäune, neue Schlösser und andere Maßnahmen bringen nichts. Ellen lässt ihren Jungen von der Polizei einsperren, doch nach wenigen Tagen kommt er wieder raus. Sie macht ihm einen Termin für eine Therapie, doch als er zu spät kommt, wird er abgewiesen. Nichts und niemand schafft es, Abie davon abzuhalten, immer wieder seine Eltern zu terrorisieren, die ihn auch nicht auf die Straße schicken wollen und darum ihm Schuppen hinterm Haus ein kleines Zimmer einrichten. Als er immer aggressiver wird und wortwörtlich mit dem Feuer spielt, beschließt Ellen Pakkies an einem Morgen, ihm das Leben zu nehmen, um sich selbst zu retten und Abie von den Qualen der Abhängigkeit zu erlösen. Im anschließenden Gerichtsverfahren schafft es ihr Anwalt, sie ohne Gefängnisstrafe durchzuboxen und das Scheitern des Systems anzuprangern. Heute lebt Ellen Pakkies noch immer in Lavender Hill. Sie setzt sich in der Community dafür ein, dass sowas nicht wieder passiert und ist mit vielen Menschen der NWF gut befreundet.
Das Extreme an dem Film ist das Wissen, dass diese Geschichte auf der Realität ihres Lebens basiert. Die aufgenommenen Bildern stammen hier aus dem Township, teilweise sogar aus unserer Arbeitsstelle. Dadurch bekommt das Ganze eine Nähe zu unserem neuen Alltag, die schwer in Worte zu fassen ist. Das Schlimmste ist jedoch das Bewusstsein, dass solche Geschichten nicht etwa nur der Vergangenheit angehören, sondern jeden Tag hier so oder so ähnlich vorfallen. Das macht einem nur noch mehr bewusst, welche Verantwortung wir in der NWF tragen, wenn wir uns tagtäglich mit Kindern und Jugendlichen um Aufklärung bemühen.
 
Dann kam der Donnerstag, der Tag der Junior Clubs. Ab 15 Uhr kamen die Jungen und Mädchen zwischen 9 und 13 Jahren in separaten „Clubs“ zusammen, um, im Fall des Junior Boys Clubs, über self esteem (dt.: Selbstwertgefühl) zu reden, ein Thema, welches die Mädchen in der Woche davor durchgenommen hatten. Nach dem gemeinsamen Essen haben die Jungs mit einem kleinen Clip zum Einstieg, einer anschließen Diskussion und einer Auflistung unserer Stärken und Schwächen gelernt, was es bedeutet, ein gutes oder schlechtes Selbstwertgefühl zu haben und wie Stärken und Schwächen das Ganze beeinflussen, sowie, was man selbst tun kann, um sein Selbstwertgefühl zu steigern. Die sonst eher chaotische Gruppe hat während der gesamten Session aktiv mitgemacht und man konnte spüren dass sie Spaß an der Sache hatten und auch das Thema gut aufgenommen haben. Nach nun drei kompletten Wochen mit den Kids, war das eine sehr schöne und erfüllende Einheit. Für diese inhaltliche Arbeit, die die Teilnehmenden beeinflusst und zum Denken anregt, bin ich hier her gekommen und nach dem Ende dieser Session hatte ich das Gefühl, den ersten Schritt dafür gemacht zu haben. Leider dürfen wir aktuell aufgrund der Vorschriften unserer Einsatzstelle keine Bilder von der Arbeit für andere Dinge als offizielle Bericht nutzen.
Heute geht damit schon die Vierte Woche in Kapstadt zu Ende. Viele werden noch folgen. Die vergangene Zeit hat bereits jetzt nicht mehr auszuradierende Spuren hinterlassen. Ich lerne jeden Tag Neues über die Menschen in der Community von Lavender Hill, bekomme langsam ein kleines Gefühl für ihre Leben und ihren Alltag. Damit einher geht die Vorfreude auf ganz viele neue Erkenntnisse und Perspektiven, auf das Entdecken neuer Seiten an mir selbst und ein weiterentwickelten Selbstbewusstsein.
Das alles und noch viel mehr erfüllt und beschäftigt mich gerade, hier auf der anderen Seite der Welt.

TGIF #2

Reisen macht dich reicher, als alles Geld der Welt es je könnte.

 
Es ist nun drei Wochen her, dass wir im verregneten Kapstadt gelandet sind, unsere mit dem Nötigsten ausgestattete Wohnung bezogen und unsere Einsatzstelle kennengelernt haben.
Wenn man überlegt, dass drei Wochen im Vergleich zu dem, was noch kommt, nichts sind, ist es überwältigend, wie viel wir schon erlebe durften. Fast alle erdenklichen Emotionen prägten die bisherige Zeit in Südafrika.
Angefangen bei Straßenverkehr. Inzwischen hat man sich daran gewöhnt, aber wenn man auf dem Beifahrersitz sitzt und die Fahrerin auf der Kreuzung auf die linke Spur abbiegt, dann fürchtet man sich erst vor dem Gegenverkehr, bevor man sich an den Linksverkehr hier erinnert. Entgegen der Erwartungen und Prophezeiungen von daheim sind die Capetonians zum großen Teil sehr zuvorkommend. Wenn man an einer Einmündung wartet, wird man in der Regel vor gelassen, anstatt dort zwanzig Minuten warten zu müssen. Lediglich die Mini-Taxis fahren wie sie wollen. Wenn es also zu Unannehmlichkeiten im Verkehr kommt, liegt das meistens nur an gewissen Eigenheiten der aktuellen Fahrerin unseres Nissans.
Wenn man es dann mit dem Auto einmal aus der Stadt heraus- und in die Natur geschafft hat, sieht man die Schönheit dieses Landes und der Stadt. Majestätisch erheben sich der Table Mountain, der Lion’s Head und der Signal Hill vor dem Horizont und schreien fast schon nach Urlaubsfotos. Mit diesen natürlichen Gegebenheiten gehen leider aktuell auch Unannehmlichkeiten wie tagelange Regen- und Kältephasen einher, sowie frostige Winde, die nur mit Pulli, Jacke und Decke auszuhalten sind. Wenn dann aber die Sonne rauskommt, schafft sie es irgendwie, das Auto in eine Sauna zu verwandeln.
Wie man das Wetter hier unterschätzen kann, haben wir bei unserer Bustour erlebt. Kaum aus dem Auto, schon wurde die Jacke ausgezogen, die Sonne schien. Auf der gut zweistündigen Tour haben wir dann aufgrund von Fahrtwind und Wolkenfront sehr gefroren. Aber das Erlebte hat das mehr als wett gemacht. Unsere Tour führte uns von der Waterfront über die Long Street, vorbei an Kirstenbosch, Constantia und dem Imizamo Yethu Township, weiter zur Hout Bay, Sea Point und Green Point, an der Küste entlang, zurück zur Waterfront. (Fragt einfach Google, was das alles ist.) Auf dieser Tour hatte man einen sehr schönen Blick auf den Touristenmagneten Kapstadt und vergaß für einen Moment, das Leben, das uns hier in Lavender Hill und der New World Foundation (NWF) jeden Tag begegnet.
In der Vorbereitung haben wir nicht selten über die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen unseren Lebensstandards und denen in der Community gesprochen. Themen wie Gewalt, Drogen, Stellung der Frau, Bildung sind hier andere als bei uns zuhause. Aber keine Vorbereitung kann jemandem vermitteln, wie es ist, das Ganze live und in Farbe mitzuerleben. An unserem aller ersten Tag hier in unserer Einsatzstellen hörten wir Schüsse von der Straße. Draußen begannen die Menschen zu rennen und Kinder suchten Schutz in Gebäude. Türen und Fenster wurden verschlossen und verriegelt. Aber nichts eskalierte. Alles lief ab wie routiniert und tausendfach trainiert. Die Menschen wussten was sie taten, was sie tun mussten. Wir waren in dem Moment zu erschrocken, um zu reagieren und realisierten erst, als es vorbei war, was gerade passiert war. Seitdem haben wir nichts Derartiges mehr erlebt. Aktuell herrscht Frieden zwischen den Gangs im Township und dadurch, dass wir „Locals“ zusammenarbeiten, wissen wir: Angst ist in Ordnung, aber wir sind sicher. Wir brauchen uns keine Sorgen machen.
Zu diesem Alltag gehören wir jetzt. Und ein Teil davon ist, dass wir Geschichten erzählt bekommen. In der „Elderly Support Group“ hören wir Frauen von übergriffigen Ehemännern und Söhnen sprechen, in einem aktuellen Schreibprojekt erzählen Menschen aus Lavender Hill von ihren Erfahrungen mit Drogen, durch eigene Abhängigkeit oder süchtige Angehörige. Wenn man hier fragt, wie das Wochenende war, hört man auch mal Dinge wie: „My weekend was nice. There were no shootings.“ (dt.: „Mein Wochenende war schön. Es gab keine Schießereien.“)
Aber das, was eigentlich so beeindruckend ist, sind die Menschen, die trotz der, für unsere Verhältnisse, schwierigen Gegebenheiten, immer lachen können, riesengroße Herzen voller Güte haben und uns immer anbieten, für uns da zu sein, sollten wir etwas brauchen.
An einem Morgen im Kindergarten, hat ein kleiner Junge beschlossen, mich nicht mehr allein zu lassen. Seine Haare sind ähnlich gelockt wie meine, für ihn offensichtlich etwas sehr Spannendes. Nach einer Weile des Spielens und Rumalberns kam er bei mir an, schlang die Arme um meine Beine, schaute zu mir auf und sagte: „I like you.“ Dann lief er wieder zu seinen Freunden, stets kontrollierend, dass ich ihm zuschaue.
Bei regelmäßigen Treffen kommen in der NWF Menschen mit chronischen Krankheiten zusammen. Aber das Ganze ist dann keine Selbsthilfegruppe. Gemeinsam wird Sport in Form von kleinen Workouts gemacht, es gibt Mittagessen, Ausflüge und das anstehende Weihnachtswichteln wird geplant.
Wenn man eine Tour durch das Gebäude macht, sitzen in jedem Raum hilfsbereite Menschen, die für andere da sind, „counseling“ anbieten, Schulprojekte durchführen, Fälle vor Gericht begleiten, „safe spaces“ erschaffen, Jobvorbereitungen machen, Unterstützung anbieten beim Schreiben vom Bewerbungen, Computerkurse veranstalten. Im Township Lavender Hill passiert so viel Gutes, nur leider wird genau das oft vergessen, wenn man über diesen Stadtteil spricht. In dieser Community ist man eine Familie und genauso wurden wir auch empfangen. Wie neue Familienmitglieder.
Als Teil dieser Community tragen wir inzwischen aber auch Verantwortung. Wir gehören hier dazu und das bedeutet, zu arbeiten, sich einzubringen und zu helfen wo es geht. Nach der ersten Woche, die uns als Orientierung diente, arbeiten wir jetzt alle in der After Care, dem Angebot für Schulkinder am Nachmittag. Wer Hausaufgaben hat, bringt diese mit und bekommt hier Materialien wie Bleistifte und Papier, sowie Hilfe, wenn man mal nicht weiter weiß. Für alle anderen gibt es ein sich wöchentlich wiederholendes Programm. Am Montag wird gemeinsam gelesen, dienstags gebastelt, mittwochs „educational games“ wie Puzzles und Ähnliches gespielt, jeden Donnerstag die Junior Clubs, am Tag darauf die Senior Clubs für alle Jugendlichen ab 13 Jahren. Dazu kommt das tägliche, von der NWF gestellt Mittagessen.
In den kommenden Wochen, werden wir immer stärker verantwortlich werden für die Planung der Einheiten jeden Tag. So sind die Junior und Senior Clubs zum Beispiel für inhaltliche „Sessions“ und Themen wie Pubertät, Sex, Religion, Mobbing und so weiter vorgesehen. Diese zu gestalten und zu leiten wird Teil unseres Aufgabenfeldes sein. Für die Dienstage haben wir die letzten beiden Male bereits die Ideen geliefert. Beim Blumenmalen mit Händen voller Farbe und dem Basteln von Schmetterlingen haben wir gemeinsam den Frühling begrüßt, der hier langsam Einzug hält.
Abseits der Arbeit hat sich in den letzten Wochen auch einiges getan. Die Wohnung wird immer voller, schöner und heimischer, dadurch leider aber auch nicht weniger dreckig. Inzwischen ist der Sonntag darum unser Putztag. Dadurch finden wir langsam unsere neue Routine, zu der auch der Besuch des Kinos jeden Dienstag gehört und mehrmals die Woche das Fitnessstudios, seit dies die flexibelste und einfachste Sportmöglichkeit ist.
Die letzten drei Wochen haben uns bereits vieles geschenkt. Neue Erfahrungen, neue Menschen, neue Erkenntnisse. Die Reise wird immer mehr zu dem prägenden und einflussreichen Erlebnis, für das wir unsere deutsche Heimat verlassen haben. Natürlich vermissen wir das Zuhause, die Familie, die Freunde, aber das hier ist unsere Reise. Ein Jahr Zeit, zu uns zu finden, uns zu bereichern, den Horizont zu erweitern und die Perspektive zu wechseln. Und wo geht das besser, als hier, auf der anderen Seite der Welt.

Lekker

Vor ungefähr drei Wochen begann für mich die Reise ins Unbekannte. Auf den Vorbereitungsseminaren haben wir oft genug über unsere Einsatzländer gesprochen, doch damals schien es alles noch so weit weg und unerreichbar. Vor allen Dingen konnte ich mich nie ganz auf meine Ausreise freuen, da ich in der einzigen Einsatzstelle war, in der der Führerschein eine notwendige Voraussetzung war und ich meinen zu dem Zeitpunkt immer noch nicht hatte und mich dies sehr stresste. Doch als ich dann am Montag vor meiner Abreise, meine Prüfung endlich bestand und ich meinen Lappen in der Hand hielt, begann die Aufregung. Die Tage vergingen wie im Flug und plötzlich stand ich am Flughafen und verabschiedete mich von meinen Freunden und meiner Familie. Voller Vorfreude betraten Jan-Niclas und ich das Flugzeug und nach insgesamt 15 Stunden kamen wir endlich am Flughafen in Kapstadt an. Die erste Nacht in unserer Wohnung haben wir nur dank Jogginghose, Pullover, Kuschelsocken und zwei Decken überlebt können, da zu unserer Überraschung der Kap Städter Winter kälter als erwartet war. Auf dem Thermometer mag zwar 16 Grad stehen, aber es fühlt sich definitiv nur nach 6 an.
Am Freitag besuchten wir dann unseren Arbeitsplatz in der New World Fondation. Dort wurden wir von unserer Mentorin Kim rumgeführt und allen Mitarbeitern vorgestellt. Nach zwei Namen habe ich mir gar nicht mehr die Mühe gemacht, um mir die Namen zu merken, da wir sie eh noch oft genug sehen werden und ich noch viele Chancen haben werde, mir die Namen zu merken. Dasselbe Prinzip galt auch für die Aftercare. Von den ungefähr 60 Kindern und Jugendlichen kann ich mir, wenn es hochkommt, gerade mal 10 merken. Das liegt aber größtenteils daran, dass es -für mich- sehr ungewöhnliche Namen sind. Allgemein ist hier sehr vieles noch sehr ungewöhnlich. Zum einen bin ich mir noch nicht ganz sicher, ob die Autobahnen wirklich Autobahnen sind oder Fußgängerzonen. Linksverkehr macht mir definitiv noch zu schaffen, vor allem da sich meine Fahrerfahrung nur auf meine Fahrstunden und die halbe Strecke zum Flughafen begrenzt, bei der mein Vater mich dann nach dem 3. Mal absaufen hintereinander von meinem Leid erlöste. Oder, dass man an Tankstellen nicht aussteigt, sondern es Arbeiter gibt die z.B. für einen tanken.
Leider muss ich mich aber auch an den Klang von Schüssen gewöhnen, den wir an unserem ersten auch wahrnehmen mussten bzw. an Aussagen wie: „Mein Wochenende war gut, es gab keine Schießereien“. Sowas gehört hier zum Alltag. Gleichzeitig erschreckend und beruhigend finde ich aber die Routine der Communitymitglieder bei dem Umgang mit Schießereien, dass sie wissen, wie sie sich bei Schüssen zu verhalten haben: Ein Gebäude suchen und Türen und Fenster schließen. Im August sind die Gangs hier in Lavender Hill laut unserer Mentorin oft aggressiver, aber es gibt immer wieder längere Phasen des Friedens (so wie seit circa einer Woche).
Mit den Kindern in der Aftercare zu arbeiten ist auf der einen Seite sehr schön, aber auch sehr nervenaufreibend, anstrengend und ermündend, weswegen Aussagen wie „scheiße es ist schon halb 10“ des Öfteren in unserer WG zu hören waren. Montags „Reading“, dienstags „Arts & Crafts“, mittwochs „Educational Games“, donnerstags „Junior Clubs“ und freitags „Senior Clubs“. Dieser strikte Wochenplan der New World Fondation erleichtert es einem sehr eine gewisse Routine in den noch sehr frischen Alltag zu bringen.
Nachdem meine Mitbewohnerin Leonie, nach mehreren Fahrstunden mit unserem Chef, da sie die meiste Fahrerfahrung von uns hat (Leonie: 6 Monate, Jan-Niclas fast 3 Monate und ich fast 3 Wochen), endlich das grüne Licht bekam, haben wir mittels Google Maps versucht, einen Shoppingtrip auf der von uns gegenüberliegenden Seite Kapstadts zu machen. Aus der von Google Maps berechneten Route von 30min sind aufgrund meiner links-rechts Schwäche und Leonies Schwerhörigkeit 2 Stunden geworden.
Außerdem haben wir dank Jan-Niclas´ navigatorischen Fähigkeiten einen kleinen Abstecher in ein Industriegebiet und ein Parkhaus machen müssen, bevor wir die Waterfront endlich erreichten.
Ich freue mich schon darauf, noch viele solcher Abenteuer mit meinen Mitbewohnern erleben zu können und bin gespannt auf das kommende Jahr.
 
Eck se julle later
Jacky

TGIF #1

Es ist Freitagabend, 21:26 Uhr. Hinter mir liegt die erste Woche in meiner Einsatzstelle, der New World Foundation in Lavender Hill, Kapstadt, Südafrika. Aber beginnen wir doch lieber am Anfang…
Es ist gar nicht mal solange her, da wusste ich nicht, wie mein Leben nach dem Erhalt meines Abiturzeugnisses aussehen würde. Studium? Ausbildung? FSJ? Work and Travel? FÖJ? Bundesfreiwilligendienst?
Schulabgänger*innen stehen heutzutage gefühlt 184752 Möglichkeiten und Wege zur Verfügung und es wird erwartet, sich zu entscheiden (bestenfalls bevor die Schule dann wirklich zu Ende ist). Ich habe jedoch bald festgestellt, dass mir das zu schnell geht. Ich fühlte mich nicht bereit, Unibewerbungen zu schreiben, Work and Travel war mir zu Mainstream, Ausbildung klang in meinen Ohren zu sehr nach „Ich bin jetzt erwachsen und will schnell Geld verdienen und beende damit auf einen Schlag meine Kindheit.“ Also schielte ich immer mehr auf Freiwilligendienste. Doch auch in dem Feld gibt es eine unendliche Auswahl an möglichen Richtungen. Dann stieß ich auf internationale Freiwilligenprogramme und war begeistert von der Idee, ins Ausland zu gehen UND als Freiwilliger dort tätig zu sein. Leider grenzte auch das die Vielfalt nicht unbedingt ein und ich wurde erschlagen von Informationen und Angeboten und Vorschlägen. Aber schon bald konnte ich meinen Blick fokussieren.
Durch einen Lehrer wurde ich auf meine jetzige Entsendeorganisation, das Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkirche, aufmerksam. Ich sammelte Informationen, meldete mich zum Infotag an und fühlte mich… richtig. Die Entscheidung, mich zu bewerben, war einfach. Auf einmal war der Rest an Wegen und Möglichkeiten ausgeblendet, ich wollte nur noch zum ZMÖ und dachte gar nicht daran, mich woanders zu bewerben (bis auf eine etwa zwei Wochen dauernde Phase voller Zweifel und Sorgen à la: „Was, wenn ich nicht angenommen werde?“).
Aber es ging alles gut: Bewerbung abgeschickt, Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten, Gruppenaufgabe mit einer etwas anderen Form einer Weltkarte gemeistert und bald darauf die Zusage bekommen.
Meine Reaktion: Absolute Überraschung, Ungläubigkeit, Aufregung, Adrenalin pur. Bei meinem, nennen wir es mal einen Ausraster, den ich nach dem Lesen der Mail hatte, habe ich mit meiner Decke im Wohnzimmer fast ein oder zwei Dinge zu Bruch gehen lassen und meine kleine Schwester während dem Anfertigen ihrer Hausaufgaben sehr erschreckt (sorry).
Erst danach realisierte ich langsam: Im August 2018 würde auf mich ein Jahr in einem neuen Land auf der anderen Seite der Welt warten, als Freiwilliger in einer mir komplett fremden Gesellschaft, Kultur, Umgebung, mit Menschen, die ein anderes Leben führen als ich es von daheim kenne. Meine Aufregung wuchs.
Im Januar begann dann die Vorbereitung. Auf mehreren Seminaren lernte ich eine meiner Mitfreiwilligen kennen und die anderen jungen Menschen, die sich für die gleiche Organisation entschieden und diese Möglichkeit bekommen haben. Es folgten viele Monate voll mit Vorfreude, spannenden Einheiten, Organisationstress und Vielem mehr.
Und nun sitze ich seit etwas mehr als einer Woche hier in Kapstadt fest und will schon gar nicht mehr zurück. Allmählich kommen meine beiden Mitbewohnerinnen und ich in der neuen Wohnung an. Sie wird immer mehr das Zuhause, das wir uns gewünscht und vorgestellt haben, fast jeden Tag wird gesellig gekocht, und, nach ausgiebigem „Farmshopping“, auch gespielt.
Viel wichtiger in den letzten fünf Tagen war jedoch unsere Zeit in der New World Foundation. Denn die waren sozusagen unsere „orientation days“. Jeden Tag bekamen wir die Möglichkeit, in die zahlreichen Programme und Angebote reinzuschauen. Und wir mussten feststellen: Anders als erwartet, ist die NWF mehr als ein safe space für Kinder und Jugendliche nach der Schule. Es gibt einen Kindergarten, Beratungsangebote für fast alle Bedürfnisse, Computerschulungen, Bewerbungs- und Managementtraining, und so weiter. Ich könnte diese Aufzählung noch lange weiterführen.
Während dieser Orientierungsphase galt es dann noch einiges an Papierkram zu erledigen. Und so gestaltete sich die ganze Woche als eine Flutwelle von Neuem, gemischt mit lästigen Organisationgeschichten. Die Folge: Abends schaute man geschockt auf die Uhr mit einem entsetzen Ausruf wie: „Sh*t, es ist schon halb zehn.“ Und ja, so gut wie jeden Abend lagen wir kurz nach zehn im Bett, ganz einfach, weil wir jedes Mal dezent müde von der NWF nach Hause kamen.
Zusätzlich zum vollen Terminkalender belastet uns aktuell auch noch das Wetter. Wenn ich jetzt sage, wir haben hier jeden Tag nicht mehr als 15°, dann klingt das vielleicht nicht kalt, aber der Wind und die klare Luft, lässt einen mit Pulli, Jacke und Decke frierend in der weder geheizten noch isolierten Wohnung sitzen. Allmählich gewöhnt man sich daran und der Frühling dürfte hoffentlich nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen, denn Frühstück in Winterjacke muss nun echt nicht jeden Tag sein.
But: Thank God, it’s Friday, denn so kann ich morgen und am Sonntag ein paar Stunden länger unter meinen zwei warmen Decken bleiben, bevor wir uns daran machen werden, Kapstadt und Umgebung kennenzulernen. Freuen tue ich mich trotzdem, nicht nur auf das kommende Wochenende, sondern auch und besonders auf die folgenden 12 Monate hier, auf der anderen Seite der Welt.