Good morning class, how are you today?

Die ersten Wochen unterrichten an der Huixian Middle School Nr. 4 liegen bereits hinter uns.
Namensschilder wurden geschrieben und werden jede Stunde auf’s neue verteilt, mein Vorhaben jedem*r Schüler*in einen eigenen Namen zu geben konnte ich sogar verwirklichen. (Und an den Neuntklässler, der sich seinen Namen selbst aussuchen wollte: Nein, Berserker ist kein geeigneter English Name, danke für’s Gespräch.)
Diesen ganz bestimmten Blick, den man durch die Reihen schicken muss, damit die Klasse ruhig wird, den muss ich vermutlich noch perfektionieren, aber der Prototyp tut’s bisher auch ganz gut.
Und ich glaube, meine laute Stimme, wegen der ich mein Leben lang „Jenny, sei doch nicht immer so laut“ gesagt bekommen habe, zahlt sich endlich aus.

Wie genau bringt man Kindern, die kaum mehr Englisch sprechen als Deutsche Drittklässler diese Sprache näher, ohne wirklich bemerkenswertes Chinesisch zu sprechen?
Mit Händen, Füßen, Mimik, Gestik, Beispielen an der Tafel, Liedern, Bildern, einer liebevoll erstellten Powerpoint, verwirrten Gesichtern seitens der Schüler*innen, verzweifelten Gesichtern auf Seiten der Lehrkraft, Erfolgen und Rückschlägen.
So muss sich mein Mathelehrer in der siebten Klasse gefühlt haben, als er uns das erste mal das berühmt-berüchtigte X vorstellte.

Ich hoffe wirklich, dass die Kinder am Ende meines Jahres hier etwas mitnehmen können, und wenn es nur ein paar Brocken Englisch sind, die gerade mal für awkward Smalltalk ausreichen.

Aber nicht nur die Kinder lernen eine neue Sprache.
Auch wir Freiwilligen verbeißen uns an der Sprache, die sonst als Synonym für Unverständlichkeit benutzt wird. Mein einziges Ziel ist es, am Ende dieses Freiwilligendienstes auf die Phrase „Spreche ich Chinesisch?!“ sarkastisch mit „Dann würde ich dich wenigstens verstehen.“ antworten zu können.
Auf die Frage „Teacher, do you speak chinese?“ folgt also ein promtes „No“.
(Ich meine, die Kinder sollen ja auch nicht den Eindruck bekommen, dass ich mich darauf einlassen würde, ihnen den Unterricht mit chinesischen Erklärungen zu erleichtern.)
Ironischerweise ist wǒ bù huì shuō zhōngwén (Ich kann kein Chinesisch sprechen) der Satz, den ich am sichersten sagen kann.

Als europäische Lehrkraft hat man aber von Anfang an eine andere Position, als eine chinesische Englischlehrkraft. Denn ich bezweifele ehrlich gesagt stark, dass sich nach dem Unterrichten bei der regulären Englischlehrkraft eine Schlange am Lehrendenpult bildet, weil jede*r Schüler*in noch etwas von der Lehrkraft will. In der ersten Stunde war es mein Name, den alle noch einmal aufgeschrieben haben wollten, denn es reicht ja nicht dass dieser an der Tafel steht; manchmal drücken mir Kinder kleine Geschenke wie einen Stift in die Hand, einmal hat eine Schülerin mir ein Bild gemalt, welches ich auf den Stapel „Irgendwann wenn Zeit ist mal in deiner Wohnung aufhängen“ gelegt habe.
Vorgestern hat ein Schüler nach dem Unterricht zu mir gesagt, dass ich „an excellent english teacher“ bin und wollte mit den paar Phrasen, die er konnte, ein Gespräch mit mir halten.
(Übrigens, seine Lieblingsfarben sind Grün und Schwarz; das Stundenthema waren Farben.)
Sogar nach meiner Handynummer wurde schon gefragt, wo sie im regulären Englischunterricht doch gerade die Zahlen von 0 – 9 gelernt haben und üben, wie man nach Telefonnummern fragt und sie gibt.

Andere der Schüler*innen sind echt kleine Quälgeister. In irgendeiner Klasse musste ich einem Schüler eine Gummihand abnehmen, weil er die ganze Zeit seine Mitschüler*innen damit abgelenkt hatte. (Warum hat man eine Gummihand mit in der Schule??)
Ein anderer Schüler ist vor der Stunde an meinem Handy (beziehungsweise im passwortgeschützen Lockscreen) gewesen, was auf dem Lehrendenpult lag, während ich die Powerpoint auf dem Smartboard aufgerufen hatte. Als der gesehen hat, dass ich ihn erwischt hatte, da ist er aber gerannt.

Aber trotzdem, die Lehrkräfte sind und bleiben Respektspersonen. Wenn wir durch die Flure der Schule laufen, dann werden wir meist von einigen Schüler*innen begrüßt. („Hello, teacher!“, „Good morning teacher!“, „Good afternoon, teacher!“)
Einige verbeugen sich auch vor uns. Sowohl im Unterricht, als auch auf dem Flur. Und sie freuen sich ungeheuerlich, wenn wir sie zurück grüßen. („Good morning, Clara!“)
Auch wenn es zugegebener Maßen öfter als angemessen vorkommt, dass Nini und ich uns danach ansehen und fragen, ob das jetzt ein*e Schüler*in von ihr oder von mir war. Aber in 3 Wochen hat man sich eben noch lange nicht alle 870 Namen gemerkt, die man im Unterricht hat.

In China gibt es übrigens den sogenannten Teachers Day. An unserer Schule hat jede Lehrkraft einen Blumenstrauß und einen Beutel voller Obst und Mooncakes (ein traditionelles Gebäck, welches man unter anderem zum Mid-Autumn-Day isst) geschenkt bekommen, überreicht von der Schulleitung.
Ich weiß gar nicht mehr wohin mit dem ganzen Obst, bisher habe ich in China mehr Granatäpfel gegessen, als in meinem gesamten Leben in Deutschland.

Aber so sehr ich das Unterrichten die meiste Zeit über tatsächlich genieße, natürlich bin auch ich jetzt froh, endlich in mein Wochenende starten zu dürfen. Zumindest wenn ich meinen Unterrichtsplan für die nächste Woche fertiggestellt habe.

Falls dieser Blogeintrag auf wundersame Weise den Weg ins Lehrendenzimmer meiner ehemaligen Schule findet, möchte ich an dieser Stelle alle Lehrkräfte grüßen, die mich in meiner Schullaufbahn im Unterricht hatten. Danke, danke, danke, dass ich Englisch lernen durfte!

Leave a Comment: