Warum miteinander Reden? Dr. Sönke Lorberg-Fehring im Interview

Warum sind Sie als Christ an einem Dialog mit Muslimen interessiert, würden sie diesen Dialog als Bereicherung für Christen sehen?

Gemeinsam miteinander im Gespräch sein ist nach meinem Dafürhalten immer gut. Denn im gemeinsamen Gespräch kann ich Dinge ansprechen, die mich am anderen irritieren und wir können uns gemeinsam darüber austauschen, was uns verbindet. Und beides macht mich schlauer. In diesem Sinne bereichert mich der Dialog mit Muslimen auch in meinem christlichen Glauben, weil ich durch ihn Dinge an mir selbst, meinem Glauben und meiner christlichen Tradition entdecken kann, die ich sonst vielleicht nicht wahrgenommen hätte.

Was trennt, was verbindet die Religionen und wo sehen Sie Chancen und Bedarfe für gemeinsame Projekte?

Was uns trennt, ist meines Erachtens vor allem die Angst, im Dialog mit den anderen etwas von uns selbst aufzugeben oder zu verlieren. Angst ist aber keine gute Ratgeberin, um das Zusammenleben zu organisieren. Und darum geht es mir: Dass wir als Nachbarn friedlich und gut gemeinsam daran mitwirken, unsere Stadt, unser Land und am Ende auch die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Alle Projekte, die dieses friedliche Miteinander zum Ziel haben, empfinde ich dabei als hilfreich: Von der gemeinsamen Koran- und Bibellektüre über gegenseitige Besuche in Kirchen und Moscheen bis hin zum gemeinsamen Feiern und intensiven theologischen Diskutieren.

Angeblich ist der Islam eine eher kriegerische, das Christentum eine eher friedensstiftende Religion – ist das so, und welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach eine persönliche Religiosität für die Struktur einer Gesellschaft?

Ich halte pauschale Antworten auf diese Frage – auch und gerade angesichts der vielen, vielen Toten, die auf das Konto vermeintlich christlicher Religiosität gehen – als Christ nicht für angemessen. Als der Genozid Mitte der 1990er Jahre in Ruanda wütete, verweigerte eine kleine religiöse Minderheit ihre Beteiligung: die ruandischen Muslime. Als in Südafrika mit Unterstützung einiger Kirchen die Apartheid herrschte, leisteten andere Kirchen vehement Widerstand. Es gibt Beispiele für die friedensstiftende genauso wie gewaltunterstützende Kraft von Religion zu allen Zeiten und an allen Orten. Persönliche Religiosität halte ich hierbei für einen entscheidenden Faktor: Als Protestant lege ich viel Wert auf einen persönlichen Glauben, der mit großer Bildungsoffenheit einhergeht. Ich erlebe diese Kombination als hilfreiche Grundlage für eine solidarische Gesellschaft.

Wieviel Religion braucht politisches Handeln und wieviel Politik steckt im religiösen Handeln?

Religion ist politisch, weil Religion von Menschen gelebt wird, die mit anderen Menschen zusammenleben. Und da es kein Zusammenleben gibt, das nicht politisch wäre, kann Religion nicht anders sein als eben auch politisch. Ich lebe meinen Glauben in einer offenen Art und Weise, die weniger darauf abzielt, Grenzen zu ziehen, sondern stattdessen Gemeinsamkeiten zu ermöglichen. Auch wenn ich dafür Kompromisse eingehen muss, so bin ich doch davon überzeugt, dass darin mein politischer Auftrag als Christ liegt: Um der Gemeinsamkeit und der Gerechtigkeit willen das Geben höher schätzen als das Nehmen.