„Weiße Wand“

Wie begegne ich? Wie wird mir begegnet?

„Ich bin allein mit der weißen Wand
Und meinem scheiß Verstand
Ich weiß nicht, Mann!
Ich bin allein mit der weißen Wand
Und meinem scheiß Verstand
Ich weiß nicht, Mann!
[…]
Ich bin jung und weiß in 'nem reichen Land
Mein Kreißsaal war umkreist von 'ner weißen Wand
Ich bin jung und weiß in 'nem reichen Land
Mein Kreißsaal war umkreist von 'ner weißen Wand
Scheiße, Mann!
Ich bin keiner von denen, die weiterwissen
Ehrlich gesagt, ich krieg' selber nie was geschissen
Und ich weiß nicht, wann man die Decke aus Glas einreißen kann
Die Decke aus Glas ist 'ne weiße Wand
Auch wenn ich das nicht beweisen kann
[…]“

Songtext von AnneMayKantereit – Weiße Wand © O/B/O Capasso

Songwriter: Christopher Annen / Fabian Doell / Felix Roemer / Henning Gemke / Malte Huck / Severin Kantereit

Quelle: LyricFind

Diese Zeilen haben mich vor einer Weile über eine gute Freundin und Mitfreiwillige in Tansania erreicht, die ähnliche Erfahrungen wie ich macht. Ich nehme diesen Song zum Anlass über meine Eindrücke und Gefühle als weiße, blonde, junge Frau in Tansania zu schreiben, die mich belasten oder zumindest viel zum Nachdenken bringen. 

Ehrlich gesagt bin ich noch nie zuvor wegen meiner Haut-, Haar- und Augenfarbe aufgefallen. Hier in Tansania wird mir meine „Weiße Wand“ erstmals so richtig bewusst. Dass dieses ungewohnte Gefühl auf mich zukommt, war mir zwar schon im Vorhinein bewusst, darauf vorbereitet war ich aber kaum. Ich hätte mir gewünscht mehr von dieser Art von Erfahrungen schon im Voraus zu lesen, weshalb ich diesen Blogbeitrag auch für all diejenigen verfasse, die einen Freiwilligendienst planen. 

Meine Erfahrungen:

Oft gehe ich allein durch die Stadt oder meine Nachbarschaft, fahre Bus oder kaufe auf dem Markt ein. In Nyakato, wo ich wohne, kennen mich jetzt schon einige. Und auch durch meinen wachsenden Wortschatz Swahili werde ich merklich weniger wie eine Fremde behandelt. Trotzdem mache ich tagtäglich  die Erfahrung, dass ich angeguckt, angestarrt, angesprochen, angemacht und in selteneren Fällen auch angefasst werde. Ich kann euch sagen, dass es kein schönes Gefühl ist, ständig darauf hingewiesen zu werden, dass man anders aussieht. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass es kein Rassismus gegen Weiße gibt. Ganz im Gegenteil werde ich mir über meine Privilegien bewusst. 

Vielleicht auch gerade deswegen, bringe ich eine gewisse Toleranz mit und versuche freundlich zu reagieren und am besten auf Swahili zu antworten. Das gelingt mir aber nicht immer, denn es nervt und belastet mich, wenn ständig meine Grenzen von Fremden überschritten werden. Oft stelle ich mir die Frage, ob eine Person wirklich Interesse an mir hat, oder doch nur an meinem Aussehen und meiner Herkunft. Und obwohl ich bemerke, dass viele nur aus guten Intentionen heraus Interesse zeigen, ändert es nichts daran, dass ich mich oft unwohl und belästigt fühle. Ich freue mich ehrlicherweise auf den Moment wieder in Deutschland zu sein, wo ich nicht auffalle. Bis dahin bin ich aber damit konfrontiert und denke viel darüber nach, wie ich damit umgehen soll.

Ehrlich gesagt hilft es mir schnell zu gehen und Kopfhörer zu tragen, wenn ich durch die Stadt gehe und nicht möchte, dass ich alle drei Meter nach meiner Nummer gefragt werde. Aber was für einen unhöflichen und verschlossenen Eindruck mache ich dann auf andere? Ich möchte in diesem Jahr ja vor allem von Tansanier:innen lernen und anderen mit Offenheit und auf Augenhöhe begegnen. Genau so, wie ich mir auch von anderen wünsche, nicht in eine Schublade gesteckt zu werden.

Durch meine Arbeit in einem Gästehaus bekomme ich aber auch mit, wie genau dieses Verhalten, diese Vorverurteilung, von einigen (europäischen) Tourist:innen an den Tag gelegt wird. Sei es ein sehr unsensibler Umgang mit der Kamera bis hin zu zweifelsfrei rassistischen Kommentaren. Immer muss differenziert werden zwischen „Uns“ und „Denen“. Aus Begegnungen, die von Machtgefällen und Vorverurteilungen geprägt sind, kann man doch nichts lernen. 

Ich stimme den Lyrics zu: Ich bin keiner von denen, die weiterwissen. Aber was ich mir wünsche ist, dass wir uns alle mit mehr Respekt, Empathie und Sensibilität begegnen.

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