Gedanken zur Zeit im März 2023: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Proteste gegen Gewalt gegen Frauen im Iran

Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen global gesehen die Frage stellen könnten. Von Gott und der Welt verlassen – all diejenigen, die um ihr Überleben kämpfen, unter Kriegen, Dürren, Überschwemmungen oder anderen Plagen wie zuletzt unter einem verheerenden Erdbeben leiden – vielfach alleingelassen oder einfach nicht erreicht von Hilfsmaßnahmen. Gesagt hat diesen Satz Jesus am Kreuz, kurz vor seinem gewaltsamen Tod.

Lassen wir für einen Moment die Göttlichkeit Jesu beiseite, dann sehen wir einen Menschen, der für seine Überzeugungen sein Leben gibt. Er hätte wissen können, wohin sein Handeln führt. Er hätte seine Chancen abwägen können und sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Hat er nicht gemacht. Er stand ein für die Werte, die für ihn unverhandelbar waren. Er nannte diese Werte Gerechtigkeit. Und er fühlte sich damit im Einklang mit seiner Vorstellung von Gott.

Detail des Kanonischen Tageszeitenaltars im Lübecker Dom, 15. Jhdt., Foto E. Fuchs

Zuvor hatte er Menschen um sich geschart, die mit ihm auf dem Weg waren. Die sich anstecken ließen von seinen Überzeugungen und Taten. Sie wuchsen quasi über sich hinaus in ihrer besten Zeit und leisteten Dinge, die sie niemals für möglich gehalten hatten. Das beeindruckte wiederum andere Außenstehende. Und die Bewegung wuchs.

Der Haken war bloß, dass Jesus und die Seinen an den geltenden Machtstrukturen kratzten. Er mischte sich eben auch politisch ein, sprach den damals Mächtigen ihre Macht ab und verwies auf eine viel größere Macht und das Recht auch der geringsten Menschen. Hätten seine Aktionen nicht auch geltende Ordnungen in Frage gestellt, wäre das Ganze wohl anders abgelaufen. Aber wer an der Macht kratzt, bekommt es mit der Macht zu tun.

Das Besondere an der Geschichte Jesu ist, dass sie mit seinem Tod nicht endet. Dass das, was er in die Welt gesetzt hat, weiterlebt – auch mehr als 2000 Jahre nach seinem Tod noch. Weil es nach wie vor Menschen fasziniert und überzeugt. Die Gerechtigkeit, von der Jesus geredet und die er gelebt hatte, strahlt auch heute noch Kraft aus, so dass an vielen Stellen der Welt die Menschen diese Gerechtigkeit hochhalten. Sein Vorbild ermutigt noch heute Menschen zum Widerstand gegen ungerechte Strukturen. Sein Geist inspiriert noch immer diejenigen, die für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung eintreten.

Seinem Mut, sich dem auszusetzen, von Gott und der Welt verlassen zu sein, verdanken wir letztlich unsere Freiheit. Das ist die Botschaft der Passionsgeschichte.


Carola Kienel, Stipendien- und Freiwilligenprogramme