Marcos – ein philippinisches Märchen?

Der neue Prädisent Marcos bei einem Wahlkampfauftritt im April 2022.

Der 25. Februar ist Nationalfeiertag in den Philippinen. Es ist der „people power“-Gedenktag, mit dem die Vertreibung des Diktators Ferdinand Marcos im Jahr 1986 durch das philippinische Volk in Erinnerung gerufen wird. Die Kirche hat damals eine große Rolle bei dem politischen Umsturz gespielt und das Volk unterstützt. Mit einem katholischen Bevölkerungsanteil von gut 80 % und zusätzlichen 5 % Protestanten sind die Philippinen das am stärksten christlich geprägte Land in Asien. Umso erstaunlicher ist es, dass bei den Wahlen am 9. Mai trotz entgegengesetzter Empfehlungen der Kirchen der Sohn des alten Diktators, Ferdinand Marcos junior, genannt Bongbong, mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt wurde. Sara Duterte, Tochter des seit 2016 amtierenden Rodrigo Duterte, kandidierte mit Erfolg für das Amt der Vizepräsidentin.

Wie ist das möglich? Hat das Volk die eigene leidvolle Geschichte vergessen? 56 % der Wähler*innen sind im Alter zwischen 18 und 41 Jahren, zu jung, um sich selbst an die Diktatur zu erinnern. Die superreiche Marcos-Familie hat viel Geld in die Wahl investiert und die sozialen Medien massiv mit Fehlinformationen gefüttert. So wurde behauptet, dass die Philippinen unter Marcos zu den aufstrebenden Tigerstaaten in Asien gehörten und eine goldene Blütezeit hatten. Für die Zukunft wurde suggestiv die Teilhabe der philippinischen Gesellschaft an dem sagenhaften Reichtum der mächtigen Familie in Aussicht gestellt, außerdem eine drastische Senkung der Reispreise versprochen. Macht und Stärke wird allgemein bewundert. Niemand möchte auf der Seite von Verlierern stehen.

Beunruhigend ist, dass Bongbong Marcos und Sara Duterte sich nicht in der Öffentlichkeit von den Menschenrechtsverletzungen ihrer Väter distanzieren. Die Vizepräsidentin soll in Zukunft den Bildungssektor leiten, wo sie von zentraler Stelle Einfluss auf die Geschichtsschreibung nehmen kann. Ein Geflecht aus Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern, Ehepartnern etc. einiger Familien bilden regelrechte Machtdynastien und besetzen Schlüsselpositionen im Regierungsapparat. Es ist damit zu rechnen, dass die Opposition über Positionen im Kongress und Senat in die neue Regierung eingebunden und entkräftet wird, weil es für sie die einzige Möglichkeit ist, an Gelder zu kommen.

Wieso hat die Stimme der Kirche sich nicht in den Ergebnissen dieser Wahl niedergeschlagen? Für viele Gläubige sind Staat und Kirche zwei getrennte Welten – so ist es seit 1987 in die Verfassung eingeschrieben. Langwierige Auseinandersetzungen um die staatliche Förderung von Empfängnisverhütung belasteten das Verhältnis zwischen der Regierung von Benigno Aquino III. (2010-2016) und römisch-katholischer Kirche. Rodrigo Duterte brachte den Klerus mit seinem Vorstoß zur Wiedereinführung der Todesstrafe und extralegalen Morden im sogenannten „Krieg gegen die Drogen“ gegen sich auf. Außerdem verunglimpfte er den Papst als „Sohn einer Hure“ und bezeichnete Gott als „stupide“. Bereits 2015 im Zug seiner eigenen Wahlkampagne griff Duterte das Image des katholischen Klerus an indem er behauptete, in jungen Jahren sexuell missbraucht worden zu sein – eine Behauptung, die nicht belegt wurde. Während seiner Amtszeit folgten durchgehend offene Diffamierungen. Er beschuldigte mehrere Bischöfe und Priester, Rebellionen anzuzetteln und reichte sogar eigenhändig ein Strafverfahren vor Gericht ein. Bei verschiedenen Gelegenheiten rief er dazu auf, Bischöfe auszurauben und zu ermorden, weil sie ohnehin nutzlos für die Gesellschaft seien. Obwohl die meisten Gläubigen sich von diesen Äußerungen abgestoßen fühlten, entzogen sie dem Präsidenten ihr politisches Vertrauen nicht.

Der neue Präsident Bongbong Marcos hat bereits vor den Wahlen angekündigt, dass seine Regierung keinen Neuanfang anstrebt, sondern die Politik Dutertes fortsetzen wird. Das bedeutet eine Fortsetzung der Morde im Krieg gegen die Drogen, Vorgehen gegen Indigene, harte Maßnahmen gegen Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger, inklusive politisch Oppositionelle und regierungskritischen Stimmen.

Die kommenden sechs Jahre werden eine Herausforderung für die Kirchen, die politische Opposition und die progressiven Kräfte auf den Philippinen. Gleichzeitig ist es eine Zeit, in der sie unter Beweis stellen können, dass sie ihrer Aufgabe als Gewissen der Gesellschaft und als unbestechliches Korrektiv gerecht werden.