Von Regen, Reisen und Ostertraditionen

Hier folgt nun mein 3. Rundbrief, den ich über die Monate März, April und Mai geschrieben habe.

Liebes ZMÖ, liebe Freunde, Verwandte, Unterstützer und Interessenten,

ein herzliches „mba´eichapa“ (guarani.; wie geht es) aus dem fernen Paraguay! Mir geht es eigentlich ziemlich gut. Mal abgesehen davon, dass mein Abschied immer mehr in die Nähe rückt und ich mich in einer total zerrissenen Gefühlslage befinde, in der ich einerseits für immer hier bleiben, jeden Moment bis zum letzten Tropfen ausschöpfen und zu jeder möglichen Erfahrung „ja“ sagen will, jedoch aber auch natürlich in Vorfreude auf mein Zu Hause in Deutschland blicke und in diversen Visionen und möglichen Plänen für die Zukunft „danach“ versinke….aber gut, deswegen sind wir ja nicht hier. Dieser, mittlerweile schon dritte Quartalsbericht, wird wieder ein kleiner Rückblick auf meine letzten drei Monate und all die Erfahrungen und Eindrücke, die ich in dieser Zeit so gesammelt habe!

Mein drittes Quartal hier in Lateinamerika war mal wieder total aufregend, vielseitig und geprägt von Umschwüngen, sowohl in meinem Arbeitsalltag als auch im Wetter. Die unerträgliche Hitze, von der ich in meinem letzten Rundbrief berichtet hatte, wurde nun von einer herbstlich angenehmen Kälte ersetzt. Mit diesem „tiempo fresquito“, so wie man hier sagen würde, kamen aber leider auch ziemlich heftige Regenfälle. Das müsste mir ja als stolze, geborene Norddeutsche eigentlich nichts ausmachen, denken jetzt vielleicht einige. Jedoch ist Regen hier in Paraguay nicht einfach nur Regen. Wenn es dann erstmal losgeht, hört er erstmal länger nicht auf und sorgt oft für schwerwiegende Überschwemmungen, da im Land noch bessere Ablaufsysteme und vielen Familien wasserdichte Häuser fehlen. Dazu kommt noch, dass der Müll, welcher hier oft achtlos auf die Straße geworfen wird, im Falle des Regens die Straßen hinunterschwimmt und die Gullis verstopft, so dass es schon einmal vorkommen kann, dass die Hauptverkehrsstraßen gesperrt werden müssen, da sie nicht ohne Boot überquert werden können. Obgleich der Staat leider wenig dazu beisteuert, den Paraguayern, die unter den Überschwemmungen leiden, zu helfen, herrscht dafür viel Solidarität unter der Bevölkerung. Gemeinsam haben wir in den Comunidades der „Callescuela“, Spenden in Form von warmer Kleidung, Lebensmitteln, Decken etc. gesammelt und zu einer der betroffenen indigenen Siedlungen auf dem Land gebracht. Echt eindrücklich, dass gerade, diejenigen Menschen, die selber aus schwierigen sozialen Situationen stammen, mit so viel Einsatz kollaboriert haben.
Natürlich wäre Paraguay aber nicht Paraguay, wenn die gelegentlichen 30° Hitze-Tage nicht ab und zu einen überraschenden Besuch abstatten würden. Diese Zeit nutze ich dann meistens gerne um Ausflüge mit Freunden zu unternehmen, neue Orte zu erkunden oder auch einfach gerne ein bisschen in meiner Hängematte im Garten zu lesen und dabei dem lauten Vogelgezwitscher lauschen. Einige Ausflüge die ich in letzter Zeit gemacht habe und auch jedem interessierten, abenteuerlustigen Reisebegeisterten der sich das Herz Südamerikas vornehmen möchte, empfehlen kann, sind zum Beispiel; die Wasserfälle Salto Inglés und Cristal, der Berg Cerro Arco in der Region Tobatí sowie für alle die gerne eine Herausforderung und Oberschenkelmuskelkater haben wollen, den höchsten Berg Paraguays; den Cerro 3 Kandu mit seinen satten 842m Höhe. Dort habe ich mit meinen Mitfreiwilligen und einer großen Reisegruppe eine Nacht gezeltet, um dann leider am nächsten Morgen nichts als weit und breit Nebel sehen zu können. Aber na gut, mal drauf gewesen zu sein ist ja schließlich das Wichtigste, ne? 😉

Meine Mitfreiwillige und ich am Wasserfall „Salto Cristal“

Zudem hatte ich Anfang März das große Glück für eine Woche Besuch von meinem Freund aus Deutschland zu bekommen. Das war nochmal eine ganz andere Erfahrung, da ich die Dinge, an die ich mich schon so gewöhnt hatte, so noch einmal von einer ganz anderen Perspektive betrachten konnte. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Kakerlaken eigentlich nicht in ein Küchenregal gehören?
-Nein, Scherz (Keine Sorge Mama hier ist es super ordentlich, das versichere ich dir!)
Insgesamt war es auf jeden Fall wunderschön die neue Welt die mir hier so ans Herz gewachsen ist, mit jemandem von zu Hause zu teilen und ihm somit diesen dazugewonnenen Teil von mir anzuvertrauen. Fehlende Spanisch Kenntnisse hin oder her, hat sich mein Freund auch richtig gut in meinem Projekt zurechtgefunden und sich super mit den Kindern verstanden. Denn UNO spielt man dann doch überall auf der Welt gleich, aka unter Kindern mit ständig wechselnden Regeln und daher einer Erwachsenen-Gewinnchance von ca. 0,00001 %.
Einen weiteren Besuch habe ich noch Mitte März von meiner lieben Länderreferentin vom ZMÖ (hier ein kurzer Gruß), Kathrin Fiedler erhalten. Da habe ich mich natürlich sehr drüber gefreut und vorher auch noch einmal extra ordentlich aufgeräumt.


Nun aber endlich weg von meinen Freizeitaktivitäten und hin zu dem was eigentlich die meiste meiner Zeit hier in Asunción einnimmt und sie auch so besonders macht; meine Arbeit als Freiwillige bei der Callescuela. In diesem zweiten Halbjahr habe ich mittlerweile sehr viel mehr Aufgaben und damit auch mehr Verantwortungen anvertraut bekommen. Darüber freue ich mich natürlich sehr, obwohl ich auch immer versuche die Nachhaltigkeit in meiner Arbeit stetig im Blick zu behalten. So sehr es auch insgeheim der Traum jedes Freiwilligen ist, unentbehrlich zu sein, geht es letztendlich bei einem Freiwilligendienst nicht darum einen Arbeitsplatz zu besetzen, sondern besonders um das gemeinsame und das voneinander-Lernen. Im Februar haben wir uns also mehrmals mit allen Mitarbeitern der Callescuela zusammengesetzt um alle Projekte nochmal komplett umzustrukturieren, so dass mein Arbeitsalltag nun mittlerweile so aussieht:
Meine 5 Arbeitstage in der Woche kann ich nun, auch wenn es mir in der anderen Comunidad namens „Villa Elisa“ auch immer sehr gut gefallen hat, nun komplett in der Comunidad „9 de Marzo“ verbringen. Mein Mitarbeiter, der ein ausgebildeter Lehrer und erfahrener Sozialarbeiter ist, kann nun nämlich öfters als 3 Tage im Projekt arbeiten, anders als im letzten Jahr. Nun gibt es dreimal die Woche den ganzen Tag Nachhilfe und zusätzlich jetzt an zwei Tagen vormittags meinen kleinen Englischkurs, in dem ich auf Spielende Weise, mit einer Gruppe von Kindern im Alter von 6-15 Jahren, Basisgrundkenntnisse in Englisch erarbeite. Meistens bringe ich dann meine Ukulele mit und wir singen lauthals Lieder wie „i like to eat apples and bananas“, so oft, dass der Ohrwurm noch bis zum nächsten Kurstag anhält. Die Durchführung kleiner Spiele und Aktivitäten, sowie die Planung des Ganzen, macht mir so viel Spaß, dass ich mir gut vorstellen könnte etwas in der Art später als Beruf auszuüben. Zudem gibt es dieses Jahr natürlich auch wieder zweimal wöchentlich unsere Kindergarten CEPI- Gruppe, diesmal aber unter einer neuen Leitung. Dieses Halbjahr haben meine Mitfreiwillige Laura, und ich, da wir nun ja schon ein paar Monate zum Einarbeiten hatten, viel mehr Mitspracherecht und sind für die Planung und Durchführung der Einheiten mit hauptverantwortlich. Mit den Kleinen sind wir momentan zum Beispiel dabei, unterschiedliche Farben und Formen kennenzulernen. Ganz neu im Angebot, gibt es jetzt aber auch ein Samstags- Freizeitprogramm für alle Kinder und Jugendlichen der Siedlung, bei dem ich vormittags für ein paar Stunden mit einem jungen Studenten, der früher auch mal ein Teil der Organisation war, unterschiedliche Aktivitäten anbiete. Meistens endet es darin, dass wir auf dem anliegenden Platz Fußball oder andere Spiele spielen. Abgesehen davon, werden von den Gruppen auch ab und zu am Wochenende noch Pizza oder Hamburger Verkäufe veranstaltet, um Geld für bevorstehende Veranstaltungen oder Anschaffungen, wie zum Beispiel einen Drucker, zu sammeln. Da bleibe ich dann natürlich auch noch ein gerne eine Weile, so dass 9 de Marzo schon echt zu meinem zweiten Zu Hause hier in Asunción geworden ist. Ein besonderes Highlight in den letzten Monaten war auch das gemeinsame Osterfest mit der ganzen Comunidad. Traditionell bereitet man hier in der Osterwoche, der Semana Santa, das typisch-paraguayische Gebäck „Chipa“ zu und teilt dieses dann gemeinsam mit Familie und Freunden, während man dazu einen leckeren warmen „Cocido“ trinkt (ein zuckeriger Matetee mit Milch). Die Zubereitung des Teiges, sowie das Formen in die klassische runde Donut/Bagel Form der Chipa, habe ich von den Müttern aus meinem Projekt gelernt, um mich dann erfolgreich an der Bäckereiproduktion der Kinder und Jugendlichen beteiligen zu können. Die fertig geformten Ringe wurden dann auf mit Palmenblättern ausgelegte Backbleche gepackt und in einem traditionellen Steinofen, dem „Tatakua“, gebacken. Das Endergebnis war auch selbst leicht angebrannt noch unglaublich lecker!

Die berühmt-berüchtigte-paraguayische CHIPA

Ein weiterer Feiertag, den wir hier ausgiebig gefeiert haben, war der Muttertag am 15. Mai. Dafür wurde in der „oficina“, dem Hauptbüro der Callescuela im Rahmen des „Tereré Yere“ Wochenendes (was das ist, erkläre ich gleich) von den Kindern und Jugendlichen aus ein Fest für ihre Mütter organisiert und mit einem bunten Programm aus Beiträgen geschmückt. So wurden Gedichte, Tänze und Lieder präsentiert und auch wir vier Freiwilligen haben uns, in Form eines selbstgedichteten Liedchens, passend zum Thema, eingebracht. Danach wurde noch das Tanzbein geschwungen und Torte und Panchos (übersetzt: Hotdogs) gegessen. Diese Feier war Teil des „Tereré Yere“ Wochenendes, an welchem sich alle Repräsentanten der einzelnen Gruppen von arbeitenden Kindern und Jugendlichen der Callescuela, ein Wochenende lang treffen und sich über wichtige Themen austauschen und fortbilden. Das Ganze hatte den Charakter einer großen Pyjamaparty, mit dem gewissen Hauch von Tiefe und Ernsthaftigkeit. Obgleich viele Spiele gespielt wurden, hatten diese immer eine gewisse Objektive z.B. der Integration der unterschiedlichen Gruppen oder der Entwicklung von Teamstrategien und Selbstreflektion. Das Hauptthema dieses Wochenendes war neben der Planung des Muttertags, die Militanz, in diesem Fall der politische Aktivismus in einer Gruppe und wie man sich als Mitglied solch einer Gruppe verhalten sollte. Nach einer abendlichen Karaokesession haben wir dann alle mit insgesamt ca. 30 Kindern der unterschiedlichen Einsatzstellen in den gerade neu errichteten Schlafräumen, des Büros der Callescuela geschlafen.
Weitere eindrückliche Erfahrungen die ich bei der Arbeit in den letzten Monaten machen durfte, war die Begleitung der Kinder und Jugendlichen auf mehrere Demonstrationen. Da die Callescuela eine sehr politische NGO ist, hat die
Partizipation einen besonders hohen Stellenwert für sie. Die Kinder nicht nur über ihre Rechte zu informieren, sondern ihnen gleich dazu noch Wege aufzuzeigen und näherzubringen, durch welche sie jene Rechte verteidigen können, ist eine Strategie von großer Nachhaltigkeit. Es begeistert mich immer wieder aufs Neue den Einsatz zu sehen, mit dem die Kinder sich zusammentun, Plakate vorbereiten und dann auf der marcha (demo) laut die Parolen mitrufen wie zum Beispiel am 31. Mai „mi cuerpo es mío, no abusen de él, mi territorio, lo voy a protejer“ (übersetzt; mein Körper gehört mir, missbraucht ihn nicht, er ist mein Territorium das ich beschützen werde). An diesem Tag wurde zum Anlass des nationalen Tages gegen den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, demonstriert. Jedes Jahr wird an diesem Tag an die tragische Geschichte des Mädchens Felicita erinnert; eine damals 10-jährige Mandarinenverkäuferin, die 2004 auf dem Berg „Cerro Yaguaron“ in der Nähe Asuncións auf schreckliche Weise misshandelt und dann umgebracht wurde. Leider sind Fälle wie dieser in Paraguay noch immer keine Seltenheit und alleine im letzten Jahr wurden im Land 2.608 Fälle des sexuellen Missbrauches an Kindern registriert (Quelle: 26/04/2019; https://www.ultimahora.com/senales-que-despiertan-sospechas-abuso-sexual-menores-n2815781.html, Ultima Hora). Besonders erschreckend, im Angesicht der Tatsache, dass Paraguay nur ca. 7 Millionen Einwohner hat und davon über 50% Minderjährige sind. Zudem muss man auch im Hinterkopf behalten, dass nur die wenigsten der Betroffenen sich trauen solche Vorfälle zu melden. In den wöchentlichen Gruppentreffen haben wir das Thema auch noch mehrmals ausführlich mit den Kindern und Jugendlichen der Comunidad behandelt und über eigene Erfahrungen sowie Schutzmaßnahmen gesprochen. Hoffentlich können wir in der Zukunft Schritt für Schritt dafür sorgen diese Zahlen radikal zu verringern und den Schutz aller Kinder und Jugendlichen dauerhaft zu sichern!

„Du bist nicht alleine, hab keine Angst, brich die Stille!“

Insgesamt möchte ich diesen Rundbrief aber noch einmal im positiven Sinne mit einem Dank enden, für all die Unterstützung bei meinem Freiwilligenjahr hier in Paraguay! Ich kann mich echt ziemlich glücklich schätzen, so tolle Leute hinter meinem Rücken stehen zu haben 🙂
Ich bin gerade dabei, diese Zeit so viel wie es nur geht zu genießen und versuche mir all diese Bilder und Erfahrungen so gut wie es nur geht einzuprägen, so dass ich das Paraguay wie ich es hier gerade kennen und lieben lerne, immer in meinem Herzen bewahren kann.


Muchos saludos y abrazos,


Merle

Leave a Comment: