Ein Blick über den Tellerrand

Jetzt sitze ich hier bei mir Zuhause am Schreibtisch und versuche einen gelungenen Start in den Blogeintrag zu finden. Drei Monate sind vergangen, seitdem ich etwas von mir habe hören lassen, und wie immer ist sehr viel passiert. Es gibt viele Änderungen und Neuigkeiten. In diesem Blogeintrag werde ich ein bisschen von meinen letzten Monaten erzählen und noch einmal genauer auf mein Projekt eingehen. Viel Spaß beim Lesen 🙂

Erfolgreicher Flomarktbesuch mit Hanna!

2023 ist da und das neue Jahr beginnt. In Brasilien ist es Hochsommer, für die Schulen geht es in die Sommerferien und das Projekt Dorcas legt auch eine Pause ein, und somit konnte Ich meinen Urlaub starten. Von Weihnachten und Silvester habe ich ja schon berichtet. Im Januar habe ich nicht nur von einigen meiner Mitfreiwilligen in Curitiba Besuch bekommen, sondern bin auch selbst noch einmal in den Süden, Richtung Porto Alegre gefahren. Dort gab es ein großes Wiedersehen mit: Hanna! die Freundin meines Bruders, die auch über das Zentrum für Mission und Ökumene als Stipendiatin im Programm für Gender und Religion an der theologischen Fakultät der Lutheranischen Kirche für 6 Monate in Brasilien arbeiten wird. Somit war ein kleines Stück Familie im Land und ich konnte ihr ein bisschen beim Einleben in Brasilien helfen.

Anfang Februar ging es für mich dann zurück nach Curitiba, denn es heißt: Umbau im Projekt Dorcas! Wir hatten drei Wochen Zeit, bevor die Kinder zurückkommen und der Alltag wieder startet. Es stand viel Arbeit auf dem Plan, denn 2023 werden ca. 40 neue Kinder im Projekt dazukommen und die Alterspanne wird von 5-18 auf 4-18 erweitert: Neue Türen wurden eingebaut, neue Möbel besorgt, alles bis auf jeden Staubkrümel sauber gemacht, neue Stundenpläne erstellt, der Spielplatz mit neuen Spielgeräten erweitert, neue Materialien wie Musikinstrumente, Bücher, Schreib- und Bastelsachen oder Spiele besorgt. Vor allem (unter anderem meine Hauptaufgabe in dieser Zeit) mussten alle Böden und die Wände gestrichen werden. Bei dem großen Gebäude keine schnell erledigte Aufgabe…

Außerdem gibt es nun neue Lehrkräfte im Team, wie unter anderem einen Missionar, der von nun an die Andachten übernehmen wird, oder auch zwei Musiklehrerinnen, die den Chor übernehmen. Schritt für Schritt hat sich sehr vieles verändert – man erkennt unser Dorcas kaum wieder.
Auch für mich gibt es neue Aufgaben und super Neuigkeiten! Nach meiner Ankunft im August 2022 wurde sich nach meinen Stärken und Erfahrungen mit Kindern erkundigt. Da ich ja vor meinem Freiwilligendienst für ca. 10 Monate als Schulbegleiter in der Elbschule (BZ Hören und Kommunikation) gearbeitet habe, konnte ich diese Form der Arbeit hier mehr oder weniger weiter führen. Mir wurde der fünf-jährige kleine Kalleb mit mehreren Auffälligkeiten und Förderschwerpunkten und fast keiner Sprache als 1:1 Betreuung zugeteilt. Meine Arbeit als Schulbegleiter ging somit für das erste halbe Jahr weiter. Kalleb musste ich auch erst einmal lieben lernen…

Kalleb und ich im „Team Gelb“
Sportunterricht mit den kleinen

Nach einigen Gesprächen mit den Koordinatorinnen darf ich mit meinen jetzigen Sprachkenntnissen den Sportunterricht vorerst alleine übernehmen, bis jemand gefunden wird, der diesen auch weiter übernehmen kann, wenn ich nicht mehr da bin. Außerdem ist ein sehr gefragtes Thema der älteren Kindern ein Englischkurs. Das der zustande kommt, dafür konnte ich mich jetzt endlich durchsetzen. Schon im letzten Jahr habe ich des öfteren einigen Kindern und Jugendlichen nach Ende des Projektes, Einzelstunden gegeben, da Stunden für einen normalen Unterricht nicht mehr in den Stundenplan gepasst haben. Jetzt darf ich immerhin einmal die Woche für die Ältesten im Projekt Englischstunden geben! Für mich bedeutet dies sehr viel, nicht nur weil ich somit im Projekt intensiver mitwirken kann, sondern auch weil dies ein unglaublicher Vertrauensbeweis ist. Klar, ich habe beispielsweise schon verschiedene Powerpoint-Präsentationen für meine Chefin erstellt, mit denen Spender für das Projekt gewonnen werden sollen, aber dass ich individuell und allein unterrichten darf und mir Platz im Stundenplan gegeben wird, bedeutet mir noch viel mehr.

Die Vorbereitungswochen endeten mit einigen „Pädagogischen Tagen“:
Zunächst hatten wir einige Seminartage im Dorcas, an denen Ideen für das kommende Jahr gesammelt wurden, neue Mitwirkende vorgestellt wurden und das Team noch mehr zusammenwachsen konnte.
Eine Woche später: Zwischenseminar in Curitiba für alle Freiwilligen aus Deutschland! Großes Wiedersehen mit meinen Mitfreiwilligen und unserer Mentorin Simone. Fünf Tage Zusammensein, Erlebnisse auszutauschen, Projekte gegenseitig vorstellen. Auch in dieser Gruppe sind wir noch einmal fester zusammengewachsen. Es ist schön zu wissen, dass wir alle ähnliche Erfahrungen erleben und wissen, dass jeder für den anderen auch in schweren Zeiten füreinander da sein kann – auch wenn man 11 Stunden Autofahrt von einander weg wohnt. Eine Gewisse Verbundenheit ist und wird immer zwischen uns sein.

Volleyball-Pause
Besuch im Projekt Dorcas

In meinem ersten Blogeintrag habe ich mein Projekt, den Unterricht, sowie Teile meiner Aufgaben vorgestellt. Das möchte ich jetzt nochmal ein bisschen ausbauen. Denn, was macht Dorcas aus? Ein Sozialprojekt mit so vielen verschiedenen Facetten.

In den letzten Wochen nach dem Jahresstart ist noch einmal so viel passiert und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll…

Es war ein Tag wie jeder andere. Ich werde von meiner Projektleiterin Darclê morgens abgeholt und wir fahren gemeinsam zum Projekt.
Dort angekommen, erzählt sie mir den Plan für den Tag: heute darf ich das Bonfim/Favela (die Wohngegend der Kinder und Jugendlichen im Projekt) kennenlernen. Ein Erlebnis, auf das ich schon seit meiner Ankunft in Brasilien gewartet habe und nun im Nachhinein bin ich froh, dass es für mich jetzt erst dort hin ging. Die Lebensumstände mit eigenen Augen zu sehen ist natürlich schon eine gewaltige Erfahrung. Dadurch, dass ich die gesamte Zeit über im Projekt mit so vielen Kindern, Jugendlichen und vor allem Mitarbeitern, die im Dorcas teilnehmen und arbeiten, so eine persönliche und enge Beziehung aufgebaut habe, war diese Erfahrung noch einmal schwieriger. Gesehen zu haben, wie diese Menschen in dieser vermüllten, kaputten und heruntergekommenen Gegend aufwachsen und leben hat mir meine Augen noch einmal mehr geöffnet und die Bedeutung und das Grundprinzip vom Projekt Dorcas deutlich gemacht. Dorcas ist nicht nur ein Projekt, oder ein Ort für die Kinder und Jugendlichen, an dem sie erweiterte Lernangebote bekommen und für einen kurzen Zeitraum betreut werden. Oft kommt ja auch die Frage auf, ob solche Sozialprojekte in Ländern, wie Brasilien überhaupt etwas bringen. Dorcas ist der Hoffnungsträger. Eine Oase, ein Paradies um für drei bis vier Stunden am Tag aus dem normalen Alltag und von Zuhause wegzukommen. Hier bekommen die Kinder und Jugendlichen eine warme Mahlzeit, haben Kontakt zu anderen Kindern, bekommen verschiedene Lernangebote und bekommen die Chance auf ein besseres Leben. Jeder Tag im Projekt ist ein Erfolg. Wie glücklich die Kinder im Projekt ankommen, öffnet mir jedes mal aufs neue das Herz.

Ich muss zugeben, dass ich auch wirklich verunsichert und etwas ängstlich die Gegend des Bonfim´s betreten habe. Doch sobald die ersten Begegnungen mit den Bewohnern und Familien zustande kamen und man sich unterhalten hat, habe ich gemerkt, wie sicher ich mich auf einmal gefühlt habe. Gerade mit der Chefin von Dorcas Darclê an meiner Seite. Sie wirkte wie ein Engel. So viel Dankbarkeit und Respekt der Menschen, denen wir begegnet sind, habe ich noch nie gesehen.

Auch außerhalb von der Betreuung, Unterstützung und Förderungen von den ca. 280 Kindern und Jugendlichen unterstützt Dorcas um die 500 Familien, die im Bonfim leben. Gerade in der Corona-Zeit war es wichtig, Unterstützung zu zeigen und da zu sein. Durch Covid stiegen die Lebensmittelpreise, die Menschen hatten Angst vor dem unbekannten Virus und das Projekt musste vorübergehend schließen. Die Familien waren in ihren winzigen Wohnraum eingesperrt. Wöchentlich wurden von dem Dorcas-Team Lunchpakete mit Reis, Bohnen, Mehl, Milch, Zucker, Salz und weiteren Lebensmittel ausgetragen.

Einen Moment den ich nicht mehr vergessen werde: Durch die Führung durchs Bonfim erreichen wir eine kleine Grasfläche mit zwei Fussballtoren. Hinter uns kommt ein Junge (ca.16 J.) mit einem selbstgebauten Flugdrachen mit einer Schnur in der Hand, den er dann auf dem Fussballplatz steigen lässt. Schnell schossen mir viele Gedanken und Erinnerungen an meine Kindheit in den Kopf und ich musste realisieren, in welcher privilegierten Welt ich aufwachsen durfte, welche Hobbys ich als Kind ausprobieren und ausüben durfte. Welche Standards für uns normal sind oder welche Alltagsprobleme uns treffen, sind nicht vergleichbar. Mit den Erfahrungen, die ich durch diesen Freiwilligendienst und vor allem durch die Führung durch das Bonfim erleben durfte, habe ich so viel Respekt für jeden Einzelnen und versuche mich mit meinem Wissen und meinen Skills so gut wie möglich einzubringen.

In meinem ersten Blogeintrag habe ich Dorcas folgend definiert: „Dorcas ist ein Sozialprojekt mit dem Ziel der sozialen Entwicklung, um die Lebensqualität der Kindern und Jugendlichen im Projekt zu fördern“.

Ich möchte gerne noch ein paar aktuelle, sowie ehemalige Teilnehmer vom Projekt Dorcas genauer vorstellen, um auch langfristige Erfolge zu zeigen. Dazu werde ich in den nächsten Wochen ein paar Interviews führen und diese dann für den nächsten Blogeintrag für euch übersetzen und vorstellen.

Bis dahin wünsche ich euch frohe Ostern und von nun an etwas wärmeres Wetter 🙂 Bei mir wirds nun wieder kälter!

Ganz Liebe Grüße aus Brasilien, Euer Pelle

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