Indien: Corona – Situation bedroht kirchliche Strukturen

In Indien werden zur Zeit pro Tag mehr als 350.000 neue Ansteckungen mit dem Corona-Virus und über 3000 daran Verstorbene gemeldet – die Krankenhäuser haben bereits vor einigen Tagen auf eine akute Sauerstoffknappheit zur Beatmung der vielen Patient*innen hingewiesen und stehen vor dem Kollaps. Ein Grund für die rasante Infektionsentwicklung könnte die in Indien aufgetauchte Virusvariante B.1.617 sein, allerdings ist diese von der WHO bisher nicht als besonders besorgniserregend eingestuft. Expert*innen gehen davon aus, dass auch andere Faktoren die Infektionslage begünstigen, beispielsweise die beengten Wohnverhältnisse in vielen Regionen und auch die nicht überall im Land gleich strengen Corona-Regeln. Auch die Kumbh Mela, das größte Hindupilgerfest mit Millionen von Pilgern, und politische Wahlkampfveranstaltungen mit Massenaufläufen scheinen dazu maßgeblich beigetragen zu haben.

Krankenhaus in Nabarangpur

Die Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, hat sich angesichts der aktuellen Situation mit Bischöfen, Leitenden Geistlichen, Mitarbeitenden der indischen Partnerkirchen der Nordkirche sowie Ärzten beraten. „Wir sind alle Glieder des einen Leibes Christi, und wenn ein Glied leidet, leiden alle anderen mit“, sagte sie in der Video-Konferenz. „Ich möchte unsere Verbundenheit und Solidarität zeigen und erfahren, wie wir als Nordkirche unsere Geschwister in Indien unterstützen können.“ 

Reverend Samuel Logan erläuterte im Gespräch mit der Landesbischöfin, wie die United Evangelical Lutheran Church in Indien (UELCI) die dringendsten Bedarfe derzeit zu stillen versuche: Kurzfristig verteile sie Hygiene-Sets an hunderte Familien, die Covid-Erkrankte zu Hause versorgen, weil die Krankenhäuser überfüllt seien. „Zwei Ressourcen werden uns hier  in Chennai jedoch auch langfristig fehlen: Wasser und Bildung“, so Logan. Vielen Menschen in ländlichen Regionen in Chennai fehle der Zugang zu Wasser. Zudem seien Smartphones längst nicht so verbreitet wie in der Stadt. Da der Schulunterricht jedoch seit einem Jahr digital stattfinde, seien ausgerechnet die ärmeren Kinder, die Bildung am nötigsten hätten, seit einem Jahr noch weiter abgehängt. Notwendig sei daher eine auf Zukunft angelegte Bildungsinitiative.
Vordergründig würden sich jedoch die Anstrengungen schlicht darauf richten, mit Kranken, Sterbenden und Verstorbenen christlich umzugehen und für deren Hinterbliebene Sorge zu tragen.

„Es ist nun auch die bloße Angst vor Covid19, die mittlerweile viele auch mit leichten Symptomen dazu bringt, die Krankenhäuser aufzusuchen“, so Dr. Johnny Oommen, der medizinische Leiter des Christlichen Krankenhauses in Bissamcuttack. Jeder hat Angst um sein Leben. Auch das trägt zur weiteren Überlastung des Gesundheitssystems bei. „Zum Glück ist es in Orissa bislang nicht ganz so schlimm. Aber wir sind vorbereitet. Seit einem Jahr haben wir sogar ein eigenes Gerät zur Produktion von reinem Sauerstoff.“
Für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Indien (UELCI) und den Nationalen Kirchenrat NCCI hat die Situation existenzielle Folgen, da diese erneute Welle auf bereits erschöpfte Ressourcen trifft: in einer der Mitgliedskirchen ist bereits die Hälfte der Pastor*innen erkrankt, und zwei Bischöfe sind bereits verstorben. „Neben dem persönlichen Drama für die Betroffenen ist das auch ein ernstzunehmendes strukturelles Problem“, sagt Indienreferent Pastor Jörg Ostermann-Ohno: „Die Kirchen sind wichtige Anlaufstellen zur Unterstützung der Menschen vor Ort. Sie bilden einen wichtigen Teil der Infrastruktur zur Bekämpfung der Pandemie, dessen Wegbrechen spürbare Auswirkungen auf die Situation in der Region hat.“

ALTRUJA-PAGE-NHVO