Der Krieg und unsere Partner*innen in Osteuropa

Die Mehrheit der Ukrainer*innen sucht Zuflucht zunächst in Nachbarländern. Um wirkungsvoll helfen zu können, stehen auch Menschen in diesen Ländern vor großen Herausforderungen. Im Logistikzentrum im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet nahe Korczowa werden die Ankommenden mit dem Nötigsten versorgt, bevor es weitergeht. Foto: epd-bild / Frank Schultze / Zeitenspiegel 

Die Nordkirche hat zwar keine direkten partnerschaftlichen Beziehungen in die Ukraine, aber zu vielen Nachbarländern, die die Auswirkungen des Krieges unmittelbar zu spüren bekommen.

So hat Polen bislang bereits mehr als 2,2 Millionen Geflüchtete aufgenommen. Alle Gemeinden in den Diözesen Pomorsko-Wielkopolska und Wrocławska der Evangelisch-Augsburgischen Kirche, mit denen die Nordkirche partnerschaftlich verbunden ist, sind auf die eine oder andere Weise in der Begleitung von Geflüchteten aus der Ukraine engagiert. Die Gemeinden tun dies fast immer in guter Zusammenarbeit mit der Kommune und mit anderen Kirchen. Hier einige Beispiele: In der Stadt Koszalin (Köslin) sind bisher 5.000 bis 5.500 Geflüchtete angekommen. 500 sind in vier Gemeinschaftsquartieren untergebracht, alle anderen privat. Allein Izabela Główa-Sokołowska, Mitarbeiterin der Diakonie der lutherischen Gemeinde, hat bereits 49 Familien in private Unterkünfte vermittelt. Die Gemeinde arbeitet bereits seit 2018 mit Migrant*innen aus der Ukraine, sie haben einen Infopoint und bieten Sprachkurse an. In der kommenden Woche verteilen sie einhundert Rücksäcke mit Schulmaterialien an ukrainische Schulkinder. Der Pastor der Gemeinde Wrocław (Breslau) fährt selbst zur Grenze, um Flüchtlinge abzuholen und nach Wrocław zu bringen. In Słupsk (Stolp) engagiert sich die lutherische Gemeinde vor allem für Kleinkinder und Säuglinge aus der Ukraine. In der Nähe gibt es zwei evakuierte Kinderheime, eins mit 150 Kleinkindern, ein anderes mit 60 Kindern im Alter von drei bis 15 Jahren, die mit vier Betreuerinnen nach Polen gekommen sind. Die Gemeinde bereitet zusammen mit den Johannitern und zwei Schulen Taschen mit Notwendigem für Mütter und Kleinkinder im ersten Lebensjahr vor. Zudem lädt sie zweimal wöchentlich zum Friedensgebet ein, denn „es muss auch Raum für das Geistliche sein“, wie Pastor Wojciech Froehlich betont. Die Diakonie der gesamten Evangelisch-Augsburgischen Kirche ist unermüdlich dabei, Hilfe zu koordinieren, die aus Deutschland vor allem zentral über die Diakonie Katastrophenhilfe gefördert wird.

Rumänien hat bis zum 24. März bereits 572.754 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. Dort ist die Nordkirche partnerschaftlich mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien verbunden. Außerdem hat sie über das Diakonische Werk Hamburg Kontakte mit den Organisationen AidRom und der rumänischen Flüchtlingsinitiative LOGS – Grup de Inițiative Sociale in Timisoara. LOGS engagiert sich seit bereits seit eineinhalb Jahren für Geflüchtete, die vor allem aus dem Irak, Syrien, Afghanistan und Algerien gekommen sind. Nun koordiniert LOGS in Kooperation mit der Stadt die Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten. Wie das konkret vor Ort aussieht, schildert LOGS in einem kurzen Video: https://www.facebook.com/LOGSGrupDeInitiativeSociale/videos/991497321804691.

Die baltischen Länder haben bislang überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufgenommen

Gemessen an der Anzahl ihrer Einwohner*innen haben die baltischen Länder bisher überdurchschnittlich viele Geflüchtete aufgenommen. Urmas Viilma, Erzbischof der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und Vizepräsident des Lutherischen Weltbundes (LWB) erklärte am 15. März 2022 in einem Interview, dass allein bis zum 9. März bereits 10.000 Geflüchtete nach Estland gekommen seien. Dort haben lutherische Gemeinden 500 Geflüchteten ihre Gastfreundschaft angeboten. Erzbischof Viilma wie auch der lettische Erzbischof Jānis Vanags und der litauische Bischof Mindaugas Sabutis betonen, dass in allen baltischen Republiken die Anzahl russischer und russischsprachiger Bürger*innen groß sei. Von ihnen würden aktuellen Umfragen zufolge in den östlichen Teilen nahe der russischen Grenze mehr als 30 Prozent den Krieg gegen die Ukraine unterstützen. In dieser Situation sei es Aufgabe der Kirche, eine „ausgleichende Kraft in einer komplizierten Situation sein“, so Erzbischof Urmas Viilma. „Auf der einen Seite müssen wir Putins Aktionen und die Gewalt gegen das ukrainische Volk verurteilen, aber auf der anderen Seite sicherstellen, dass es gegenüber den russischsprachigen Menschen in unseren Gesellschaften keine Feindseligkeiten gibt.“ (s. https://de.lutheranworld.org/de/content/estnischer-erzbischof-wir-mussen-friedensuchende-sein-21?ct=t(EMAIL_CAMPAIGN_COPY_01).

Die Lutherkirche in Riga hat mit Pastor Linards Rozentals eine Initiative begonnen, die einlädt, um 12 Uhr für die Ukraine beten und die Kirchenglocken zu läuten. Die Gemeinden der Lettischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und die Theologische Fakultät in Riga sind bereits beteiligt. Der Pastor wünscht sich eine Gebetswelle durch alle Zeitzonen. In Litauen hat die kleine lutherische Kirche bereits 44 Flüchtlinge in vier Diakoniezentren aufgenommen. Dabei soll das Diakoniezentrum in Smalininkai auf Grund seiner Barrierefreiheit als Auffangzentrum für Geflüchtete mit Behinderungen in der Region dienen. Insgesamt waren bis zum 14. März 12.000 Geflüchtete nach Litauen gekommen.

Auch in Russland hat die Nordkirche Partner. Dazu gehört die Propstei Kaliningrad und in St. Petersburg sowohl die lutherische Propstei als auch die russisch-orthodoxe Metropolie St. Petersburg. Nach wie vor gibt es von Patriarch Kyrill keine klare Ablehnung des Krieges, vielmehr hat er in seiner Sonntagspredigt kurz nach Kriegsbeginn die Gegner Russlands als „Kräfte des Bösen“ bezeichnet. Dafür wenden sich viele russisch-orthodoxe Geistliche entschieden gegen den Krieg. Der Aufruf von Kirchenvertretern der Russisch-Orthodoxen Kirche zur Versöhnung und Beendigung des Kriegs im Internet wurde bisher von 290 russisch-orthodoxen Priestern und Diakonen unterschrieben.

Erzbischof Dietrich Brauer von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland schrieb bereits am 22. Februar 2022 in einem Brief an Bischöfin Bosse-Huber: „Denn mit Waffen ist nichts zu erreichen: weder nachhaltiger Frieden noch echte Gerechtigkeit für alle.“ In einer von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) initiierten Videokonferenz sagte er wenige Tage nach Kriegsbeginn: „Heute habe ich keine Worte und keine Rechtfertigung für das, was mein Land tut.“ Er sprach von Scham und Schande – und war sich zugleich sehr bewusst, dass solche klaren Worte in Russland nicht willkommen sind und auch Konsequenzen haben können. Als er sich dann auch in einer Predigt gegen den Krieg aussprach, hat er aus Sicherheitsgründen das Land verlassen. Derzeit befinden sich viele Pastor*innen seiner Kirche in Russland auf einer Gratwanderung zwischen Anpassung und Kritik.

Am Weltfrauentag riefen russische Frauen #FeministAntiWarResistance zum Protest gegen den Kireg auf

Darüber hinaus hatten anlässlich des Weltfrauentages am 8. März hatten russische Frauen unter #FeministAntiWarResistance zu einer Protestaktion aufgerufen: „Wir, die Frauen Russlands, weigern uns in diesem Jahr, den 8. März zu feiern: Schenken Sie uns keine Blumen, gehen Sie lieber hinaus und legen Sie sie zum Gedenken an die toten Zivilisten der Ukraine (etwa 300 Tote, darunter auch Kinder) nieder, gegen die unser Land aggressive Militäraktionen entfesselt hat. Oder legen Sie die bereits geschenkten Blumen an den Denkmälern für die Gefallenen nieder: Blumen sind besser als Kugeln …“ In einem offenen Brief an Präsident Putin rufen zudem viele Nichtregierungsorganisationen in Russland zum Protest „gegen die Kriegshandlungen auf, die unser Land in der Ukraine führt“. (Das russische Original hat bereits 584 Unterschriften). Der Leiter der russischen Organisation Nachtasyl, Partner des Diakonischen Werkes in Hamburg, hat den Aufruf ebenfalls unterzeichnet und sich auch auf Facebook gegen den Krieg ausgesprochen. Nach der neuen Gesetzgebung kann das mit Gefängnis von bis zu 15 Jahren geahndet werden und auch zu einem Verbot der Organisation führen. Um die Arbeit von Nachtasyl nicht zu gefährden, hat er die Leitung von Nachtasyl nun an einen Kollegen übergeben.

Grundsätzlich bleibt es auch in Zukunft wichtig, gegenüber der russischen Bevölkerung keine Feindbilder aufzubauen und einen differenzierten Blick zu haben. Denn auch in Russland gibt es zahlreiche Menschen, die gegen den Krieg sind, die wie wir für den Frieden in der Ukraine, in Europa und in allen Ländern der Welt beten. Nur dass dies dort mit einem sehr hohen persönlichen Risiko verbunden ist.

Christa Hunzinger, Europareferentin im Zentrum für Mission und Ökumene