TGIF #4

Weltwärts – ein bildungspolitischer Freiwilligendienst

 
In der Vorbereitung auf unser freiwilliges Jahr im Ausland haben wir über das Thema Bildungspolitik gesprochen. Warum? Das Programm, mit dem ich diese einmalige Möglichkeit erhalte, heißt weltwärts, wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) getragen und nennt sich einen bildungspolitischen Freiwilligendienst. Damit geht es um mehr als „nur“ die Freiwilligenarbeit, sondern auch um den bildungspolitischen Aspekt.
Wichtig für unsere Entsendeorganisation, das Zentrum für Mission und Ökumene (ZMÖ) aus Hamburg, ist darum, dass es nicht ums Helfen und Weltverbessern geht, sondern vor allem ums Lernen. Wie genau man das den Menschen, denen man in seiner Einsatzstelle begegnet, gegenüber umsetzt, muss man selbst herausfinden. Für uns als Entsendete bedeutet das, eine neue Kultur und einen neuen Alltag kennenzulernen, selbstständig zu werden, neue, einzigartige Erfahrungen zu machen und Dinge zu lernen, die uns in Deutschland nicht gezeigt werden können. Und um das zu fördern, haben wir das letzte Wochenende genutzt.
Am 24. September jeden Jahres ist in Südafrika der Heritage Day. An diesem Tag und in der Woche davor kann man kostenlos viele Museen besuchen, tanzenden und singenden Menschen auf Straßenfesten zusehen und die südafrikanischen Wurzeln und das kulturelle Erbe in voller Pracht genießen.
Das bedeutete, dass wir unser erstes verlängertes Wochenende genießen durften und während diesen Tagen nur selten zuhause waren.

Um uns noch weiter mit der Umgebung Kapstadts vertraut zu machen, sind wir Freitagabend zur Camps Bay gefahren. Neben einem wunderschönen Strand kann man dort abends den Sonnenuntergang überm Meer beobachten, unterstützt durch die Atmosphäre der uns umgebenden Berge.
 
Am Samstag haben wir uns in der Innenstadt umgesehen, einen Markt besucht, auf dem von Kunst bis Kleidung alles für „almost for free“ (dt.: „fast kostenlos“) verkauft wurde. Natürlich wären wir auch an jedem Stand die ersten Kunden des Tages gewesen und nur für uns hätten die Händler*innen selbstverständlich „special prices“ (dt.: „Sonderpreise“) gemacht. Zum Glück habe ich mein Geld daheim vergessen, das wäre sonst teuer geworden. Neben dem Markt tanzte und sang eine Gruppe von Kindern in klassischer Körperbemalung und Kostümierung und wurde schnell zur Hauptattraktion für viele Passant*innen.
Am Sonntag wurden wir eingeladen, mit einer neuen Freundin ihren Geburtstag mit einem Essen zu feiern. Dieses Essen wurde dann auf einen Bar-Besuch ausgeweitet, bevor es weiter ging in der Innenstand mit einer Rooftop-Party. Der atemberaubende Blick über ganz Kapstadt konnte aber leider nicht meine Müdigkeit besiegen, darum habe ich das für zwei Uhr angesetzte Ende doch sehr begrüßt. Dieser Ausflug in die Kapstädter Party-Szene hat uns außerdem mit vielen neuen Menschen bekannt gemacht, schnell wurden Nummern ausgetauscht und erste Einladungen zu Events und Ausflügen ausgesprochen.
Eine davon haben wir dann am folgenden Montag eingefordert. Mit einem jungen Studenten haben wir uns die Slave Lodge und kurz auch das Zeitz Museum of Comtemporary Art Africa (Zeitz MOCAA) angesehen. Davor ging es für uns aber noch zum Castle of Good Hope (dt.: Burg der guten Hoffnung).
Erbaut wurde dieses von niederländischen Kolonialisten 1666 bis 1679 und ist hier damit das älteste europäische Gebäude. Es sollte als Versorgungsstation für Schiffe dienen, die um das Kap segelten und ist bis heute ein Symbol für den niederländischen Kolonialismus in Südafrika. Das Museum im Inneren beleuchtet diese Geschichte näher und klärt auf über die Dutch East India Company, Kämpfe und Kriege mit und unter den Europäer*innen auf südafrikanischem Boden aus der Kolonialzeit und die damalige Lebensweise. Insgesamt boten das Castle und das Museum einen einprägsamen Ausflug in die Geschichte Südafrikas und half uns, zu verstehen, wie die Europäer*innen in dieses Land kamen und warum manche Dinge heute so sind, wie sie sind.
 
Danach haben wir unsere Begleitung abgeholt und sind zur Slave Lodge gefahren. Da das deutsche Schulsystem beschlossen hat, die Geschichte der Sklaverei im Lehrplan weitestgehend unangetastet zu lassen, war dieser Ausflug insofern besonders, dass Dinge gezeigt wurden, die mir in dieser Form noch nie begegnet sind. Natürlich war mir bewusst, dass Sklaverei und Menschenhandel in afrikanischen Ländern Gang und Gebe waren, aber detailliert wurde tatsächlich nie oder nur extremst selten darüber gesprochen. Ein Raum beschäftigte sich beispielsweise mit Schiffen und einer exemplarischen Schlafkammer aus einem solchen Gefährt, womit die Sklav*innen in die ganze Welt verschickt wurden. Eine große Säule mit drehbaren Einzelteilen zeigte in kleiner Schrift viele Namen von Opfern dieser Zeit und erinnerte mich an die langen Pergamentrollen an den Wänden von KZ-Gedenkstätten aus Deutschland.
Aber auch der heutige Umgang mit der Geschichte der Sklaverei war ein Thema. Mit dem Projekt „The Slave Calendar“ wurde darauf aufmerksam gemacht, dass viele Sklav*innen neue Namen bekommen hatten, den Namen des Monats, in dem sie in Südafrika angekommen sind. So gehören Nachnamen wie „April“, „October“ und „Julie“ heute zum Alltag in Südafrika und stellen eine der Verbindungen zur Vergangenheit in der Sklaverei dar. Für das Projekt wurden darum zwölf Menschen porträtiert, die heute diese Namen tragen, einer für jeden Monat. Sie sind die Nachkommen von Sklav*innen und durch die neuen Nachnamen, die ihren Vorfahren gegeben wurden, fällt die Suche nach Blutsverwandten heute schwer, aber unter einander bilden die „Septembers“, „Januarys“ und „Mays“ heute Gemeinschaften, die die Erinnerung an die Sklaverei aufrecht erhalten und sich als Familien dienen. Und nicht selten konnte man in den Texten zu den Porträts lesen, dass die gezeigten Personen stolz auf ihr Erbe seien, stolz darauf, diese Namen zu tragen.
 
Es folgte ein kurzer Abstecher in das Zeitz MOCAA. Dieses widmet sich moderner Kunst afrikanischer Künstler*innen. Leider hatten wir nur circa eine halbe Stunde in dem riesigen Gebäude und da wir nicht einmal die Hälfte der ausgestellten Werke betrachten konnten, ist ein erneuter Besuch ein Muss. Das, was wir sehen konnten war großartig und verdient beim nächsten Mal mehr Ruhe und Aufmerksamkeit.
Beendet haben wir diesen freien Montag an der Waterfront. Nachdem man tagsüber auch gut in kurzen Sachen hätte herumlaufen können, froren wir nun auch trotz der Decken, die wir ergattern konnten, aber die Livemusik und das Essen konnten uns ein wenig wärmen (wer in Kapstadt mal gute Nachos essen möchte, braucht nur fragen, ich kenne da jetzt einen guten Platz).
Für das kommende Wochenende steht nun unter anderem unsere erste Wanderung an und nächste Woche Donnerstag öffnen die Kunst Galerien in der Stadt ihre Tore, also wird unsere Erkundung der südafrikanischen Kultur und Natur weitergehen.
Trotz der kürzeren Arbeitswoche kann ich nur sagen „Thank God, it’s Friday“. Da nächste Woche die Ferien für die Kinder anfangen, haben wir in den letzten Tagen Feedbackbögen ausfüllen lassen und konnten kein richtiges Programm wie sonst durchführen, mit dem Ergebnis, dass die meisten Kinder nicht ausreichend beschäftigt waren, um es mal so zu formulieren. Ich freue mich auf das Wochenende, auf die vorausgesagten 25° C und auf mein erstes Mal wandern, hier,
auf der anderen Seite der Welt.

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