Aufarbeitung der Geschichte bringt neue Bekanntschaft

Bao Enlian mit Felix Paulsen (Archiv Breklum)

Frau Bao Enlian ist 89 Jahre alt und lebt in Hongkong. Aufgewachsen ist sie allerdings in der südchinesischen Hafenstadt Beihai, nahe der Grenze zu Vietnam. Als sind noch sehr klein war, starb ihre Mutter und sie wurde vom deutschen Missionarsehepaar Felix und Claire Paulsen aufgenommen und adoptiert, zusammen mit einer Reihe anderer Mädchen. Einem historischen Text aus unserem Missionsarchiv, den wir mit Hilfe eines chinesischen Praktikanten ins Chinesische übersetzt haben und digital unseren Partnern in Südchina und Hongkong zur Verfügung stellten, fügten wir noch alte Fotos hinzu.

Bao Enlian heute (Foto: privat)

Wir hatten nicht damit gerechnet, über das Teilen der historischen Materialien auf Zeitzeugen zu treffen. Tatsächlich ist auf einem der Bilder ein Mitglied der Philipphaus Gemeinde in Hongkong zu sehen, mit der wir in freundschaftlichem Austausch stehen. Frau Bao hat sich selbst im Alter von etwa vier Jahren wiedererkannt. Sie erinnert sich an Papa Paulsen und weiß auch die Namen aller ihrer Schwestern, wer gestorben ist und wer noch lebt und hilft uns gerne dabei, Personen auf anderen Fotos zu identifizieren, Zusammenhänge, Daten und Orte in unserem Material ein wenig besser einzuordnen. Der Name Bao entspricht der vom Missionarsehepaar verwendeten Transkription von Paulsen, der Vorname Enlian bedeutet „Geliebt“.

Aus Kiel und Breklum wurden zwischen 1900 und 1945 etwa ein Dutzend deutsche Missionare in die Stadt Beihai entsandt. Ihre Tätigkeit bestand vor allem in der Einrichtung von Schulen, dem Aufbau von Gemeinden, der Ausbildung von chinesischen Evangelist*innen und einfacher medizinischer Versorgung. Die deutlich niedrigere soziale Stellung von Frauen fiel dabei besonders ins Auge. Es kam immer wieder vor, dass weibliche Babys anonym am Straßenrand abgelegt wurden, einem ungewissen Schicksal ausgesetzt. Die ersten Mädchenschulen, sowie kostenlose Geburtshilfe für Frauen aus armen Verhältnissen, gehörten zu den Angeboten der Breklumer Mission.

Die Gebäude der deutschen Missionszeit gehören heute in Beihai zum kulturellen Erbe und stehen unter Denkmalschutz. In der Fußgängerzone von Beihai weist eine Bronzeskulptur vor der Kirche besonders auf sie hin. Nachdem Jahrzehntelang das historische Gedächtnis an jeden Einfluss des Auslands und insbesondere an den christlicher Missionsgesellschaften ruhte oder sogar bewusst ausgelöscht wurde, sind in der jüngeren Vergangenheit Studien und Publikationen erschienen. Wir wurden bei einem Besuch vor Ort 2019 gezielt nach Unterlagen und Material gefragt. Aus dieser Anfrage ist nun ein Projekt entstanden, in dem wir miteinander im lebendigen Gespräch und Austausch sind, dankbar für die technischen Möglichkeiten im Zeitalter von Video-Konferenzen und Datentransfer.