„Ins kalte Wasser geschmissen“

Primer informe intermediario (Erster Zwischenbericht)

Ich schreibe den 11ten September. Vor genau einem Monat hob der riesige Vogel in Frankfurt Richtung Buenos Aires ab und damit hatte das lange Warten sowie die ganzen Seminare ihr Ziel gefunden. Nach der Zeit in Othmarschen, Rahlstedt und Ammersbek zusammen mit dem ZMÖ sind wir jetzt auch ein Teil der IERP hier in Lateinamerika. Die IERP, unsere lokale Partnerorganisation mit Sitz in Argentinien, hatte uns erst sehr herzlich am Flughafen empfangen und uns im Anschluss zu unseren Unterkünften begleitet. Mein Zuhause für die 14-tägige Capacitación (Weiterbildung) war „Esmeralda“. Die Unterkunft selbst war mit seiner Dachterrasse und dem Klaviersaal definitiv die coolste, was der häufige Besuch befreundeter Freiwillige bestätigt. Bis auf die Baustelle neben an, welche morgens um sechs Uhr die Arbeiten fortzusetzen begann, verdient Esmeralda von mir 4 von 5 Sternen. Von dort aus kam man außerdem relativ entspannt mit der Subte (U-bahn) von „9 de Julio“ bis „Juramento“, wo die Seminare stattfanden. Ebendort würde ich die ersten Tage so zusammenfassen: Hände desinfiziert, Kekse gegessen, Tee getrunken, auf unkomfortablen Stühlen gesessen, während wir nett Willkommen geheißen wurden und den persönlichen Sprachtest (Vorsprechen) erfolgreich hinter mich gebracht. Die nächsten zehn Tage waren dann ein Wimpernschlag. Neben Salatbars, Donuts, McDonald´s´, nächtlichen Spaziergängen ans Wasser oder zum „Obelisco“ sowie zum „Plaza de Mayo [Mascho!]“, haben spannende Ausflüge mit Rosanna, Ricardo und ehemaligen Süd-Nord-Freiwilligen Abwechslung in den Seminar-Alltag gebracht. Ob „la Boca“, „Tigre“, „Mercado Belgrano“ oder einfach ein Folklore-Tanzkurs, um nur mal thematisch einen Exkurs zu machen, alle waren super. Bevor dann am letzten Freitag in Buenos Aires die Spanischkurse ihre intensiv vorbereiteten Präsentationen vorstellten – bei dem mich die ca. 62 anderen Freiwilligen neu als „Chef Gustavo Gonzales“ kennen lernen durften – fand ein paraguayspezifisches Vorbereitungsseminar statt, welches für mich mit Abstand zu den interessanteren Fortbildungen zählte. Mein Mentor Carlos kam extra aus Ciudad del Este zu uns in die argentinische Hauptstadt, um uns unser Einsatzland und dessen Kultur, zum Beispiel mit „Chipas“ (Teigringe), etwas näher vorzustellen. Schwups di wubs hieß es dann auch schon sich von allen zu verabschieden. Obwohl man die meisten erst seit dem Flug kannte, fiel mir das Tschüs sagen trotzdem nicht immer leicht. Viel Zeit blieb uns dann im Endeffekt aber auch gar nicht, da die Reisebusse am Nachmittag pünktlich abfahren mussten, und zwar mit uns.

Die Fahrt ging dann gefühlt sogar schneller als der Flug und somit waren wir 19 Stunden später in unserer Stadt, CIUDAD DEL ESTE. Aufgrund unserer vorzeitigen Ankunft, die unsere Mentoren nicht erwarteten, mussten wir also einige Minuten am „terminal de Ómnibus“ warten, was mir die perfekte Gelegenheit bot, die neue Umgebung auf mich wirken zu lassen. Anschließend hat uns Julia, die „Partnerin in meinem Projekt und meinem Leben“ wie Carlos uns beibrachte, eingesackt und uns zu unserem Häuschen gefahren. Der süße, rosane Bungalow hat mich direkt für sich gewonnen. Es steht auf unserem ummauerten Gelände mit Garten und bietet mir eine optimale Wohlfühlatmosphäre mitten in Santa Ana. Mein Häuschen verdient von mir 5 von 5 Sternen. Kaum genossen und im Wifi eingeloggt wurden wir daraufhin zu einem köstlichen „almuerzo“ (Mittagessen) bei unseren Mentoren eingeladen. Und genau so fing das genauere Kennenlernen unseres „compañero“ (Kollege), unserer „compañera“ (Kollegin), aber auch unseres Projektes an. Die Einzelheiten und die genaue Struktur der „Callescuela“ (~Straßenschule) wurden uns hinterher im Büro näher erläutert. Wir haben uns nicht nur leicht ins kalte Wasser geschmissen gefühlt als die Leute rücksichtslos anfingen uns voll zu reden, was uns etwas spanisch vorkam 😉 [weil es tatsächlich nicht spanisch, sondern teils guaraní war], sondern auch als wir plötzlich am ersten Tag mit den Kindern ´was machen sollten´. Am nächsten Tag waren wir dann aber an einem anderen Standort unseres Projektes, genauso wie die darauf folgenden zwei Tage. Am Montag dem zweiten September wurden dann die Stellen auf uns zwei Callescuela-Freiwillige aufgeteilt und der richtige Spaß begann. Ich arbeite jetzt in den Standorten „Añua Roga“ in Santa Ana – was so viel wie „Haus der Umarmungen“ auf der indigenen zweiten Amtssprache Guaraní heißt – und in San Roque, einem noch ärmeren Stadtteil einige Kilometer von meinem Stadtteil entfernt. Diese Armut möchte/kann ich zwar mit keiner Vokabel konkretisieren – diese Realität muss man mit seinen eigenen zwei Augen kennen lernen – was ich aber sagen kann: Du, LeserIn, sei dankbar(er)!

Trotz allem scheinen die Kinder hier glücklicher als die unsere. Wenn ihr euch fragt „Warum?“ sage ich „Es zählen [wirklich] die kleinen Dinge im Leben!“ Da hatte meine Mutter mal wieder Recht. Bis heute sahen die Tage strukturell sehr ähnlich aus, weshalb wir bis dato nicht einmal im Zentrum waren. Naja, wie ich hier gelernt habe kann Spontanleben auch schön sein.

Jetzt sitze ich hier, mit der einen Hand meinen Zimt-Tee schlürfend, und wollte eigentlich nur paar kurze Zeilen aneinanderreihen. Wenn ihr es trotzdem bis hier hin geschafft habt, Danke! und bis zum segundo informe intermediario. ¡Nos vemos!

Cambia todo cambia

Cambia el modo de pensar                        Es ändert sich die Art zu denken
Cambia todo en este mundo.                     Alles in dieser Welt verändert sich.
Cambia el clima con los años                    Es wandelt sich mit den Jahren das Klima
Cambia el pastor su rebaño                       Der Hirte wechselt seine Herde
Y así como todo cambia                              Und so, wie sich alles verändert,
Que yo cambie no es extraño                     ist es nicht verwunderlich,
                                                                          dass auch ich mich verändere.
Fast 4 Wochen wohne ich nun in meinem neuen Zuhause in Asunción, der Hauptstadt Paraguays. 4 Wochen voller herzlicher Begegnungen, schwieriger Herausforderungen, fremder Gerüche und Geschmäcke, neuer Angewohnheiten, unbekannter Wege, Orte und Worte. 4 Wochen in denen ich mich überaus verändert und verliebt habe. Nicht verwunderlich, bei all diesen Eindrücken, dieses wunderschönen Landes mit all seinen Facetten. Noch nie zuvor hatte ich in einem Fernbus ein warmes Mittagessen zusammen mit einem kalten Bier bekommen, benutztes Klopapier in den Mülleimer geworfen, bei 35°C im Winter barfuß Fußball gespielt oder Mangos vom Himmel fallen sehen. Doch Paraguay macht’s möglich! Ein Land voller Überraschungen, ein Land der Gegensätze, ein Land, über das es nur einen einzigen Reiseführer gibt. Und hier werde ich nun das folgende Jahr verbringen!

Die Suche nach dem Kräuterfrischkäse

Als ich mit meinen Mitfreiwilligen nach ca. 20 Stunden Fahrt am Busterminal von Asunción angekommen bin, wurden wir zunächst von einer unerwarteten Hitzewelle erfasst. Die Fleecejacken, die wir in Buenos Aires noch dringend gebraucht hatten, wurden sofort im Rucksack verstaut. Nach einem herzlichen Empfang zweier unserer zukünftigen Mitarbeiter der „Callescuela“, wurden wir mit dem Auto zu dem Studentenheim, hier orfa, gefahren, in dem wir nun für ein Jahr wohnen werden. Dieser Ort ist mir so schnell ans Herz gewachsen! Das riesige Gelände auf dem sich auch eine deutsch-paraguayarische Kirche befindet, ist voller Leben. Hier wachsen Palmen und Mangobäume, laufen Hunde, Kaninchen und Katzen in Frieden über die vielen Grünflächen oder spielen Studenten im Gemeinschaftsraum Tischtennis sowie draußen Volleyball und Fußball. Wenn man Lust hat zu reden, muss man sich einfach auf eine beliebige Bank setzten und darauf warten, dass sich einer dazusetzt und Terere anbietet (den typisch-paraguayischen kalt aufgegossenen Matetee). Die Sprache ist dabei jedes mal wieder anders, da hier Studenten aus aller Welt zusammenfinden. So konnten wir gleich am Anfang ganz viele Kontakte knüpfen und bei Problemen schnell eine Antwort finden. Doch nicht nur Wissen über nette Cafés, billige Supermärkte und umliegende Fitnessstudios wird hier geteilt. Alle ca. 30 Bewohner teilen  sich eine Waschmaschine und eine Küche und momentan teile ich mir auch noch mit einer meiner Mitfreiwilligen ein Zimmer, was für mich aber kein Problem ist. Ich kann mich noch gut an unseren ersten Abend in der orfa erinnern an dem wir uns, noch total erschöpft von der Busfahrt, dafür entschieden zu einem benachbarten einheimischen Lokal namens „Pizza Hut“ zu gehen um das aufwendige Kochen zu vermeiden. Nach all den neuen Eindrücken des Tages, gab uns das Alte und Bekannte einen gewissen Halt. Denn auch unseren heimischen Kräuterfrischkäse hatten wir in dem großen Supermarkt Superseis nicht finden können. Mittlerweile kennen wir uns hier in der Gegend echt gut aus und wissen welche Aufstriche hier tausendmal besser schmecken als alle deutschen Kräuterfrischkäse zusammen. Auch die Altstadt haben wir schon ein wenig erkundet, sowie einige Parks, Bars und Einkaufszentren. Als vor einigen Tagen eine neue deutsche Freiwillige zu uns ins Wohnheim gezogen ist, haben wir uns schon fast wie Einheimische gefühlt, als wir ihr den Weg zum Supermarkt beschrieben.

Hier gibt es sowohl Avocados der Größe eines Tischtennisballes, als auch welche die mein ganzes Gesicht abdecken könnten. Aber egal welche man nimmt, leckerer als in Deutschland sind sie hier immer. 

Der Regierungspalast von Asunción hinter einem Schild, über das sich jeder Tourist freut. 

Die Straßenschule

In meinen ersten Wochen in Asunción habe ich natürlich nicht nur die Stadt und meine Umgebung kennengelernt, sondern auch die „Callescuela“, bei der ich das Jahr über arbeiten werde. Die Callescuela ist ein Verein der sich seit 1983 für Kinder und Jugendliche einsetzt, welche arbeiten müssen um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Mit dem Prinzip „educando por la calle“(etw. lernen auf der Straße) versucht die Callescuela die Kinder und Jugendlichen bei ihrem Bildungsweg durch Nachhilfe zu unterstützen, sie über ihre Rechte zu informieren und ihnen die Möglichkeit zu geben sich zu organisieren und politisch für die eigenen Rechte und eine bessere Zukunft einzusetzen.  Zudem bietet sie ihnen Zugang zu Materialien, Essen und Freizeitangeboten, wie Fußballspielen oder Bastelaktionen, welche sie oft zu Hause nicht erhalten könnten. Die Callescuela hat in Asunción insgesamt 4 unterschiedliche Einsatzstellen, die wir uns in den ersten Wochen alle ansehen durften. Davon sind zwei an den Orten, an denen die meisten Kinder und Jugendlichen in der Stadt arbeiten: dem Mercado Abasto und dem Busterminal. Diese beiden Projekte sind öffentlich und können daher von allen Kindern und Jugendlichen genutzt werden. Im Mercado gibt es auch nachmittags umsonst ein warmes Essen für alle die es brauchen. Die anderen beiden Projekte befinden sich in zwei ärmeren Viertel eher am Rande der Stadt, also dort wo einige der arbeitenden Kinder und Jugendlichen wohnen. Diese Projekte kann man eher mit einer sehr lockeren Kindertagesstätte vergleichen, da dort auch sehr junge Kinder betreut werden und Ältere Nachhilfe erhalten und unterschiedliche Aktivitäten angeboten bekommen. In einer dieser beiden Einsatzstellen werde ich nun das kommende Jahr arbeiten. Genauer gesagt in der comunidad 9 de Marzo. Einem sehr schönen, überschaubaren Viertel gefüllt von Straßenhunden und sehr herzlichen Menschen, die mich sehr schnell als Teil der großen Familie aufgenommen haben. So kompliziert mein Name für spanisch-Sprecher auch sein mag, immer wenn ich in die kleine Lehmstraße zu meinem Projekt einbiege, höre ich aus irgendeinem Garten ein herzliches „Hola Merle“ (das klingt hier eher wie Marle oder Marie aber das ist mir egal). Nach meinen ersten Tagen alleine im Projekt bin ich oft ziemlich erschöpft von den vielen Herausforderungen. Mal abgesehen von den Sprachmissverständnissen ist es gar nicht so einfach allen Kindern gleichzeitig Aufmerksamkeit zu schenken, autoritär und trotzdem kumpelhaft rüberzukommen und die vielen Fragen über Deutschland zu beantworten. Immer wenn ich nach einem deutschen Schimpfwort gefragt werde, antworte ich „Eichhörnchen“. Jedoch bin ich auch nach jedem neuen Arbeitstag total erfüllt, von all den neuen Eindrücken und der unglaublichen Energie und Lebensfreude, die die Kinder mitbringen. Nicht nur die Energie bei extremer Hitze Fußball zu spielen oder auf einen Baum zu klettern um mir danach unbekannte Früchte in den Mund zu stecken, sondern auch die Energie zu lernen. Einmal wöchentlich treffen sich die Kinder und Jugendlichen in Gruppen um sich über ihr Leben als Arbeiter und Schüler zu unterhalten aber auch um zusammen mehr über wichtige Themen wie Gesundheit, Ernährung, gewaltfreien Umgang oder Kinderrechte zu lernen. Immer wieder bin ich beeindruckt, wie selbständig die Kinder und Jugendlichen hier schon sind.
 

Hier wurden meine Mitfreiwillige Laura und ich herzlich von der Gruppe „Abeja“ der comunidad Villa Elisa empfangen, in der ich auch zwei Tage der Woche arbeite. 
 

Hier hatten wir die Ehre an einem Treffen einiger indigener Völker Paraguays teilzunehmen, welche sich für den Schutz ihrer heiligen  „Tierra Madre“ (Mutter Erde) einsetzten. 
Ich bin schon sehr gespannt und voller Vorfreude darauf, was sich noch alles in den nächsten 4 Wochen ereignen und verändern wird. Einfach ein bisschen Terere trinken und abwarten bis die Mangos vom Himmel fallen (die sind nämlich bald reif). Denn dass sich alles verändert, ist ja nicht verwunderlich.
Die allerbesten Grüße meine Amigos!
Merle