Bis hierher hat mich Gott gebracht – Shanghai im Lockdown

PCR-Testungen, Shanghai, April 2022 Fotos: Andreas Tank

Shanghai – eine Stadt mit 26 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern – ist seit Ende März im kompletten Lockdown und nur langsam treten erste Lockerungen in Kraft. In Beijing wächst dagegen die Sorge, auch durch ansteigende Infektionszahlen zu verschärften Maßnahmen gezwungen zu werden. Die Pekinger Erziehungskommission hat seit dem 29. April den Wechsel aller Schulen in den Online-Unterricht angeordnet. Das betrifft auch die deutsche Botschaftsschule und den Kindergarten, der bis auf Weiteres geschlossen bleibt. Annette Mehlhorn, Pfarrerin der deutschsprachigen Gemeinde in Shanghai, ist seit sechs Wochen in ihrer Wohnung eingesperrt. Sie beschreibt die Mega-Metropole als eine Geisterstadt. Bei ihr begann der Lockdown bereits am 16. März, weil es einen positiven Fall im Nachbarhaus gegeben hatte. Und wer positiv getestet wird, muss in eine der schrecklichen Massenunterkünfte. Frau Gu vom nationalen chinesischen Christenrat, mit Sitz in Shanghai, berichtete am 31. März bei einem Telefongespräch von ersten Engpässen in der Versorgung mit Obst und Gemüse, auch weil Lastwagen nicht mehr in die Stadt gelassen werden. Zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie habe sie Angst. Nur für den täglichen Test dürfe sie nach unten gehen und eingereiht in die Nachbarschaft mit jeweils 1,50 m Abstand auf die Untersuchung warten. Lebensmittel werden im Hof zugeteilt, schon für jeden Haushalt in Plastiktüten abgepackt. Mineralwasser kann nicht mehr verteilt werden. Das Leitungswasser wird stattdessen nach Möglichkeit gefiltert und abgekocht.

Leere Supermarktregale, Shanghai
Proteste vom Balkon, Shanghai, Lockdown

Die Ordnungskräfte setzten Drohnen ein, um Menschen zur Ruhe und Kooperation aufzufordern, die an offenen Fenstern und auf Balkonen ihrem Unmut Luft machten; aber auch die Lieferung von Medikamenten in höhere Stockwerke wurde teilweise von Drohnen übernommen. „Seit drei Wochen feiern wir Gottesdienste nur noch online“, schreibt Pastorin Mehlhorn am 6. April. „Anders als 2020, als wir immerhin noch zu mehreren aus einem gemeinsamen Raum senden konnten nun wirklich nur noch an unterschiedlichen Endgeräten. Am vorletzten Sonntag haben wir auf diese Weise sogar unseren jährlichen ökumenischen Jugendgottesdienst mit 23 Jugendlichen gefeiert. Zu dieser Zeit war es für einige andere noch möglich, sich in kleinen Gruppen zu versammeln, darum haben wir den Gottesdienst bei einem hybrid durchgeführten Projekttag vorbereitet. Die Konzentration, Gefasstheit und Tiefe der Jugendlichen und ihrer Beiträge zum Thema „Vom Glauben singen“ war sehr beeindruckend. Unter anderem haben wir uns mit der im 30jährigen Krieg geborenen Aemilie von Schwarzenberg-Rudolstadt und deren Lied „Bis hierher hat mich Gott gebracht“ beschäftigt. Ich hatte vorher befürchtet, dass dieser „alte Stoff“ für die Jugendlichen langweilig werden könnte, doch sie  haben auf bemerkenswerte Weise Verbindungslinien zu unserer Zeit gezogen.“

Isabel Friemann, Referentin für Ostasien