Interview mit der neuen Prinzipalin der Theologischen Hochschule in Orissa, Mary Chang


Mary Chang ist Pastorin der Baptistischen Kirche in Nagaland, Indien, und hat ihm Rahmen ihrer Promotion ein Kurzzeitstipendium an der Missionsakademie in Hamburg verbracht. Sie ist seit Mai 2022 die neue Prinzipalin des Orissa Christian Theological College (OCTC) im Bundesstaat Orissa. Dort werden auch die Pastor*innen der Jeypore-Kirche ausgebildet. Das OCTC ist eine ökumenische Einrichtung, an der weitere Kirchen aus Orissa beteiligt sind. Frau Chang war zur Preconsultation eingeladen und hat an der Generalversammlung des ÖRK in Karlsruhe teilgenommen.

Frau Chang, Sie haben auf Einladung der Nordkirche an der Preconsultation in Hamburg teilgenommen, die der Vollversammlung des ÖRK vorausging. Wie waren Ihre Eindrücke davon? 

Die Preconsultation hat uns gut auf die große Vollversammlung in Karlsruhe vorbereitet, insbesondere die Delegierten unter uns, die Stimmrecht auf der Vollversammlung haben. Die Konsultation in Hamburg hat uns auf die Themen eingestimmt, die uns auch in Karlsruhe erwartet haben. Das war hilfreich. Außerdem war ich beeindruckt, dass die Nordkirche international so gut vernetzt ist, v.a. mit den lutherischen Kirchen. Allerdings hätte ich mir eine ausgewogenere Repräsentanz der Regionen bei den Hauptreden gewünscht. So gab es keinen einzigen Beitrag aus Indien oder Südasien.  (Mehr Infos über die Preconsultation finden Sie hier.)

Wie haben Sie dann die Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe erlebt? 

Nun, es gab einige organisatorische Schwächen, die uns Teilnehmende manchmal etwas orientierungslos gemacht haben. Als Personen, die von ihren Kirchen und Institutionen gesandt wurden, war es eine großartige Gelegenheit, an so einer globalen Versammlung teilzunehmen. Ich konnte viele interessante Menschen aus den Kirchen der Welt treffen und mich mit ihnen über Fragen unseres christlichen Glaubens austauschen. Das hat mich persönlich vorangebracht. Besonders beeindruckt hat mich z.B. die Begegnung mit Pastorin Dr. Susan Durber aus England, die als Principal von Westminster in Cambrigde gearbeitet hat und nun zur Europa-Präsidentin des ÖRK gewählt worden ist. Sie hat mir viel erzählt und mir viele Ratschläge gegeben, die mir als neu gewählte Principal und als Frau in diesem Amt des OCTC in Indien sehr weiterhelfen.  

Sie sind jetzt seit fünf Monaten die erste Frau im Amt der Principal des Orissa Christian Theological Colleges in Gopalpur-On-Sea. Wie sind Ihre Erfahrungen dort? 

Am Anfang habe ich vieles sehr ungeordnet und chaotisch vorgefunden. Es gab nicht einmal ein richtiges Büro für mich. Das Mobiliar war kaputt. Meine erste Amtshandlung war es also, den Tisch und die Stühle zu reparieren. Aber auch sonst gab es keine Bibliothekskarten, keine Hausordnung und keine Guidelines für die Studierenden und in der Verwaltung keine richtige Aktenablage. Die ersten Monate war ich deshalb extrem damit beschäftigt, die grundlegenden Dinge zu ordnen. Die großen Herausforderungen aber liegen noch vor mir: finanzielle Engpässe, das Anwerben neuer Studierender, dringend nötige Renovierungen an den Gebäuden und die Qualität der theologischen Lehre am College. Die größte Ressource sehe ich in den Studierenden, die große Potentiale haben. 

Wenn sie auf die gegenwärtige Situation in Indien schauen insbesondere im Blick auf die theologische Ausbildung: welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie? 

Es gibt heute eine Reihe von hervorragenden theologischen Universitäten und Colleges in Indien. Das Problem ist aber weiter, dass viele der Studierenden aus marginalisierten Dalit- oder Adivasi-Communities stammen und daher oft große Bildungsdefizite haben. Daher brauchen sie besondere Förderung. Die Kirchen sollten eine Vision für die zukünftigen Pastor*innen haben, damit sie sich und ihre Kirchen entwickeln und weiterbringen können. Dafür muss man ihnen Freiheit und Spielräume geben.  

Wie schätzen Sie den gegenwärtigen Stand der christlichen Ökumene in Indien ein? 

Die ist noch sehr überschaubar. Die wesentliche ökumenische Institution in Indien ist der Nationale Kirchenrat in Indien (NCCI), der derzeit wesentlich von den nordindischen Kirchen dominiert wird, vor allem von der Kirche von Nordindien. Es gibt leider auch nicht viele Möglichkeiten und Gelegenheiten für die Kirchen, zusammenzukommen. Leider sind es immer wieder dieselben leitenden Personen, die sich regelmäßig treffen. Aber auch die meisten Kirchen, so wie die Baptistische Kirche von Nagaland, aus der ich komme, haben selber keine eigenen ökumenischen Programme oder Beauftragte für Ökumene. 

Welche Chancen hätte eine lebendige Ökumene für die Kirchen in Indien? 

Wenn wir mehr im ökumenischen Geist zusammenkämen, wären wir sehr viel besser in der Lage, unsere gemeinsame Stimme gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von christlichen und anderen Minderheiten zu erheben. Es wäre jetzt die Zeit, hier gemeinsam voranzuschreiten, gerade weil wir mit 2,3% eine so kleine Minderheit sind. 

Welche Perspektiven und Aufgaben sehen Sie für die Partnerschaft des ZMÖ mit indischen Kirchen und Organisationen? Haben Sie eine Empfehlung für uns?

Wir können gemeinsam viel erreichen, wenn beide Seiten einen Beitrag leisten. Dieser Beitrag sollte nicht allein finanzieller Natur sein, sondern es geht vielmehr um das Teilen von Bildung, Wissen, Kultur und darum, das Verständnis für einander zu fördern. Das beruht auf Gegenseitigkeit.  

Haben Sie eine Empfehlung für die Arbeit des ZMÖ? 

Das ZMÖ sollte sich in Zukunft stärker darauf fokussieren, den indischen Kirchen dazu zu verhelfen, sich finanziell und organisatorisch selbst zu unterhalten und selbständig zu werden. Das Szenario der Kirchen in Deutschland könnte sich auch absehbar ändern. Wenn die Ressourcen hier zur Neige gehen, was wird dann aus den indischen Partnern, wenn sie finanziell weiter so abhängig von den internationalen Partnern bleiben? Daher sollte neben Finanzen v.a. Know-How vermittelt werden, wie man autark wird, z.B. Leadership-Training. 

Was könnten die indischen Partner für den deutschen Kontext beitragen? 

Jede Kultur hat ihre eigenen Schätze. Die können wir teilen und voneinander lernen. Das ist keine Frage, ob man arm oder reich ist. Das könnten wir z.B., indem wir einen Austausch von Studierenden zwischen dem OCTC und deutschen Studierenden organisieren. 

Das Interview hat Indienreferent Jörg Ostermann-Ohno geführt.