Wahlkampf, WM, und Weihnachten in Brasilien

Dezember – Bei 34° C schmücken wir in der Halbzeit Brasilien – Kroatien der Fußballweltmeisterschaft den Weihnachtsbaum aus Plastik. Klingt komisch, ist aber wahr. Mehr als zwei Monate sind seit dem letzten Blogeintrag vergangen, und es ist mal wieder sehr viel passiert. Fangen wir an:

Zum Ersten: ich wohne jetzt nicht nur noch mit meinem Mitbewohner Alex zusammen, sondern auch noch mit Siri und Helga, zwei Freiwillige aus Norwegen, die insgesamt sechs Monate hier sein werden. Sie arbeiten zwei Tage in der Woche ebenfalls im Projekt Dorcas, sind aber auch in anderen sozialen Projekten im Umfeld aktiv.

Einkaufstour mit Freunden

Brasilien hat einen neuen Präsidenten gewählt. Im engen Wahlkampffinale, welches sich zwischen Lula da Silva und Jair Bolsonaro abgespielt hat, konnte Lula nach Neuwahlen die Stichwahl mit 50,9 % der Stimmen für sich entscheiden. In den folgenden Tage nach den Wahlen war es im Land teilweise sehr gewalttätig, dass uns sogar davon abgeraten wurde, auf die Straße zu gehen, da es unsicher sein könnte. Einige Läden haben beschlossen, vorübergehend zu schließen, Universitäten haben ihren Unterricht online weitergeführt, und viele Kinder des Projektes Dorcas sind zuhause geblieben. Keine Sorge, mir ist nichts passiert und in der Gegend, in der ich wohne, hat man die Auswirkungen auch kaum gemerkt. Anders als in Deutschland positionieren sich sehr viele lautstark für ihre politische Meinung. Auf den Straßen werden Sticker der Parteien verteilt und teilweise Souvenirs mit den Gesichtern von Lula oder Bolsonaro verkauft. Selbst die Kinder im Projekt zeigen immer wieder durch Handzeichen, Sticker oder Äußerungen ihre „politische“ Meinung. Nachdem Bolsonaro immer wieder auf Veranstaltungen das berühmte gelbe Fußballtrikot der brasilianischen Nationalmannschaft anzog, wurde es immer mehr zur politischen Uniform und als Unterstützung für den ehemaligen Präsidenten angesehen. Mit der Fußball-WM vor der Tür verkaufte sich das blaue Auswärtstrikot der brasilianischen Nationalmannschaft aufgrund der politischen Situation erstmals besser als das Gelbe. Für viele ist es eine große Diskussion, wie das Tragen des Trikots gedeutet wird.

Wanderung in der Nähe Curitibas

Im November gab es dann Besuch von anderen Freiwilligen Jonna, Olivia, Merle und Marc. Zusammen haben wir sämtliche Museen besucht, sind Bowlen gegangen (ich habe selbstverständlich gewonnen) und waren in verschieden botanischen Gärten. Außerdem waren wir auch in den Bergen in der Nähe Curitibas wandern. Zu unserem Glück zog der sonst so bedeckte Himmel auf, sodass wir sehr weit gucken konnten. Der Tag danach: normales Curitiba-Wetter mit sehr viel Regen.

In vielen Ländern wurde die Fußballweltmeisterschaft in Qatar sehr kritisch bewertet. Gerade in Deutschland gab es sehr viel Boykott und Diskussionen, wie diese WM zu betrachten ist. In Brasilien hingegen wäre das gar nicht möglich gewesen. Überall war Fußballstimmung angesagt. Man kam quasi gar nicht drum herum. Brasilien wird von vielen als das „Fußballland“ definiert. Die Brasilianer leben den Fußball, wie kein Zweiter. Ständig wurde man Gucken eingeladen; als Deutschland rausgeflogen ist, gab es etwas zum Lachen und Diskutieren; Erinnerung ans historische 7:1 in der WM 2014; gute Laune bei Torfestivals, wie beim 4:1 Sieg zwischen Brasilien gegen Südkorea; Mitfiebern im letzten Spiel gegen Kroatien. Leider kam Brasilien nicht weiter als ins Viertelfinale, einen guten Eindruck habe ich aber trotzdem bekommen, und kann bestätigen, dass Fußball hier viel mehr bedeutet, als nur ein Sport, der gespielt wird. Fußball gibt den Menschen etwas zum Zusammenkommen und verdrängt Probleme, wie die politische Spaltung des Landes. Außerdem spürt jeder Spaß, Freude und Hoffnung, vor allem aber der Gedanke daran, dass Brasilien als etwas Besonderes anerkannt wird. Eine Erfahrung, die ich so schnell nicht vergessen werde.

Fussball gucken mit Freunden

Im Dezember gab es dann schließlich die ersten Weihnachtsvorbereitungen. Im Projekt wurde es weihnachtlich, zwei Tannenbäume wurden geschmückt, ich habe mit den Kindern Kekse gebacken, und es wurden Weihnachtslieder auf den Instrumenten geübt und eingeprobt für die letzte große Aufführung im Jahr. Im Projekt Dorcas gibt es alle zwei Monate einen Basar, der in der großen Halle aufgebaut wird. Dieser besteht aus gespendeten Kleidern und Spielzeug. Wenn die Kinder des Projektes im Unterricht gut mitmachen, können sie sich „denários“ (Spielgeld) verdienen und das Verdiente dann beim Basar ausgeben. Natürlich kann es bei schlechtem Verhalten oder Stören auch Abzug geben. Das System wird somit als Motivation für die Kinder genutzt, mit dem Ziel, dass sie im Unterricht gut mitmachen und aufpassen.
Viele der Familien der Kinder feiern aus verschiedenen Gründen kein Weihnachten. Deswegen gab es im Projekt eine vorgezogene Weihnachtsfeier am 09. Dezember. Das Spielzeug, das beim letzten Basar nicht „verkauft“ wurde, haben wir dann in Geschenkpapier verpackt und hatten am Ende für jedes der ca. 150 Kinder ein Geschenk zum Verschenken. Für die Weihnachtsfeier hat das Projekt Trampoline, Hüpfburgen und sogar einen Pool gemietet. Für die Kinder bei 33° eine gute Abkühlung. Ich habe unter anderem ein Tischkicker- sowie ein Tischtennisturnier organisiert. Mittags gab es ein gemeinsames Public-Viewing des Fußballspiels Brasilien gegen Kroatien und Hot-Dog essen. Die Niederlage und das Ausscheiden waren für die Kinder zum Glück von kleiner Bedeutung, denn der Tag war zu schön um ihn mit schlechter Laune zu verbringen. Am Nachmittag gab es dann endlich Bescherung und sogar einen Weihnachtsmann – für die Kleinen ein sehr großes Erlebnis. Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Projekts gab es ebenfalls noch eine Weihnachtsfeier bei Projektleiterin Darclê im Garten. Es gab laute Musik zum Tanzen, Churrasco (viel Fleisch mit langen Spießen über hoher Hitze grillen), und gute Laune. Außerdem hat jeder ein Geschenk mitgebracht, das dann mit Bingo-Spielen verlost wurde. Ich habe zwei Tassen und eine Bauchtasche bekommen. Gemeinsam mit Duda (eine Freundin von mir, die auch bei Dorcas arbeitet) und den beiden Norwegerinnen haben wir Plätzchen nach dem Rezept von „Backen mit der Maus“ für alle vorbereitet, verziert und verteilt.

Weihnachtsvorbereitungen
Die Abkühlung bei der Weihnachtsfeier im Projekt

Die Weihnachtstage habe ich bei Merle und Marc verbracht und durfte das Projekt „Lar Padilha“ kennenlernen. Bei über 30° C haben wir Weihnachten gefeiert und hatten es sehr schön. Kekse wurden gebacken und verziert, Weihnachtsfilme wie der kleine Lord wurden geschaut und die Weihnachtsgeschichte mit der Musik von Carl Orff durfte auch nicht fehlen. Am Heiligabend haben wir einen Ausflug zu einem atemberaubendem Wasserfall gemacht. Um dort hinzukommen mussten wir gute zwei Stunden durch einen teilweise sehr tiefen Fluss waten, der Aufwand hat sich aber sehr gelohnt. Weihnachten mal anders. Abends gab es noch ein großes Weihnachtsessen im Projekt mit allen Kindern und Mitarbeitern.

Weihnachten mal anders

Silvester feiern wir dann gemeinsam mit noch viel mehr Freunden in Florianópolis am Strand. Frohe Weihnachten nachträglich und einen guten Rutsch ins neue Jahr und freue mich schon darauf, mehr zu berichten!

Ganz liebe Grüße aus Brasilien, euer Pelle!

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