Im Gespräch: Isabel Friemann, Referentin für Ostasien

Hat sich Ihre faktische Arbeit unter Corona-Bedingungen verändert, wenn ja, wie?

Isabel Friemann

Meine Arbeit hat sich extrem verändert. Sonst war ich sehr viel unterwegs im In- und Ausland zu Vorträgen, Expertenrunden, Ausschüssen und Reisen. Das war seit Mitte März nicht mehr möglich, ein Großteil der Termine ist ausgefallen. Auch geplante Konferenzen und Gastbesuche konnten nicht stattfinden. Stattdessen habe ich mehr Nachrichten, Info-Briefe und Bücher gelesen, Hintergrundrecherchen betrieben und mich in die Sichtung und Aufbereitung historischer Materialien zur China-Mission begeben. Die Kommunikation per Telefon, E-Mail und Facebook hat sich mit einigen Partnern in den Philippinen und in China intensiviert. Die Anzahl an Video-Konferenzen und internationalen Webinaren zu unterschiedlichen Themen hat sich nach subjektiver Wahrnehmung im Mai vervielfältigt.

Was nehmen Sie aus dieser Krise mit?

Die technischen Möglichkeiten, unmittelbaren Austausch über Kontinente hinweg zu realisieren und Plattformen für mehr Teilnehmende, z.B. unterschiedlicher Partner, zu öffnen, will ich in der Zukunft stärker berücksichtigen und in meine Arbeit konsequent einbauen. Das beinhaltet auch schnellere Reaktionsmöglichkeiten, sich mit verschiedenen Beteiligten zu aktuellen Themen kurzzuschließen.
Für mich persönlich ist ein Achten auf geregelte Arbeitszeiten und die Bedürfnisse meines eigenen Biorhythmus sehr viel besser möglich gewesen. Unnötige Reisen zu vermeiden, morgendliche Gymnastik, spirituelle Praxis, Arbeiten im Homeoffice etc. sind mir als wichtige Elemente einer dauerhaft gut verankerten, ruhigen Arbeitsfähigkeit bewusster geworden und erstrebenswert.

Was möchten Sie ausbauen, was nie wieder erleben?

Diese Frage habe ich wohl eben schon teilweise beantwortet. Ausbauen möchte ich: mehr Ruhe durch Konstanz und Ordnungstruktur im Arbeitsalltag, dazu gehören weniger Ortswechsel, sowohl in Bezug auf Reisen als auch vermeidbare Fahrten ins Büro. Insbesondere das vertiefte, konzentrierte Arbeiten mit chinesischen Texten und Übersetzungen bedürfen bei mir ruhige Konditionen, die ich im Büro mit ständigen Nebengesprächen und sozialer Ablenkung weniger leicht finde.
Nie wieder erleben möchte ich stundenlanges Tragen von Gesichtsmasken… Nein, wirklich schlimm finde ich die Zunahme diktatorischer Kontrolle der Zivilgesellschaften auf dem Corona-Ticket, die sich in vielen Ländern, eben auch in Ostasien beobachten lässt. Warum Deutschland unbedingt eine Lufthansa braucht und wieso nicht über eine gemeinsame europäische Fluggesellschaft nachgedacht werden kann, stimmt mich auch mutlos, aber das war wohl nicht die Frage.

Hat sich unsere Sicht auf die Partner*innen oder deren Sicht auf uns geändert?

Das denke ich schon, finde es allerdings noch sehr früh, um eine Kondensation wahrzunehmen und zu beschreiben. Bei China habe ich den Eindruck, die Kirchen sind noch mehr als vorher mit sich selbst beschäftigt und können in der kontrollierten offiziellen Kommunikation kaum agieren oder Signale senden. Wichtig war im Februar unsere klar geäußerte Solidarität. Mit Einzelpersonen und Weiterleitung von Predigten, theologischem Material etc. ist es anders; auch mit konkreten Informationen zu Hilfsmaßnahmen. Mit Organisationen in Hong Kong und auf den Philippinen sind wir in stärkerem Dialog beim Ringen um angemessene Reaktionsmöglichkeiten und Zukunftskonzepte, den Problemen der strukturellen Ungerechtigkeit zu begegnen.

Gibt es ein neues oder verändertes „Wir-Gefühl“ im globalen Kirche-sein?

Es gibt auf jeden Fall ein neues Thema, das uns alle gemeinsam betrifft und über das wir uns fast bei jedem Kontakt austauschen, Gebet füreinander und für die Welt ist dabei auch wieder mehr in Mode gekommen. In China habe ich mehr die Benennung positiver Effekte auf menschlicher Ebene gehört, dazu noch eine kleine Grafik, die nichts mit Kirche zu tun hat, aber mit der Rückkehr zu Basiswerten:

https://radiichina.com/china-youth-survey-coronavirus-optimistic/

Auf den Philippinen nehme ich mehr Angst und Hilflosigkeit wahr, einhergehend mit einer stärkeren Zuwendung zu internationalen Partnerschaften und Öffentlichkeit.

Sind wir uns näher gekommen oder haben wir uns entfernt?

Bei China kann ich das wirklich nicht sagen. Der Konflikt mit den USA ist vielleicht der heftigste Impuls für die chinesische Kirche, Zuflucht zu Europa und Deutschland als gute Partner zu suchen. Der Bewegungsspielraum wird für sie selbst kleiner und sehr viele hochrangige Termine und Kontakte, die für dieses Jahr geplant waren, (EKD-Reise, Interreligiöse Konsultation München, Tagung zu Theologie in Shanghai etc. ) und die mit viel Vorfreude auf eine intensive Annäherung endlich stattfinden sollten, mussten ja abgesagt werden. Im Moment sind wir ferner gerückt, wo wir stehen, muss sich zeigen, wenn die Bewegungsfreiheit zurück kommt. Mit Partnerorganisationen in Hong Kong und auf den Philippinen sind wir uns näher gekommen. Mir ist das fast schon zu viel, weil ich sehr viel Zeit damit verbringe, was mich von den klassischen Aufgaben abzieht.