Gedanken zur Zeit im Mai 2022: Kirche ohne Mission?

Straßenkreuzung in Erbil. Foto: Michael Martin

„Ich nehme an, dass Ihre Kirche als Lutherische Kirche keine Mission mehr betreibt, wie meine. Bringt Sie das nicht in Schwierigkeiten mit SAT7, das ja eindeutig missioniert?“, so fragte mich der Amerikaner Peter Kirby am Rande der Partnerkonferenz des arabischen christlichen Satellitensenders SAT7 in Limassol. Ich hätte erklären können, dass unsere Kirche sich seit vielen Jahren vom Gedanken einer Mission, die zur Konversion führt, verabschiedet hat. Das Moment der Gewalt, das Missionsbestrebungen der Kirche vom Mittelalter bis zur Kolonialzeit anhaftet, sitzt ihr gründlich in den Knochen, so dass sie den Gedanken der Mission scheut wie der Teufel das Weihwasser. Recht so, denn Glauben und Vertrauen, Hoffen und Verstehen sind geradezu das Gegenteil von Zwang und Gewalt. Sie können nur wachsen in Freiheit zum Widerspruch.

Dass Sendungen von SAT7 zur Konversion von zumeist muslimischen Zuschauerinnen und Zuschauern führen, das war in Limassol nicht zu übersehen. SAT7-Programme, die in ihrer Sprache, in Liedern und Gebeten evangelikal wirkten, hielten mich eher auf Distanz. Allerdings: Zwang und Gewalt wenden die Programme von SAT7 nicht an. Sie erzählen, beten, richten eine Botschaft aus, verlesen biblische Texte, sie laden Geistliche, Akademikerinnen und Akademiker zu Vorträgen und Diskussionen ein, strahlen Gottesdienste, Liturgien und Gesänge aus – und das alles hoch professionell medial aufgearbeitet. Dr. Mitri Raheb aus Bethlehem: „Kirchen müssen den Medien und der Kommunikation in Bezug auf Visionen, Richtlinien und Technologien höchste Priorität einräumen.“ Ein starke Sparte des Senders sind Programme für Bildung, soziales Engagement, Frauenrechte, für Kinder und Jugendliche, Beratung und medizinische Aufklärung.

Die Betreiber von SAT7 haben eine Message. Paulus hatte nur die Möglichkeit, zu reisen und zu predigen und hat genau dies mit Leidenschaft getan. Die heutige mediale Welt stellt dem, der eine Message verbreiten will, unendliche Möglichkeiten zur Verfügung. SAT7 nutzt sie umfassend. In Limassol erklärte die Direktorin, Rita Al Mounayer, dass der Sender in Zukunft 50 Prozent seiner Mittel für neue soziale Medien einsetzen würde, um besonders die jungen Leute zu erreichen. Hinter solchen Entscheidungen sind Energie, Überzeugung und eine klare Vision erkennbar: „Eine wachsende Kirche im Mittleren Osten und in Nordafrika, die auf den christlichen Glauben und das christliche Zeugnis vertraut, der Gemeinschaft dient und zum Wohl der Gesellschaft und der Kultur beiträgt.“ (Website von SAT7)

Bei allem Vorbehalt gegen einen evangelikalen Frömmigkeitsstil, stellte ich mir doch die Frage: Hat meine Kirche eine Message? Oder viel konkreter: Was tut sie dafür, die Botschaft der Bibel zu den Menschen zu bringen? Was ist die Mission meiner Kirche? Ein großer Unterschied zwischen SAT7 und der evangelischen Kirche ist der, dass der Sender eine Message an potentiell „alle“ Menschen ausrichten will, während die evangelische Kirche sich nur an ihre Mitglieder wendet. Ein Satz von Dr. Mitri Raheb traf mich daher besonders: „Jede Kirche, die nur an ihrer Existenz interessiert ist, wird sterben.“ Christen in Deutschland werden immer weniger, vielleicht auch deshalb, weil selbst die Mitglieder die Mission ihrer Kirche vermissen, ihre Vision, das Brennen für eine Botschaft. „The Christians don’t know the value of the treasure they have”, so Dr. Moez Mediouni, Prof. der Philosophie aus Tunesien der vor 23 Jahren aus dem Islam zum christlichen Glauben konvertierte.

Hanna Lehming, Referentin für den Mittleren Osten des ZMÖ