Wo liegt eigentlich Paraguay?

Hallo, Hola und Mba’éichapa (Guaraní)

Ich bin Lea und ich mache meinen Freiwilligendienst in Asunción, Paraguay

Paraguay ist ein Land, in dem es nur wenig Tourismus gibt und welches für viele Menschen noch unbekannt ist. Für mich war das nicht anders. Als ich meinen Platz bekommen habe, waren alle natürlich neugierig und haben angefangen mir alle möglichen Fragen zu stellen. Die Tatsache, dass ich nur sagen konnte, dass Asunción die Hauptstadt ist, es zwischen Argentinien und Brasilien liegt und ich nirgends einen Reiseführer dafür finden kann, war da leider nicht ausreichend genug. 

Also musste erstmal gegoogelt werden…Ahh okay, fast 7 Millionen EinwohnerInnen, wenig Tourismus, überraschend viele deutsche und zwei Amtssprachen; Spanisch und die indigene Sprache Guaraní, welche genau so heißt wie auch die Währung vor Ort (1€ sind ungefähr 8.000 Guaraní). Stück für Stück konnte ich immer mehr über Paraguay herausfinden und die ganzen Fragen mehr oder weniger beantworten. Inzwischen weiß ich schon deutlich mehr über das Land, die Menschen und ihre Kultur und ich lerne jeden Tag dazu. 

Aber jetzt ist natürlich auch die Frage was ich hier eigentlich so mache; 

Ich arbeite in der Callescuela, diese ist eine Organisation, die sich für die Förderung der Rechte von Kindern und Jugendlichen einsetzt. Besonders für arbeitende Kinder und Jugendliche. Neben dem Büro gibt es in Asunción 4 Einsatzstellen, von denen dieses Jahr 3 besetzt sind. Ich arbeite in der Einsatzstelle “Villa Elisa”, welche eine von den Stellen ist, die sich direkt in einer der “Comunidades” (Gemeinschaft/Siedlung) befindet.

Dann gibt es noch “9 de Marzo” oder „Nueve de Marzo“, wo eine Freiwillige arbeitet und der “Mercado Abasto”, auf dem noch zwei weitere Freiwillige arbeiten.

Mein „Zuhause“ ist hier in einer Art Studentenheim, in dem ich gemeinsam mit 4 weiteren Freiwilligen lebe. Ich habe meine eigenen vier Wände (+ gelegentliche Besuche von Ameisen) und sogar ein eigenes kleines Bad. Auf dem Gelände leben ungefähr 30 StudentenInnen, die Vermieterin mit ihrer Familie, die deutsche Kirche mit dem deutschen Pastor und seiner Frau und 4 Hunde. Es gibt mehrere Gebäude auf dem Gelände verteilt, ein Fußballplatz, sehr viel grüne Fläche und Papaya Bäume.

Einen typischen Tag bzw. Woche könnt ihr euch so vorstellen: 

Um ca. 6:30 Uhr stehe ich auf, Frühstücke etwas und mache mich fertig. Zwischen 7:00-7:15 gehe ich los zu meiner Busstation und dann heißt es erstmal warten, bis der richtige Bus kommt, das kann manchmal sehr lange dauern und für eine Person, die aus einer Großstadt wie Hamburg kommt, fühlt es sich wie eine Ewigkeit an. Wenn der Bus dann da ist, muss ich ungefähr 30-45 Minuten fahren, je nach dem wie viel Verkehr es gibt. Manchmal nutze ich die Zeit zum Vokabeln lernen, meistens schlafe ich aber einfach ein.

Angekommen in Villa Elisa:

Dort gibt es drei verschiedene Altersgruppen. „CEPI“ (2-4), „Abeja‘s“(6-13) und „Goats“(Jugendliche). Dienstags und Donnerstags gibt es eine sogenannte „Refuerzo“ (Hausaufgabenhilfe), bei der auch eine Professorin/Lehrerin da ist und mit den Kindern schreiben, lesen und Guaraní lernt oder ihnen beim Hausaufgaben machen hilft. Am Mittwoch und Freitag Nachmittag ist immer die „CEPI“ Gruppe da. Es wird gespielt, gesungen, gebastelt und gegessen. Samstag Vormittags sind dann noch die Jugendlichen da. Dort gibt es meistens eine „Reunión“ (Eine Besprechung/Sitzung), bei der viele verschiedene Themen besprochen werden.

Mittwochs und Freitags habe ich nach der Arbeit von 18-20:00 noch Training. Ich habe das Glück hier, das Ringen weiter fortzuführen und habe mich sehr früh bereits über Vereine und Trainingsmöglichkeiten informiert. Das hat mir sehr geholfen eine gewisse Routine und etwas vertrautes, aber trotzdem auch neues/anderes in diesem ganzen Chaos zu haben. Auch wenn mir manchmal die Motivation fehlt, schaffe ich es meistens trotzdem mich zum Training zu motivieren und im Nachhinein bin ich auch immer sehr froh, da gewesen zu sein. 

Nach dem Training geht es wieder nachhause und meistens machen wir Freiwilligen noch etwas zusammen, wie reden, kochen oder spielen „Wizzard“. Das Wochenende fängt für mich am Samstag Nachmittag an und geht bis Montag. Wenn wir nicht gerade etwas gemeinsam unternehmen, ist das auch die Zeit, wo ich meine Wäsche waschen kann, einkaufen gehe oder ein bisschen mein Zimmer und Bad putzen kann.

Inzwischen lebe ich mich so langsam ein, auch wenn es mir manchmal noch etwas schwer fällt und ich noch viel an mein Zuhause denken muss. Ich bin aber sehr froh, hier in Asunción gelandet zu sein! Auch in meiner Einsatzstelle fühle ich mich immer wohler. Der Arbeitsweg wird zur Routine, der Bus ein guter Ort für Power-naps und jedes mal wenn ich meine Communidad betrete, überkommt mich ein wohliges Gefühl. 

Ich bin sehr dankbar für die ganzen Menschen, die mir diese Zeit hier ermöglichen und vor allem bin ich gerade sehr dankbar für die Personen, die mir das ankommen hier erleichtern, unabhängig davon, ob sie dabei tausende von Kilometern entfernt sind, nur durch eine regelmäßig abrechende WLAN Verbindung für mich da sind oder ob sie ganz nah sind und mit der Hilfe von Google Übersetzer mir hier vor Ort helfen, Ich bin sehr dankbar dafür! 

Was noch ein bisschen ein Stein im Schuh ist, ist das Thema Visum. Anders als die meisten, müssen wir erst hier vor Ort den größten Teil dafür machen. Was vor einem halben Jahr noch sehr toll war, ist jetzt leider sehr nervig. Für uns heißt das nämlich, regelmäßige Besuche bei verschiedenen Behörden und ständig von A nach B rennen. Aktuell haben wir aber alle Dokumente und müssen jetzt nur noch das finale Visum beantragen. Zum Glück werden wir viel dabei unterstützt, was die ganze Sache deutlich leichter macht. Ich werde aber trotzdem sehr froh sein, wenn das kein Thema mehr ist.

Dafür gibt es aber viele andere schöne Dinge und Momente hier, über die ich mich immer freuen kann. Zum Beispiel, wenn ich weniger als 15 Minuten auf meinen Bus warten muss, die Papaya Bäume im Studentenheim, der Beginn der Mango-Saison, Dienstags und Donnerstags „Cocido con leche“ trinken (Eine Art schwarzer Tee mit Milch und einem Jahresvorrat an Zucker), etwas anderes gekocht zu haben als Nudeln mit Soße, ein neues Wort auf Guaraní lernen, wenn es nach ein paar heißen Tagen wieder auf 25 Grad abkühlt oder wenn man sich endlich dazu aufbringen kann einen neuen 25L Wasserkanister die Treppe hoch zu schleppen. 

Wie ihr seht gibt es hier viele Dinge und noch mehr über die ich mich regelmäßig freuen kann, auch wenn ich anfangs einige davon als große Qual gesehen habe. Aber sin problema (ohne/kein Problem), wenn ich wieder zuhause bin, wird mir nie wieder zu heiß sein, ich kann 1A Nudeln kochen und habe Muskeln wie Arnold Schwarzenegger.

Von Regen, Reisen und Ostertraditionen

Hier folgt nun mein 3. Rundbrief, den ich über die Monate März, April und Mai geschrieben habe.

Liebes ZMÖ, liebe Freunde, Verwandte, Unterstützer und Interessenten,

ein herzliches „mba´eichapa“ (guarani.; wie geht es) aus dem fernen Paraguay! Mir geht es eigentlich ziemlich gut. Mal abgesehen davon, dass mein Abschied immer mehr in die Nähe rückt und ich mich in einer total zerrissenen Gefühlslage befinde, in der ich einerseits für immer hier bleiben, jeden Moment bis zum letzten Tropfen ausschöpfen und zu jeder möglichen Erfahrung „ja“ sagen will, jedoch aber auch natürlich in Vorfreude auf mein Zu Hause in Deutschland blicke und in diversen Visionen und möglichen Plänen für die Zukunft „danach“ versinke….aber gut, deswegen sind wir ja nicht hier. Dieser, mittlerweile schon dritte Quartalsbericht, wird wieder ein kleiner Rückblick auf meine letzten drei Monate und all die Erfahrungen und Eindrücke, die ich in dieser Zeit so gesammelt habe!

Mein drittes Quartal hier in Lateinamerika war mal wieder total aufregend, vielseitig und geprägt von Umschwüngen, sowohl in meinem Arbeitsalltag als auch im Wetter. Die unerträgliche Hitze, von der ich in meinem letzten Rundbrief berichtet hatte, wurde nun von einer herbstlich angenehmen Kälte ersetzt. Mit diesem „tiempo fresquito“, so wie man hier sagen würde, kamen aber leider auch ziemlich heftige Regenfälle. Das müsste mir ja als stolze, geborene Norddeutsche eigentlich nichts ausmachen, denken jetzt vielleicht einige. Jedoch ist Regen hier in Paraguay nicht einfach nur Regen. Wenn es dann erstmal losgeht, hört er erstmal länger nicht auf und sorgt oft für schwerwiegende Überschwemmungen, da im Land noch bessere Ablaufsysteme und vielen Familien wasserdichte Häuser fehlen. Dazu kommt noch, dass der Müll, welcher hier oft achtlos auf die Straße geworfen wird, im Falle des Regens die Straßen hinunterschwimmt und die Gullis verstopft, so dass es schon einmal vorkommen kann, dass die Hauptverkehrsstraßen gesperrt werden müssen, da sie nicht ohne Boot überquert werden können. Obgleich der Staat leider wenig dazu beisteuert, den Paraguayern, die unter den Überschwemmungen leiden, zu helfen, herrscht dafür viel Solidarität unter der Bevölkerung. Gemeinsam haben wir in den Comunidades der „Callescuela“, Spenden in Form von warmer Kleidung, Lebensmitteln, Decken etc. gesammelt und zu einer der betroffenen indigenen Siedlungen auf dem Land gebracht. Echt eindrücklich, dass gerade, diejenigen Menschen, die selber aus schwierigen sozialen Situationen stammen, mit so viel Einsatz kollaboriert haben.
Natürlich wäre Paraguay aber nicht Paraguay, wenn die gelegentlichen 30° Hitze-Tage nicht ab und zu einen überraschenden Besuch abstatten würden. Diese Zeit nutze ich dann meistens gerne um Ausflüge mit Freunden zu unternehmen, neue Orte zu erkunden oder auch einfach gerne ein bisschen in meiner Hängematte im Garten zu lesen und dabei dem lauten Vogelgezwitscher lauschen. Einige Ausflüge die ich in letzter Zeit gemacht habe und auch jedem interessierten, abenteuerlustigen Reisebegeisterten der sich das Herz Südamerikas vornehmen möchte, empfehlen kann, sind zum Beispiel; die Wasserfälle Salto Inglés und Cristal, der Berg Cerro Arco in der Region Tobatí sowie für alle die gerne eine Herausforderung und Oberschenkelmuskelkater haben wollen, den höchsten Berg Paraguays; den Cerro 3 Kandu mit seinen satten 842m Höhe. Dort habe ich mit meinen Mitfreiwilligen und einer großen Reisegruppe eine Nacht gezeltet, um dann leider am nächsten Morgen nichts als weit und breit Nebel sehen zu können. Aber na gut, mal drauf gewesen zu sein ist ja schließlich das Wichtigste, ne? 😉

Meine Mitfreiwillige und ich am Wasserfall „Salto Cristal“

Zudem hatte ich Anfang März das große Glück für eine Woche Besuch von meinem Freund aus Deutschland zu bekommen. Das war nochmal eine ganz andere Erfahrung, da ich die Dinge, an die ich mich schon so gewöhnt hatte, so noch einmal von einer ganz anderen Perspektive betrachten konnte. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Kakerlaken eigentlich nicht in ein Küchenregal gehören?
-Nein, Scherz (Keine Sorge Mama hier ist es super ordentlich, das versichere ich dir!)
Insgesamt war es auf jeden Fall wunderschön die neue Welt die mir hier so ans Herz gewachsen ist, mit jemandem von zu Hause zu teilen und ihm somit diesen dazugewonnenen Teil von mir anzuvertrauen. Fehlende Spanisch Kenntnisse hin oder her, hat sich mein Freund auch richtig gut in meinem Projekt zurechtgefunden und sich super mit den Kindern verstanden. Denn UNO spielt man dann doch überall auf der Welt gleich, aka unter Kindern mit ständig wechselnden Regeln und daher einer Erwachsenen-Gewinnchance von ca. 0,00001 %.
Einen weiteren Besuch habe ich noch Mitte März von meiner lieben Länderreferentin vom ZMÖ (hier ein kurzer Gruß), Kathrin Fiedler erhalten. Da habe ich mich natürlich sehr drüber gefreut und vorher auch noch einmal extra ordentlich aufgeräumt.


Nun aber endlich weg von meinen Freizeitaktivitäten und hin zu dem was eigentlich die meiste meiner Zeit hier in Asunción einnimmt und sie auch so besonders macht; meine Arbeit als Freiwillige bei der Callescuela. In diesem zweiten Halbjahr habe ich mittlerweile sehr viel mehr Aufgaben und damit auch mehr Verantwortungen anvertraut bekommen. Darüber freue ich mich natürlich sehr, obwohl ich auch immer versuche die Nachhaltigkeit in meiner Arbeit stetig im Blick zu behalten. So sehr es auch insgeheim der Traum jedes Freiwilligen ist, unentbehrlich zu sein, geht es letztendlich bei einem Freiwilligendienst nicht darum einen Arbeitsplatz zu besetzen, sondern besonders um das gemeinsame und das voneinander-Lernen. Im Februar haben wir uns also mehrmals mit allen Mitarbeitern der Callescuela zusammengesetzt um alle Projekte nochmal komplett umzustrukturieren, so dass mein Arbeitsalltag nun mittlerweile so aussieht:
Meine 5 Arbeitstage in der Woche kann ich nun, auch wenn es mir in der anderen Comunidad namens „Villa Elisa“ auch immer sehr gut gefallen hat, nun komplett in der Comunidad „9 de Marzo“ verbringen. Mein Mitarbeiter, der ein ausgebildeter Lehrer und erfahrener Sozialarbeiter ist, kann nun nämlich öfters als 3 Tage im Projekt arbeiten, anders als im letzten Jahr. Nun gibt es dreimal die Woche den ganzen Tag Nachhilfe und zusätzlich jetzt an zwei Tagen vormittags meinen kleinen Englischkurs, in dem ich auf Spielende Weise, mit einer Gruppe von Kindern im Alter von 6-15 Jahren, Basisgrundkenntnisse in Englisch erarbeite. Meistens bringe ich dann meine Ukulele mit und wir singen lauthals Lieder wie „i like to eat apples and bananas“, so oft, dass der Ohrwurm noch bis zum nächsten Kurstag anhält. Die Durchführung kleiner Spiele und Aktivitäten, sowie die Planung des Ganzen, macht mir so viel Spaß, dass ich mir gut vorstellen könnte etwas in der Art später als Beruf auszuüben. Zudem gibt es dieses Jahr natürlich auch wieder zweimal wöchentlich unsere Kindergarten CEPI- Gruppe, diesmal aber unter einer neuen Leitung. Dieses Halbjahr haben meine Mitfreiwillige Laura, und ich, da wir nun ja schon ein paar Monate zum Einarbeiten hatten, viel mehr Mitspracherecht und sind für die Planung und Durchführung der Einheiten mit hauptverantwortlich. Mit den Kleinen sind wir momentan zum Beispiel dabei, unterschiedliche Farben und Formen kennenzulernen. Ganz neu im Angebot, gibt es jetzt aber auch ein Samstags- Freizeitprogramm für alle Kinder und Jugendlichen der Siedlung, bei dem ich vormittags für ein paar Stunden mit einem jungen Studenten, der früher auch mal ein Teil der Organisation war, unterschiedliche Aktivitäten anbiete. Meistens endet es darin, dass wir auf dem anliegenden Platz Fußball oder andere Spiele spielen. Abgesehen davon, werden von den Gruppen auch ab und zu am Wochenende noch Pizza oder Hamburger Verkäufe veranstaltet, um Geld für bevorstehende Veranstaltungen oder Anschaffungen, wie zum Beispiel einen Drucker, zu sammeln. Da bleibe ich dann natürlich auch noch ein gerne eine Weile, so dass 9 de Marzo schon echt zu meinem zweiten Zu Hause hier in Asunción geworden ist. Ein besonderes Highlight in den letzten Monaten war auch das gemeinsame Osterfest mit der ganzen Comunidad. Traditionell bereitet man hier in der Osterwoche, der Semana Santa, das typisch-paraguayische Gebäck „Chipa“ zu und teilt dieses dann gemeinsam mit Familie und Freunden, während man dazu einen leckeren warmen „Cocido“ trinkt (ein zuckeriger Matetee mit Milch). Die Zubereitung des Teiges, sowie das Formen in die klassische runde Donut/Bagel Form der Chipa, habe ich von den Müttern aus meinem Projekt gelernt, um mich dann erfolgreich an der Bäckereiproduktion der Kinder und Jugendlichen beteiligen zu können. Die fertig geformten Ringe wurden dann auf mit Palmenblättern ausgelegte Backbleche gepackt und in einem traditionellen Steinofen, dem „Tatakua“, gebacken. Das Endergebnis war auch selbst leicht angebrannt noch unglaublich lecker!

Die berühmt-berüchtigte-paraguayische CHIPA

Ein weiterer Feiertag, den wir hier ausgiebig gefeiert haben, war der Muttertag am 15. Mai. Dafür wurde in der „oficina“, dem Hauptbüro der Callescuela im Rahmen des „Tereré Yere“ Wochenendes (was das ist, erkläre ich gleich) von den Kindern und Jugendlichen aus ein Fest für ihre Mütter organisiert und mit einem bunten Programm aus Beiträgen geschmückt. So wurden Gedichte, Tänze und Lieder präsentiert und auch wir vier Freiwilligen haben uns, in Form eines selbstgedichteten Liedchens, passend zum Thema, eingebracht. Danach wurde noch das Tanzbein geschwungen und Torte und Panchos (übersetzt: Hotdogs) gegessen. Diese Feier war Teil des „Tereré Yere“ Wochenendes, an welchem sich alle Repräsentanten der einzelnen Gruppen von arbeitenden Kindern und Jugendlichen der Callescuela, ein Wochenende lang treffen und sich über wichtige Themen austauschen und fortbilden. Das Ganze hatte den Charakter einer großen Pyjamaparty, mit dem gewissen Hauch von Tiefe und Ernsthaftigkeit. Obgleich viele Spiele gespielt wurden, hatten diese immer eine gewisse Objektive z.B. der Integration der unterschiedlichen Gruppen oder der Entwicklung von Teamstrategien und Selbstreflektion. Das Hauptthema dieses Wochenendes war neben der Planung des Muttertags, die Militanz, in diesem Fall der politische Aktivismus in einer Gruppe und wie man sich als Mitglied solch einer Gruppe verhalten sollte. Nach einer abendlichen Karaokesession haben wir dann alle mit insgesamt ca. 30 Kindern der unterschiedlichen Einsatzstellen in den gerade neu errichteten Schlafräumen, des Büros der Callescuela geschlafen.
Weitere eindrückliche Erfahrungen die ich bei der Arbeit in den letzten Monaten machen durfte, war die Begleitung der Kinder und Jugendlichen auf mehrere Demonstrationen. Da die Callescuela eine sehr politische NGO ist, hat die
Partizipation einen besonders hohen Stellenwert für sie. Die Kinder nicht nur über ihre Rechte zu informieren, sondern ihnen gleich dazu noch Wege aufzuzeigen und näherzubringen, durch welche sie jene Rechte verteidigen können, ist eine Strategie von großer Nachhaltigkeit. Es begeistert mich immer wieder aufs Neue den Einsatz zu sehen, mit dem die Kinder sich zusammentun, Plakate vorbereiten und dann auf der marcha (demo) laut die Parolen mitrufen wie zum Beispiel am 31. Mai „mi cuerpo es mío, no abusen de él, mi territorio, lo voy a protejer“ (übersetzt; mein Körper gehört mir, missbraucht ihn nicht, er ist mein Territorium das ich beschützen werde). An diesem Tag wurde zum Anlass des nationalen Tages gegen den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, demonstriert. Jedes Jahr wird an diesem Tag an die tragische Geschichte des Mädchens Felicita erinnert; eine damals 10-jährige Mandarinenverkäuferin, die 2004 auf dem Berg „Cerro Yaguaron“ in der Nähe Asuncións auf schreckliche Weise misshandelt und dann umgebracht wurde. Leider sind Fälle wie dieser in Paraguay noch immer keine Seltenheit und alleine im letzten Jahr wurden im Land 2.608 Fälle des sexuellen Missbrauches an Kindern registriert (Quelle: 26/04/2019; https://www.ultimahora.com/senales-que-despiertan-sospechas-abuso-sexual-menores-n2815781.html, Ultima Hora). Besonders erschreckend, im Angesicht der Tatsache, dass Paraguay nur ca. 7 Millionen Einwohner hat und davon über 50% Minderjährige sind. Zudem muss man auch im Hinterkopf behalten, dass nur die wenigsten der Betroffenen sich trauen solche Vorfälle zu melden. In den wöchentlichen Gruppentreffen haben wir das Thema auch noch mehrmals ausführlich mit den Kindern und Jugendlichen der Comunidad behandelt und über eigene Erfahrungen sowie Schutzmaßnahmen gesprochen. Hoffentlich können wir in der Zukunft Schritt für Schritt dafür sorgen diese Zahlen radikal zu verringern und den Schutz aller Kinder und Jugendlichen dauerhaft zu sichern!

„Du bist nicht alleine, hab keine Angst, brich die Stille!“

Insgesamt möchte ich diesen Rundbrief aber noch einmal im positiven Sinne mit einem Dank enden, für all die Unterstützung bei meinem Freiwilligenjahr hier in Paraguay! Ich kann mich echt ziemlich glücklich schätzen, so tolle Leute hinter meinem Rücken stehen zu haben 🙂
Ich bin gerade dabei, diese Zeit so viel wie es nur geht zu genießen und versuche mir all diese Bilder und Erfahrungen so gut wie es nur geht einzuprägen, so dass ich das Paraguay wie ich es hier gerade kennen und lieben lerne, immer in meinem Herzen bewahren kann.


Muchos saludos y abrazos,


Merle

Von Arbeitsalltag, Hitze und Weihnachtsfeuerwerken

Hier folgt nun, nach dem Motto; „lieber zu spät als nie, mein 2. Quartalsbericht den ich im Februar über die Monate November, Dezember und Januar geschrieben habe.

Liebes ZMÖ, liebe Freunde, Verwandte, Unterstützer und Interessenten,

als ich diesen Bericht geschrieben habe, war bereits die Hälfte meines Freiwilligendienstes vorbei. Sechs Monate in denen ich ziemlich viel gelernt und erlebt habe und die so verdammt schnell vergingen, dass ich ganz froh bin nun einen kurzen Moment innezuhalten und ein bisschen zu reflektieren was mich in letzter Zeit so beschäftigt hat. 

Wenn die letzten drei Sommermonate eins waren, dann waren sie heiß. 45 Grad im Dezember und Januar; keine Seltenheit. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass mein Gesicht irgendwie die meiste Zeit nass ist und selbst ein dünnes Bettlaken zum Zudecken beim Schlafen zu viel sein kann. Auch dass unser warmes Wasser oft nicht funktioniert, könnte mir nicht egaler sein. So anstrengend diese Hitze nun sein konnte, würde ich sie niemals für einen kalten deutschen Winter eintauschen. Weihnachtsstimmung kam bei mir im letzten Jahr zwar eher nicht auf, jedoch habe ich dafür eine ganz andere Feiertagserfahrung erleben dürfen. Am Abend des 24. war ich bei einer Familie aus meinem Projekt in der Comunidad „9 de Marzo“ eingeladen. Vorher bin ich mit meiner Mitfreiwilligen zum Weihnachtsgottesdienst in der deutsch-paraguayischen Kirche auf unserem Gelände, gegangen. Dort wurden die Strophen von „Stille Nacht, heilige Nacht“ abwechselnd auf Deutsch und auf Spanisch gesungen und bei genauerem Hinschauen konnte man erkennen, dass der große Tannenbaum neben dem Altar komplett aus recycelten und bemalten Plastikflaschen bestand. Danach ging es dann also zu meinem ersten paraguayischen Weihnachtsfest. Ich brachte einen Apfelkuchen und selbstgebackene Kekse mit und freute mich so viele Kinder und Jugendliche aus meinem Projekt dort zu treffen, die schon vor Mitternacht mit Böllern auf den Straßen umherliefen. Denn hier in Paraguay ist das „richtige“ Weihnachten am 25. Dezember, in welches wie an Silvester reingefeiert wird. Als ich also bei meiner Ankunft meine Gastgeber mit einem „Feliz Navidad“ (Frohe Weihnachten) begrüßen wollte, wurde ich schnell verbessert; „Das darf man erst ab Mitternacht sagen!“. Bis dahin wurde also viel Leckeres gegessen, Rollbraten, Sopa Paraguaya (ein Kuchenartiges salziges Maisgebäck), Mandioca (eine Art Wurzel die nach Kartoffel schmeckt, deutsch: Maniok) und eine Vielzahl an anderen traditionellen Köstlichkeiten. Zudem wurde ein typisches extrem süßes Getränk namens „Clerico“ getrunken. Das besteht hauptsächlich aus Obstsalat, welcher mit Sprite und ein bisschen Wein gemischt wird. Falls ihr euch fragt wann dann überhaupt die Bescherung stattgefunden hat, muss ich euch enttäuschen. Geschenke werden hier an Weihnachten eigentlich nicht gegeben, wenn dann nur in den reichen Haushalten, die sich an westlichen Standards orientieren. Dafür lag der Fokus viel mehr darauf eine schöne Feier gemeinsam mit der ganzen Familie und allen Nachbarn zu verbringen, um 12.00 Uhr gemeinsam anzustoßen, sich zu umarmen und die bunten Feuerwerke zu bestaunen. Bis spät in die Nacht wurde dann noch weiter gefeiert. Am nächsten Morgen habe ich mit meinen Mitfreiwilligen Geschenke ausgetauscht und dann noch einen etwas „deutscheren“ 1. Weihnachtstag bei einer ehemaligen deutschen Freiwilligen verbracht, die nun schon seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Paraguay lebt. Dort kam dann auch der Weihnachtsmann mit seinen Gaben und trag sogar bei den hohen Temperaturen seine rote Bommelmütze. Silvester habe ich dann einfach mit meinen Freunden in Asuncion verbracht und um 00:00 von der Costanera (aka dem Strand am Rio Paraguay) aus die Feuerwerke bewundert. Da ich in diesem Monat auch Geburtstag hatte, war er leider auch sehr von Heimweh geprägt. Jedoch konnten mich all die wunderschönen Erlebnisse und neuen Erfahrungen immer wieder schnell aus nostalgischen Gedanken, rein in ein blühendes, warmes, buntes „Hier und Jetzt“ ziehen. Im letzten Monat haben wir zum Beispiel herausgefunden, dass wir auf unserem Gelände nicht nur einen Mango-, sondern auch einen Avocado- sowie einen Guayababaum haben! Guayabas sind innen rosa und super lecker. Und das Beste; man kann sie einfach so mit Schale essen. 

Am prägendsten war für mich aber in den letzten Monaten aber natürlich meine Arbeit mit der Callescuela. In der Comunidad „9 de Marzo“ in der ich arbeite und von der ich in meinem ersten Rundbrief schon ein wenig berichtet hatte, habe ich weiterhin mit niños, niñas y adolescentes trabajadores zusammengearbeitet, das heißt Kindern und Jugendlichen die arbeiten. Ich konnte in dieser Zeit nicht nur ihren Bildungsweg mitbegleiten, sondern intensiv ihre Wohn und Familien-situationen sowie ihr soziales Umfeld kennenlernen-, ein toller Vorteil wenn man direkt am Wohnort der Projektteilnehmer arbeitet. So habe ich das Gefühl mehr und mehr in die Gemeinschaft einzutauchen und alle Dynamiken und Probleme die es dort gibt, werden mir immer genauer offenbart, je mehr ich von den Bewohnern aufgenommen werde. Es ist ein wunderschöner, sowie auch oft trauriger Prozess die Hintergründe der Kinder und Jugendlichen so gut kennenzulernen. Einerseits freue ich mich unendlich wenn mir eines der Kinder von seinem/ihrem Tag erzählt oder mich zum Beispiel zu sich nach Hause einlädt. Andererseits ist es oft sehr schockierend zu hören, dass die Eltern einiger Kinder Alkoholiker sind, ihre 17-jährige Schwester sich alleine um ihr Baby kümmern muss oder dass manche von ihren Eltern daran verhindert werden zur Schule zu gehen, da sie im Haushalt aushelfen müssen. Und da ist sie dann wieder. Die allgegenwärtige Ungerechtigkeit. Sie ist jeden Tag in meinem Leben hier präsent; wenn ich zur Arbeit fahre, vorbei an Straßenverkäufern und Fast Food Ketten. Wenn ich auf der einen Seite die dekadenten Luxus-Einkaufszentren Asuncions, sowie auf der anderen Seite die provisorischen Zelte aus Plastiktüten sehe, in denen sich viele Menschen im Zentrum niedergelassen haben. Sie wurden aufgrund von zum Beispiel Bauprojekten von ihren ursprünglichen Wohnorten vertrieben und haben nun aufgrund der fehlenden Unterstützung des Staates, keinen anderen Ort an den sie gehen können. Am Anfang habe ich mich noch sehr mit einem alltäglichen Schuldgefühl herumgetrieben, ausgelöst durch das Unverständnis über mein eigenes Wohlbefinden und dessen Willkürlichkeit. Wieso durfte ich eigentlich so sorglos aufwachsen und andere nicht? Wieso habe ich als weiße Europäerin all diese Privilegien ohne jemals etwas dafür getan zu haben?  Jedoch wie die Ärzte schon sagten; „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist. Es wär’ nur deine Schuld wenn sie so bleibt“. Also habe ich aus all diesen täglichen Beobachtungen und Gedanken mittlerweile eher Motivation für meine Arbeit und meinen zukünftigen Lebensweg geschöpft. 

Meine Aufgaben und täglichen Aktivitäten auf der Arbeit waren auch in den letzten drei Monaten wieder konstant vielseitig. Ende November lag mein Fokus zum Beispiel wieder sehr bei der Unterstützung der Nachhilfe, da Ende November die Sommerferien begonnen haben und daher die letzten Prüfungsphasen, viele Kinder und Jugendliche zum Lernen anregte. Die Nachhilfe bei der Vorbereitung auf die letzten Prüfungen war auch gerade deshalb so wichtig, da die Endergebnisse über die Versetzung der Kinder ins nächste Schuljahr entscheidend sind. Und da einige unserer Kinder aus dem „9 de Marzo“ schon ein oder zweimal das Jahr wiederholt hatten, gab es zusätzlich das Risiko, dass sie die Schule wechseln müssten. Und Schulwechsel hieße dann in manchen Fällen auch gleich Schulabbruch, da leider wenige staatliche Schulen diese Kinder, die schon mehrmals wiederholt haben, aufnehmen wollen. Und Privatschulen, welche dafür eher bereit wären, für die Familien schlichtweg zu teuer sind. Mit diesem Ansporn im Hinterkopf habe ich also zum Beispiel dreimal die Woche mit einigen Jugendlichen Englisch gelernt, mit einer Grundschülerin lesen geübt und einfach so gut es geht meine Mitarbeiter unterstützt. Doch nicht nur die Schulzeit neigte sich in den letzten Novemberwochen dem Ende zu, sondern auch das Jahr mit unserer „CEPI“ Kleinkindergruppe, die auch eine Sommerpause einlegen würde. Um die Erfolge der Kleinen in dem vergangenen Jahr zu feiern, haben wir in den beiden Comunidades bei denen die Callescuela aktiv ist eine sogenannte „Clausura“ veranstaltet. Das kann man eigentlich ganz gut mit einer kleinen Art Zeugnisverleihung vergleichen, mit Präsentationen des Erlernten sowie einem gemeinsamen Essen. Da wir unsere 2-5 jährigen Teilnehmer aber natürlich noch nicht benoten, gab es keine Zeugnisse, sondern für jeden eine individuell gestaltete Mappe mit all den Werken, die im Jahr 2018 im Rahmen der CEPI Gruppe so erarbeitet wurden. Zudem gab es noch für jeden zur Belohnung ein Paar Süßigkeiten, ein „CEPI“ T-Shirt mit Namen und ein Foto mit den Eltern. In der Comunidad „9 de Marzo“ habe ich sogar noch mit einer Mutter zusammen kleine „Graduation“ Hüte gebastelt, wie jene, die in den amerikanischen Filmen immer hochgeworfen werden. Nach all diesen schönen, sowie aber auch anstrengenden Abschlüssen im Projekt ging es danach auch schon los mit Planungstreffen aller Mitarbeiter, in denen wir auf das Jahr zurückgeblickt haben um Verbesserungen für das Nächste zu sammeln. Zudem begann eine Phase des Umbaus, da durch die Unterstützung einer luxemburgischen Organisation, namens PNP, die Renovierung der beiden Lokale in den Comunidades sowie die des Hauptbüros ermöglicht wurde. Wir haben jetzt in „9 de Marzo“ zum Beispiel einen neuen Boden und ein neues Dach und in „Villa Elisa“ eine Klimaanlage, die bei den hohen Temperatur hier im Sommer, von allen sehr willkommen geheißen wurde. Zudem wurde in Ciudad del Este, Paraguays zweitgrößter Stadt, ein neues großes Gebäude für die CONNATs, die Organisation der arbeitenden Kinder und Jugendlichen, welche die Callescuela unterstützt, eingeweiht. Für die Einweihung sind wir extra mit allen Repräsentanten der unterschiedlichen Einsatzstellen 6 Stunden mit dem Bus hingefahren um auf der Feier dann ausgelassen zu tanzen. In diesem Gebäude werden in Zukunft noch viele Treffen und Freizeiten stattfinden, da genug Seminar- und Schlafräume für eine Menge Kinder vorhanden sind. Wenn wir nicht gerade damit beschäftigt waren Listen und Reports für den Jahresrückblick fertigzustellen, stand die Ferienfreizeitgestaltung der Kinder und Jugendlichen im Dezember an erster Stelle. Da wir das Lokal den ganzen Monat ja leider nicht nutzen konnten, bestand diese hauptsächlich aus Fußball/Volleyball spielen auf dem anliegenden Plätzen. An einem Tag haben wir aber auch mit allen teilnehmenden arbeitenden Kindern und Jugendlichen der Callescuela einen großen Ausflug zu einem Freibad gemacht. Dort wurde geplanscht, gespielt und gegessen während meine Mitfreiwilligen und ich die Poolaufsicht machten. Dabei hatten wir so viel Spaß, dass ich erst zu Hause meinen Sonnenbrand bemerkte….

Tanzen mit den Kindern der CEPI Gruppe

Als ich dann im Januar im Urlaub war, habe ich meine wilde Truppe an Kindern vom „9 de Marzo“ richtig vermisst. Auch nach meinem Zwischenseminar in Buenos Aires, habe ich neue Motivation und Ideen für die nächsten sechs Monate, beim Austausch mit meinen Ansprechpartnern und Mitfreiwilligen, gesammelt. Ich bin schon sehr gespannt wie nun das zweite Halbjahr im Projekt für mich aussehen wird! 

Insgesamt bin ich jeden Tag aus Neue dankbar für die tollen Erfahrungen die ich hier machen darf. Das paraguayische Lebensgefühl hat mich gepackt. Ein Leben ohne Tereré (kalter Mate), Chipa (Käse-Mais Gebäck) aber dafür wieder mit Geschirrspülmaschine und Busfahrplänen, kann ich mir schon gar nicht mehr vorstellen. Wenn ich in den letzten Monaten etwas gelernt habe, dann ist es; „otro mundo es posible“, dass eine andere Welt möglich ist, eine andere Welt in welcher andere Gesetze und Standards gelten als unsere Bekannten. Und dass man diese mit offenen Armen empfangen sollte.

Mit diesen Worten wünsche ich euch erstmal alles Gute und sende euch eine Menge besos und abrazos (Küsse und Umarmungen) aus dem schönen Paraguay!

Chao meine amigos,

Eure Merle

Cambia todo cambia

Cambia el modo de pensar                        Es ändert sich die Art zu denken
Cambia todo en este mundo.                     Alles in dieser Welt verändert sich.
Cambia el clima con los años                    Es wandelt sich mit den Jahren das Klima
Cambia el pastor su rebaño                       Der Hirte wechselt seine Herde
Y así como todo cambia                              Und so, wie sich alles verändert,
Que yo cambie no es extraño                     ist es nicht verwunderlich,
                                                                          dass auch ich mich verändere.
Fast 4 Wochen wohne ich nun in meinem neuen Zuhause in Asunción, der Hauptstadt Paraguays. 4 Wochen voller herzlicher Begegnungen, schwieriger Herausforderungen, fremder Gerüche und Geschmäcke, neuer Angewohnheiten, unbekannter Wege, Orte und Worte. 4 Wochen in denen ich mich überaus verändert und verliebt habe. Nicht verwunderlich, bei all diesen Eindrücken, dieses wunderschönen Landes mit all seinen Facetten. Noch nie zuvor hatte ich in einem Fernbus ein warmes Mittagessen zusammen mit einem kalten Bier bekommen, benutztes Klopapier in den Mülleimer geworfen, bei 35°C im Winter barfuß Fußball gespielt oder Mangos vom Himmel fallen sehen. Doch Paraguay macht’s möglich! Ein Land voller Überraschungen, ein Land der Gegensätze, ein Land, über das es nur einen einzigen Reiseführer gibt. Und hier werde ich nun das folgende Jahr verbringen!

Die Suche nach dem Kräuterfrischkäse

Als ich mit meinen Mitfreiwilligen nach ca. 20 Stunden Fahrt am Busterminal von Asunción angekommen bin, wurden wir zunächst von einer unerwarteten Hitzewelle erfasst. Die Fleecejacken, die wir in Buenos Aires noch dringend gebraucht hatten, wurden sofort im Rucksack verstaut. Nach einem herzlichen Empfang zweier unserer zukünftigen Mitarbeiter der „Callescuela“, wurden wir mit dem Auto zu dem Studentenheim, hier orfa, gefahren, in dem wir nun für ein Jahr wohnen werden. Dieser Ort ist mir so schnell ans Herz gewachsen! Das riesige Gelände auf dem sich auch eine deutsch-paraguayarische Kirche befindet, ist voller Leben. Hier wachsen Palmen und Mangobäume, laufen Hunde, Kaninchen und Katzen in Frieden über die vielen Grünflächen oder spielen Studenten im Gemeinschaftsraum Tischtennis sowie draußen Volleyball und Fußball. Wenn man Lust hat zu reden, muss man sich einfach auf eine beliebige Bank setzten und darauf warten, dass sich einer dazusetzt und Terere anbietet (den typisch-paraguayischen kalt aufgegossenen Matetee). Die Sprache ist dabei jedes mal wieder anders, da hier Studenten aus aller Welt zusammenfinden. So konnten wir gleich am Anfang ganz viele Kontakte knüpfen und bei Problemen schnell eine Antwort finden. Doch nicht nur Wissen über nette Cafés, billige Supermärkte und umliegende Fitnessstudios wird hier geteilt. Alle ca. 30 Bewohner teilen  sich eine Waschmaschine und eine Küche und momentan teile ich mir auch noch mit einer meiner Mitfreiwilligen ein Zimmer, was für mich aber kein Problem ist. Ich kann mich noch gut an unseren ersten Abend in der orfa erinnern an dem wir uns, noch total erschöpft von der Busfahrt, dafür entschieden zu einem benachbarten einheimischen Lokal namens „Pizza Hut“ zu gehen um das aufwendige Kochen zu vermeiden. Nach all den neuen Eindrücken des Tages, gab uns das Alte und Bekannte einen gewissen Halt. Denn auch unseren heimischen Kräuterfrischkäse hatten wir in dem großen Supermarkt Superseis nicht finden können. Mittlerweile kennen wir uns hier in der Gegend echt gut aus und wissen welche Aufstriche hier tausendmal besser schmecken als alle deutschen Kräuterfrischkäse zusammen. Auch die Altstadt haben wir schon ein wenig erkundet, sowie einige Parks, Bars und Einkaufszentren. Als vor einigen Tagen eine neue deutsche Freiwillige zu uns ins Wohnheim gezogen ist, haben wir uns schon fast wie Einheimische gefühlt, als wir ihr den Weg zum Supermarkt beschrieben.

Hier gibt es sowohl Avocados der Größe eines Tischtennisballes, als auch welche die mein ganzes Gesicht abdecken könnten. Aber egal welche man nimmt, leckerer als in Deutschland sind sie hier immer. 

Der Regierungspalast von Asunción hinter einem Schild, über das sich jeder Tourist freut. 

Die Straßenschule

In meinen ersten Wochen in Asunción habe ich natürlich nicht nur die Stadt und meine Umgebung kennengelernt, sondern auch die „Callescuela“, bei der ich das Jahr über arbeiten werde. Die Callescuela ist ein Verein der sich seit 1983 für Kinder und Jugendliche einsetzt, welche arbeiten müssen um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Mit dem Prinzip „educando por la calle“(etw. lernen auf der Straße) versucht die Callescuela die Kinder und Jugendlichen bei ihrem Bildungsweg durch Nachhilfe zu unterstützen, sie über ihre Rechte zu informieren und ihnen die Möglichkeit zu geben sich zu organisieren und politisch für die eigenen Rechte und eine bessere Zukunft einzusetzen.  Zudem bietet sie ihnen Zugang zu Materialien, Essen und Freizeitangeboten, wie Fußballspielen oder Bastelaktionen, welche sie oft zu Hause nicht erhalten könnten. Die Callescuela hat in Asunción insgesamt 4 unterschiedliche Einsatzstellen, die wir uns in den ersten Wochen alle ansehen durften. Davon sind zwei an den Orten, an denen die meisten Kinder und Jugendlichen in der Stadt arbeiten: dem Mercado Abasto und dem Busterminal. Diese beiden Projekte sind öffentlich und können daher von allen Kindern und Jugendlichen genutzt werden. Im Mercado gibt es auch nachmittags umsonst ein warmes Essen für alle die es brauchen. Die anderen beiden Projekte befinden sich in zwei ärmeren Viertel eher am Rande der Stadt, also dort wo einige der arbeitenden Kinder und Jugendlichen wohnen. Diese Projekte kann man eher mit einer sehr lockeren Kindertagesstätte vergleichen, da dort auch sehr junge Kinder betreut werden und Ältere Nachhilfe erhalten und unterschiedliche Aktivitäten angeboten bekommen. In einer dieser beiden Einsatzstellen werde ich nun das kommende Jahr arbeiten. Genauer gesagt in der comunidad 9 de Marzo. Einem sehr schönen, überschaubaren Viertel gefüllt von Straßenhunden und sehr herzlichen Menschen, die mich sehr schnell als Teil der großen Familie aufgenommen haben. So kompliziert mein Name für spanisch-Sprecher auch sein mag, immer wenn ich in die kleine Lehmstraße zu meinem Projekt einbiege, höre ich aus irgendeinem Garten ein herzliches „Hola Merle“ (das klingt hier eher wie Marle oder Marie aber das ist mir egal). Nach meinen ersten Tagen alleine im Projekt bin ich oft ziemlich erschöpft von den vielen Herausforderungen. Mal abgesehen von den Sprachmissverständnissen ist es gar nicht so einfach allen Kindern gleichzeitig Aufmerksamkeit zu schenken, autoritär und trotzdem kumpelhaft rüberzukommen und die vielen Fragen über Deutschland zu beantworten. Immer wenn ich nach einem deutschen Schimpfwort gefragt werde, antworte ich „Eichhörnchen“. Jedoch bin ich auch nach jedem neuen Arbeitstag total erfüllt, von all den neuen Eindrücken und der unglaublichen Energie und Lebensfreude, die die Kinder mitbringen. Nicht nur die Energie bei extremer Hitze Fußball zu spielen oder auf einen Baum zu klettern um mir danach unbekannte Früchte in den Mund zu stecken, sondern auch die Energie zu lernen. Einmal wöchentlich treffen sich die Kinder und Jugendlichen in Gruppen um sich über ihr Leben als Arbeiter und Schüler zu unterhalten aber auch um zusammen mehr über wichtige Themen wie Gesundheit, Ernährung, gewaltfreien Umgang oder Kinderrechte zu lernen. Immer wieder bin ich beeindruckt, wie selbständig die Kinder und Jugendlichen hier schon sind.
 

Hier wurden meine Mitfreiwillige Laura und ich herzlich von der Gruppe „Abeja“ der comunidad Villa Elisa empfangen, in der ich auch zwei Tage der Woche arbeite. 
 

Hier hatten wir die Ehre an einem Treffen einiger indigener Völker Paraguays teilzunehmen, welche sich für den Schutz ihrer heiligen  „Tierra Madre“ (Mutter Erde) einsetzten. 
Ich bin schon sehr gespannt und voller Vorfreude darauf, was sich noch alles in den nächsten 4 Wochen ereignen und verändern wird. Einfach ein bisschen Terere trinken und abwarten bis die Mangos vom Himmel fallen (die sind nämlich bald reif). Denn dass sich alles verändert, ist ja nicht verwunderlich.
Die allerbesten Grüße meine Amigos!
Merle
 

 
 
 

Buenas Días in Buenos Aires

Nach ca. eineinhalb Monaten wird es nun auch endlich mal Zeit, dass ich mich aus dem fernen Lateinamerika melde und von meinen Erfahrungen berichte. Wie schnell die Zeit doch vergeht! Gefühlt stand ich noch gestern an der Gepäckkontrolle des Flughafens, im, damals ziemlich sommerlichen, Hamburg. Mit dem Ticket in der Hand, Abschiedstränen in den Augen und Millionen Erwartungen, Ängsten, Hoffnungen und Vorurteilen im Kopf. Natürlich hatte ich mich ordentlich auf diese Reise vorbereitet, unter anderem mit der Hilfe des ZMÖ-s und dessen ausführlichen Vorbereitungsseminaren und Ländertagen. Jedoch kam ich mir in diesem Moment vor wie ein kleines, unwissendes Seehundbaby, dass alleine ins kalte Wasser geworfen wird. Und kalt, ja das war es! Nicht nur im überklimatisierten Flugzeug, sondern auch beim Ankommen in Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens, bereute ich es nicht, meinen dicksten Pulli angezogen zu haben. Schließlich war es dort ja auch Winter. Die Wärme der herzlichen Begrüßung unserer Ansprechpartner der IERP, der evangelischen Kirche des Rio de la Plata, welche über das Jahr  für uns zuständig sein werden, ließ mich jedoch alles vergessen. Und mit neuen Begegnungen hörte es da nicht auf.

„Den Mond von der anderen Seite betrachten“

Vom Flughafen aus ging es direkt in meine neue WG für die nächsten zwei Wochen, in denen das Vorbereitungsseminar, die „Capacitación“ unserer Partnerkirche stattfinden würde. Die Wohnung direkt im Zentrum von Buenos Aires, habe ich mir mit 19 der insgesamt 63 Freiwilligen geteilt, die nun überall in Argentinien, Uruguay und Paraguay verteilt mit „weltwärts“ unterwegs sind. Das war eine ziemliche Herausforderung! Gerichte zu finden und zu kochen mit denen jeder halbwegs zufrieden war, ein Finanzsystem zu entwickeln, abzuwaschen, zu putzen und mindestens zweimal in der Woche die Ziehschnur der Klospülung wieder mit Panzertape festzukleben. Jedoch hätte ich es mir niemals anders gewünscht! In diesen zwei Wochen sind wir 19 zu einer echt tollen Gemeinschaft geworden und haben jede Menge Spaß gehabt. Mal abgesehen von den gemeinsamen sehr aufwendigen Koch-/Pizzabestellaktionen haben wir zusammen Ausflüge zu Handwerkskunstmärkten wie dem in San Telmo oder der Casa Rosada (dem Regierungsgebäude Argentiniens) gemacht, in unserem Wohnzimmer sowie in der U-Bahn musiziert, einen Tangokurs besucht und das Nachtleben Palermos erkundet. Als wir dann am letzten Abend in unseren Schlafsäcken auf unserem Dach lagen, um die Sterne und den Mond von der anderen Seite zu betrachten, wurde ich richtig traurig, diese verrückte Truppe verlassen zu müssen.

Dulce de Lernen

Nun aber wieder zurück zu dem richtigen Grund, weshalb wir überhaupt in Buenos Aires waren; der Capacitación. Diese bestand aus spannenden Vorträgen/Einheiten zu Themen wie: Sucht, Geschichte Argentiniens, Probleme eines Freiwilligen und dessen Lösungen, Umgang mit Menschen mit Behinderungen und vormittags aus einem Sprachkurs. Oder eher gesagt, einer Einleitung in die spanische Sprache sowie die argentinische Kultur. Langweilig oder trocken wurde es dabei nie. Gemeinsam haben wir zwar auch ein bisschen Grammatik wiederholt, jedoch hauptsächlich über alles mögliche geredet, spanische Filme geguckt, den typischen Matetee getrunken und Ausflüge durch den Stadtteil gemacht. Mein persönliches Hihghlight war jedoch die gemeinsame Backstunde in der wir die typisch argentinische „Chocotorta“ zubereitet haben. Diese ziemlich leckere Kalorienbombe besteht aus Schokokeksen (Chocolinas) und einer Mischung aus einer Art Sahnecreme (Mendicrim) und der absolut besten Süßigkeit überhaupt; Dulce de Leche! Diese unbeschreibliche Creme aus Karamell und Kondensmilch (das klingt jetzt irgendwie doch nicht mehr so lecker, aber glaubt mir; das ist es!) wird hier echt überall verkauft und in jeder Form, wie zum Beispiel als Keks, Eis oder in Schokolade verarbeitet. Wirklich unglaublich, dass es in Deutschland nichts vergleichbares zu finden gibt! Zusätzlich gab es am Wochenende ein abwechslungsreiches Programm an Ausflügen wie zum Beispiel zu dem farbenfrohen Viertel „La Boca“ oder der Ex-ESMA, einem ehemaligen Folterlager aus der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien. Dieser Ausflug war für uns alle sehr eindrücklich, da dort noch bis 1983 Menschen unter den schlimmsten Verhältnissen gefangen gehalten und gefoltert wurden und arbeiten mussten. Zudem wurden dort auch einige der insgesamt um die 500 Kinder zur Welt gebracht, welche im Laufe der Diktatur gewaltsam ihren Eltern entrissen und zur Adoption freigegeben wurden. Bis heute gibt es noch Vereinigungen wie die „Abuelas de la Plaza de Mayo“, welche vergeblich nach ihren vermissten Enkelkindern suchen, die schon ihr Leben lang, im Unwissen über ihre eigene Identität und in Familien, welche oft am Tod ihrer eigenen Eltern beteiligt waren, leben müssen. Insgesamt habe ich in diesen zwei Wochen auf die vielseitigste Weise, ungemein viel gelernt. Dafür möchte ich allen Beteiligten und Organisatoren der IERP danken!

Doch jetzt geht’s erst richtig los!

Nach diesen tollen zwei Wochen fiel mir der Abschied von Buenos Aires und all den anderen Freiwilligen ziemlich schwer. Jedoch waren wir alle, mehr als denn je, von einer riesigen Vorfreude und Spannung auf die bevorstehende Zeit erfüllt. So stieg ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge in meinen Bus nach Asunción, Paraguay.
Ganz viele besos und abrazos,
Merle