Wat der Bur nich kennt zählt hier nix

11.11.2019, 14:10 in Schleswig

13.02.1441, 15:10 in Ägypten

Erster Tag des Monats Hathor, 1736, 15:10 in Anaphora

Salam meine lieben Blogleser,

im letzten Blog habe ich ja schon erwähnt, dass ich gut mal über die Landwirtschaft in Anaphora schreiben könnte. Deshalb soll sich dieser Blog auch ganz um das Thema drehen. Mit der Landwirtschaft in Kontakt gekommen bin ich natürlich schon in meiner Kindheit, sodass mir die Arbeit hier nicht ganz fremd ist, doch gibt es trotzdem einige Dinge, die mir ungewöhnlich vorkamen. Aber eins nach dem anderen.

In den letzten Wochen haben wir begonnen, die Felder in Anaphora für die Saat vorzubereiten, bzw. die eingesäten Keimlinge von Unkraut zu befreien. Dies findet hier im Oktober und November statt, weil der Winter komplett ausreichende Temperaturen für die Aufzucht von Gemüse und Getreide hat und all dies im Sommer vertrocknen würde. Eigentlich total logisch, doch ungewohnt für mich, da wir in Deutschland ja nicht auf den Winter, sondern vielmehr auf den Sommer angewiesen sind, damit die Pflanzen perfekt wachsen können.

Die erste Pflanze, mit der wir gearbeitet haben, war Knoblauch, den William und ich in friemeliger Handarbeit so auseinander genommen haben, dass die Arbeiter die einzelnen Zehen einpflanzen konnten. Tatsächlich haben wir fast zwei Wochen im Schatten von Dattelpalmen oder Birnenbäumen damit verbracht, unzählige, riesige Säcke von Knoblauch zu zerteilen bis eine Fläche von grob geschätzt 0,5 km²  bepflanzt war. Das ist tatsächlich eine extrem große Menge, aber immerhin muss der Knoblauch lange halten, da er im Vergleich zu anderen Lebensmitteln recht teuer ist, sodass Anaphora ihn ungerne das ganze Jahr über einkaufen will. Außerdem ist es schwer zu sagen, wie viel der Fläche tatsächlich nur Knoblauch ist, da die Felder immer mehrere Früchte erzeugen. Auf den Knoblauchfeldern, sowie bei den Auberginen, stehen zwischen den Reihen auch Obstbäume, wie Birnen oder Guave, die man in Deutschland teilweise in Säften findet. Als Frucht habe ich sie aber vorher noch nicht gesehen. Rein optisch und geschmacklich erinnert sie an eine überreife Birne, die super harte Kerne hat, welche man aber mitessen kann. Zudem stehen auf vielen Feldern Moringabäume – die reinsten Wunderbäume wenn man so will.

Was ich schon über Moringa wusste, war, dass das irgendeine Pflanze ist, die in manchen Kräutertees beigemischt wird. Allerdings gibt es noch einiges mehr zu wissen: Der Moringa- oder auch Meerrettichbaum stammt aus Ostafrika, ist aber auch in Indien beheimatet (Grüße gehen raus an alle Indien- und Tansaniafreiwilligen). Zudem wird er auch in Mittelamerika und Westafrika angepflanzt, da seine Früchte der Mangelernährung vieler Menschen, sowie der Entwaldung entgegenwirken können. Die bis zu 90cm langen Schoten, die aussehen wie kantige, überdimensionale Gurken, können gekocht oder roh gegessen werden, allerdings sind sie ziemlich säuerlich-bitter. Im Prinzip sind sie von der Zubereitung her wie Bohnen. Nur halt Bohnen, die fast einen Meter lang sind. Moringa hat auch den Vorteil, dass die Schoten schon einen Monat nach der Blüte reif sind. Zudem kann man den Saft der jungen Blätter verwenden, um die Auswirkungen von Mangelernährung, Anämie und Diabetes Typ 2 sehr billig und gleichzeitig wirksam zu behandeln. Dies funktioniert auch bei Menschen, die chemische Substanzbehandlungen, bzw. Medikamente nicht vertragen. Aus den Samen kann ein Öl gewonnen werden, welches als eines der stabilsten Pflanzenöle gilt, da es erst nach vielen Jahren schlecht wird. Zudem kann man es zu Biodiesel weiterverarbeiten. Die Samen können zu Pulver zerrieben Wasser reinigen, welches von Schwebstoffen und Bakterien verschmutzt ist, wie zum Beispiel Wasser aus dreckigen Flüssen oder Seen. Ein großes Fass kann mit 200 bis 300 mg des Pulvers so gereinigt werden, dass es für Menschen unbedenklich ist. Dafür muss man nur das Pulver hinzufügen und 15 bis 20 Minuten rühren. Dank der hohen Oberfläche der Samenpartikel wird jeglicher Schmutz etc. daran gebunden und sinkt zu Boden. Besonders dieser Effekt kann einen gravierenden Unterschied in der Wasserversorgung von Menschen machen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Billiger und natürlicher geht es wahrscheinlich nicht. Gleichzeitig sind diese Bäume sehr anspruchslos gegenüber der Bodenqualität und kommen auch mit wenig Wasser aus. Zum Glück haben wir hier ein gutes Bewässerungssystem und zwischen den Pflanzreihen auch immer eine Mulch-Reihe, wo das Unkraut aus der Pflanzreihe zu Kompost wird. Auf diese Weise ist die Landwirtschaft sogar am Rand der Wüste ziemlich ertragreich.

Allerdings ist diese Form der nachhaltigen Landwirtschaft kein Beispiel für ganz Ägypten. Ein ganz großes Thema hier ist die Wüstenbildung, weil die kargen Böden über Jahre hinweg mit Monokulturen von Weizen oder Mais ausgelaugt werden. So werden sie langfristig zu unbrauchbaren Geröllhalden, die wir jedes Mal sehen können, wenn wir nach Kairo fahren. Teilweise gibt es grüne Flecken, wie Anaphora, aber ein Großteil der Flächen wird nur gefüllt von verdorrten Palmenstüpfen und halb abgerissenen Farmen. Denn hier wächst nichts mehr und die Menschen, die einst ihre Felder hier hatten, mussten diese aufgeben. Wo es dagegen grün ist, werden oftmals harte Pestizide und Dünger eingesetzt, um die Erträge künstlich hoch zu halten. Gesund oder nachhaltig ist das aber selbstverständlich nicht. Bestimmt sieht das ganze direkt am Nil noch etwas anders aus, aber in diesen Regionen war ich leider noch nicht.

Das zweite Problem ist die Versalzung. Das Grundwasser in dieser Region (Wadi al natrun = Natrontal) ist von Natur aus recht salzig, bzw. mineralstoffreich. Wird damit auch noch künstlich bewässert, kann das schwere Folgen haben. Insgesamt sind 20% der gesamten landwirtschaftlichen Flächen weltweit von Versalzug bedroht und ungefähr 50% aller Künstlich Bewässerten. In Ägypten alleine sind aufgrund dieses Problems schon 30-40% aller Flächen verloren gegangen, die eigentlich genutzt werden könnten. Dies passiert, wenn durch starke Bewässerung, Überflutungen oder starken Regen die Salze aus dem Boden gelöst werden und mit dem verdunstenden Wasser an die Oberfläche kommen. Wenn das Wasser dann verdunstet ist, bleibt nur das Salz übrig, wie bei einem verkalkenden Wasserkocher oder wie in meinem Badezimmer gerade… Dieses Salz ist dann, man kann es sich gut vorstellen, schädlich für die Pflanzen, verringert die Erträge und führt anschließend zum Tod des Feldes. Ohne aufwändige und teure Maßnahmen ist diese Fläche für immer verloren. Gleichzeitig ist Ägypten auf die Landwirtschaft angewiesen, da die Bevölkerung rasant wächst. Schon jetzt müssen 50% des Weizens importiert werden, der praktisch das einzige Getreide ist. Gibt es Probleme auf dem globalen Weizenmarkt oder starke Preisschwankungen, wird Ägypten unmittelbar betroffen sein. 1977 und 2008 kam es zu ernsthaften Problemen, als Weizen und Reis rapide im Preis stiegen, sodass sich große Teile der Bevölkerung diese Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten konnten. Wenn ich besser informiert bin, erkläre ich dieses Thema auch gerne mal in einem späteren Blog.

Aber zurück zur Landwirtschaft: Eine Methode, um diese Versalzung zu verlangsamen, ist eine schonende Bewässerung, wie die Tröpfchenbewässerung, die wir auch hier anwenden. Aus dünnen Schläuchen mit kleinen Löchern tröpfelt langsam das Wasser an die Pflanzen unmittelbar neben ihnen. Der einzige Nachteil ist hier nur, dass jede Pflanze direkt neben den Schlauch gesetzt werden muss. Eine Arbeit die viel länger dauert als einfach die Saat zu verstreuen, wie wir es mit unserem Weizen machen. Deswegen gibt es auf diesen Feldern ausnahmsweise Sprinkleranlagen, welche im Sinne der Versalzung zwar nicht optimal, aber natürlich sehr praktisch sind.

Kleine Story am Rande: Letzens haben die Sprinkler aber nicht funktioniert, weil jemand mit dem Trecker über die Wasserleitungen gefahren ist, die nur wenige Zentimeter unter der Erde verlegt sind. Die gebrochenen Stücke mussten also herausgesägt und durch neue ersetzt werden.

Aber es gibt noch weitere Methoden, um mit der Versalzung umzugehen: Die passenden Pflanzen finden. Während Gemüse und einjährige Pflanzen sehr salz- und feuchtigkeitsempfindlich sind, weisen andere Pflanzen eine hohe Toleranz dem gegenüber auf: Zum Beispiel das oben erklärte Moringa oder die schachtelhalmblättrige Kasuarine (ja, die gibt es wirklich). Dieser Baum ist in Ägypten nicht heimisch, sondern in Südostasien (jetzt gehen Grüße raus an die Philippinen und Papua Neuguinea), wo er an Stränden im salzigen und sandigen Boden wächst. Hier dient er als Knick und als Schattenspender auf Wegen. Auch Orangen- und Mangobäume besitzen wir in großen Mengen und sie wachsen ohne Probleme. Nur die Feigenbäume tun sich etwas schwer mit den Böden. Weitere geeignete Pflanzen sind Hibiskus, dessen Früchte man super zu Marmelade oder Saft verarbeiten kann, und Dattelpalmen.

Ganz vorne dabei sind aber selbstverständlich die Olivenbäume, ohne die Anaphora nicht existieren würde. Olivenbäume sind schon etwas sehr spezielles. Man weiß nämlich nie, wie viel sie tragen werden. Die letzten Jahre über war es schwer, eine Tonne Oliven zu erreichen, die wir brauchen, weil das Kloster, wo die Presse ist, nur Mengen über einer Tonne akzeptiert, oder die Oliven werden mit fremden gemischt, die aber nicht pestizidfrei angebaut werden. So könnte das Öl dann nicht als 100% bio  und 100% Anaphora-echt verkauft werden. Um die Erträge zu steigern bekamen die Bäume deshalb 2016 einen starken Schnitt, der dieses Jahr spürbar wurde. Die geerntete Menge betrug nämlich mehr als 15 Tonnen. Eine Zahl die unglaublich fern von dem ist, was Anaphora jemals geerntet hat. Aus diesen 15 t können knapp 12 t bis 13 t Öl erzeugt werden, die zum größten Teil an andere Klöster verkauft werden oder hier Bestandteil von Cremes und Seifen sind. Und zum Kochen benutzen wir es natürlich auch. Nicht eingerechnet in diese Zahl sind die Oliven, die wir Anfang September geerntet haben. Diese wurden eingelegt, um sie entweder hier zu essen oder um sie ebenfalls zu verkaufen.

Williams und meine Arbeit beim Olivenernten bestand darin, die vollen Eimer von jedem Baum zum Anhänger zu bringen, auf dem sie in Säcke umgefüllt wurden. Die Säcke haben wir dann in einem großen Raum ausgekippt, wo die Oliven sortiert und gewaschen wurden, um sie anschließend zur Presse bringen zu können. Jeder Eimer wiegt zwischen 6 und 10 kg und jeder Sack um die 40 kg. Kein Wunder, dass wir nach zwei Wochen Ernte am Ende unserer Kräfte angelangt sind. Trotzdem war ich ein klein bisschen traurig, als wir plötzlich den letzten Baum vor uns hatten, da die Ernte ein sehr besonderes Erlebnis war. Man kann es sich so vorstellen, dass man durch einen jungen Wald geht, in dem Menschen über, hinter, in und auf Bäumen singen, lachen, übertrieben laut Musik abspielen, an der puren Menge an Oliven verzweifeln oder all das gleichzeitig machen. In den Pausen gibt es Tee (eigentlich ist es eine Art Tee-Sirup, der Menge an Zucker nach zu urteilen), der überm offenen Feuer zubereitet wird. Als Snacks haben wir verschiedene Kekse oder fake Kit-Kats, wie auch Fladenbrote, die nicht schlecht sind, wenn man sie kurz auf die Flammen legt. Außerdem brennt die Sonne ab 10 Uhr im Nacken. Vor zwei Wochen habe ich außerdem auch einen Rekord bei meiner Schrittzähler-App gebrochen, an dem Dienstag waren es 24491 Schritte, was ca. 18 km entspricht. Am Mittwoch danach waren es immerhin 24111 Schritte. Ja, das ist ziemlich anstrengend, aber die Oliven müssen so schnell es geht geerntet werden, weil sie während der Lagerzeiten viel Flüssigkeit verlieren, wegen derer wir sie ja ernten. Deswegen haben wir auch Unterstützung von einer Gruppe aus Alexandria bekommen, die immer wieder für unterschiedliche Aufgaben nach Anaphora kommt. Aber jetzt ist alles geschafft und auch der letzte Baum ist abgeerntet.

Es gibt, soweit ich weiß, noch keinen Plan dafür, aber jetzt die Woche ist der Hibiskus an der Reihe und auch die Orangen werden immer besser. Die Feigen brauchen aber noch etwas Zeit. Alle freuen sich hier aber schon auf den nächsten April, wenn die Maulbeerensaison anfängt. Mangos haben wir zum Glück noch im Tiefkühler. Wenn es sie nicht klein geschnitten oder als Saft gibt, dann im Obstsalat mit Guave, Trauben und Granatapfel. Ihr merkt, frische Früchte spielen eine große Rolle. Genau wie Auberginen, die so groß sind wie kleine Melonen und die Wiese aus Minze, die zum größten Teil im Teewasser endet. Ein neueres Testprojekt sind Aloe Vera und Sonnenblumen. Auch seit diesem Jahr auf dem Plan: Mais. Deshalb hatten wir auch beim Olivenernten einmal salziges Popcorn vom eigenen Hof. Mal schauen wie sich das alles hier entwickelt und was die nächsten Testprojekte sein mögen. Eins steht fest: Es wird wahrscheinlich ziemlich lecker.

Mit diesem Blog möchte ich das Thema Landwirtschaft bis hier hin einmal abschließen, doch bin ich mir sicher, dass es noch einen großen Einfluss auf die nächsten Blogs hat, da der Hof einfach das Herzstück Anaphoras ist. Zudem finde ich die Ideen und Methoden, die Anaphora für die nachhaltige Landwirtschaft einsetzt, sehr interessant, gerade im Hinblick auf die Zukunft dieser Region.

Ich hoffe, euch geht es gut auf Sri Lanka, in Schleswig oder Sydney, Kiel, München oder Mielberg! Macht´s gut und bis bald 🙂

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