Betrachtung zur Islamkonferenz

Es erscheint wie eine wunderbare Wandlung: 2016 hatte Innenminister Seehofer noch betont, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. 2018 hatte er Migration als die Mutter aller politischen Probleme bezeichnet. 2020 spricht er nun davon, dass Muslime die demokratische Gesellschaft durch ihr Tun und Streben nach Teilhabe mit eigenen Beiträgen bereichern.
Um diese Entwicklung zu befördern, unterstützen der Bund und das Land Niedersachsen den Aufbau des Islamkollegs Deutschland (IKD) e.V. Das Kolleg soll eine Imamausbildung in deutscher Sprache in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für islamische Theologie der Universität Osnabrück aufbauen. Ziel ist es, einen Islam in, aus und für Deutschland zu befördern. Auf diese Weise soll die Verwurzelung von Muslimen in Deutschland verstärkt und vertieft werden.

Die staatliche Finanzierung des Projekts wird durch die erhoffte präventive Funktion gegen Extremismus begründet. Die Initiator*innen des Projekts hoffen, dass die Ausbildung für Studierende der Islamwissenschaft attraktiv ist, weil sie eine konkrete Berufsperspektive eröffnet. Praktische Ausbildungen für in Deutschland tätige Imame ähnlich des Vikariates der evangelischen Kirche fand entweder mindestens zum Teil auf Türkisch, Arabisch oder Persisch statt oder gleich ganz im Ausland. Der sunnitisch-mystisch geprägte „Verband der islamischen Kulturzentren“ (VIKZ) hat als erster schon in den 1980er Jahren damit begonnen, Imame in Deutschland auszubilden. Seit 1996 bietet die persisch-schiitische „Islamische Akademie Hamburg“ ein theologisches Studium an, das gleichzeitig berufsbezogene, praktische Fähigkeiten vermittelt. Der bundesweit größte Islam-Verband, die „Türkisch-Islamische Union“ (DITIB), hat 2020 als Alternative zur Entsendung von Imamen aus der Türkei ebenfalls ein praktisches Ausbildungszentrum in Deutschland gegründet. Das neue Islamkolleg in Osnabrück wird vom „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD), der „Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken“ und dem „Zentralrat der Marokkaner“ unterstützt. Kritik an dem neuen Projekt kommt von mehreren Seiten. Zu erwarten war der Einwand sog. Islamkritiker*innen, dass sie nicht ausreichend in der Planung der Inhalte einbezogen worden seien. Substantieller ist die rechtliche Anfrage, ob die praktische Ausbildung von Imamen überhaupt eine staatliche Aufgabe sei. Verstößt eine staatlich geförderte Imam-Ausbildung nicht gegen das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot in Religionsangelegenheiten?

Dr. Sönke Lorberg-Fehring

Der „Liberal-islamische Bund“ (LIB) bezeichnet das Ausbildungsprogramm zwar als vielversprechend und angebracht. Im Hinblick auf die Frage der Geschlechtergerechtigkeit sieht er allerdings deutlichen Nachbesserungsbedarf. Der LIB kritisiert, dass die zentrale Aufgabe von Imam, das Vorbeten von Koranversen im Gottesdienst, rein männlich gedacht wird. Während in Seelsorge und Gemeindebetreuung Männer und Frauen ausgebildet werden sollen, scheint die gottesdienstlich-liturgische Funktion Männern vorbehalten zu sein. Hier wird ein Punkt angesprochen, der auch in der weltweiten christlichen Ökumene zunehmend umstritten ist. Allerdings wird die auch nicht – anders als das zukünftige Islamkolleg – mit öffentlichen Mitteln finanziert.
Die Initiator*innen des Osnabrücker Projekts betonen, dass sich die praktische Ausbildung auf die Lebenswirklichkeit der Muslim*innen in Deutschland insgesamt und auf den Kontext der Moscheegemeinden im Besonderen beziehen. Dieser Kontext ist aber aufgrund der inneren Diversität der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland ausgesprochen divers. Das erklärt wahrscheinlich auch die unterschiedliche Kritik an dem Projekt.

Moderne Milieustudien zeigen, wie schwierig es ist, verschiedene Ansprüche und Prägungen in religiösen Verbindungen miteinander in Ausgleich zu bringen. In dieser Hinsicht funktionieren Moscheevereine und Kirchengemeinden ganz ähnlich. Es ist eine große Herausforderung, praktisch-theologische Ausbildung so zu konzipieren, dass sie sich nicht zu stark an einem bildungsbürgerlichen Milieu orientieren. Die Schwierigkeit des Osnabrücker Projekts wird darin liegen, auf den konkreten Bedarf der muslimischen Community hin auszubilden. Sonst wären die Absolvent*innen des neuen Islamkollegs gezwungen, erst solche Gemeinden zu gründen, in denen sie erwartet werden.