Wieder ich, wieder hier. Eine Reise zurück

Liebe Blogleserinnen und Blogleser, 

Nach dem neuen Blog gestern kommt heute noch ein weiterer, der sich um das Thema “Rückkehr” dreht. In meinem Fall und im Fall der anderen Freiwilligen eine sehr abrupte und unfreiwillige Rückkehr. Ich möchte halbwegs chronologisch vorgehen und über die letzten Wochen hinweg einmal beschreiben, was dieser Begriff eigentlich im Detail für mich bedeutet hat und jetzt bedeutet. 

Bis Mitte März, als Corona richtig anfing abzudrehen, hätte ich niemals gedacht, dass mein Freiwilligendienst plötzlich enden könnte. Ja klar, irgendwie hätte ja irgendwas sein können, dass ich in Deutschland gesundheitlich behandelt werden muss oder dass jemand aus der Familie stirbt und ich zur Beerdigung gehen würde, aber so wirklich hab ich mit sowas natürlich nicht gerechnet. Wenn ich in der Zeit an den Begriff Rückkehr gedacht habe, so hab ich mich im Juli am Flughafen gesehen, nach Wochen, in denen ich mich von jedem und allem verabschieden konnte. Ich wäre mit William noch viel gereist, hätte noch viel mehr Arabisch gelernt und ich hätte sogar schon Pläne gehabt, im September einen der Welpen von unserer Hündin nach Deutschland zu holen. Mein Studienplatz wäre im Prinzip sicher und im Idealfall hätte ich schon ein WG oder Wohnheim-Zimmer. Rückkehr war kein Trauriger Begriff, sondern eher ein leicht Melancholischer. Und ein Ferner, denn bis Juli ist ja noch echt viel Zeit. Außerdem wäre es eine Rückkehr in eine Gewissheit, denn aus dem Ausland heraus hätte ich die Zeit bis Dezember eigentlich schon voll durchgeplant. Ich hätte einen Plan, den ich selber ganz frei gewählt hätte. 

Dann kam eine Mail, als William und ich gerade bei den Hunden waren und da (wie jeden Tag) unsere Zeit vertrödelten. “Beendigung Freiwilligendienst” stand im Titel. Und so veränderte sich für mich fast alles, unter anderem der Begriff “Rückkehr”. Es klingt komisch, aber von einem Moment auf den anderen wurde aus dem melancholischen Begriff ein Bedrohlicher. Eine Tatsache, die alles was ich mir aufgebaut und was ich erreicht hatte, qualvoll ersticken würde. “Ich kann jetzt gar nicht nach Hause, das geht doch gar nicht”, war meine erste Reaktion. Es war als würde mein Leben hier jetzt enden und als würde ich in eine alte Form zurück gepresst. Und gleichzeitig bekam ich Angst bei dem Gedanken an ein halbes Jahr herumsitzen und warten. Ohne Freunde in meiner Nähe und ohne irgendeine Planbarkeit. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich Pläne und Struktur liebe und dass jetzt ein Virus meine Pläne zerstören würde, das hat mich echt wild gemacht.  

Gleichzeitig habe ich etwas erlebt, was wahrscheinlich den meisten im Jahrgang auch so ging, und zwar Schuldgefühle, weil ich mich nicht auf Deutschland gefreut habe. Eigentlich hätte ich mich doch total freuen sollen, wieder (im deutschen) zuhause zu sein und meine Familie wieder um mich zu haben. Um es aber ganz ehrlich zu sagen, ich hatte echt überhaupt keine Lust, wieder diesen Schritt zurück zu machen. Diesen Schritt zurück nach Deutschland. Denn so fühlte und fühlt es sich auch an. Wäre ich direkt nach dem Auslandsjahr zur Uni gegangen, hätte ich das Gefühl, weiterzugehen, aufzubrechen zu etwas Neuem, die “Reise” wäre weitergegangen. Und jetzt? Ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich nicht das Gefühl, dass es voran geht. Aber sowas kann sich unglaublich schnell ändern, sei es auch nur durch eine einzige Mail.  

Jetzt kann ich auf all das zurückblicken und deshalb hat sich meine Auffassung von “Rückkehr” wieder verändert. Einige Facetten sind hinzugekommen und andere Dinge haben sich nicht bewahrheitet. Eins nach dem anderen: 

Eine Liste von Dingen, die hier selbstverständlich sind, die mir aber vor Ägypten nie aufgefallen sind: Wie sauber alles ist, wie unglaublich leise die meisten Autos sind (es gibt auch leise Autos in Ägypten, keine Frage, aber man kann sich im Kairoer Straßenlärm bestimmt nicht im Auto atmen hören. In den Autos in Anafora muss man sich ungelogen anschreien), wie schön es eigentlich ist, auf einem Sofa zu sitzen, wie luxuriös ein Badezimmer sein kann und vor allem, wie viele Dinge man eigentlich so im Haus besitzt. Ich selber bin bestimmt kein Minimalist, geschweige denn Marie Kondo, aber ich habe mich echt erschrocken, als ich das erste Mal wieder unser Haus betreten habe und die schiere Anzahl an Gegenständen wahrgenommen habe. Ich will hier aber nicht verallgemeinern und sagen, dass ein minimalistischer Lebensstil typisch ägyptisch wäre, denn das ist er bei weitem nicht, aber er ist typisch für Anafora. So kommt mir ein Haus hier in Deutschland eher so vor als wäre es ein dekoratives Lager für allerhand Besitztümer. Auf der anderen Seite muss ich aber hinzufügen, dass ich davon natürlich sehr profitiere. Es ist praktisch, dass ich unglaublich viel Stauraum für Materielles habe (und es ist toll dass ich mit 18 Jahren so viel Materielles besitze). Trotzdem ist diese Form des Wohnens nicht die einzige Option, die es gibt.  

Aber zurück zum Begriff “Rückkehr”: Ich hatte mir schon lange gedacht, dass es bestimmt schwer wird, zu erklären, was ich in Ägypten alles erlebt habe, weil ja sonst keiner dabei war, abgesehen von William. Es war mir aber nicht klar wie schwer ist es. Besonders weil ich natürlich großräumige Verallgemeinerungen so gut es geht vermeiden will, weil das meistens sehr einseitig, schlichtweg falsch oder rassistisch endet. Wenn ich es dann aber komplexer halten will, wird es schwer, weil ja auch ich nicht die “ganze Wahrheit” kenne. Auch mir ist die ganze Komplexität und zum Teil Widersprüchlichkeit der ägyptischen Gesellschaft nicht bewusst. Ich kann nur von meiner koptischen Blase berichten, die ich in einem begrenzten Zeitraum erlebt habe. Und das alles ist dann eingefärbt von der Perspektive eines wohlhabenden, gebildeten, männlichen, weißen Deutschen, der im Ausland für einen Ostasiaten gehalten wird. Man sieht: Es ist echt schwer. Dazu kommt, dass mich selber immer noch Dinge verwirren, die ich erlebt habe. Mal sehen, wann ich mir überhaupt selber meine Freiwilligendienst erklärt habe.  

Auf der anderen Seite habe ich aber nicht nur verwirrende Fragen mitgebracht, sondern auch Haltungen, die für mich so klar sind, wie noch nie. Dazu gehört mein Schock, wie in Deutschland mit den Themen Armut und Entwicklungspolitik gearbeitet wird. Denn, so kommt es mir persönlich vor, diese beiden Punkte sind nie echte Themen, sondern manchmal, wenn es sonst nichts Spannendes in den Nachrichten zu sagen gibt, lasche Referenzwerte, um dem Gutbürger vorm Abendbrot einmal zu zeigen, dass es uns Deutschen echt gut geht. “Oha, das in Afrika mit der Armut und so, das ist echt schlimm, ja. Schon irgendwie Sünde”. Aber egal, wie viele Kinder in griechischen Flüchtlingslagern in HD-Auflösung über den Fernseher ziehen, ein voller Kühlschrank in der Küche tröstet drüber hinweg. Spätestens wenn die Glotze aus ist, sind “Afrika” und “Entwicklungsländer” nur formbare Beispiele in Diskussionen, immer so, wie es gerade passt.   

Und dann kommen Berichte, wie schlimm es in der dritten Welt mit Corona wird. Dann sieht man engagierte Frauen und Männer im Slum, wie sie den Menschen beibringen, wie man richtig Hände wäscht. Außerdem sollen die Leute Social distancing betreiben, was natürlich einer Familie super leichtfällt, die jede Nacht in einem einzigen Raum verbringen muss, der gleichzeitig die Küche ist. Dass Corona dort nur eine unter unzähligen Krankheiten und Sorgen ist, die diese Menschen betreffen, wird beflissentlich verschwiegen. Begriffe, wie AIDS, Drogenkonsum ab Kindesalter, Ebola, Gelbfieber, Tuberkulose oder Cholera, zu denen Corona nur eine Ergänzung auf der Liste ist, finden keinen Anklang. Denn Corona betrifft auch uns im Westen, deswegen wird berichtet. Hätten wir die anderen genannten Punkte auch in einem bedeutenden Maße in Deutschland, so sähen die Berichte ganz bestimmt anders aus.  Zusammengefasst ist mir einfach klar geworden, wie gut der Westen darin ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen und dabei den Rest der Welt zu ignorieren.  

Aber, und das ist mir wichtig zu sagen, ich selber habe keinen einzigen Tag meines Lebens in einem Slum verbracht, geschweige denn mich mit Menschen aus diesen Verhältnissen unterhalten. Deswegen sehe ich mich nicht als Sprachrohr der Armut und möchte mich jetzt auch nicht als ein solches darstellen! Ich will nur die Bereitschaft vermitteln, diesen Sprachrohen, von denen es viele gibt, Aufmerksamkeit zu schenken. Ich möchte diese Aufmerksamkeit nicht auf mich lenken. Vielmehr will ich, dass ihr, liebe Blogleserinnen und Blogleser, nicht nur meinen Geschichten zuhört, sondern den Geschichten der Menschen, die wirklich eine Botschaft haben. 

So, jetzt bin ich doch vom Hölzchen aufs Stöckchen gekommen, aber ich hoffe, dass dies eine gelungene Zusammenfassung der letzten Wochen ist. Rückkehr ist eben ein sehr vielseitiger Begriff und meint für jeden und jede etwas anderes. Außerdem ist Rückkehr ein Prozess, der mich noch lange begleiten wird. Ich bin gespannt auf die nächste Zeit und wie sich jetzt alles entwickeln wird.  

Salam und stay safe!  

Wat der Bur nich kennt zählt hier nix

11.11.2019, 14:10 in Schleswig

13.02.1441, 15:10 in Ägypten

Erster Tag des Monats Hathor, 1736, 15:10 in Anaphora

Salam meine lieben Blogleser,

im letzten Blog habe ich ja schon erwähnt, dass ich gut mal über die Landwirtschaft in Anaphora schreiben könnte. Deshalb soll sich dieser Blog auch ganz um das Thema drehen. Mit der Landwirtschaft in Kontakt gekommen bin ich natürlich schon in meiner Kindheit, sodass mir die Arbeit hier nicht ganz fremd ist, doch gibt es trotzdem einige Dinge, die mir ungewöhnlich vorkamen. Aber eins nach dem anderen.

In den letzten Wochen haben wir begonnen, die Felder in Anaphora für die Saat vorzubereiten, bzw. die eingesäten Keimlinge von Unkraut zu befreien. Dies findet hier im Oktober und November statt, weil der Winter komplett ausreichende Temperaturen für die Aufzucht von Gemüse und Getreide hat und all dies im Sommer vertrocknen würde. Eigentlich total logisch, doch ungewohnt für mich, da wir in Deutschland ja nicht auf den Winter, sondern vielmehr auf den Sommer angewiesen sind, damit die Pflanzen perfekt wachsen können.

Die erste Pflanze, mit der wir gearbeitet haben, war Knoblauch, den William und ich in friemeliger Handarbeit so auseinander genommen haben, dass die Arbeiter die einzelnen Zehen einpflanzen konnten. Tatsächlich haben wir fast zwei Wochen im Schatten von Dattelpalmen oder Birnenbäumen damit verbracht, unzählige, riesige Säcke von Knoblauch zu zerteilen bis eine Fläche von grob geschätzt 0,5 km²  bepflanzt war. Das ist tatsächlich eine extrem große Menge, aber immerhin muss der Knoblauch lange halten, da er im Vergleich zu anderen Lebensmitteln recht teuer ist, sodass Anaphora ihn ungerne das ganze Jahr über einkaufen will. Außerdem ist es schwer zu sagen, wie viel der Fläche tatsächlich nur Knoblauch ist, da die Felder immer mehrere Früchte erzeugen. Auf den Knoblauchfeldern, sowie bei den Auberginen, stehen zwischen den Reihen auch Obstbäume, wie Birnen oder Guave, die man in Deutschland teilweise in Säften findet. Als Frucht habe ich sie aber vorher noch nicht gesehen. Rein optisch und geschmacklich erinnert sie an eine überreife Birne, die super harte Kerne hat, welche man aber mitessen kann. Zudem stehen auf vielen Feldern Moringabäume – die reinsten Wunderbäume wenn man so will.

Was ich schon über Moringa wusste, war, dass das irgendeine Pflanze ist, die in manchen Kräutertees beigemischt wird. Allerdings gibt es noch einiges mehr zu wissen: Der Moringa- oder auch Meerrettichbaum stammt aus Ostafrika, ist aber auch in Indien beheimatet (Grüße gehen raus an alle Indien- und Tansaniafreiwilligen). Zudem wird er auch in Mittelamerika und Westafrika angepflanzt, da seine Früchte der Mangelernährung vieler Menschen, sowie der Entwaldung entgegenwirken können. Die bis zu 90cm langen Schoten, die aussehen wie kantige, überdimensionale Gurken, können gekocht oder roh gegessen werden, allerdings sind sie ziemlich säuerlich-bitter. Im Prinzip sind sie von der Zubereitung her wie Bohnen. Nur halt Bohnen, die fast einen Meter lang sind. Moringa hat auch den Vorteil, dass die Schoten schon einen Monat nach der Blüte reif sind. Zudem kann man den Saft der jungen Blätter verwenden, um die Auswirkungen von Mangelernährung, Anämie und Diabetes Typ 2 sehr billig und gleichzeitig wirksam zu behandeln. Dies funktioniert auch bei Menschen, die chemische Substanzbehandlungen, bzw. Medikamente nicht vertragen. Aus den Samen kann ein Öl gewonnen werden, welches als eines der stabilsten Pflanzenöle gilt, da es erst nach vielen Jahren schlecht wird. Zudem kann man es zu Biodiesel weiterverarbeiten. Die Samen können zu Pulver zerrieben Wasser reinigen, welches von Schwebstoffen und Bakterien verschmutzt ist, wie zum Beispiel Wasser aus dreckigen Flüssen oder Seen. Ein großes Fass kann mit 200 bis 300 mg des Pulvers so gereinigt werden, dass es für Menschen unbedenklich ist. Dafür muss man nur das Pulver hinzufügen und 15 bis 20 Minuten rühren. Dank der hohen Oberfläche der Samenpartikel wird jeglicher Schmutz etc. daran gebunden und sinkt zu Boden. Besonders dieser Effekt kann einen gravierenden Unterschied in der Wasserversorgung von Menschen machen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Billiger und natürlicher geht es wahrscheinlich nicht. Gleichzeitig sind diese Bäume sehr anspruchslos gegenüber der Bodenqualität und kommen auch mit wenig Wasser aus. Zum Glück haben wir hier ein gutes Bewässerungssystem und zwischen den Pflanzreihen auch immer eine Mulch-Reihe, wo das Unkraut aus der Pflanzreihe zu Kompost wird. Auf diese Weise ist die Landwirtschaft sogar am Rand der Wüste ziemlich ertragreich.

Allerdings ist diese Form der nachhaltigen Landwirtschaft kein Beispiel für ganz Ägypten. Ein ganz großes Thema hier ist die Wüstenbildung, weil die kargen Böden über Jahre hinweg mit Monokulturen von Weizen oder Mais ausgelaugt werden. So werden sie langfristig zu unbrauchbaren Geröllhalden, die wir jedes Mal sehen können, wenn wir nach Kairo fahren. Teilweise gibt es grüne Flecken, wie Anaphora, aber ein Großteil der Flächen wird nur gefüllt von verdorrten Palmenstüpfen und halb abgerissenen Farmen. Denn hier wächst nichts mehr und die Menschen, die einst ihre Felder hier hatten, mussten diese aufgeben. Wo es dagegen grün ist, werden oftmals harte Pestizide und Dünger eingesetzt, um die Erträge künstlich hoch zu halten. Gesund oder nachhaltig ist das aber selbstverständlich nicht. Bestimmt sieht das ganze direkt am Nil noch etwas anders aus, aber in diesen Regionen war ich leider noch nicht.

Das zweite Problem ist die Versalzung. Das Grundwasser in dieser Region (Wadi al natrun = Natrontal) ist von Natur aus recht salzig, bzw. mineralstoffreich. Wird damit auch noch künstlich bewässert, kann das schwere Folgen haben. Insgesamt sind 20% der gesamten landwirtschaftlichen Flächen weltweit von Versalzug bedroht und ungefähr 50% aller Künstlich Bewässerten. In Ägypten alleine sind aufgrund dieses Problems schon 30-40% aller Flächen verloren gegangen, die eigentlich genutzt werden könnten. Dies passiert, wenn durch starke Bewässerung, Überflutungen oder starken Regen die Salze aus dem Boden gelöst werden und mit dem verdunstenden Wasser an die Oberfläche kommen. Wenn das Wasser dann verdunstet ist, bleibt nur das Salz übrig, wie bei einem verkalkenden Wasserkocher oder wie in meinem Badezimmer gerade… Dieses Salz ist dann, man kann es sich gut vorstellen, schädlich für die Pflanzen, verringert die Erträge und führt anschließend zum Tod des Feldes. Ohne aufwändige und teure Maßnahmen ist diese Fläche für immer verloren. Gleichzeitig ist Ägypten auf die Landwirtschaft angewiesen, da die Bevölkerung rasant wächst. Schon jetzt müssen 50% des Weizens importiert werden, der praktisch das einzige Getreide ist. Gibt es Probleme auf dem globalen Weizenmarkt oder starke Preisschwankungen, wird Ägypten unmittelbar betroffen sein. 1977 und 2008 kam es zu ernsthaften Problemen, als Weizen und Reis rapide im Preis stiegen, sodass sich große Teile der Bevölkerung diese Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten konnten. Wenn ich besser informiert bin, erkläre ich dieses Thema auch gerne mal in einem späteren Blog.

Aber zurück zur Landwirtschaft: Eine Methode, um diese Versalzung zu verlangsamen, ist eine schonende Bewässerung, wie die Tröpfchenbewässerung, die wir auch hier anwenden. Aus dünnen Schläuchen mit kleinen Löchern tröpfelt langsam das Wasser an die Pflanzen unmittelbar neben ihnen. Der einzige Nachteil ist hier nur, dass jede Pflanze direkt neben den Schlauch gesetzt werden muss. Eine Arbeit die viel länger dauert als einfach die Saat zu verstreuen, wie wir es mit unserem Weizen machen. Deswegen gibt es auf diesen Feldern ausnahmsweise Sprinkleranlagen, welche im Sinne der Versalzung zwar nicht optimal, aber natürlich sehr praktisch sind.

Kleine Story am Rande: Letzens haben die Sprinkler aber nicht funktioniert, weil jemand mit dem Trecker über die Wasserleitungen gefahren ist, die nur wenige Zentimeter unter der Erde verlegt sind. Die gebrochenen Stücke mussten also herausgesägt und durch neue ersetzt werden.

Aber es gibt noch weitere Methoden, um mit der Versalzung umzugehen: Die passenden Pflanzen finden. Während Gemüse und einjährige Pflanzen sehr salz- und feuchtigkeitsempfindlich sind, weisen andere Pflanzen eine hohe Toleranz dem gegenüber auf: Zum Beispiel das oben erklärte Moringa oder die schachtelhalmblättrige Kasuarine (ja, die gibt es wirklich). Dieser Baum ist in Ägypten nicht heimisch, sondern in Südostasien (jetzt gehen Grüße raus an die Philippinen und Papua Neuguinea), wo er an Stränden im salzigen und sandigen Boden wächst. Hier dient er als Knick und als Schattenspender auf Wegen. Auch Orangen- und Mangobäume besitzen wir in großen Mengen und sie wachsen ohne Probleme. Nur die Feigenbäume tun sich etwas schwer mit den Böden. Weitere geeignete Pflanzen sind Hibiskus, dessen Früchte man super zu Marmelade oder Saft verarbeiten kann, und Dattelpalmen.

Ganz vorne dabei sind aber selbstverständlich die Olivenbäume, ohne die Anaphora nicht existieren würde. Olivenbäume sind schon etwas sehr spezielles. Man weiß nämlich nie, wie viel sie tragen werden. Die letzten Jahre über war es schwer, eine Tonne Oliven zu erreichen, die wir brauchen, weil das Kloster, wo die Presse ist, nur Mengen über einer Tonne akzeptiert, oder die Oliven werden mit fremden gemischt, die aber nicht pestizidfrei angebaut werden. So könnte das Öl dann nicht als 100% bio  und 100% Anaphora-echt verkauft werden. Um die Erträge zu steigern bekamen die Bäume deshalb 2016 einen starken Schnitt, der dieses Jahr spürbar wurde. Die geerntete Menge betrug nämlich mehr als 15 Tonnen. Eine Zahl die unglaublich fern von dem ist, was Anaphora jemals geerntet hat. Aus diesen 15 t können knapp 12 t bis 13 t Öl erzeugt werden, die zum größten Teil an andere Klöster verkauft werden oder hier Bestandteil von Cremes und Seifen sind. Und zum Kochen benutzen wir es natürlich auch. Nicht eingerechnet in diese Zahl sind die Oliven, die wir Anfang September geerntet haben. Diese wurden eingelegt, um sie entweder hier zu essen oder um sie ebenfalls zu verkaufen.

Williams und meine Arbeit beim Olivenernten bestand darin, die vollen Eimer von jedem Baum zum Anhänger zu bringen, auf dem sie in Säcke umgefüllt wurden. Die Säcke haben wir dann in einem großen Raum ausgekippt, wo die Oliven sortiert und gewaschen wurden, um sie anschließend zur Presse bringen zu können. Jeder Eimer wiegt zwischen 6 und 10 kg und jeder Sack um die 40 kg. Kein Wunder, dass wir nach zwei Wochen Ernte am Ende unserer Kräfte angelangt sind. Trotzdem war ich ein klein bisschen traurig, als wir plötzlich den letzten Baum vor uns hatten, da die Ernte ein sehr besonderes Erlebnis war. Man kann es sich so vorstellen, dass man durch einen jungen Wald geht, in dem Menschen über, hinter, in und auf Bäumen singen, lachen, übertrieben laut Musik abspielen, an der puren Menge an Oliven verzweifeln oder all das gleichzeitig machen. In den Pausen gibt es Tee (eigentlich ist es eine Art Tee-Sirup, der Menge an Zucker nach zu urteilen), der überm offenen Feuer zubereitet wird. Als Snacks haben wir verschiedene Kekse oder fake Kit-Kats, wie auch Fladenbrote, die nicht schlecht sind, wenn man sie kurz auf die Flammen legt. Außerdem brennt die Sonne ab 10 Uhr im Nacken. Vor zwei Wochen habe ich außerdem auch einen Rekord bei meiner Schrittzähler-App gebrochen, an dem Dienstag waren es 24491 Schritte, was ca. 18 km entspricht. Am Mittwoch danach waren es immerhin 24111 Schritte. Ja, das ist ziemlich anstrengend, aber die Oliven müssen so schnell es geht geerntet werden, weil sie während der Lagerzeiten viel Flüssigkeit verlieren, wegen derer wir sie ja ernten. Deswegen haben wir auch Unterstützung von einer Gruppe aus Alexandria bekommen, die immer wieder für unterschiedliche Aufgaben nach Anaphora kommt. Aber jetzt ist alles geschafft und auch der letzte Baum ist abgeerntet.

Es gibt, soweit ich weiß, noch keinen Plan dafür, aber jetzt die Woche ist der Hibiskus an der Reihe und auch die Orangen werden immer besser. Die Feigen brauchen aber noch etwas Zeit. Alle freuen sich hier aber schon auf den nächsten April, wenn die Maulbeerensaison anfängt. Mangos haben wir zum Glück noch im Tiefkühler. Wenn es sie nicht klein geschnitten oder als Saft gibt, dann im Obstsalat mit Guave, Trauben und Granatapfel. Ihr merkt, frische Früchte spielen eine große Rolle. Genau wie Auberginen, die so groß sind wie kleine Melonen und die Wiese aus Minze, die zum größten Teil im Teewasser endet. Ein neueres Testprojekt sind Aloe Vera und Sonnenblumen. Auch seit diesem Jahr auf dem Plan: Mais. Deshalb hatten wir auch beim Olivenernten einmal salziges Popcorn vom eigenen Hof. Mal schauen wie sich das alles hier entwickelt und was die nächsten Testprojekte sein mögen. Eins steht fest: Es wird wahrscheinlich ziemlich lecker.

Mit diesem Blog möchte ich das Thema Landwirtschaft bis hier hin einmal abschließen, doch bin ich mir sicher, dass es noch einen großen Einfluss auf die nächsten Blogs hat, da der Hof einfach das Herzstück Anaphoras ist. Zudem finde ich die Ideen und Methoden, die Anaphora für die nachhaltige Landwirtschaft einsetzt, sehr interessant, gerade im Hinblick auf die Zukunft dieser Region.

Ich hoffe, euch geht es gut auf Sri Lanka, in Schleswig oder Sydney, Kiel, München oder Mielberg! Macht´s gut und bis bald 🙂

Eigentlich ist das schon fast Kunst

05.03.1441, 13:24 in Ägypten

23. Tag des Monats Paopi 1736, 13:24 in Anaphora (jetzt kommt auch der koptische Kalender dazu)

03.11.2019, 12:24 in Schleswig

Meine lieben Blogleser, long time no see!

Der letzte Blog ist jetzt über einen Monat alt und doch kommt es mir so vor, als hätte ich ihn letzte Woche erst geschrieben. Es ist hier teilweise schwierig, einen Moment abzupassen, in dem man freie Zeit und Energie gleichzeitig hat. Zum Glück habe ich diese Kombi heute und deshalb wird das auch direkt genutzt.

In den letzten Wochen habe ich viel darüber nachgedacht, was ich eigentlich in meinen ersten Blog aus Ägypten schreiben will. Um erstmal einen Überblick über meine Gedanken zu bekommen, habe ich dann angefangen, Tagebuch zu führen – mit dem Ergebnis, dass ich einzelne Erlebnisse als knappe Stichpunkte formulieren muss, damit alles in mein Notizbuch passt und damit ich nicht durch abstrakte Formulierungen diese Erlebnisse immer weiter in Worte fassen muss, weil man meistens gar keine Worte finden kann. Für mich persönlich ist dieses Notizbuch jetzt schon eine riesige Schatzkiste, die ich mit nach Deutschland nehmen darf, doch für meinen Blog hat es die Arbeit noch weiter erschwert… Eine schwierige Aufgabe also, da ich auf der einen Seite in mir drin zu wenig über meine Gedanken nachgedacht habe und da ich auf der anderen Seite auch nicht klischeehaft über Menschen berichten will, die ich erst seit kurzem kenne.

Zum Glück sind mir gerade meine Flipflops vor dem Bett ins Auge gesprungen. Meine Flipflops, die ich jeden Tag von 7:30, wenn ich zum Frühstück gehe, bis ca. 21:30 oder länger trage und für die ich auch schon bekannt bin, obwohl ich nicht der einzige bin, der Flipflops trägt. Dass sie mir aufgefallen sind, ist deshalb gut, weil sie der wohl typischste Bestandteil meines Alltags sind, was auf den ersten Blick auffällt. Alleine optisch haben sie so viel zu bieten, das ist fast schon Kunst.

Erstens sind sie sehr dreckig (weshalb ich hier kein Bild einblende J ) von den Unterschiedlichsten Situationen: Vielleicht ist es der Staub von dem Acker, auf dem William und ich herumgekraxelt sind, als wir lange, dicke Äste zum Bau unserer Enten- und Ziegenhäuser gesucht haben? Das ist nämlich eine der Arbeiten hier, die sich sehr lang ziehen, weil wir eigentlich immer nur dann weiterbauen können, wenn wir sonst keine anderen wichtigen Aufgaben erledigen sollen, sodass nach einem Monat Bauzeit erst 2 der 3 geplanten Häuser fertig sind. Allerdings ist das gar nicht so schlimm, da es auch keinen Spaß macht, mehrere Tage am Stück bei 35°C in der Sonne Bäume zu fällen oder diese Stämme dann im steinigen Boden einzugraben. Von Zeit zu Zeit ist es aber doch wieder schön, eigene Häuser mit den eigenen Händen zu bauen.

Vielleicht ist es auch Sand, der von den langen Spaziergängen stammt, die wir mit dem Schäferhund Troll machen, bevor wir sie füttern, weil sonst niemand so richtig für sie Zeit hat. Für uns ist sie aber ein richtiges Geschenk, weil wir auf den Spaziergängen schon echt viele neue Leute kennengelernt haben, ganz besonders zu Anfang, als wir eigentlich noch niemanden kannten. Und da wir so auch jeden Tag einen Grund haben, einmal das ganze Gelände abzulaufen, kennen wir jetzt die meisten Orte in den drei Bereichen Anaphoras: Zum einen ist da Anaphora selbst, wo sich der größte Teil des Klosterlebens abspielt und wo die meisten Tassounis (= Schwestern) und Abounas (=Väter), sowie die Freiwilligen und einige Tagesgäste leben. Hier wohnen, essen und arbeiten wir meistens. Außerdem sind hier auch immer die Morgenmeetings, in denen Platz ist für das globale Tagesgeschehen, das Wetter, die Planung der nächsten Tage und für die Meditation. Diese besteht darin, dass jeden Tag eine andere Person das „meditation-cross“ bekommt, wenn die Person, die es vorher hatte denkt, dass man bei der anderen Person mal Danke sagen muss oder wenn man der anderen Person eine Wertschätzung zeigen will. Am nächsten Tag geht dann das Kreuz wieder zu jemand anderem und so weiter. Ich persönlich finde diese Tradition sehr schön, weil diese kurze Geste vor allen Beteiligten eine große Bedeutung für die Person hat, die das Kreuz bekommt.

 Vielleicht ist da auch noch Matsch an den Flipflops, den wir in den tiefen Reifenspuren vor dem Amphitheater in Anaphora verteilt haben, als vor ein paar Wochen die French Party stattfand, bei der unterm Sternenhimmel ein französisch-ägyptisches Konzert und ein Festessen gegeben wurden, für das wir beim Aufbau, in der vollen, heißen und chaotischen Küche, beim Kellnern, und beim Abwaschen geackert haben.

Der zweite Bereich, den wir durch ein großes Eisentor betreten, ist „Anastasia“ mit einem großen Gästehaus und einigen Konferenzräumen, einer Bibliothek und weitläufigen Olivenfeldern, wo wir vor einigen Wochen bei der Ernte geholfen haben (da waren die Flipflops aber nicht am Start, sondern meine Stiefel, wegen der Schlangen und des Gestrüpps). Wie voll es hier werden kann, haben wir zweimal gemerkt, als große Konferenzen mit um und bei 300 Leuten hier waren, an einem Tag sogar der koptische Papst. Ein Foto, wo ich dem Papst die Hand schüttele können meine Flipflops jetzt gerade sehen. Bei beiden Konferenzen haben wir in der Küche gearbeitet, wo wir gezwungenermaßen Arabisch sprechen mussten, um überhaupt zu wissen, was unsere Aufgaben sind. Im Prinzip war das eigentlich das Beste, was uns passieren konnte, da wir echt schnell mit Learning-by-doing und unseren Arabischstunden bei einer Tassouni dazugelernt haben. Auch wenn ich mir noch ziemlich unbeholfen vorkomme und gefühlt immer nur die gleichen 10 wörter benutze, spreche ich doch schon in ganzen Sätzen, was mir eigentlich erst klar geworden ist, als ich letztens ein (kurzes) Gespräch am Telefon komplett und erfolgreich auf Arabisch geführt habe.

Hier in Anastasia findet auch nächstes Jahr wieder das Second-Chance-Programm statt, bei dem junge Ägypter, die aus den unterschiedlichsten Gründen die Schule abgebrochen haben, in den Basics Unterricht bekommen, was sehr untypisch für Ägypten ist. Genauso untypisch ist auch die Rollenverteilung in Anaphora: Frauen dürfen klassische Männerberufe ausführen und andersherum – leider sonst ein No-Go. Alleine schon der Fakt, dass William und ich als Jungs in der Küche und danach auf dem Bau gearbeitet haben, ist außerhalb der Klostermauern unvorstellbar. Bestimmt ist hier auch nicht alles perfekt und im Alltag hat man auch hier eine ungewollte, und doch existierende, Trennung zwischen Männern und Frauen, doch empfinde ich Anaphora als einen sehr guten Beitrag in Richtung Gleichberechtigung.

Der dritte Bereich ist mit zwei großen Toren abgesperrt und heißt „Anamnesia“. Hier sind noch einmal große Felder mit Oliven-, Feigen- und Mangobäumen, sowie die Auferstehungskirche, in der seit Jahren Wandgemälde geschaffen werden. Hier durften wir beide uns auch bereits mit einigen Fischen verewigen, die Teil einer ganzen Wand sind, die am Ende komplett voll mit Fischen sein wird, so unterschiedlich gemalt, wie die unterschiedlichen Leute, die hier ihren Teil dazu beigetragen haben.

Außerdem sind die Flipflops immer noch voll mit weißer Wandfarbe vom Streichen der Gästehäuser und der Kirche in Anaphora vor zwei Wochen (die Arbeitskleidung sieht aber immer noch um einiges schlimmer aus…) Begleitet von jeder Menge süßem Tee, guter Musik und einem sehr sympathischen Franzosen war das eigentlich eine der besten Aufgaben bis jetzt und wieder ein Projekt mit vielen anderen Ägyptern, die uns im Minutentakt an unsere sprachlichen Grenzen brachten (zum Glück!). So konnten wir nicht nur unsere Arabisch-Skills verbessern, sondern jetzt sind wir auch vorbereitet auf jegliche Renovierungen in WG-Zimmern, wo wir dann aber lieber nicht Steckdosen und Lichtschalter übermalen, wie es hier normal scheint.

Möglicherweise ist auch das eine oder andere Haar von meiner Katze daran, die ich jetzt seit vier Wochen habe und die so anhänglich, wie hungrig ist. Und vielleicht ist auch etwas Essigsäure an ihnen festzustellen, die wir für die Poolreinigung benutzen. Liebe Blogleser, seid froh, dass ich keine Gerüche herübersenden kann, denn Essigsäure ist nicht unbedingt das höchste der Gefühle und nach einem Monat riechen die Klamotten immer noch… Generell sind Gerüche hier ganz anders als Zuhause, wo man alle möglichen Putzmittel zur Beseitigung da hat und wo man nach dem Duschen riecht wie ein Obstsalat. Hier ist eigentlich gar nichts so schön geruchsneutral, wie in vielen deutschen, klinisch reinen Haushalten. Gleichzeitig wird alles sehr schnell dreckig, staubig und bleicht in der Sonne aus. Ich glaube in meinem Zimmer gibt es nichts, was nicht staubig ist, aber zum Saubermachen habe ich meistens keine Zeit oder es wäre einfach sinnlos, weil nichts lange sauber bleibt. Bunte Stoffe bleiben nicht lange farbenfroh und alles aus Plastik wird spröde bis man es wegwirft. Meiner Meinung nach ist es wirklich wertvoll, zu realisieren, dass nicht alles für die Ewigkeit gemacht ist und dass nicht jeder Fleck rausgewaschen werden kann. Und jetzt? Dann zieht man eben das an, was vielleicht fleckig ist oder irgendwo ein Löchlein hat. So what? Wen interessiert das denn? Und wenn man es dann doch komplett aufgetragen hat, kann bestimmt etwas daraus gefertigt werden, wenn es nach den Arbeitern in der Werkstatt „Arofana“ („Anaphora“ rückwärts 😉 ) geht, die sich um das Recycling von allen möglichen Dingen kümmern (im Idealfall) Wenn das Shirt noch gut, aber vielleicht nicht mehr `in` ist, kann man es im Second-Hand-Laden loswerden.

Leider bekommen meine Flipflops nie etwas von den spannenden Tagen in Kairo mit, wenn wir dort für unser Visum oder für Ausflüge sind, aber dazu muss ich eigentlich einen eigenen Blog schreiben. Aber zum Glück kriegen sie jeden Tag und jede unerwartete Wendung mit, die hier so passieren, denn eigentlich ist immer irgendwas Ungeplantes los, was ich am Leben in Anaphora extrem schätze. Es gibt immer neue Gespräche mit Gästen aus Ägypten, Frankreich, Norwegen, Schweden, Finnland,… oder spontane Pläne nach unerwarteten Anrufen von einer Tassouni oder von den amerikanischen Freiwilligen. Dann steht man plötzlich mit den anderen Arbeitern auf der Fußball-Wiese, hilft beim Waschen der Teppiche im Pool, wird unerwartet zum Curry-Dinner eingeladen oder fährt spontan für die SIM-Karte zur Mall, nachdem es heißt „oh, in 10 Minuten geht’s nach Kairo“. Vielleicht ist nicht immer die Qualität der Lebensstandards sehr besonders, aber die Qualität des Lebens ist wahnsinnig hoch.

Shukran, ya Anafura

Mit diesen ersten Eindrücken möchte ich den zweiten Blog beenden und ich hoffe, dass der dritte schon bald folgt. Ich hab große Lust, auch über Dinge außerhalb von Anaphora zu schreiben oder über die Landwirtschaft hier, die ich als Kind vom Dorf doch ziemlich interessant finde.

Liebe Grüße, dahin, wo auch immer Ihr gerade auf diesem Planeten seid 🙂

Mein erstes Hallo

19.08.2019, 11:58 Uhr in Schleswig

17.12.1440, 11:58 Uhr in Anaphora

“I believe in angels/ something good in everything I see/ I believe in angels/ when I know that time is right for me/ I´ll cross the stream/ I have a dream“ – ABBA

In neun Tagen geht es los, meine lieben Blogleser.

Ich bin doch super vorbereitet denke ich mir schon seit Wochen. Die Seminare habe ich als Inspiration förmlich aufgesogen, mein Reisetagebuch ist gestaltet und wartet nur darauf, mit tollen Erinnerungen gefüttert zu werden, bei Instagram zeigt meine Explore-Funktion nur noch Ägypten-Fotos, an unserem Küchenschrank zu Hause hängt eine großformatige Karte dieses uralten Landes.

Ich lese ägyptische Literatur der jüngeren Vergangenheit (sehr empfehlenswert) und noch neuere Hits aus den Charts 2019, sowie Lieder, die von Abschied, Leben, Reisen, der `sun followen` usw. handeln (selbstverständlich in einer eigenen Playlist: „anaphora beats“). Das Visum ist fest im Reisepass eingeklebt, mein Google-Kalender läuft `interkulturell` nach unserem Sonnenkalender und nach dem islamischen Mondkalender. Selbstverständlich habe ich dort auch ägyptische Feiertage eingetragen, islamische, wie koptische. Deshalb will ich auch die Daten der Blogeinträge interkulturell halten, eigentlich sind es ja nur verschiedene Arten, diesen Tag abstrakt zu beziffern.

Ich habe mein Gepäck sogar schon probegepackt, es passt alles ganz knapp rein; auf YouTube gibt es eine wirklich gute Doku über das Projekt Anaphora (leider hauptsächlich auf Französisch), ich glaube ich kann sie lippensynchron mitsprechen, obwohl ich gar kein Französisch kann. Liebe Blogleser, ich denke Ihr habt nun einen kleinen Einblick, was ich mit vorbereit meine.

Allerdings gab und gibt es noch so viele Dinge, auf die ich nicht vorbereitet gewesen bin. Zum Beispiel Freunde für fast ein Jahr zu verabschieden und zu wissen, dass wenn man wiederkommt, alle ganz andere Erfahrungen gemacht haben und eigentlich nie wissen können, was man genau meint, wenn man etwas erzählt, weil sie nie dabei waren. Auch nun Vollmachten auszustellen, die „nicht nach dem Tod“ enden, sondern wenn ich oder die Erben diese auflösen, ist erstmal seltsam.

Wie mein Zimmer aussieht, in dem ich nächste Woche einziehe, weiß ich nicht. Wie mein erster Tag auf diesem fremden Kontinent sein wird, weiß ich auch nicht. Wie wird wohl das Gefühl sein, das erste Mal in Ägypten aufzuwachen und zu wissen, dass dies Tag 1 von ca. 334 Tagen ist? Aber auch so kleine Dinge schwirren mir durch den Kopf: Wie läuft das mit meiner ägyptischen Handynummer, wie organisiere ich Reisen im Land, wenn ich Urlaub habe, und wie bescheuert werde ich mir mit meinem Zeige-Wörterbuch vorkommen?

Zu alledem muss ich aber auch sagen, dass mir diese Fragen überhaupt keine Angst machen, sondern dass sie mir eher noch mehr Vorfreude machen, auf das was kommt. Denn, das sage ich mir immer wieder, das Leben geht weiter, die Erde dreht sich dann immer noch genauso schnell, das Universum bleibt nicht stehen- und ich zum Glück auch nicht. Ich bin einfach nur 11 Monate `wo anders`. Nur dass ich dieses `wo anders` noch nicht kenne.

Liebe Blogleser, ich hoffe Ihr habt Lust, meinen Freiwilligendienst zu begleiten und teilzuhaben an meinem „Aussteigerleben“ in Anaphora. Zusammen entdecken wir Kairo, altehrwürdige ägyptische Altertümer, eine krasse Sprachbarriere, hoffentlich nicht zu viele Moskitos, das wunderbare orientalische Essen, fremdartige Musik und wie bescheuert ich mir vorkommen werde mit meinem Zeigewörterbuch, das mir dennoch garantiert die eine oder andere Situation erleichtern wird. Zusammen reisen wir auch nach Tansania zum Zwischenseminar und ja, irgendwann auch wieder nach Hause, dann aber mit so vielen neuen Erfahrungen, dass es kaum `zurück` nach Hause sein kann, sondern nur `vorwärts` nach Hause.

Wenn Ihr mehr Bilder oder Stories sehen wollt, dann schaut einmal bei Instagram rein unter @aaron.gnade oder @volunteers.zmo für die Seite aller Freiwilligen in diesem Jahr. Dort und per E-Mail unter gehe ich auch super gerne auf alle möglichen Fragen ein und beantworte sie entweder persönlich oder in weiteren Blogs. Ich freue mich auf das was kommt und schaue zuversichtlich auf den 28.08.2019, bzw. den 26.12.1440!

Bis dahin إن شاء الله  إلى اللَقاء

Euer Aaron 🙂