Irak: Begegnungen mit CAPNI

Hanna Lehming mit Erzpriester Emanuel Youkhana, Leiter von CAPNI.

Pastorin Hanna Lehming, Referentin für den Mittleren Osten, nimmt uns mit auf ihre Dienstreise zu unserem Partner CAPNI: „Irakisch-Kurdistan ist eine Vielvölkerregion, vielleicht die letzte im Mittleren Osten, aus dem die Minderheiten seit Jahren verschwinden. Ist die autonome Provinz des Irak ein Modell der Zukunft oder ein letzter Gruß des 1500 Jahre lang bestehenden vielgestaltigen, gemischten, toleranten Orients? Die Reise diente u.a. dem Ziel, der Beantwortung dieser Frage ein kleines Stück näher zu kommen.“

„Unsere Mission ist es, dauerhafte Lösungen für Minderheiten und schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen zu entwickeln, wobei der Schwerpunkt auf der Verbesserung der Lebensbedingungen und der Förderung von Rechten liegt. CAPNI wird eine Kraft und ein Partner der Wahl einer Bewegung sein, die sich für die Beendigung aller Formen der Diskriminierung von Minderheiten einsetzt. CAPNI wird mit Partnern zusammenarbeiten zur Förderung von Selbsthilfe und um die öffentliche Meinung und Praxis zu beeinflussen. Dabei bringt CAPNI Weisheit ein, die auf fundierten Analysen im Zusammenwirken mit praktischen Erfahrungen basieren.“ CAPNI Mission Statement

In der christlichen Kleinstadt Alqosch, ist CAPNI mit mehreren Projekten präsent. Alqosch gehört zu den christlichen Orten der Ninive-Ebene, die nicht vom IS eingenommen wurden, so dass die Stadt unversehrt blieb und ihre Bewohner*innen nicht fliehen mussten.
Stattdessen nahm Alqosch Flüchtlinge auf, neben 500 christlichen auch 150 muslimische Familien. Im Jahr 2017 wurde die 1982 geborene Ökonomin und Managerin Lara Yussif Zara in Alqosch zur Bürgermeisterin gewählt. Damit wurde erstmals in der Geschichte Iraks eine christliche Frau Bürgermeisterin. In Alqosch fördert Capni mit Unterstützung durch das Zentrum für Mission und Ökumene ein Projekt zur ökumenischen Zusammenarbeit der orientalischen Kirchen.

Kirchengeschichtlicher Hintergrund

Der christliche Glaube entwickelte sich zuerst unter Aramäisch sprechenden Juden in Jerusalem. Von dort breitete er sich bereits ab dem 1. Jahrhundert schnell unter Aramäisch-sprachigen semitischen Völkern aus, zog entlang der Mittelmeerküste, ins Römische Reich und ins Partherreich, später das persische Sassanidenreich. Dieses reichte in seiner größten Ausdehnung von Ägypten bis zum heutigen Pakistan. Die
syrische Christenheit bildet nach der Urgemeinde die älteste christliche Kirche der Welt. Der Tur Abdin in der heutigen Südosttürkei und die Niniveh-Ebene im heutigen Nordirak können nach Jerusalem als die Wiege des Christentums bezeichnet werden. Theologische Differenzen führten zur Spaltung in die Syrisch-Orthodoxe Kirche und die Assyrischen Kirche des Ostens. Katholische, später auch evangelische Mission führten zu weiteren Spaltungen. So gingen Teile der Assyrischen Kirche des Ostens im 15. Jahrhundert eine Union mit der römisch-katholischen Kirche ein. Es entstand die chaldäische Kirche, die den Papst als ihr Oberhaupt anerkennt, in ihren Gottesdiensten jedoch dem syrischen Ritus folgt. Auf die Frage, warum assyrische Christen diese Union eingingen, verweist Emanuel Youkhana auf das koloniale Verhalten der Westkirche, die die Gläubigen mit Zuwendungen gelockt hätten. Die Kirchenspaltungen der syrianischen Christen wirkt bis heute negativ nach, führt zu
Konkurrenzdenkenund Abgrenzung gegeneinanderund schwächt die orientalischen Kirchen. Der Zersplitterung und Konkurrenz der christlichen Kirchen entgegenzuwirken, ist zu einer Existenzfrage der Christen im Irak wie im gesamten Mittleren Osten geworden. CAPNI selbst ist unabhängig von einer Kirche. Es zeichnet die NGO aus, dass sie die wahrscheinlich einzige Institution im Irak ist, die sich bereits in ihren Strukturen der Ökumene verschrieben hat und für die Angehörigen aller christlichen Kirchen arbeitet, die im Irak vertreten sind. Dazu gehören die Chaldäische Kirche, die Armenisch-Orthodoxe Kirche, die Syrisch-Orthodoxe Kirche, die Syrisch-Katholische Kirche und die Assyrische Kirche des Ostens. Alle diese Kirchen – außer der armenischen –sind aus der syrischen Kirche4 der ersten Jahrhunderte hervorgegangen. Ihre Kirchensprache, die sich bei manchen auch als Umgangssprache erhalten hat, ist das Syrisch-Aramäische.

Im Bild zwei assyrische Jungen in traditioneller Tracht mit aufgestickten Kreuzen.

CAPNI betreibt in der Region fünf Kinderzentren (child friendly spaces), Die Ausrichtung der Zentren entspricht der Leitidee von CAPNI, dass eine friedliche Koexistenz in der Region nur auf der Grundlage einer Erziehung zum Respekt vor dem Anderen zu erreichen ist. Die Kinderzentren werden von Kindern verschiedener Religionen und Kulturen besucht, hauptsächlich christlichen, ezidischen und muslimischen (meist schiitischen). Ziel der Zentren ist das gegenseitige Kennenlernen der Kinder, ihr vorurteilsfreier Umgang miteinander, das Erlernen des Respekts vor der Kultur und Religion des Anderen und nicht zuletzt Spaß und Spiel bei Sport, Handwerk, Basteln und Malen. Viermal im Jahr präsentieren die Kinder aus den vier Zentren ihre Kunst in einer Art Markt. Sie treten in traditionellen Trachten ihrer Völker auf und präsentieren deren Tänze
und Lieder. Nicht wenige der Kinder sind durch Erfahrungen von Gewalt beim Überfall des IS traumatisiert. Die Kinderzentren können und wollen kein Ersatz für eine Traumabehandlung sein. Die erfolgt – wenn auch viel zu wenig – durch die wenigen ausgebildete Therapeuten. Aber sie wollen einen Ort bieten, der die Selbst- und Fremdachtung der Kinder fördert, Talente entwickelt und ihnen Momente der Freude ermöglicht.

Empfang beim Patriarchen

Den Abschluss der Reise bildete ein Empfang beim neu gewählten Patriarchen der Assyrischen Kirche des Ostens, Awa III. in dessen Residenz in Erbil. Der Patriarch ist der höchstrangige Geistliche seiner Kirche weltweit. Bezeichnend für die Situation der orientalisch-orthodoxen Kirchen: Awa III. wurde in den USA geboren. Etwa die Hälfte aller Mitglieder der Assyrischen Kirche des Ostens leben mittlerweile außerhalb des Mittleren Ostens, die meisten in den USA, wohin der Sitz des Patriarchen zwischenzeitlich verlegt wurde. Mit Awa III. ist er hierhin zurückgekehrt, nämlich nach Ankawa bei Erbil.

Mittlerweile ist der Anteil humanitärer Hilfe an den Projekten von CAPNI erheblich zurückgegangen. Im Vordergrund stehen heute nachhaltige Projekte, die den Christen langfristig eine Perspektive und Existenzgrundlage geben sollen. Eben deshalb ist die Arbeit von CAPNI heute vor allem auf das Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen und Religionen im Vielvölkergebiet Irakisch-Kurdistan gerichtet. Die Anerkennung aller Minderheiten und ihrer Rechte sowie der Respekt vor der jeweils anderen Religion und Kultur sind nach Überzeugung von CAPNI die Bedingung für eine friedliche Koexistenz. Gibt es eine Perspektive für eine friedliche Koexistenz im Nordirak? Der sogenannte Islamische Staat ist zurückgedrängt, der Wiederaufbau in den zerstörten Dörfern macht Fortschritte und die Parlamentswahlen am 10. Oktober sind ruhig und unspektakulär verlaufen. Von den 329 Parlamentssitzen in Bagdad sind fünf für Christen reserviert.