Nun folgt eine Diashow

22.04.2020

Liebe Blogleserinnen und Blogleser,

lang ist´s her mit dem letzten Blog, das kommt Euch wahrscheinlich so vor, wie mir auch. Im November letzten Jahres gab es mein letztes Update, jedenfalls auf dieser Plattform. In einer Zeit ohne Coronaepidemie, in einer Zeit, als ich dachte, ich würde noch fast bis August im fernen 2020 in Ägypten bleiben würde. Dass jetzt doch das meiste anders gekommen ist als geplant, ist jetzt schon zur Normalität geworden. Dabei hatten wir alle vor Corona eine ganz andere Normalität. Von meiner möchte ich hier einmal berichten.

  • 28.08.2019, Hamburger Flughafen, Deutschland.
    Hier sitze ich nun, mit meinen Taschen und wie auf Kohlen, denn es geht endlich los ins Ausland. Nervös sitze ich da und weiß gar nicht, was ich in so einem wichtigen Moment denken oder tun sollte. Am Flughafenshop besorge ich noch ein paar kitschige Hamburg-Postkarten als zusätzliche Gastgeschenke, die ich schlussendlich genau wie sie waren, wieder mit nach Deutschland genommen habe. Da ich noch so viel Zeit habe, mache ich ein Foto von meinen brandneuen Stiefeln, die ich in den tückischen Geröllhalden der ägyptischen Wildnis bestimmt ganz viel tragen werde, denke ich mir. Am Ende hatte ich sie maximal zehn Tage meines Lebens an meinen Füßen, die restliche Zeit habe ich dann meine Flip Flops getragen. Jetzt lache ich ein bisschen über mein “damaliges” ich, das ernsthaft dachte, ich bräuchte Spezialausrüstung für ebene Sandwege, aber wie hätte ich es denn unbedingt besser wissen sollen?
    Als Fazit bedeutet dieses Bild für mich die große Kluft zwischen Vorstellung und Realität, die einem beim Freiwilligendienst, aber auch sonst in jeder Lebenslage begegnen kann. Habe ich aus dieser Kluft etwas gelernt? Wahrscheinlich eine Menge. Werde ich solche “Fehler” wieder begehen? Auf jeden Fall!
  • 08.09.2019, Anafora, Ägypten
    Es gibt (unter anderem) eine lustige Sache an Anafora, nämlich die Steckdosen, die nie unter der Höhe von 1,2m angebracht sind. Diese Steckdose ist sogar noch höher. Das ist praktisch, wenn man die Zimmer mit Wasser reinigt, was eher einer groß angelegten Überschwemmung gleicht. Wären die Steckdosen dann niedrig, wäre die Gefahr groß, dass Wasser in sie gelangt und einen Kurzschluss verursacht. Auf der anderen Seite ist es aber auch unpraktisch, wenn man zum Beispiel im eigenen Zimmer Tee kochen will. Ich habe dieses Bild ausgewählt, weil es gut veranschaulicht, dass man manchmal auf ungewöhnliche Lösungen zurückgreifen muss. Im Freiwilligenjahr, und selbstverständlich auch außerhalb dessen. (Und es zeigt auch, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht ganz ausgepackt hatte, wie die Reisetasche im Vordergrund zeigt…)
  • 08.09.2019, Anafora, Ägypten
    Mensch, das ist doch mal ein schönes, super gestelltes Bild von William, Troll und mir. Das wollten wir unbedingt in den Blog packen, verantwortungsbewusst mit dem ZMÖ-Shirt und im Hintergrund die echt schöne Kirche, direkt vor unserem Haus. Eigentlich ist dieses Bild wirklich gut, aber wir sind erstens nie dazu gekommen, die ersten Eindrücke schriftlich festzuhalten, weil die ersten Monate einfach soll voll mit neuen Dingen waren, und zweitens ist dieses Bild überhaupt nicht repräsentativ für unsere erste Zeit. Denn gestellt war in dieser Zeit nichts, eher ein faszinierendes Gefühlskuddelmuddel. Dennoch gucke ich mir dieses Bild gerne an, denn trotz alledem ist es doch typisch für meine damaligen Vorstellungen eines Freiwilligendienstes: Geordnet, lächelnd, heile Welt. Das ist natürlich nicht komplett falsch aber irgendwie auch nicht komplett richtig.
  • 16.09.2019, die Pyramiden von Gizeh, Ägypten
    Heute ist der Tag, an dem wir das letzte verbliebene Weltwunder der Antike sehen: Die großen Pyramiden von Gizeh. Und zusätzlich sehen wir noch so viel mehr: die Armenviertel, die unaufhörlich den Berg zu den Bauwerken hinaufklettern, pflichtbewusst eingecremte Touristen, Pferde und Kamele, die jetzt, gegen acht Uhr morgens, schon am Ende ihrer Kräfte sind, eben für diese Touristen, und kitschige Souvenir Shops, vor denen gefegt und Shisha geraucht wird. Dass die Pyramiden da irgendwie in den Hintergrund rücken, ist von außen betrachtet aber etwas verwunderlich. Wenn ich jetzt an diesen Tag denke, dann waren nicht diese Steinberge das besondere, sondern wie unverblümt eine weiter Facette zu meinem persönlichen Ägypten-Bild hinzugekommen ist: Auf der einen Seite vom Zaun (in diesem Bild eine Mauer) werden Millionen für Kulturdenkmäler ausgegeben, die andere Seite sieht keinen einzigen Cent. Leider war das der erste und einzige Ausflug in Ägypten, abgesehen von den Tagen beim Immigration Center.
  • 15.10.2019, Anafora, Ägypten
    An diesem Abend waren William und ich das erste Mal dazu eingeladen, beim Backen des heiligen Brotes mitzuhelfen, das am nächsten Morgen in der Messe zum Abendmahl verwendet wird. Nach diesem Abend sind wir fast jeden einzelnen Abend bis zu unserer Abreise gekommen. Dem Namen nach stellt man sich das ganze ziemlich festlich vor, immerhin ist es ja heiliges Brot, aber das stimmt nicht wirklich. Stattdessen ist es ein ziemlich kleiner, schäbiger Raum, der aber trotzdem ein ganz eigenes Gefühl von Geborgenheit birgt. Hier haben wir unsere besten Freunde gefunden und zahllose, fröhliche, unvergessliche Stunden verbracht. In den ersten Wochen habe ich mit Said, einem Klempner in Anafora, in einem arabischen Kinderbuch Lesen geübt, wobei er das Buch inhaltlich verstand und ich stattdessen die Buchstaben kannte. Jetzt können wir beide ziemlich gut lesen. Außerdem haben wir hier viel vom Leben der anderen Arbeiter erfahren, wer mit wem verwandt ist, wie sie ihren Glauben ausüben, wie ihre persönliche Weltsicht ist, oder ganz alltägliche Sachen, was ansteht, wer was arbeitet oder wer wann wieder zuhause in Oberägypten ist. Ohne diese Menschen hätte ich garantiert eine sehr viel naivere und oberflächliche Sicht auf Ägypten und seine Leute. So bedeutet das Backen dieses Brotes viel mehr, als man von außen denken mag.
  • 11.11.2019, Anafora, Ägypten
    Hier haben wir eine finanzielle Absicherung Anaforas: Den Anbau von Oliven. Die Ernte war letztes Jahr zweigeteilt: Zuerst haben wir im September die Oliven geerntet, die man einlegen kann und im November folgten die Oliven zur Ölherstellung. Besondres letztere sind echt ätzend, weil die Bäume unglaublich voll sind. So kann man locker zwei Stunden mit sechs Leuten an einem Baum ernten und dennoch sieht man kaum Veränderung. Am Ende haben wir zwei Wochen lang bei 35°C geerntet und insgesamt 15t Öl-Oliven dabei erreicht. Diese Stunden zählen ganz ohne Frage zu den mit Abstand anstrengendsten meines Lebens… Auf diesem Bild ist die Arbeit schon getan und die Bäume sind schier.
  • 09.02.2020, Anafora, Ägypten
    Es gibt Tage in der Wüste, da sollte man lieber nicht das Fenster aufmachen, so auch an diesem. Ich habs trotzdem offengelassen und so musste ich echt gründlich fegen, bis mein Boden nicht mehr beige, sondern wieder terrakotta-rot war. Es ist aber auch dieses schöne Bild entstanden, auf dem der Staub in der Sonne glitzert. Ein typischer Zwiespalt in der Wüste.

18.03.2020, Anafora, Ägypten
Diese Bilder zeigen einen Großteil meiner Arbeit von Februar bis Mitte März an der Kuppel des Altars für Maria Magdalena in der Auferstehungskirche in Anafora. Hier sitzt Kaiser Tiberius auf seinem Thron und empfängt Maria. Die Kulisse im Hintergrund verdeutlicht die römische Umgebung. An diesem Bild zu arbeiten war wirklich eine Ehre für mich und umso trauriger ist es, dass ich es nicht beenden konnte. Denn es gibt noch so viel zu verändern, um es endlich vollenden zu können. Und ich vermisse die guten Stunden auf meinem wackeligen Gerüst, wo ich Unmengen von Musik und Hörbüchern gehört habe und den ganzen Tag malen durfte. Diese Bilder habe ich am Tag vor unserer viel zu abrupten Abreise gemacht und in diesem Moment auch Abschied von meinem Arbeitsplatz genommen. Wenn ich wiederkomme, weiß ich auf jeden Fall, wo ich weiterarbeiten werde.

18.03.2020, Anafora, Ägypten
Hier sieht man außerdem einmal die besagte Kirche von außen. Abgesehen davon, dass ich hier gearbeitet habe, ist dieses Bild typisch, weil es das typische Abendlicht einfängt, das alles ganz warm bedeckte, wenn ich nach der Arbeit mit dem Hund gegangen bin. Generell sind die Sonnenuntergänge echt unglaublich schön und immer begleitet von den Muezzinen, die irgendwo in der Ferne zum Gebet rufen, und den Grillen im hohen Gras der Olivenfelder. Jeder Abend ist ein bisschen anders, immer besonders schön und wehmütig.

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