Die Hagia Sophia in Istanbul und ihre Geschichte Hintergrundinformation von Prof. Dr. Andreas Müller, Christian-Albrechts-Universität Kiel

Die Hagia Sophia galt bis 1453 als die bedeutendste Kirche in der Orthodoxen Welt. Ursprünglich im 4. Jh. erbaut, erscheint sie heute in der Gestalt des 6. Jahrhunderts. Sie stammt aus der Zeit des Kaisers Justinian, der eine für den zukünftigen orthodoxen Kirchenbau typische Kombination von Basilika und Zentralbau in großem Stil umsetzen ließ. Gut tausend Jahre diente sie als die Große (zentrale) Kirche in der orthodoxen Welt.

Hagia Sophia Innenansicht, Filip Filipović; pixabay.com

Hier wurden die byzantinischen Kaiser gekrönt, von hier ging die Entscheidung der Russen für das Orthodoxe Christentum aus, nachdem der Kundschafter eine Liturgie in der Kirche mitgefeiert und davon enthusiastisch in der Kiewer Rus berichtet hatten. Die Hagia Sophia war der Sitz des Ökumenischen Patriarchats.
Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen ließ Mehmet Fatih, der Eroberer der Stadt, die Hagia Sophia 1453 in eine Moschee umwandeln. Sie galt als die Reichsmoschee und spielte für das Osmanische Reich eine bedeutende Rolle. Insbesondere der Architekt Sinan ließ sich bei seinen bedeutenden Moscheebauten von der Architektur der Hagia Sophia beeinflussen und entwickelte so den typisch osmanischen Moscheen-Stil. Die Kirche spielte also auch in der Osmanischen Kultur eine zentrale Rolle, wenn auch über einen wesentlich kürzeren Zeitraum.

Prof. Dr. Andreas Müller

Mit der Machtergreifung der Jungtürken, dem Ende des Osmanischen Reiches und der Gründung der Türkischen Republik, beschloss der Republikgründer Atatürk 1934, aus der Moschee ein Museum zu machen. Damit setzte er ein deutliches Signal für die von ihm angestrebte Trennung von Kalifat und Sultanat, von Staat und Kirche. Die Umgestaltung der Hagia Sophia zum Museum stand somit für die Modernisierungsschübe in der Türkischen Republik, deren Annäherung an Europa und deren Gestaltung als moderner Nationalstaat. Präsident Erdogan stellt mit seiner Entscheidung, die Hagia Sophia in eine Moschee zurückzuverwandeln, auch das Staatskonzept der Kemalisten in Frage. Eine Sachnotwendigkeit besteht für diesen Akt – wie auch für die Umgestaltung anderer Museen bzw. ehemaliger Kirchen in Moschee – nicht. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Hagia Sophia steht die Blaue Moschee, die auch große Gebete zu beherbergen in der Lage ist. Erdogan hat auf dem Camliha-Hügel auf der Asiatischen Seite Istanbuls eine neue Moschee bauen lassen, die sechsmal so groß ist wie die Hagia Sophia.
Orthodoxe Christen, die in der Türkei ständig bedroht sind, weil sie zu ethnischen Minderheiten gehören, betrachten die Maßnahmen Erdogans mit großer Sorge. Dieser hatte u.a. auch das Existenzrecht des Ökumenischen Patriarchat in Istanbul im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Putsch in Frage gestellt.