Lebendiger Unterricht

Wie versprochen, erzähle ich Euch nun von meinem ersten Schultag als „Assistent Teacher“ an der Francisco Infante Memorial High School. Es ist Montag, der 02. September. Um 05:30 Uhr klingelte mein Wecker, da wir um 7 Uhr in der Schule sein müssen und neben dem Frühstück auch eine Dusche an der Tagesordnung steht. Also torkelte ich, wie jeden Morgen, ins Badezimmer und drehte den Hahn auf – leider kam aber kein Wasser heraus. Also mussten wir am ersten Schultag auf eine Dusche verzichten. „Das fängt ja gut an“, dachte ich, zog mir die neue Uniform an und ging in die Küche, um zu frühstücken. Das Frühstück bestand aus kaltem Toast und einem nachgemachten Käse. Nachdem ich das erste Brot gegessen hatte, sah ich, dass das gesamte Toast schimmelig war. Perfekt, ich hatte also ein abgelaufenes Lebensmittel gegessen. Etwas angewidert war es dann vorbei mit der wohl wichtigsten Mahlzeit des Tages.

Nun warteten wir auf unseren Tricycle-Fahrer, der uns jeden Tag zur Schule bringen und abholen würde. Um 06:55 Uhr kamen wir bei der Schule an. Viel zu früh. Jeder einzelne Schüler begrüßte uns mit einem herzlichen „Good morning“ und einige erinnerten sich sogar noch an unsere Namen.

Ich ging mit meinem Lehrer in unsere Klasse. Es war eine 7. Klasse und alle starrten mich an. Einige lachten, einige versteckten sich und andere winkten mir zu. Ich sollte ganz hinten an einem Tisch sitzen und den Unterricht beobachten. Gerade hatte ich Platz genommen, wurde ich gebeten, mich einmal vorzustellen. Also ging ich nach vorne und gab einige Fakten über mein Leben preis. Nun sollte sich jeder Schüler einmal der Reihe nach mit Namen und dem Alter präsentieren. Das klappte nur leider nichtmal semi gut. Die Schüler sprangen einzeln auf, nuschelten ihren Namen innerhalb einer Sekunde mit 2 Dezibel vor sich hin, während die anderen die Person auslachten und ließen sich wieder auf den Stuhl fallen. Es sah aus, wie eine Laola-Welle. Nicht einen Namen konnte ich verstehen, geschweige denn, mir merken. Was ich aber mitbekommen hatte, war dass 99% der Klasse 12 Jahre alt sind. Einige wenige sind 13 und vielleicht auch 14, das konnte ich leider akustisch nicht ganz verstehen. Nachdem ich nun jeden Namen brav abgenickt hatte, durfte ich mich letztendlich wieder hinsetzen. Das Spektakel musste ich erstmal verarbeiten. Dafür war allerdings keine Zeit. Sir Jan kam auf mich zu und verkündete, dass ich schonmal meine Deutsch-Stunde für Freitag vorbereiten könne. Damit habe ich nun wirklich gar nicht gerechnet. Mir wurde davor immer aus Spaß gesagt, dass ich ja irgendwann mal einen Deutschkurs für Freiwillige geben könne. Aus Spaß wurde also Ernst und aus irgendwann nun schon in 4 Tagen. Ich blieb also auf meinem Stuhl am Ende des Raumes sitzen und schrieb Notizen in mein Heft. Allerdings handelte es sich hierbei nicht um meine unerwartete Deutsch-Stunde, sondern um die endlos vielen Dinge, die mir jetzt schon aufgefallen waren.

Beispielsweise ist es super laut in den Klassen während des Unterrichts. So eine Lautstärke hatten wir auf meiner Schule nichtmal in der Pause hinbekommen. Wenn der Lehrer eine Frage stellt, schreien alle die Antwort hinein. Die Mitarbeit ist wirklich bemerkenswert. Allerdings wird die Frage so gestellt, dass man die Antwort in der richtigen Reihenfolge aus dem Buch ablesen kann. Da frage ich mich: Ist es die gute Mitarbeit wert, wenn man dafür nicht mehr selbstständig denken muss? Ich sehe das als ziemlich kritisch an und finde nicht, dass dies effektiv ist.

Manchmal werden die Kinder auch aufgefordert, nur zu reden, wenn sie sich melden. Das klappt leider nicht wirklich. Sie reden miteinander über ihr Privatleben oder rufen die Antwort trotzdem in den Raum. Wenn dann jeder die Antwort weiß, wird die Hand in die Luft gestreckt, aufgesprungen und mit aller Kraft „Sir“ gerufen. Sehr lebendig dieser Unterricht.

Am Ende der Stunde wurde ein Test geschrieben. 5 Minuten hatte jeder nochmal Vorbereitungszeit. Diese wird unterschiedlich gut genutzt. Einige besitzen kein eigenes Buch und müssen dem Sitznachbarn über die Schulter schauen. Das gefällt nicht jedem Buchbesitzer. Andere haben es aufgegeben und unterhalten sich lieber mit den Mitschülern. Dies sind übrigens die Schüler, die sich am Ende am Lautesten darüber beschweren, dass die 5 Minuten doch viel zu kurz seien, klar. Wenn es dann darum geht, das „Quiz“, wie es hier liebevoll genannt wird, zu beginnen, dann rennen einige Schüler durch den Raum, um sich ein Blatt Papier zu borgen. Ob es sich hierbei um Vergesslichkeit oder zu wenig Geld für Papier handelt, weiß ich bislang nicht.

Nun wurden vom Lehrer Fragen gestellt und jeder Schüler musste sie leise für sich beantworten. Das war zumindest der Plan. Durchgehend wurde gequatscht, abgeschrieben und durch den Raum gelaufen. Außerdem fiel mir das erste Mal auf, dass jeder Stuhl+Tisch für Rechtshänder gemacht ist. Der Stuhl besteht aus Stahl, und hat auf der rechten Seite einen kleinen Tisch, sodass gerade mal ein kleiner Zettel und die Hand darauf Platz haben.

Am Ende musste ich die bereits korrigierten Tests in das Klassenheft eintragen. Ich war etwas erschrocken, über die teilweise so schlechten Noten. Schließlich wurde durchgehend geredet. Mit etwas Schwarmintelligenz hätte doch jeder Schüler die volle Punktzahl erreichen müssen. Trotzdem erzielten nur 2 Schülerinnen aus der ersten Reihe 15/15 richtige Antworten. Der Rest der Ergebnisse war leider etwas deprimierend. Vor allem, weil jeder Rechtschreibfehler bedeutet, dass es keinen Punkt gibt. Ist die Antwort also richtig, aber es steht ein „u“ statt „o“ geschrieben, so gibt es nichtmal einen halben Punkt. Mir tat es im Herzen weh, die Punktzahlen einzutragen. Die Schüler hörten schließlich die ganze Stunde dem Lehrer zu und schrieben höchstens freiwillig mit. Da nicht jeder ein Buch besitzt, hatten einige die Fachwörter also noch nie gelesen, sondern nur gehört. Da ist ein Rechtschreibfehler doch vorauszusehen.

Außerdem wählte der Lehrer willkürlich einige Schüler aus, die vor der Klasse singen mussten. Das ist nämlich für das Unterrichtsfach „MAPEH“ (Music, Arts, Physical Education, Health) von Bedeutung. Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich ich war, kein Schüler mehr zu sein und somit auch nicht singen zu müssen. Einige Schüler sträubten sich und somit wurde eine 0 in die Liste eingetragen. Das tat mir umso mehr Leid, denn ich hatte das Gefühl, dass sie sich schämten, da ich mit im Raum war. Auch ein aufmunterndes Lächeln meinerseits konnte da nicht viel helfen.

Die erste Schulstunde war vorbei und nun wechselten die Lehrer die Räume. Ich aber blieb bei meiner 7. Klasse. Diese Zeit nutzte ich, um den Raum genauer unter die Lupe zu nehmen: Erst einmal war der Raum nicht direkt geschlossen. Gitterstäbe an zwei Aussenwänden trugen dazu bei, dass eine frische Brise durch den Raum fegte (die Ventilatoren halfen dabei). Das bedeutet, von Außen kann jeder ins Klassenzimmer schauen. An den Wänden hängen selbstgemachte Bilder der Schüler und einige motivierende Sprüche, wie: „You don’t have to eat less, you have to eat right“, „be yourself“ und einige Grundlagen aus dem Unterricht. Auf dem Schulhof laufen einige Hühner und ein Hund frei herum. Manchmal sieht man auch den Truthahn vom Nachbarn herumstolzieren.

Als die nächste Stunde mit Sir Kurt begann, fiel mir auf, dass nun auf Tagalog (Filipino) unterrichtet wurde. Die Stunde davor war nahezu ausschließlich auf Englisch. Da ich also nichts verstand, machte ich mir schonmal Gedanken über die Deutsch-Stunde am Freitag. Nur zu blöd, dass mein Kugelschreiber leer ging. Gerade dann kamen mir natürlich einige Geistesblitze. Um diese nicht zu vergessen, ritzte ich sie mit der Miene des Kugelschreiber in mein Heft. Das sah zwar nicht sehr schön aus, aber es funktionierte.

Um 11:50 Uhr wurden wir von unserem Fahrer abgeholt und verbrachten unsere Mittagspause Zuhause. Nach etwas Reis und einigen ruhigen Minuten (die braucht man wirklich nach dem Geschreie in den Klassen) wurden wir um 13:25 Uhr zurück zur Schule gefahren. Eine richtige Aufgabe bekamen wir nicht, aber da es morgen Zeugnisse geben würde, durften wir diese falten und in einen Umschlag tun. Außerdem gab es für einige Schüler besondere Auszeichnungen für zum Beispiel eine permanente Anwesenheit. Dies durften wir auf dem Computer ausfüllen und ausschneiden. Den Rest des Tages quatschten wir mit einem der Lehrer, der hier für ungefähr alles zuständig ist.
Gegen 16:30 Uhr wurden wir dann wieder nach Hause gefahren, wo unsere Nanay schon sehnsüchtig in ihrem Laden auf uns wartete. Abends fiel ich müde vor lauter Eindrücke ins Bett und freute mich schon auf den nächsten Schultag.

Wie die Zeignisvergabe und unser Deutsch-Unterricht verlief, was die wohl kurioseste Frage an mich bisher war und welchen Fund ich in meinem Mittagessen machte, erfahrt ihr im nächsten Blog.
Für einige Bilder, weitere Informationen und Fragen könnt ihr mir auf Instagram folgen: madi.matures

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