Drache und Taube – Ein chinesisches Tagebuch 2007–2010


Warum man dieses Buch lesen sollte

China ist dafür bekannt, sich in atemberaubendem Tempo zu verändern, riesige Bauprojekte werden quasi über Nach realisiert. Seit Deng Xiaoping Anfang der 1980er Jahre die Volksrepublik für Handelsbeziehungen mit internationalen Märkten öffnete, arbeitet das Land erfolgreich an seinem wirtschaftlichen und technologischen Aufstieg. Kurz vor dem 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas, im Juli 2021, verkündete Staatspräsident Xi Jinping den „vollständigen Sieg gegen die extreme Armut“. Achthundert Millionen Menschen seien in China aus der Armut befreit worden, ein Wunder auf Erden, das in die Geschichte eingehen werde. Modernisierungen wie bargeldloses Bezahlen per Handy oder die Einführung eines sozialen Kreditpunktesystems, das die Bevölkerung zu besseren Bürgern erziehen soll, vollziehen sich ohne öffentliche Diskussion innerhalb weniger Jahre.

Man könnte meinen, dass ein Buch, das zehn Jahre zurückliegende Beobachtungen, Erfahrungen und Begegnungen mit dem Land als ausländischer Dozent an einer großen Universität beschreibt, inzwischen überholt sei. Das Gegenteil ist richtig. Mit seinem unbefangenen Blick als Neuankömmling nimmt uns der Autor hinein in seine Erkundungen und das allmähliche Verstehen. In vielen sehr genau beschriebenen Szenen und fein reflektierten Details setzt sich ein Mosaikbild zusammen, das ausgesprochen aktuell ist. Das hat zwei Gründe: Zum einen macht er Eigenschaften, Kommunikationsweisen und Ordnungen der zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Ordnungen Chinas erfahrbar, die auf einer tieferen Ebene liegen und gerade zu den Konstanten der chinesischen Kultur gehören. Zum anderen haben sich viele der heute im Westen fast erschreckt beobachteten Entwicklungen damals schon sehr genau abgezeichnet. Die Rückschau lohnt sich, um das bewusst wahrzunehmen. Obwohl es eine andere Führungsperson an der Spitze des Staatsapparates gab, war die Zielrichtung dieselbe. Die den Text begleitenden Fußnoten gehen auf Entwicklungen nach der Rückkehr Christian Wollmanns ein und liefern ergänzende Informationen.

Nationalstolz, Rückkehr zur sozialistischen Doktrin, strenge Kontrolle des ausländischen Einflusses, insbesondere wenn er mit christlichen Inhalten einhergeht, restriktive Religionspolitik sind ein paar Beispiele für Tendenzen, die in den Gesprächen mit chinesischen Studierenden, Freunden oder Repräsentant*innen verschiedener Religionen anklingen. Die Sommer-Olympiade in Beijing im August 2008 ist im Vergleich zu den Olympischen Winterspielen im Februar 2022 noch einmal spannend zu erinnern, ebenso wie die Aufstände in Tibet und Berichte über Anschläge uigurischer Unabhängigkeitskämpfer oder die Einforderung demokratischer Rechte mit der Charta 08. All diese Dinge spielten sich im Hintergrund zu den in diesem Buch beschriebenen Szenen ab und erhalten im Spiegel der gegenwärtigen Situation eine besondere Brisanz.

Eine Lehrtätigkeit, wie Pastor Dr. Christian Wollmann sie in den Jahren 2007 bis 2010 an einer der Eliteuniversitäten des Landes ausüben durfte, wäre unter heutigen Bedingungen nicht mehr möglich. Es war dem persönlichen Einfluss von Prof. You Xilin zu verdanken, dass diese Einladung überhaupt zustande kam. Sie war ein Kooperationsprojekt mit der theologischen Fakultät der Universität Hamburg, das mit der Sinologin Dr. Johanna Lüdde in den Jahren 2011 bis 2015 noch einmal fortgeführt wurde. Wie schwierig der Status dieser Dozentenstelle an der Shaanxi Normal University in Xi’an war, wird an der Intransparenz der Kommunikation, der wechselnden Randbedingungen sowie Unterrichtsorten und einigen Bemerkungen von Kolleg*innen oder Studierenden im Verlauf der Lektüre sehr gut sichtbar. Und doch war es eine außergewöhnliche Chance, die mit Geduld, Humor, Gottvertrauen und Menschenliebe aufs Beste genutzt wurde. Lesen Sie selbst!

Das Buch ist erschienen im Missionshilfeverlag, 232 Seiten, € 9,80.

Am 1. November 2022 gibt es übrigens in Breklum eine Lesung mit dem Autor. Näheres finden Sie hier.

Isabel Friemann, Ostasienreferentin