Dokumentation zur interreligiösen Seelsorge

Muslimische Seelsorge ist gegenwärtig ein wichtiges Thema der Seelsorge-Community in Deutschland und Europa. Es steht seit langem auf der Agenda der Deutschen Islam Konferenz. Zur Zeit entstehen in der muslimischen Theologie unterschiedliche Konzepte, wie eine solche Seelsorge aussehen kann. Auf christlicher Seite wird zeitgleich rege über Möglichkeiten und Sinnhaftigkeit einer interreligiösen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet diskutiert. Ein wichtiger Aspekt ist die Frage nach der Seelsorgeausbildung: Sollten christliche Seelsorger*innen muslimischen Kolleg*innen Wissenstransfer anbieten? Braucht es gemeinsame Ausbildungskurse? Welchen Stellenwert sollen die etablierten Standards christlicher Seelsorge haben? Diese und viele weitere Fragen gilt es zu bedenken. Der Beauftragte für Christlich-Islamischen Dialog, Dr. Sönke Lorberg-Fehring, hat nun eine Dokumentation der thematischen Fachtagung vom 31. Mai bis 1. Juni 2021 herausgegeben, die wichtige Stationen auf dem Weg zu einer interreligiösen Seelsorgeausbildung abbildet.

Foto: Christoph Schütz, pixabay

Seelsorge ist lernbar

Christliche Seelsorge hat eine lange Tradition in christlichen Kirchen und christlich geprägten Gesellschaften. Seit den 1960ern ist im Zuge der sog. „Seelsorgebewegung“ der Grundsatz etabliert worden, dass Seelsorge lehr- und lernbar ist. Das Resultat war die Entwicklung einer pastoralpsychologischen Seelsorgeausbildung, in der professionelle und ehramtliche Seelsorger*innen nach wissenschaftlich-fundierten Maßstäben verschiedene Ausbildungsformen durchlaufen können. Eine wichtige Errungenschaft in diesem Zusammenhang war die Erarbeitung und Etablierung von Ausbildungsstandards. Sie konnten gewährleisten, dass (ausgebildeten) Seelsorger*innen eine fundierte, evaluierte und zertifizierte Qualifikation zum Ausüben professioneller bzw. ehrenamtlicher Seelsorge absolviert haben. Während christliche Seelsorge(-ausbildung) hauptsächlich durch Hauptamtliche angeboten wurde und wird, entstehen im muslimischen Kontext entsprechende Strukturen erst allmählich. Die Gründe dafür sind vielfältig. Von zentraler Bedeutung sind so grundsätzliche Fragen wie die nach dem theologischen Selbstverständnis und der institutionellen Verankerung muslimischer Seelsorge. 

Unterstützung Leidender als ethisches Gebot in Christentum und Islam

Neben der interreligiösen Bedeutung kommt Aufbau und Etablierung einer muslimischen bzw. einer interreligiösen Seelsorge auch eine wichtige gesellschaftlich-friedenspolitische Dimension zu. Die Unterstützung körperlich und seelisch leidender Menschen ist ein wichtiges ethisches Gebot in Christentum und Islam. Hilfsbedürftige Menschen in Krisensituationen können durch seelsorgliche Hilfe die Vergewisserung erleben, nicht vergessen zu sein, Würde zu haben und in ihrer Bedürftigkeit gesehen zu werden. Mit Hilfe seelsorglicher Unterstützung können sie – vor allem im Krankenhaus – von Behandelten wieder zu Handelnden werden. Es ist ein wichtiger Grundsatz moderner christlicher Seelsorge, dass diese Kompetenzen nicht allein auf Menschen aus dem eigenen religiösen Umfeld begrenzt sind, sondern allen Menschen in Krisensituationen zu Gute kommen können und sollen. Die Ausbildung muslimischer und christlicher Seelsorger*innen könnte ein wichtiger gesellschaftspolitischer Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen Übernahme von Verantwortung für das gemeinsame Wohlergehen der in Deutschland lebenden Menschen sein. Um seelsorgliche Hilfe verantwortungsvoll, fundiert, supervidiert und nachhaltig anbieten zu können, braucht es weiterhin die Diskussion darüber, welche Standards gelten und wie diese erarbeitet werden sollen.

Dokumentation erwerben:

epd Dokumentation 43/21 – Standards in den Seelsorgeausbildungen: christlich, muslimisch, interreligiös – Positionen, Grenzen, Herausforderungen (Gemeinsame Tagung des Zentrums für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, der Missionsakademie an der Universität Hamburg und der Schura – Rat der muslimischen Gemeinschaften in Hamburg e.V., Hamburg, 31. Mai bis 1. Juni 2021) 52 Seiten, € 5,30 Bestellung: https://www.epd.de/fachdienst/dokumentation/ausgaben_2021