Buenas Días in Buenos Aires

Nach ca. eineinhalb Monaten wird es nun auch endlich mal Zeit, dass ich mich aus dem fernen Lateinamerika melde und von meinen Erfahrungen berichte. Wie schnell die Zeit doch vergeht! Gefühlt stand ich noch gestern an der Gepäckkontrolle des Flughafens, im, damals ziemlich sommerlichen, Hamburg. Mit dem Ticket in der Hand, Abschiedstränen in den Augen und Millionen Erwartungen, Ängsten, Hoffnungen und Vorurteilen im Kopf. Natürlich hatte ich mich ordentlich auf diese Reise vorbereitet, unter anderem mit der Hilfe des ZMÖ-s und dessen ausführlichen Vorbereitungsseminaren und Ländertagen. Jedoch kam ich mir in diesem Moment vor wie ein kleines, unwissendes Seehundbaby, dass alleine ins kalte Wasser geworfen wird. Und kalt, ja das war es! Nicht nur im überklimatisierten Flugzeug, sondern auch beim Ankommen in Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens, bereute ich es nicht, meinen dicksten Pulli angezogen zu haben. Schließlich war es dort ja auch Winter. Die Wärme der herzlichen Begrüßung unserer Ansprechpartner der IERP, der evangelischen Kirche des Rio de la Plata, welche über das Jahr  für uns zuständig sein werden, ließ mich jedoch alles vergessen. Und mit neuen Begegnungen hörte es da nicht auf.

„Den Mond von der anderen Seite betrachten“

Vom Flughafen aus ging es direkt in meine neue WG für die nächsten zwei Wochen, in denen das Vorbereitungsseminar, die „Capacitación“ unserer Partnerkirche stattfinden würde. Die Wohnung direkt im Zentrum von Buenos Aires, habe ich mir mit 19 der insgesamt 63 Freiwilligen geteilt, die nun überall in Argentinien, Uruguay und Paraguay verteilt mit „weltwärts“ unterwegs sind. Das war eine ziemliche Herausforderung! Gerichte zu finden und zu kochen mit denen jeder halbwegs zufrieden war, ein Finanzsystem zu entwickeln, abzuwaschen, zu putzen und mindestens zweimal in der Woche die Ziehschnur der Klospülung wieder mit Panzertape festzukleben. Jedoch hätte ich es mir niemals anders gewünscht! In diesen zwei Wochen sind wir 19 zu einer echt tollen Gemeinschaft geworden und haben jede Menge Spaß gehabt. Mal abgesehen von den gemeinsamen sehr aufwendigen Koch-/Pizzabestellaktionen haben wir zusammen Ausflüge zu Handwerkskunstmärkten wie dem in San Telmo oder der Casa Rosada (dem Regierungsgebäude Argentiniens) gemacht, in unserem Wohnzimmer sowie in der U-Bahn musiziert, einen Tangokurs besucht und das Nachtleben Palermos erkundet. Als wir dann am letzten Abend in unseren Schlafsäcken auf unserem Dach lagen, um die Sterne und den Mond von der anderen Seite zu betrachten, wurde ich richtig traurig, diese verrückte Truppe verlassen zu müssen.

Dulce de Lernen

Nun aber wieder zurück zu dem richtigen Grund, weshalb wir überhaupt in Buenos Aires waren; der Capacitación. Diese bestand aus spannenden Vorträgen/Einheiten zu Themen wie: Sucht, Geschichte Argentiniens, Probleme eines Freiwilligen und dessen Lösungen, Umgang mit Menschen mit Behinderungen und vormittags aus einem Sprachkurs. Oder eher gesagt, einer Einleitung in die spanische Sprache sowie die argentinische Kultur. Langweilig oder trocken wurde es dabei nie. Gemeinsam haben wir zwar auch ein bisschen Grammatik wiederholt, jedoch hauptsächlich über alles mögliche geredet, spanische Filme geguckt, den typischen Matetee getrunken und Ausflüge durch den Stadtteil gemacht. Mein persönliches Hihghlight war jedoch die gemeinsame Backstunde in der wir die typisch argentinische „Chocotorta“ zubereitet haben. Diese ziemlich leckere Kalorienbombe besteht aus Schokokeksen (Chocolinas) und einer Mischung aus einer Art Sahnecreme (Mendicrim) und der absolut besten Süßigkeit überhaupt; Dulce de Leche! Diese unbeschreibliche Creme aus Karamell und Kondensmilch (das klingt jetzt irgendwie doch nicht mehr so lecker, aber glaubt mir; das ist es!) wird hier echt überall verkauft und in jeder Form, wie zum Beispiel als Keks, Eis oder in Schokolade verarbeitet. Wirklich unglaublich, dass es in Deutschland nichts vergleichbares zu finden gibt! Zusätzlich gab es am Wochenende ein abwechslungsreiches Programm an Ausflügen wie zum Beispiel zu dem farbenfrohen Viertel „La Boca“ oder der Ex-ESMA, einem ehemaligen Folterlager aus der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien. Dieser Ausflug war für uns alle sehr eindrücklich, da dort noch bis 1983 Menschen unter den schlimmsten Verhältnissen gefangen gehalten und gefoltert wurden und arbeiten mussten. Zudem wurden dort auch einige der insgesamt um die 500 Kinder zur Welt gebracht, welche im Laufe der Diktatur gewaltsam ihren Eltern entrissen und zur Adoption freigegeben wurden. Bis heute gibt es noch Vereinigungen wie die „Abuelas de la Plaza de Mayo“, welche vergeblich nach ihren vermissten Enkelkindern suchen, die schon ihr Leben lang, im Unwissen über ihre eigene Identität und in Familien, welche oft am Tod ihrer eigenen Eltern beteiligt waren, leben müssen. Insgesamt habe ich in diesen zwei Wochen auf die vielseitigste Weise, ungemein viel gelernt. Dafür möchte ich allen Beteiligten und Organisatoren der IERP danken!

Doch jetzt geht’s erst richtig los!

Nach diesen tollen zwei Wochen fiel mir der Abschied von Buenos Aires und all den anderen Freiwilligen ziemlich schwer. Jedoch waren wir alle, mehr als denn je, von einer riesigen Vorfreude und Spannung auf die bevorstehende Zeit erfüllt. So stieg ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge in meinen Bus nach Asunción, Paraguay.
Ganz viele besos und abrazos,
Merle

Langsam Alltag?!

Ich sitze in der Bahn und Häuser ziehen an mir vorbei und wieder einmal fällt mir auf, dass der Unterschied zwischen arm und reich so stark ist. Hier draußen in der Provinz, einige Kilometer entfernt von Capital Federal, ist es so deutlich, dass einem zum Fürchten wird.
Ich fahre hier nur vorbei, arbeite den Tag über und fahre wieder zurück in ein gutes Barrio. Aber für viele Menschen ist das hier ihre Realität, ihr Alltag. Müll liegt neben den Gleisen, im Bach liegen verrottete, verrostete Autos und man riecht das Feuer schon bevor man es überhaupt am Straßenrand sieht. Ein Teil des Mülls wird hier verbrannt. Keine zwei Sätze kann ich schreiben, bevor ich wieder unterbrochen werde. Von einem Verkäufer, der lautstark seine Ware anpreist – mal sind es Süßigkeiten wie Schokolade oder Kaugummi – mal sind es Socken oder Taschentücher – manchmal lohnt sich das Angebot – manchmal nicht. Aufpassen muss man nur mit dem Verfallsdatum und wie viel Geld man herausholt,  um zu bezahlen. Mein Tipp ungefähr 50 bis 100 Peso lose in der Tasche dabei haben und alles andere an einem sicheren Ort aufbewahren und nur herausholen, wenn es wirklich nötig ist.
Ich kann mich noch genau an das Gefühl erinnern, das ich hatte, als ich zum ersten Mal hier rausgefahren bin. Ich war erschrocken und wusste, dass hier schon ein Stück mehr vom Schwellenland zu sehen ist. Heute fahre ich einfach diese Strecke und erschrecke mich nicht mehr über all die Dinge, die ich sehe. Ich bemerke, dass es auch für mich schon ein Stück weit Alltag geworden ist und mich nicht mehr so berührt wie es vielleicht sollte und am Anfang getan hat.
Ich fahre diese Strecke zweimal am Tag. Angefangen mit einem Fußmarsch zur nächsten großen Straße, weiter mit einem Bus und dann in die eben beschriebene Bahn und in Los Polvorines, wo meine Arbeitsstelle liegt, nochmal ein Bus und einen Fußmarsch. Ja, es dauert lange und man verschwendet Zeit, viel Zeit. Zwischen 1 Stunde und 30 Minuten und zwei Stunden, je nachdem wie es läuft, wann der Bus und die Bahn kommt. Es fühlt sich hier oft an wie ein Glücksspiel, entweder alles klappt reibungslos und man gewinnt an Zeit, die man Zuhause oder im Projekt hat oder man verliert Zeit.
Aber es lohnt sich. Dieser Weg hilft zu sehen, welche Privilegien wir in Deutschland haben und hilft zu verstehen, dass man auch mit viel weniger Dingen zurechtkommen kann.
In meinem Projekt helfe ich morgens meist in der Schülerhilfe mit, wo die Kinder vor der Schule beschäftigt werden. In Argentinien ist das Schulsystem so, dass es für die Kinder morgens oder nachmittags Unterricht gibt. Entweder man geht morgens in die Schule oder nachmittags. Wenn die Kinder um 11.30 nach Hause gehen, helfe ich oft einer Mitarbeiterin bei der Lebensmittelausgabe. Die Familien, die ins Projekt kommen, erhalten hier Lebensmittel, die von Firmen gespendet worden sind. Ich packe die Lebensmittel zusammen in einen Beutel, fülle Zucker aus großen Behältern in kleine Tüten oder räume Regale ein.
Was auch gerne gesehen wird ist, wenn ich den Besen schwinge und die Räume fege oder auch wische. Aber auch solche Tätigkeiten gehören nun einmal dazu und sie haben einen großen Vorteil: man kann nicht viel falsch machen. Denn oft verstehe ich nicht viel. Ich lasse viele Dinge oft wiederholen und merke, dass es oft lästig ist, dass ich so wenig verstehe. Sie haben alle Verständnis und wiederholen es gerne oder sprechen Englisch mit uns. Dennoch ist es oft schwierig sich selbst daran zu erinnern, dass dieses normal am Anfang ist. Es frustriert einen, die Kinder kaum zu verstehen und nur mit ‚Si‘ zu antworten, obwohl die Frage eine ganz andere Antwort erwartet.
Den ganzen Tag in einer Mischung aus Englisch, Deutsch und Spanisch falle ich abends frustriert, müde und oft auch beglückt ins Bett. Ich wusste, dass die erste Zeit hart sein würde, hätte aber nicht gedacht, dass ich mit so vielen Dingen gleichzeitig zu kämpfen habe. Erkältung, Sprache, Geld, Klimawechsel, Heimweh.
Das Einzige, das mir zeigt, dass es sich lohnt was ich tue, sind die Kinder, die sich freuen, wenn ich komme und aufgeregt Tini,  wie ich hier nur noch genannt werde, weil Annkristin zu schwierig ist, rufen. Für sie stelle ich eine aufregende, fremde Welt dar.
Nachmittags helfe ich an einigen Tagen bei den verschiedenen Werkstätten mit, wie Kunst oder helfe bei der Nachmittags Schülerhilfe mit, beziehungsweise nehme oft eher nur wie ein Zuschauer an der Aktivität teil, aber das wird sich sicher mit zunehmender Zeit ändern, wenn ich erstmal richtig im Projekt und Argentinien und der Sprache angekommen bin.
 

La aventura comienza – Das Abenteuer beginnt

Mittlerweile sind schon zwei Wochen rum seitdem Ich hier in Buenos Aires gelandet bin und Ich gewöhne mich auch schon langsam an das Leben hier. Die ersten Busse und Taxen wurden herangewunken, die ersten Empanadas gegessen, der erste Mate Tee getrunken und das Umdenken in Pesos klappt auch langsam. Es ist einfach alles so anders. Es fing schon an als Ich den Flughafen das erste Mal verlassen habe. Obwohl es einen Zebrastreifen gab, wurde der Verkehr durch einen Mann geregelt, der auf dem ersten Blick einfach alles und jeden anpfeift. Manchmal hören die Autos und halten an, manchmal hupen die Autos einfach zurück und die Fußgänger werden angehalten. Geparkt wird sowieso in zweiter und dritter Reihe. Dann ging es endlich in die vorübergehende WG. Unsere WG liegt im barrio (Stadtteil) Flores. In der ersten Nacht waren wir noch zu acht, bis am nächsten Tag die restlichen Freiwilligen anreisten und wir auf einmal 13 waren. Es gab fünf Zimmer und sechs Betten. Es war also sehr kuschelig. Natürlich gab es aber mehr als genügend Matratzen, sodass jeder Platz zum Schlafen hatte. Die Wohnung war aber sehr schön und hatte sogar eine Terrasse und Heizungen in jedem Zimmer. Diese brauchten wir allerdings auch, da es doch schon recht frisch war. Durch die verschiedenen Persönlichkeiten meiner Mitfreiwilligen wurde es auch echt nie langweilig. Dass wir kein WLAN hatten ist Fluch und Segen zu gleich, denn obwohl wir gerne mehr Kontakt zu unserer Familie und unseren Freunden gehabt hätten, lernten wir uns sogar echt gut kennen und es half bestimmt auch dabei erstmal richtig in Argentinien anzukommen. Hier ist eins unser täglichen Abendbrot Selfies.

Außerdem gab es WLAN in der Subte (U-Bahn) und natürlich auch in der IERP. Die IERP ist die Iglesia evangélica del río de la Plata, also die evangelische Kirche am la Plata. Dort verbrachten wir so ziemlich den ganzen Tag, zumindest unter der Woche. Da wir ca. Eineinhalb Stunden zur IERP brauchten von unserer WG aus, sind wir teils echt von morgens um 7:30 bis abends um 19:30 unterwegs gewesen. Trotzdem waren die Einheiten sehr interessant und hilfreich für das kommende Jahr in den Projekten. Bei den Einheiten ging es um die Themen: Konsumverhalten und Auswirkung auf das Umfeld der Betroffenen, das argentinische Schulsystem und Arbeit mit behinderten Menschen. Davor ging es aber erstmal jeden Morgen los mit dem Spanischunterricht. Dieser ist allerdings nicht zu vergleichen mit dem aus der Schule, z.B. haben wir Umfragen auf der Straße gemacht um das Viertel Belgrano besser kennenzulernen, aber auch um erste Versuche der Kommunikation mit den einheimischen zu starten. Jedoch wurden wir entweder sofort unterbrochen oder wir wurden auf einmal von den Einheimischen befragt. Mein Favorit war allerdings als wir eine traditionelle „Chocotorta“ gemacht haben. Mit einem Kilo Dulce de Leche ist sie zwar nicht so gesund, aber gerade die Kinder lieben sie und ist deshalb auch bei fast jedem Kindergeburtstag zu finden. Der Kuchen hat so lecker geschmeckt, dass wir beschlossen haben sie unseren Mitfreiwilligen in Form einer Koch Show zu präsentieren. Dass wir dafür nochmal eine Chocotorta machen mussten hat uns allen sehr gut gepasst. Diesmal mussten wir allerdings für 65 Leute backen… Trotzdem war die Chocotorta ein Erfolg und ich hab von keinem gehört, dass sie nicht geschmeckt hat. Generell bin ich echt froh das Seminar gehabt zu haben, da ich dort echt tolle Leute kennengelernt habe und es einfach eine schöne Atmosphäre herrschte und man so selbstbewusster in die Projekte geht, da man weiß man ist nicht allein. An dieser Stelle ein großes Dankeschön besonders an Ricardo und Theresa, aber auch ans restliche Team der IERP.

An den Wochenenden haben wir uns die Stadt Buenos Aires angeschaut und sind zum „Plaza de Mayo“, zum Viertel „La Boca“ und zum Tigre Delta gefahren. Dabei haben wir uns ein wenig mit der Geschichte von Argentinien beschäftigt, da gerade der Plaza de Mayo ein wichtiger Ort war. Dort sind nämlich während und nach der Diktatur die Mütter und Großmütter der sogenannten „Desaparecidos“ (Verschwundenen) marschiert, in der Hoffnung Gewissheit über ihre Geliebten zu bekommen. In vielen Fällen wurden die Eltern ermordet und deren Kinder an andere Familien weitergegeben. Bis heute ist nur eine kleine Anzahl der Kinder gefunden worden. Die restlichen leben ohne zu wissen wer ihre wahren Eltern sind.
 
Aber erstmal genug mit ernsten Themen, der erste Blogeintrag soll fröhlich werden…
Deshalb schreibe ich jetzt von meinem neuen Haus. Ich bin gerade gestern in mein Haus gezogen, in dem ich das Jahr über wohnen werde und bin positiv überrascht. Ich glaube wir können uns das hier richtig gemütlich machen. Wir sind übrigens meine Mitbewohner und ich. Ich wohne hier mit vier anderen Mädels aus Deutschland zusammen, mit denen ich auch schon beim Seminar zusammen gewohnt habe, sodass wir uns schon mal ein bisschen kennenlernen konnten. Mein Zimmer ist auch sehr schön und vor allem groß! Ich habe sogar zwei Betten in meinem Zimmer stehen. Ich muss mich hier aber erstmal noch ein bisschen einrichten da es noch sehr schlicht aussieht, die ersten Fotos hab ich allerdings schon aufgestellt und die erste Nacht hab ich auch gut überstanden, außer kleiner Anfangsschwierigkeiten mit dem Wassertank auf dem Dach der über Nacht übergelaufen war, sodass wir um 3:30 geweckt worden sind. Jetzt müssen wir aber erstmal die Gegend erkunden und morgen beginnt dann mein erster offizieller Tag im Projekt. Einen Nachmittag hab ich mir das Projekt schon grob angeguckt und freue mich deshalb umso mehr auf Morgen.
Das wars auch schon fürs erste. Und wie man hier sagt „Un beso y que tengan un buen día“

 
 
 

Argentinien – gleich und doch so anders

“Un asiento por la senora, por favor” (“Einen Sitzplatz für die Frau, bitte”)
Mit diesem Satz war mir klar, dass ich wirklich in Argentinien bin. Man sollte dazu sagen, dass nicht ich mit diesem Satz gemeint war, sondern eine schwangere Frau, die hier in Argentinien im Bus so eine Art Anrecht auf einen Sitzplatz hat. Genauso wie Mütter mit Babys und alte Menschen. Der Busfahrer hat diesen Satz durch den Bus gerufen, als sie eingestiegen ist. Natürlich macht auch sofort jemand einen Platz frei und die Frau kann sich hinsetzen.
Ein langer Flug liegt hinter mir. Eingequetscht zwischen zwei Argentiniern habe ich herausgefunden, dass ein Sitzplatz im Flugzeug mitten in der Mitte bei einem Langstreckenflug einfach nur lästig ist. Also Erkenntnis Nummer 1 dieses Jahres: Ich buche immer einen Randplatz, damit ich nicht meine Nebenperson wecken muss. Erkenntnis Nummer 2: Die Rushhour ist wirklich eine Rushhour und dauert in Buenos Aires länger als erwartet. Dieses habe ich erkannt, als wir vom Flughafen abgeholt werden sollten, der Bus allerdings mindestens eine Stunde zu spät kam, weil er im Stau stand. Was mir bereits beim Warten aufgefallen ist, hier fährt jeder, wie er will. Rückwärts, vorwärts und dazwischen. Für mich hat sich einfach keine klare Regelung erkennen lassen und auch jetzt nach einer Woche in Buenos Aires habe ich das Gefühl, dass so etwas wie Regeln im Straßenverkehr nicht existieren. Genauso wie Fußgänger Ampeln, es gibt sie zwar, aber selten und wenn kann man sie oft nicht erkennen, weil sie gegen das Sonnenlicht oft nicht zu erkennen sind. Für Fußgänger gilt eigentlich bei Weiß geht man und bei Rot steht man. Aber das scheint hier auch nicht so beachtet zu werden. Bei kleineren Straßen geht man einfach, wenn kein Auto kommt, auch wenn man Rot hat. Oft muss man auch auf die Autofahrerampeln achten, denn wenn die Autofahrer in der Gehrichtung grün haben, kann man sich ebenfalls bewegen. Am ersten Tag hatte ich das Gefühl nie durchzusteigen, aber man entwickelt ein Gefühl dafür.
Dieser Satz wurde mir bereits am ersten Tag öfters gesagt, eine ehemalige Freiwillige, die zurzeit in Buenos Aires studiert, hat mich und meine Mitbewohnerin in Empfang genommen und uns die Wohnung gezeigt, sowie die kleine Einkaufsstraße, wo wir beinahe täglich einkaufen gehen. Der Ort, wo wir wohnen ist ein sehr gutes Barrio, so nennt man hier die einzelnen Stadteile. Wir können uns auch abends draußen frei bewegen.
Wir wohnen in einer deutschen Kirchengemeinde, wo unsere Vermieterin die Pastorin ist und mit uns auf Deutsch kommuniziert, was gerade am Anfang sehr angenehm war, denn zu erklären, dass der Wasserhahn in der Küche abgefallen ist, wäre auf Spanisch etwas schwierig gewesen. Aber alles halb so schlimm, man kann ihn ja einfach wieder dranstecken und warten bis er gar nicht mehr hält. Eines stand für mich bereits am ersten Abend fest, dieses Jahr wird mich sehr erfinderisch machen!
Zurzeit wohne ich also mit fünf anderen Mädchen in einer WG. Zu meiner Überraschung wohne ich bereits in der Wohnung, wo ich das ganze Jahr lang leben werde. Zwei der fünf anderen Mädchen werden ebenfalls hier wohnen bleiben und zu uns wird Anfang nächster Woche noch eine weitere Mitbewohnerin kommen.
Was mir ebenfalls direkt am ersten Tag aufgefallen ist, ist das Busfahren hier anders funktioniert, als ich es aus Deutschland gewohnt bin. Es fängt damit an, dass man sich keine Bustickets kauft, sondern eine Karte hat, die man auflädt und man so im Bus bezahlt. Im Bus sagt man dem Busfahrer, wo man hin möchte und bezahlt je nach dem einen bestimmten Preis. Aber bevor man überhaupt zum Busfahrer kommt, muss man seinen Arm raustrecken, um zu signalisieren, dass man mitfahren möchte. Beim Aussteigen muss man darauf achten rechtzeitig auf den Knopf zu drücken, der aufzeigt, dass man austeigen möchte. Und um es noch komplizierter zu machen, muss man sich auch noch merken, wie die Haltestelle  aussah, denn in den Bussen wird nicht angezeigt, welche Haltestelle als nächstes kommt. Aber wie heißt es so schön, man gewöhnt sich an alles? Das stimmt, nach einer Woche kann ich den Bus anhalten und dem Busfahrer sagen, wo ich hinmöchte. Zumindest auf meiner täglichen Strecke zum Büro der IERP (Iglesia Evangelica del Rio de la Plata). Hier haben wir die letzte Woche und diese Woche ein Seminar. Morgens haben wir eine Einführung in das argentinische Spanisch, welches ganz anders ist, als das Schulspanisch, welches die meisten hier bereits gelernt haben. Einige Wörter des Castellanos unterscheiden sich von den Wörtern, die ich einmal gelernt habe. Beispielsweise sagt man hier für „hier“ nicht „aqui“ sondern „acá“ und für „autobus“ hat man hier das Wort „colectivo“. Ein weiterer sehr großer Unterschied ist die Aussprache. Aus einem „ll“, was im Schulspanisch wie „j“ ausgesprochen wird, wird plötzlich „sch“. So wird aus einem gesprochenen „caje“ (richtig: calle – Straße) gesprochen „casche“. Am Anfang ein bisschen verwirrend, aber dennoch verstehe ich schon einiges, was die Argentinier so sagen, jedoch habe ich immer noch Probleme selbst zu sprechen. Nachmittags haben wir unterschiedliche Vorträge oder Workshops zu den unterschiedlichsten Themen, wie beispielsweise einen Vortrag von einem Mitarbeiter der MEDH, welches die zweitgrößte Menschenrechtsorganisation Argentiniens ist.
Nun ungefähr 11.700 Kilometer von zu Hause entfernt, fühle ich mich anders und dennoch gleich. Der erste schwierige Schritt ist getan, aber es kommen noch viele weitere. Buenos Aires ist eine Stadt mit sehr viel Leben, Charme und voller guter und auch böser Überraschungen. Ich hoffe, dass mein anfängliches Gefühl von Vertrautheit und Zuhause mich nicht getäuscht hat und dass ich trotz einiger schwieriger Momente, die mich daran erinnern, dass mein eigentliches Zuhause doch ganz weit weg ist, es schaffe hier ein Jahr lang zu leben und zu arbeiten.