Seelsorge – christlich, muslimisch, interreligiös

In emotionalen Extremsituationen brauchen viele Menschen Unterstützung. Das gilt für Lebensübergänge genauso wie für Trauersituationen oder Krankheiten. Und manchmal ist es auch einfach schön, große Freude mit anderen zu teilen.  

Medizinisches Personal Foto: photosforyou, pixabay

Die christliche Kirche hält für solche Momente das Angebot von Seelsorge bereit: In Augenblicken großer Verunsicherung für andere da zu sein, ist ein zentraler Bestandteil des kirchlichen Selbstverständnisses. Deswegen ist es kein Zufall, dass Pastor*innen häufig auch als Seelsorger*in bezeichnet werden. Dabei ist die Aufgabe, Seelsorge zu üben, nicht auf Hauptamtliche beschränkt: Alle Christ*innen können und sollen einander Seelsorger*innen werden.  

Die Hochphase kirchlicher Seelsorge in den 1960er Jahren hat zu der Einsicht geführt, dass Seelsorge nicht vom Himmel fällt, sondern lehr- und lernbar ist. Seitdem bietet die Kirche für Haupt- und Ehrenamtliche Kurse an, um sie im aktiven Zuhören, seelsorglicher Begleitung und hilfreicher Unterstützung zu schulen. Vor allem in den Kursen der Telefonseelsorge haben viele Interessierte wichtiges Handwerkszeug gelernt, um anderen Menschen seelsorgliche Hilfe anbieten zu können. 

Durch die zunehmende religiöse und gesellschaftliche Diversität verändern sich die Hausforderungen für Seelsorge: Auf der einen Seite fühlen sich immer mehr Menschen nicht mehr in den Kirchen religiös beheimatet. Auf der anderen Seite steigt die Zahl derer, die aus nicht-christlichen Kontexten kommen und trotzdem Seelsorge als eine wichtige Hilfe in Anspruch nehmen möchten oder anderen anbieten wollen. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit sich Menschen in Not auf seelsorgliche Begleitung durch christliche Seelsorger*innen einlassen wollen und können. Vielen Kirchengliedern ist bekannt, dass sie sich immer an Mitarbeiter*innen der Kirche oder Diakonie wenden können. Wenn sie dort nicht direkt Hilfe erhalten, können sie in der Regel immer an jemanden weiterverwiesen werden, der seelsorgliche Hilfe anbieten kann.

Anders sieht es für Angehörige anderer Religionen und Menschen ohne spirituelle Heimat aus. Für religiös nicht gebundene Menschen bieten die Krankenhausseelsorge oder soziale Beratungsstellen häufig Gesprächsangebote an. Für gläubige Muslime ist es aber oft eine große Hürde, solche Angebote anzunehmen, da sie nicht wissen, ob sie mit ihren religiösen Vorstellungen und Traditionen verstanden werden und willkommen sind.  

Im Gespräch bleiben Foto: Betti Cohen-Kowalski, pixabay

„Da immer mehr muslimische Gläubige und Menschen aus muslimischen Kulturen in Deutschland leben, entstand vor einigen Jahre die Idee, auch Muslime in Seelsorge auszubilden“, sagt Dr. Sönke Lorberg-Fehring, Beauftragter für den Christlich-Islamischen Dialog. „Allerdings hat das nicht alle sofort begeistert“, fügt er hinzu. Die Initiative zu einer Seelsorge von Muslimen ging und geht nicht nur von christlicher Seite aus. „Islamische Seelsorge“ ist gegenwärtig ein wichtiges Thema der muslimischen Community in Deutschland und Europa und war auf der Deutschen Islam Konferenz 2014-2018 ein Kernthema der Beratungen. 

Auf christlicher Seite findet eine rege Diskussion darüber statt, ob und wenn ja, wie eine Zusammenarbeit möglich und sinnvoll ist. Ein wichtiger Aspekt dieser Diskussion ist die Frage nach der Seelsorgeausbildung: Sollen christliche Seelsorger*innen den muslimischen Kolleg*innen Wissenstransfer anbieten? Kann es gemeinsame Ausbildungskurse geben? Wie wird die konkrete Ausgestaltung der Praxis in Krankenhäusern, Gefängnissen und beim Militär geregelt? Kann es interreligiöse Seelsorgeangebote geben? Welche Standards sollen gelten? Können Standards aus der christlichen Seelsorgeausbildung übernommen werden? Wollen muslimische Seelsorger*innen eigene Standards entwickeln? Oder kann es gemeinsame, interreligiöse Ausbildungsstandards geben? Diese und viele weitere Fragen gilt es zu bedenken – und miteinander zu besprechen. 

Ein wichtiger Schritt auf diesem Gesprächsweg war die von Lorberg-Fehring gemeinsam mit der Missionsakademie und der Schura – Rat der islamischen Gemeinschafen in Hamburg organisierte Tagung zu „Standards in den Seelsorgeausbildungen: christlich, muslimisch, interreligiös“ im Juni 2021. Dabei wurde nicht nur über die Notwendigkeit gemeinsamer Standards gesprochen, sondern auch verschiedene Ausbildungswege vorgestellt und kritisch diskutiert. Für den Hamburger Kontext wurden ganz konkrete gemeinsame Schritte verabredet, um das interreligiöse Gespräch beim Thema Seelsorge zu vertiefen. Ziel ist es, miteinander darüber ins Gespräch zu kommen, wie Seelsorge in Zukunft möglichst vielen Menschen offen stehen kann, um ihnen in emotionalen und existenziellen Krisen beizustehen – unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer Distanz zu religiösen Organisationen. Denn häufig tut es einfach nur gut, wenn jemand da ist und zuhört, ohne zu werten und hilfreiche Worte und Gedanken anbieten kann für die vielen offenen Dinge zwischen Himmel und Erde.