Tschüß ZMÖ! – Ein Rückblick auf 13 Jahre Europa-Arbeit von Christa Hunzinger

Nach dreizehneinhalb Jahren geht meine Zeit als Europareferentin zum 31. März 2023 zu Ende. Es war eine schöne und sehr interessante Zeit, bei der ich sehr viel gelernt habe und viele beeindruckende Menschen und Orte hier in der Nordkirche und in unseren europäischen Partnerkirchen kennenlernen durfte.

Mit dem Beginn meiner Arbeit als Europareferentin begann auch erst die Arbeit des Europareferats im damaligen NMZ. Vorher lag die Koordination der Kontakte zu den neun europäischen Partnerkirchen der Nordelbischen Kirche bei drei Mitarbeitenden im Nordelbischen Kirchenamt, der Ökumenebeauftragten und der Seemannspastorin. Mit der Nordkirche kamen dann noch die Beziehungen nach Polen, Rumänien, Schweden, Kasachstan und der Diözese Lichfield dazu. Auch über 13 Jahre später ist es innerhalb der EKD immer noch etwas Besonderes, dass die Europaarbeit in einem Missionszentrum angesiedelt ist. Ich finde es eine sehr weise Entscheidung, denn nur so kann Partnerschaftsarbeit gut vernetzt werden und die Eine Welt wirklich gelebt wird.

In der Europaarbeit haben sich länderübergreifend verschiedene inhaltliche Themen herauskristallisiert, die ich einmal kurz nennen möchte:

Frauenordination

In allen Jahren ein großes Thema, vor allem in Lettland, aber auch in Polen und selbst in England. Der Beschluss der Lettischen Synode 2016, die Ordination in der Verfassung auf Männer zu beschränken, hat uns lange und oft beschäftigt. In Polen hat die Synode der Evangelisch-Augsburgischen Kirche gleich in drei Synoden über die Einführung der Frauenordination beraten. Im Oktober 2021 gab es eine klare Mehrheit für die Einführung und 2022 wurden die ersten neun Pastorinnen in Warschau ordiniert. Aber selbst in der Kirche von England wurde erst im Dezember 2014 die erste Bischöfin ernannt!

Homosexualität

Die Lettische Kirche betont immer wieder: Für euch ist die rote Linie in der Partnerschaft unsere Ablehnung der Frauenordination, für uns ist es die Einführung der Segnung von homosexuellen Partnerschaften in eurer Kirche. In Estland wurde 2020 in der Kirchenleitung diskutiert, eine Pastorin zu entlassen, weil sie in den Medien sagte, sie würde homosexuelle Paare segnen, wenn es ihre Kirche erlaubt. Und in Russland gibt es seit etwa zehn Jahren eine sehr strenge Gesetzgebung gegen die „Propagierung von Homosexualität gegenüber Minderjährigen“. Aber auch in England zerbricht die Kirche von England fast an der Frage homosexueller Segnungen. Die Generalsynode der Kirche von England hat am 2. Februar 2023 beschlossen, Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare einzuführen. Allerdings ist es keine Trauung, vielmehr muss bei gleichgeschlechtlichen Paaren der kirchlichen Segnung die zivilrechtliche Eheschließung vorangehen.

Nationale Identität

Auffällig ist die Unterschiedlichkeit im nationalen Bewusstsein in vielen Partnerkirchen. Das zeigt sich besonders bei der Nutzung der Nationalfahnen. So ist es in den drei baltischen Ländern ein Ausdruck von Freiheit, wieder die nationale Fahne zu zeigen, die so viele Jahre lang verboten war. In unserer Partnerkirche in Rumänien ist die ungarische Identität sehr stark. So hängen manchmal ungarische Fahnen am Altar – als Begründung wird gesagt, draußen dürfen an öffentlichen Gebäuden schließlich nur rumänische und EU-Fahnen hängen … Und in England wird die englische Fahne bei Ordinationen auf dem Turm der Kathedrale von Ely gehisst, Union Jacks werden von Pfadfinder*innen beim Remembrance Sunday zum Altar gebracht.

Gemeinsame Geschichte – zum Teil unterschiedliche Blickwinkel

Es gibt eine große Verwobenheit der Geschichte, gerade mit Ländern Osteuropas, und auch viel Schuld Deutschlands im Ersten und vor allem Zweiten Weltkrieg. Oft wird Geschichte unterschiedlich interpretiert, besonders auffallend in den baltischen Ländern, wo immer wieder Nationalsozialismus und Stalinismus in ihrer verheerenden Auswirkung gleichgesetzt werden.

Versöhnung

Aus dieser gemeinsamen, miteinander verwobenen Geschichte entwickelt sich intensiv das Thema der Versöhnung. Deutlich wird es in den England-Partnerschaften, in denen gegenseitige Besuche, Grußworte oder Predigten zum Volkstrauertag in Deutschland und zum Remembrance Sunday in England stattfinden, dazu in der Arbeit der Nagelkreuzgemeinschaften, die inzwischen auch Mitglieder in St. Petersburg und Kaliningrad haben, und natürlich mit Russland, Polen und dem Baltikum.

Krieg in der Ukraine

Ein schwerer Einschnitt in der Arbeit des Europareferats war der Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022. Die Beziehungen zu unseren Partnern in Kaliningrad und St. Petersburg müssen neu durchbuchstabiert werden. Die beeindruckende Arbeit der Nachbarländer in der Aufnahme von Geflüchteten, vor allem in Polen und Rumänien, aber auch den baltischen Ländern wird gefördert.

Geld – finanzielle Abhängigkeiten

Das Geld bleibt ein schwieriges Thema. In einer Partnerschaft geht es nicht nur um das Teilen von Glauben und Leben, sondern auch um das Teilen von Ressourcen. Doch entstehen damit oft auch finanzielle Abhängigkeiten. Dürfen wir der Lettischen Kirche Zuschüsse entziehen, wenn sie die früher praktizierte Frauenordination wieder abschaffen? Können wir bestimmte Kriterien für Zuschüsse einführen, wie seit 2022 die sogenannten ESG-Kriterien, das heißt einen Schwerpunkt auf environment (Umwelt), social (Soziales) und governance (Unternehmensführung) setzen? Und wie können wir die finanzielle Selbständigkeit der Partnerkirchen fördern?

Zukunft von Gemeindepartnerschaften

Laut unserer Zählung gibt es in der Nordkirche zurzeit etwa 120 Partnerbeziehungen zu den europäischen Partnerkirchen, davon ungefähr 95 auf Gemeindeebene, die anderen auf Kirchenkreis- oder institutioneller Ebene. 20 oder 30 Gemeindepartnerschaften wurden in meiner Zeit als Europareferentin beendet oder schliefen einfach ein, nur wenige sind neu entstanden – eine Entwicklung, die bei Gemeindepartnerschaften zu Kirchen auf anderen Kontinenten ähnlich ist. Welche Formate der Partnerschaft sind erforderlich, damit wir als Partnerkirchen wirklich auf verschiedenen Ebenen in Beziehung leben?

Christa Hunzinger inmitten ihrer Abschiedsgeschenke

Viele Fragen bleiben. Vor allem aber bleibt der große Reichtum an unterschiedlichen Partnerbeziehungen in zehn europäischen Ländern, ein echtes Geschenk, das das ZMÖ und die Nordkirche hoffentlich auch in Zukunft mit viel Engagement und Wertschätzung pflegen wird.

Christa D. Hunzinger