Die Fäuste fliegen (bzw. fallen)

Eigentlich hatte ich noch nicht geplant wieder einen Blogeintrag publik zu machen, jedoch habe ich gerade Schreibbedarf.
Weißt du was Todesangst ist? Vielleicht hattest du schon mal Angst vor einer mickrigen Spinne oder dass dein riesen Transportvogel auf dem Flug in den Urlaub abstürzt – viele haben Ängste, aber selten sind diese gerechtfertigt.
Warum schreibe ich das jetzt? Du kannst es dir schon denken, nicht wahr?! Aber mal auf Anfang. Es war Freitag, der vierte Oktober, so 15:30 Uhr, als wir in unserer Hütte mit den Kindern geometrische Formen lernten. Die Hitze, die heute mal wieder meine Stirn alleine im Schatten zum Ebenbild der Cataratas del Iguazú (lokale Wasserfälle an der Triple Front) verwandelte, hatte zwar bei vielen den Wunsch nach einer Abkühlung geweckt, doch das was folgte war eine Hausnummer zu viel. Plötzlich zogen Wolken auf und ein sehr frischer Wind wehte umher. Nach kurzer Freude über die erhoffte Abkühlung musste diese schnell wieder erlischen. Wie inszeniert kamen vier Mütter gleichzeitig in unsere Einrichtung um ihr Kind nach Hause zu rufen. Ich merkte direkt, diese Leute wissen das Wetter besser zu deuten als Christian Häckl. Schnell waren alle Kinder aus dem Projekt geschafft und die Profe, ihr 7-jähriger Sohn und ich blieben alleine um schonmal klar Schiff zu machen. Aber kaum waren die ‚Kreaturen‘ weg, wie sie im spanischen gerne genannt werden, hatten die Wolken abwartend umgeschlagen. Bis hier hin war noch alles normal. Es fing wie erwartet an zu regnen. Dabei sollte es aber nicht bleiben. Dann kam der Hagel. Aber nicht wie du ihn kennst. Ball mal deine Hand zu einer Faust, jetzt. Mach! Und jetzt stell dir vor deine Faust ist ein Hagel-„korn“.
[Kurze Info: Ich als Doku-Junkie weiß, dass es sowas in Deutschland nicht gibt, da in Deutschland frühzeitig gegen solche Hagelwolken gehandelt wird. Kurz nach Entdeckung und Vorhersage einer Hagelwolke, gibt es Tornadoflieger, die jede Ecke des deutschen Luftraums in wenigen Minuten erreichen können und mit chemischen Mitteln solche Gefahrenwolken impfen und somit schweren Hagelfall auf deutschem Boden verhindern.]
Der Wind hatte ein Windstärke von mindestens 99 und drinnen mussten wir eine Akustik erleiden, die schlimmer war als neun Rolls Royce Turbinen auf einem Heavy Metal Festival. Der Sohn war in den Armen seiner Mutter eingeklammert und die beiden hockten unter einem Holztisch, der Schutz vor eventuellem Hageleinfall versprechen sollte, denn unser Wellblechdach ist nicht sehr stabil und hatte mit dem Lärm schon genug Angst eingejagt. Im Blechdach des Raumes neben an sind jetzt größere Löcher, da der weniger qualitative Wellblechdach einfach keine Chance gegen den angeschossen kommenden Hagel hatte. Ich stand erst eingeschüchtert in der Mitte des Raumes und hatte mir die Ohren wie ein Kleinkind zu gehalten. Dann sah ich aber meine Arbeitskollegin, die Profe, mir etwas zu schreien, was aufgrund des unertragbaren Lärms einfach nicht zu mir durchdrang. Ihre Handzeichen und die aufreißende Tür, die den starken Wind mit dem Hagelregen ins innere der „Straßenschule“ reinstürmen lassen hat, ließ mich aber direkt verstehen, dass ich die Tür schließen soll, was leichter gesagt als getan war. Ich hab mich gegen die Tür gelehnt und hab gegen gehalten, wie ich nur konnte. [Zu deiner Info: Das Häuschen ist aus Holzplatten errichtet, ist dementsprechend nicht sehr stabil, was das Wackeln des Häuschens unterschreibt.] Zwischen den Holzplatten kam genug Regen durch, um mich nass zu machen. Gleichzeitig boten die Schlitze aber guten Blick nach draußen. Der Weg vor dem Projekt, der sich in Richtung süd-osten senkt, wurde zu einem Bach, sodass an eine Flucht auch kein Gedanke verschwendet werden musste. In dem Moment hab ich an Gott gedacht, die Natur, die Ohnmacht der Menschen und daran, was alles passieren könnte. Was ist, wenn unser Wellblechdach nachgibt und der Hagel auf unsere Körper einschlägt? Was ist, wenn das Haus das nicht übersteht? Was ist mit dem kleinen Jungen? Was ist, wenn es mal nicht gut ausgeht? […]
Das Wetter beruhigte sich wieder, wir drei haben wieder für Ebbe im Häuschen gesorgt und schon kehrte ein Kind zu uns zurück. Margarita ca elf Jahre alt wollte uns helfen beim aufräumen. Sie erzählte uns nebenbei was ihr ihre Mutter kurz bevor noch sagte „Meine Tochter du darfst keine Angst haben! In solchen Situationen musst du nur zu Gott sprechen.“ So mutig und gelassen waren aber leider nicht alle. Man hat noch viele Kinder aus der Nachbarschaft bis ins Projekt weinen hören. Das alles bis hier hin würde ich als ersten Teil abhaken. Der zweite Teil dieses Erlebnisses wurde nämlich erst danach deutlich. Und zwar die Ausmaße des Unwetters. Vom Stromausfall muss ich gar nicht erst reden. Auf dem Rückweg ins gemütliche Zuhause sah ich was der ca. 15-minütige Hagelsturm in so kurzer Zeit angerichtet hatte. Zäune lagen quer, Mäste lagen quer, Äste lagen, Bäume lagen, Dächer lagen neben ihren Häusern, Häuser waren entstellt, Familien weinten vor ihrem Haus, Nachbarn helfen sich gegenseitig beim Wiederaufbau ihrer Unterkünfte, tote Hühner, tote Katzen, tote Hunde…
Meine Angst war gerechtfertigt. Ich brauche keine Fremdaussage, um zu sagen, dass hier eine Ausnahmesituation vorlag. Die Profe hatte auf meinen lauten Gedanken, dass ich sowas zum ersten Mal sehe, geantwortet, dass sie dies in dieser Form auch noch nie erlebt hätte. Mit dem Bus auf dem Weg ins eigene Heim kam ich dann noch an einer eingestürtzten Tankstelle vorbei, was von der Größe einfach nur nochmal sehr überwältigend war.
Während ich das hier verfasse, werde ich mir des Ganzen erst richtig bewusst. Ich würde zwar nicht behaupten, dass ich um mein Leben Angst hatte, aber ich bin schon ziemlich froh, euch dieses ‚Abenteuer‘ unversehrt zu Wort bringen zu können.
Also mal wieder relativ ernst heute, aber nächstes Mal schreibe ich euch dann wirklich, ob der Käse hier so teuer ist, weil er so gut schmeckt?!
PS: Am dritten Oktober wird gefälligst gearbeitet, zu mindest hier zu Lande!

Comments:

Janna
08.10.2019

Ach du Schreck! Ein Glück, dass ihr alles (weitgehend) unbeschadet überstanden habt. Ich drücke die Daumen, dass der Schock bald überwunden ist und alles wieder repariert werden kann. Dazu hoffe ich dann auf hoffentlich auch vergnüglichere Erlebnisse (und Berichte davon)! Dein Schreibstil war auf jeden Fall trotz Dramatik des Themas sehr erheiternd - gerne mehr davon :D Liebe Grüße aus dem ZMÖ Janna

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