Gedanken zur Zeit im Juli 2022: Den Wandel gestalten

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„Den Wandel gestalten,“ so hatten wir unsere Online-Veranstaltungen überschrieben, die wir in Zusammenarbeit mit Goliath-Watch e.V. und der Arbeitsstelle Weitblick organisiert haben. Und dann die Klage eines jungen Teilnehmers, die uns sehr zu Denken gegeben hat: „Ich bin frustriert. Es bringt so wenig. Jeden Freitag stehen wir auf der Straße, um für mehr Klimaschutz zu protestieren. Wir planen Aktionen und engagieren uns. Aber es scheint so wenig zu bringen. Die Zeit läuft uns davon. Die Politiker*innen tun nicht, was eigentlich nötig wäre. Und jetzt auch noch der Krieg in der Ukraine!“

Was will man da entgegnen? Ich kann den Frust dieses jungen Mannes gut verstehen. Er hat ja recht. Wir wissen doch schon lange, was zu tun wäre gegen die weiter voranschreitende Erwärmung des Klimas, gegen Raubbau, Artensterben und Naturzerstörung. Und doch tut sich viel zu wenig und das auch noch viel zu langsam. Es gibt also allen Grund zum Klagen.

Ist diese Welt eigentlich noch zu retten? Manchmal kann man sich diese Frage schon stellen angesichts dessen, was sich derzeit vor unseren Augen abspielt. Der furchtbare Krieg in der Ukraine, die sich anbahnende Hungerkrise und die wieder auflebende Logik der militärischen Abschreckung wird enorme Ressourcen für die Rüstung verschlingen, die im Kampf gegen die noch bedrohlichere Klimakrise fehlen werden. Allenfalls Pessimisten sehen sich in ihrer in ihrer negativen Grundstimmung bestätigt. Haben wir es denn nicht immer schon gesagt? Mit der Welt geht es bergab. Optimisten hingegen haben gerade einen schweren Stand.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts schlittern wir von einer Krise in die nächste.  Die US-Immobilienkrise, die Finanz und Wirtschaftskrise, die Euro-Schuldenkrise, zuletzt die Corona-Krise. Eigentlich sehnt sich doch alles in uns nach einem unbeschwerten Sommer, nach sorgenfreiem Reisen, nach einer guten und heiteren Zeit. Wie gerne würde auch ich jetzt durchstarten in halbwegs unbekümmerte Urlaubstage. Doch kaum liegt die Pandemie mehr oder weniger hinter uns, da stürzt uns der Überfall Russlands auf die Ukraine schon in die nächste Krise, deren Ende kaum abzusehen ist.

Das alles verunsichert uns und macht vielen Angst. Auch ich muss gestehen, dass mich diese Dauerkrisen seelisch wie körperlich ermüden. Wie mag sich da also erst die junge Generation fühlen, die auf eine sehr ungewisse Zukunft zugeht? Ihre Ängste und auch ihr Frust sind berechtigt. Ich frage mich: Welch eine Welt hinterlässt meine Generation eigentlich ihren Enkeln? Man möge einmal das Gedankenspiel wagen, ob die Welt in fünfzig oder hundert Jahren noch eine Welt sein wird, in der man/frau selber gerne aufwachsen und leben möchte.

Als Christ*innen müssen wir dennoch von Hoffnung reden. Unsere Hoffnung ist eine Grundhaltung, die widerständig ist und gegen den äußeren Anschein andrängt, mal leise und manchmal auch stürmisch. Ohne Hoffnung wäre auch unser Engagement im Zentrum für Mission und Ökumene sinnlos. All die Bildungsprojekte und Programme mit den Partner*innen, die Kampagnen für ökofaire Beschaffung in der Nordkirche oder für ein europäisches Lieferkettengesetz oder für mehr Klimaschutz weltweit oder interreligiöse Verständigung wären doch vergebens, wenn wir nicht Hoffnung hätten, dass eine bessere Welt möglich ist.

Ohne die Hoffnung, dass sich diese Welt zu einem Ort verwandeln lässt, in der gutes Leben für alle möglich ist, müssten wir doch verzweifeln und resignieren. Zur christlichen Hoffnung auf einen grundlegenden Wandel gehört aber immer auch das Innehalten und die Erkenntnis: so wie bisher geht es nicht weiter. Am Anfang aller Veränderung steht die Erkenntnis der Realität und der Wahrheit, dass wir alle durch unseren Lebensstil schuldhaft in die lebensfeindlichen Verhältnisse dieser Welt verstrickt sind. Und dann die Zusage Gottes, dass wir dazu berufen und befreit sind, für eine Welt zu arbeiten, in der Friede und Gerechtigkeit sich küssen.

Dieser Einsatz wird sich nicht in Kampagnen und Aktionen erschöpfen können. Er stellt uns vor die Herausforderung, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu benennen, so wie es die Erklärung von Kairos Europa im Blick auf bevorstehende Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe zum Ausdruck bringt:

„Wir bekräftigen unseren Glauben an Gott, den Schöpfer des Himmels und der geschändeten Mutter Erde. Die Kirchen müssen die Zeichen der Zeit aus der Perspektive des gekreuzigten Volkes und der geschändeten Schöpfung lesen. Sie müssen den Konflikt mit den Mächtigen und den Plünderern der Schöpfung wagen, damit alle das Leben haben. (…) Dabei müssen sie ihre Kirchenmauern unverzüglich überwinden und Allianzen bilden mit den Opfern und den mit diesen solidarischen Bewegungen. Wir rufen die Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe dazu auf, einen Bund gegen die herrschende Weltordnung zu schließen und in Wort und Tat entschieden Widerstand zu leisten. Deshalb (…) fordern wir im Einklang mit Papst Franziskus: Wir brauchen eine Ökumene der Religionen, Glaubensgemeinschaften und aller Menschen zum Schutz der Mutter Erde und aller, die diese schöne Erde bewohnen. Die Zeit drängt.“

Dem kann ich wenig hinzufügen, allenfalls im Sinne des jungen Teilnehmers unserer Veranstaltung bekräftigen: „Die Zeit drängt!


Jörg Ostermann-Ohno, Referent für Indien und Papua-Neuguinea und Pazifik