Auf der jüdischen Spur in Tansania

Rabbi Yehuda Kalahani und Mitglieder der Gemeinde empfangen die Gruppe aus Mwika; alle bemühen sich, nach jüdischer Sitte irgendwie den Kopf zu bedecken (die Synagoge hat keine Kippot für Besucher)

„Eine jüdische Synagoge in Arusha? „fragte mich ein Freund, der schon seit Jahrzehnten dort wohnt. „Gibt es doch gar nicht“. Doch, es gibt sie, und im Januar wollten wir sie mit dem Kurs der Evangelisten aus Mwika besuchen. Sie zu finden war ein Stück Arbeit.

Bei meiner vorherigen Tätigkeit in Dar es Salaam gehörte auch die Lehre über Interreligiöse Beziehungen zu meinen Aufgaben. Ein Semester lang schipperte ich wöchentlich nach Sansibar und unterrichtete dort in ZANZIC, dem Zanzibar Interfaith Center, einer kleinen Hochschule der lutherischen Küstendiözese. Dort lernen christliche und muslimische Studenten gemeinsam über interkulturelle Beziehungen. Zum Thema „Interreligiöse Beziehungen“ gehört natürlich auch immer ein Grundkurs über die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Kirchen kennt man an einer lutherischen Hochschule, Moscheen sind in Tansania an jeder Ecke zu sehen (und zu hören), aber Synagogen sind für tansanische Studenten etwas, über das man aus Büchern und Medien erfährt. So machte ich mich im Internet auf die Suche nach einer Synagoge in Tansania. Ich stolperte über einen Blogeintrag, der eine Synagoge in Arusha erwähnte. Ich fand auch ein Interview mit dem Rabbi. Telefonnummern oder Emailadressen gab es nicht, aber einen Eintrag auf Google Maps mit der Bezeichnung „Shalem Al Shabazi Beit Knesset“. Also fuhr ich mit meiner Frau auf gut Glück an einem Freitag hin.

Ich war etwas nervös, denn in dem Interview hatte der Rabbi erzählt, dass er erst als Erwachsener erstmals vom Holocaust gehört hatte und deshalb so böse auf Deutsche war, dass er seinerzeit eine Einladung zu einem jüdischen Kongress in Stuttgart ausgeschlagen hatte. Auch sagte er, dass seine Gemeinde lange nur im Untergrund existierte, nachdem sie Anfang der Siebziger Jahre sehr hart von christlichen Missionaren bedrängt worden war und das Grundstück mit ihrer Synagoge im Rahmen der damaligen Verstaatlichungswelle verloren ging. Würde er überhaupt mit einem deutschen Pastor reden wollen, auf dessen Arbeitsgenehmigung „missionary“ steht?

Studentinnen aus Mwika in der Frauenetage der Synagoge schreiben fleißig mit.

Wir fanden den Ort, ein Grundstück unter vielen Einzelhäusern in einem Vorort Arushas. Im Gitter des Tores war eine Menorah, der siebenarmige Leuchter, eingearbeitet. Ein junger Mann mit Kippah kam zum Tor und bestätigte, ja der Rabbi sei zuhause, wir sollen reinkommen. Er ließ uns im Wohnzimmer Platz nehmen und sagte, wir sollen warten. Der Rabbi sei gerade in der Mikveh, dem rituellen Bad, um sich auf den Sabbatgottesdienst vorzubereiten, der am Freitagabend gefeiert wird. 

Als er kam, begrüßte er uns und wir stellten uns vor mit der Erläuterung, er möge keinen Schreck bekommen, wir seien lutherische Pastoren, und Deutsche. Er lächelte freundlich und meinte, nein, er hätte heutzutage kein Problem mehr mit Lutheranern und Katholiken. Dann erzählte er seine Geschichte. Yehudah Amir Kalahani stammt aus einer jemenitisch-jüdischen Familie, die seit über 150 Jahren im heutigen Tansania ansässig ist. Seine Vorfahren handelten mit Antilopenhörnern, die unter Juden im Nahen Osten als Schofarhorn begehrt waren – das Horn, das gemäß der Torah an bestimmten Feiertagen geblasen wird und auch die Mauern von Jericho zum Einsturz brachte. Nach Stationen auf Sansibar und Tanga ließen sie sich in Arusha nieder. Sie folgten ihrer jemenitisch-jüdischen Tradition, die meisten von ihnen gehören zur Gemeinschaft der“Baladi“, daneben gibt es eine kleinere Gruppe von „Shami“.  Als nach 1967 alle vermieteten Häuser, Wohnungen und viele private landwirtschaftliche Flächen in Tansania beschlagnahmt und verstaatlicht wurden, verloren die Mitglieder der Gemeinde ihr Synagogengebäude. Weitere Schwierigkeiten machte der Gemeinde eine „christlich-missionarische Gruppe“, die die Juden von Arusha als ihr Ziel auserkor. Rabbi Jehudas Vater fungierte als Führer der Restgemeinde. Die verbliebenen Juden passten sich äußerlich den Muslimen an, um nicht aufzufallen. Einzelne Familien befolgten weiter die Sabbat- und Speisegebote in ihren Häusern, feierten mit den Kindern privat die Bar-Mitzvah, aber das eigentliche Gemeindeleben kam fast zum Erliegen. Die Juden zogen sich zurück, und beschränkten ihre religiösen Kontakte auf einige äthiopische jüdische Familien, die inkognito in der Gegend lebten. So gab es auch eine Reihe von Eheschließungen, denn bei der geringen Zahl war es nicht einfach, eine jüdische Braut in Tansania zu finden.

Yehuda Kalahani durchlief das tansanische Schulsystem und studierte anschließend Jura. Er praktiziert als Rechtsanwalt in Arusha und unterrichtet als Dozent an Hochschulen. Der Vater legte ihm vor seinem Tod im Jahr 2010 ans Herz, die jüdische Gemeinde am Leben zu halten. Daraufhin begann er mit Thora- und Talmudstudien, fuhr nach Israel, besuchte ein jüdisches Seminar und studiert täglich online mit einem Rabbi in den USA.

Rabbi Kalahani erklärt den Beschneidungsstuhl.

2016 änderte sich die Situation der Juden in Arusha. Der damals neugewählte Präsident Magufuli beschloss, erstmals eine tansanische Botschaft in Israel zu eröffnen. Das Präsidialamt wendete sich an Rabbi Kalahari und überbrachte eine Botschaft des Präsidenten Magufuli, der von der Existenz der Gemeinde gehört habe und ihnen versichern wolle, dass sie unter dem Schutz der Regierung stünden. Wenn sie Probleme mit Behörden hätten, sollten sie sich direkt bei ihm melden.

Kalahani baute auf seinem Grundstück in einem Vorort Arushas eine kleine Synagoge mit zwei Räumen und einem Baderaum für die rituelle Reinigung, die „Mikveh“. Im größeren Raum versammeln sich die Familien der „Baladi“-Tradition. Sie sitzen nach ihrer Väter Sitte auf dem Fussboden; der kleinere Raum ist für die „Shami“, die beim Gottesdienst auf Stühlen sitzen. Außen am Gebäude ist eine Plakette angebracht, die von der Botschaft des Präsidenten Magufuli berichtet. Seit drei Jahren gibt es auch wieder eine Thorarolle – die alte ging in der Zeit nach 1967 verloren. Eine jüdische Gemeinde in Kanada schenkte sie der Gemeinde und brachte sie nach Arusha, wo sie mit einem Fest entgegengenommen wurde. 

Als ich neulich eine Einladung zum tansanischen Regionaltreffen der  „JCM-Konferenz“ bekam, fragte ich den Rabbi, ob ihn das interessieren würde. JCM steht für Juden, Christen und Muslime und ist eine jährliche Konferenz, die seit 1972 europäische Mitglieder der drei Glaubensgemeinschaften zusammenführt. Seit einigen Jahren wird sie von der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal unterstützt, die auch aus ihren tansanischen evangelischen Partnerdiözesen Teilnehmer*innen eingeladen hat. In Tansania gibt es ein Paralleltreffen mit christlichen und muslimischen Teilnehmenden, das die Vorträge in Deutschland digital mitverfolgt und eigene Diskussionsrunden und Vorträge für die tansanischen Teilnehmer*innen anbietet. Jüdische Teilnehmende waren in Tansania bisher noch nie dabei. Ja, meinte der Rabbi, das sei wirklich interessant, er hätte große Lust,  bekommt es im Februar aber terminlich nicht hin und müsse sich erst mit seiner Gemeinde beraten, ob man auf diese Weise in die Öffentlichkeit wolle.

Inzwischen besuchten wir die Synagoge ein weiteres Mal mit unseren Student*innen, mit großem Erfolg, wie die Bilder zeigen.

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Pastor Ingo Koll, Senior Expert an die Bibelschule in Mwika