Jahresende und Reisen

Gutnait long yupela!

Ich bin gut ins neue Jahr gekommen und hoffe, Euch geht es genauso.

Logawengs Hauptplatz
Logawengs Hauptplatz

Am 1. Dezember war in Logaweng die graduation, welche wie ein Paukenschlag das Ende des Schuljahres verkündete. Es gab einen großen Gottesdienst, der zu meiner Überraschung nicht allzu lange dauerte und für viele der Anwesenden ein sehr emotionales Ereignis war. Die Studenten des dritten Jahres wurden in ihr einjähriges Vikariat entsandt und die Absolventen bekamen ihr Abschlusszeugnis. Das Seminary war gerappelt voll, denn viele Familienmitglieder waren angereist, um Zeug*innen dieser Veranstaltung zu sein.

Die Wichtigkeit der großen Tiere bei diesem Anlass habe ich wohl anfangs unterschätzt. Mindestens ein Schwein oder eine Kuh wird pro Familie gekauft und geschlachtet. Als Würdigung wird den Lehrer*innen und Angestellten Logawengs oft ein Teil abgegeben. Ich habe mich sehr gefreut, als mir anstatt des angedachten Schweinebeins eine Bananenstaude zugetragen wurde. Auch wenn mein Vegetarismus in Papua-Neuguinea (PNG) nicht immer auf viel Verständnis trifft, wird er doch von den meisten Personen respektiert.

Nach der graduation begannen die zweimonatigen Ferien im Seminary. Dezember und Januar sind in den meisten öffentlichen Institutionen PNGs Urlaubszeit. Anfang Dezember arbeitete ich noch in der Pikinini Laiberi (Kinderbibliothek). Die zuständige Betreuerin und ich reparierten und sortierten alle vorhandenen Bücher. Wir nahmen es uns auch heraus, die gender-spezifische Trennung der Bücher für ältere Kinder aufzuheben und die christlichen Bücher konsequent als solche zu markieren. Ich zumindest tue mich damit schwer, dass Bücher der Missouri Synod, die kreationistisches Gedankengut vermitteln, unter „Science“ stehen. Bücher, in denen sehr offensichtlich Rassismen reproduziert werden, haben wir als Brennmaterial/Klopapier umfunktioniert – eine kleine Genugtuung für mich.

Ein zweites Projekt, das ich in Zusammenarbeit mit Leuten vom Seminary verwirklichen konnte, ist mein Erdnussbeet.

Erdnüsse nach einem Monat
Erdnüsse nach einem Monat

Achtung – Bildungsauftrag – hier eine kleine Anleitung

Frische Erdnüsse kaufen, pulen und in Wasser zum Keimen bringen. Währenddessen ein geeignetes Stück Land umgraben, den Boden auflockern und Entwässerungsgräben ziehen. Zur Düngung und als Schutz gegen Insekten trockene Palmwedel auf dem Beet auslegen und verbrennen. Anschließend mit einem Stab in regelmäßigen Abständen kleine Löcher in den Boden machen und die Erdnusskeimlinge hineinfallenlassen. Ein bisschen Erde darüber, damit die Vögel sie nicht finden, et voilà: In drei Monaten sind die neuen Erdnüsse bereit zur Ernte – aber Unkraut jäten nicht vergessen!

Aus den zwei Tagen, an denen ich mit den Erdnüssen beschäftigt war, habe ich sehr viel mitgenommen. Sonst bin ich in PNG häufig genervt von dem, was sich für mich „ineffizient“ anfühlt. Während ich nun bei 35 °C in der Mittagssonne stand und mir langsam, aber sicher die Motivation dahinschmolz, waren meine Lehrer*innen unbeirrt dabei, einen Stein nach dem nächsten aus dem Boden zu holen. Auf Nachfrage wurde mir erklärt, dass auf sie noch das Maisbeet, der Süßkartoffelacker und das Reisfeld warteten. Schließlich sind die Bewohner*innen Logawengs jeden Tag im Garten, um sich selbst und ihre Familien zu versorgen. Ich hingegen dachte an das kalte Wasser, das in meinem Kühlschrank stand. Mir wurde deutlicher bewusst, warum Englischhausaufgaben hintenanstehen, wenn man Subsistenzwirtschaft betreibt, warum Studenten nicht zu meinem Unterricht erscheinen, weil sie Gliederschmerzen vom Schlachten einer Kuh haben.

Diese „Feld-Forschung“ ist beispielhaft für ein Thema, das mich in den vergangenen Wochen sehr beschäftigt hat: meine Sozialisation. Meistens schaffe ich es nicht, meiner imperialistischen Prägung zu entkommen. Dennoch versuche ich, mich in Personen aus PNG hineinzuversetzen: Was tun, wenn Kolonialmächte eine*n in ein global-kapitalistisches Wirtschaftssystem gezwungen haben bzw. es kontinuierlich tun? Was tun, wenn Missionar*innen bestimmt haben, welche Strukturen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Papua-Neuguinea (ELC-PNG) zugrunde liegen sollen? Ich denke, eine vom eurozentrischen Wissenschaftsverständnis geprägte Einrichtung wie z.B. ein Seminary lässt sich nicht ohne weiteres mit der Vielzahl indigener* Kulturen auf dem Gebiet des heutigen PNG vereinbaren. In Logaweng stelle ich immer wieder fest, dass es noch heute durch Gelder und Personalien aus Ländern des Globalen Nordens (mit-)bestimmt wird. Ich zähle selbstverständlich auch zu diesen Einflüssen.

Nachdem ich die beiden Projekte abgeschlossen hatte, begannen die Reisen, die ich geplant hatte. Zum Reisen selbst in PNG lässt sich sagen, dass durch betrunkene Autofahrer, verschwundene Skipper, bei nächtlichen Aufenthalten und Wanderungen, bei nicht vorhandenem Benzin und durch mein allgegenwärtiges Bestreben, nicht zu sterben, der Abenteuerfaktor stets hoch bleibt.

Zuerst bin ich mit einem Studenten über Lae und Goroka auf sein Dorf in den Eastern Highlands gefahren. Alsbald machte ich mich von dort auf, um über Goroka und Mount Hagen zur Freiwilligendienststelle meines Mitfreiwilligen Malte in den Southern Highlands zu fahren. Die Landschaft dort beeindruckte mich, denn das tropische Bergklima in 2500 Metern Höhe hat wunderschöne Nebelwälder hervorgebracht. Nur die nächtlichen Temperaturen um die fünf Grad, die meinem derzeitigen Empfinden nach den Gefrierpunkt überschritten, zerstörten die Insekten-freie Idylle für mich.

Malte und ich vor seinem Haus
Malte und ich vor seinem Haus

Leider hatte ich dort nur einen knappen Tag Zeit, um mich umzutun, dann fuhren Malte und ich nach Lae. Wir gabelten einen weiteren Freiwilligen auf und machten uns auf nach Logaweng. Dort trafen wir auf einen vierten Freiwilligen, um zu viert die Zeit um Weihnachten gemeinsam auf Tami (übersetzt: Fisch-Insel) bei Finschhafen zu verbringen.

Chris, Jonny, Malte und ich

Die Zeit auf Tami war sehr schön. Wir haben viel geschnorchelt und in der Sonne gelegen. Auch an Weihnachten selbst war Heimweh kein Thema, denn wir fühlten uns wie in einer anderen Welt. Ich weiß nicht, wie es auf der Insel ankam, dass wir jegliche Gottesdienste schwänzten, aber wir Freiwilligen waren uns einig, in den letzten Monaten genug Kirche gehabt zu haben.

Schnorcheln am inneren Riff

Ich hatte das Gefühl, dass uns als weißen Personen auf Tami eine andere Rolle zugeschrieben wurde, als ich es bisher in „ländlichen“ Kontexten in PNG erlebt habe. Oft nehme ich wahr, dass mir die Rolle eines „christlichen Vorbilds“ zugetragen wird. So werde ich beispielsweise immer wieder gefragt, ob ich denn nicht im nächsten Gottesdienst predigen wolle, was so gar nicht mein Bestreben ist. Ich denke, dieses Bild ist durch das Selbstverständnis und die Selbstdarstellung der Missionar*innen entstanden. Auf Tami legen allerdings von Zeit zu Zeit australische Yachten mit Tourist*innen an, die kein Tok Pisin können, Thunfisch jagen und Party machen, anstatt zu predigen. Ich kann mir also vorstellen, dass das Verhältnis der Inselbewohner*innen zu weißen Personen eher auf finanzieller Basis begründet ist. Wir zahlten verhältnismäßig hohe Preise für die Bootsfahrten, das Guesthouse und den Strom, damit war der Kontakt jedoch weitestgehend abgeschlossen. Für mich war das entlastend.

Zwei Nixen und eine australische Yacht
Eine der zwei Hauptinseln

Auf Tami leben mehr als 200 Menschen auf einer Fläche von weniger als einem Quadratkilometer. Da die ökologischen und ökonomischen Ressourcen sehr knapp sind, gibt es immer wieder Konflikte unter den Bewohner*innen. So stelle ich mir Amrum ohne jegliche Wirtschaftskraft vor. Platz für Gärten gibt es nur bedingt und Einnahmequellen sind die wenigen Tourist*innen oder Fischverkauf. Allerdings fehlt Equipment, um Fische gekühlt nach Lae zu transportieren. Außerdem geht die Insel aufgrund der Klimakrise langsam unter. Die Bewohner*innen wehren sich gegen den steigenden Meeresspiegel und die Bodenerosion, indem sie Mauern aus toten Korallen bauen. Das Thema Klimagerechtigkeit hat hier eine ganz andere Virulenz. Jede*r zero-waste-Blogger*in könnte sich auf Tami noch Inspiration holen, denn hier wird auch das letzte Gramm Plastik verwertet.

Nach dem Aufenthalt auf Tami fuhr ich über Lae ins Markham Valley, denn ich war auf einer Konfirmation in Chivasing eingeladen. Solche Anlässe bedeuten für mich, dass ich viele Hände zu schütteln habe und mich oft vorstelle. Einige Sachen werden sich wohl nie ändern, denn ich bin immer noch super darin, Namen zu hören und direkt im Anschluss zu vergessen. Das Wochenende war mit 36 Taufen und etwa 120 Konfirmationen ohnehin gut gefüllt. Ich nahm mir heraus, mich am Veranstaltungsort in die letzte Reihe zu setzen, damit ich den siebenstündigen Gottesdienst teilweise mit Lektüre auf meinem e-Reader und unauffällig konsumierten Podcast-Folgen begleiten konnte. Am Ende wurde vermutet, ich hätte in der Bibel gelesen.

Anschließend fuhr ich wieder einmal nach Goroka, wo mich etwas sehr Schönes erwartete: der Besuch meiner Schwester und meines Vaters. Zwei Wochen waren sie da. Zuerst waren wir in den Eastern Highlands und Jiwaka unterwegs, danach ging es hinunter an die Küste nach Lae und Logaweng. Das Programm war recht eng getaktet und entsprechend viele Eindrücke bekamen wir.

Wir drei in Asaroka

Ich bin sehr dankbar dafür, die Möglichkeit gehabt zu haben, mich mit ihnen auf diese Art und Weise auszutauschen. Es war schön, einen Ausschnitt dessen teilen zu können, was ich in den letzten Monaten gesehen und erlebt habe. Auch war es für mich eine Möglichkeit, einige Dinge aus anderen Augen mitzuverfolgen: mein Vater, der so beeindruckt von den Ananas und LKWs war, und meine Schwester, die mit ihrer Position als weißer Frau recht abgeklärt umging. Folglich fiel mir der Abschied am Flughafen nicht leicht.

Die nächsten Tage verbrachte ich zum „Runterkommen“ und Nachdenken in Lae und besuchte zwischendurch für eine Nacht die Synode der ELC-PNG in Boana. Es wurden der Bischof, sein Stellvertreter und der Sekretär wiedergewählt. Auf die etwa 1000 wahlberechtigten Delegierten kamen noch einige Tausend Besucher*innen. Das sind Menschen, die kleine Marktstände aufmachen, T-shirts verkaufen oder einfach herumlaufen. Ich denke, für viele, die sich den Preis für die Busfahrt nach Boana leisten konnten, war es deutlich attraktiver, eine Woche auf der Synode unterwegs zu sein als in ihrem Heimatdorf.

Solche Großveranstaltungen in PNG finde ich sehr interessant, ich habe aber schon auf der National Youth Conference die Erfahrung gemacht, dass sie mich sehr auslaugen. Als eine von einer Hand voll weißer Personen wird mir sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Mir fehlt mein Rückzugsraum.

Nach einigen weiteren Tagen in Lae, an denen ich viele Besorgungen erledigte, bin ich mittlerweile wieder gut in Logaweng angekommen. Hier trudeln allmählich die Studenten und Lehrer*innen samt Familien ein, denn nach „PNG taim“ beginnt bald das neue Schuljahr. In bin sehr dankbar für das Privileg, so viel reisen zu können. Im Austausch mit meinen Gastgeber*innen, Mitfreiwilligen und meiner Familie hatte ich auf diese Weise viele Gelegenheiten, andere Dinge in meinen Fokus zu rücken.

Die nächste Reise lässt nicht lange auf sich warten, denn Mitte Februar ist unser Zwischenseminar in Madang.

Lukim yu!

Cornelius

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