Evangelisch-Lutherische Kirche Kasachstans

Mit 2.724.900 km² ist Kasachstan das neuntgrößte Land und der größte Binnenstaat der Erde. Es ist 7,6 mal so groß wie Deutschland, so groß wie 2/3 der Fläche der EU und größer als alle anderen mittelasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zusammen. Fast ein Drittel des Landes (28,5 %) ist Steppe, über 14 % Halbwüste und ein weiterer Teil Wüste. Von seiner Geschichte her ist Kasachstan ein Land von Nomaden, die durch die Steppe ziehen. Zu sowjetischer Zeit wurde diese Lebensform verboten, heute ziehen einige wenige mit Jurten, Kamelen und Viehherden umher.
Heimat ist Kasachstan für über 50 ethnische Gruppen.
In Kasachstan sind etwa 70,2 % der Bevölkerung Muslime, die meisten davon Sunniten. Mehr als 26,2 % bekennen sich zum Christentum, die Mehrheit von ihnen ist russisch-orthodox. Dabei gilt als grobe Einteilung, dass die kasachischstämmige Bevölkerung muslimisch und die russisch-stämmige orthodox ist. Es gibt auch die römisch-katholische Kirche in Kasachstan, zu ihr gehören vor allem Angehörige verschiedener osteuropäischer Nationalitäten. Zudem gibt es verschiedene protestantische Kirchen und Gemeinschaften in Kasachstan, vor allem die Evangelisch-Lutherische Kirche in der Republik Kasachstan.

Die Geschichte der lutherischen Gemeinden begann vor etwa 250 Jahren, als viele Deutsche nach Russland auswanderten, vor allem an die Wolga, in die Ukraine und den Kaukasus. Dort bildeten sie zum Teil geschlossene Siedlungsgebiete oder lebten mit anderen Nationalitäten eng zusammen. Seit der Revolution 1917 und vor allem unter Stalin wurden die Kirche und alle 2 Millionen Russlanddeutschen verfolgt. Die letzte lutherische Kirche in der Sowjetunion wurde 1938 in Moskau geschlossen. Die Menschen wurden nach Sibirien, Kasachstan und Mittelasien deportiert, zur Arbeit in der sogenannten Trudarmee oder Arbeitslagern gezwungen, verhaftet, zum Tode verurteilt oder ohne Urteil liquidiert. Vor allem viele Männer sind umgekommen, Frauen und Kinder mussten sich allein eine neue Existenz im Osten aufbauen.
Über Jahrzehnte waren deutsche Sprache und christliches Leben (sogar der Besitz der Bibel und häusliches Gebet) streng verboten. Von den ursprünglich 200 lutherischen Pastoren in der Sowjetunion arbeiteten nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch drei. Einer von ihnen war Eugen Bachmann, dem es 1956 gelang, die Gemeinde Zelinograd (heute: Astana) als erste lutherische Gemeinde neu zu registrieren.
In der sowjetischen Zeit gab es in Kasachstan nur einzelne verstreute Gemeinden, denn bis in die 80er Jahre war es offiziell verboten, mit anderen Christen oder Gemeinden Kontakt aufzunehmen. So entwickelten sich erst seit Ende der 80er Jahre kirchliche Strukturen über die Gemeindegrenzen hinaus.
1992 wurde der ehemalige Mecklenburgische Landesbischof Dr. Heinrich Rathke von Harald Kalnins, seit 1988 Bischof der neu gegründeten Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Sowjetunion, zum bischöflichen Visitator von Kasachstan eingesetzt. 1993 wurde die Evangelisch-Lutherische Kirche in der Republik Kasachstan auf der konstituierenden Synode in Almaty offiziell gegründet.
Seit den 1990er Jahren sind unzählige Gemeindeglieder nach Deutschland ausgereist. So ist die Kirche sehr geschrumpft – von 228 Gemeinden im Jahr 1993 auf 59 heute – und die Anzahl der Deutschsprachigen stark zurückgegangen. Um auch junge Menschen zu erreichen, beschloss die Synode schon in den 90er Jahren, den Gottesdienst nicht länger nur auf Deutsch, sondern auch auf Russisch zu halten. Bischof Jurij Nowgorodow betonte: „Aus einer mono-ethnischen Kirche sind wir eine multi-ethnische Kirche geworden.“

Das Religionsgesetz vom Herbst 2011 zwang zu einer Neugründung der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Es wurden jeweils alle Gemeinden in einem Distrikt (Oblast) als eine Gemeinde registriert, um die erforderliche Mitgliederzahl von 50 erwachsenen Staats-bürger(inne)n zu erreichen. Auf diese Weise entstanden in sechs Oblasten und der Hauptstadt je eine „lokale religiöse Vereinigung“. Die Gemeinde in Astana nennt sich „Evangelisch-Lutherische Kirche“. Bei der Gründungssynode am 31.10.2012 übertrugen ihr die anderen Gemeinden durch einen Vertrag nach Bürgerlichem Recht ihr Immobilieneigentum und beauftragten sie mit der Verwaltung. Bei der Synode am 13.05.2014 unterschrieb auch die bisher unabhängige Brüdergemeinde Taldykurghan den „Vertrag über die geistliche Einigkeit, Partnerschaft und Zusammenarbeit“. So gehören zur Evangelisch-Lutherischen Kirche jetzt acht „lokale religiöse Vereinigungen“ mit insgesamt 59 Einzelgemeinden. Die Zahl der aktiven Mitglieder wird mit etwa 2500 angegeben. Es gibt zehn Pastoren sowie viele Predigerinnen und Prediger (mehrheitlich Frauen). Die Kirche ist Mitglied im Bund der Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Russland und Anderen Staaten (ELKRAS) und darüber im Lutherischen Weltbund und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE).

Die Partnerschaft mit den lutherischen Christen in Kasachstan baute der Mecklenburgische Landesbischof Dr. Heinrich Rathke auf: Er wurde 1972 der erste Beauftragte des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR für die Russisch-Orthodoxe Kirche. Dazu besuchte er Moskau, Leningrad und Riga und traf dort den lutherischen Oberpfarrer Harald Kalnins, der sich heimlich für die verbannten Christen in Sibirien, Kasachstan und Mittelasien einsetzte. Mit ihm war Heinrich Rathke zum ersten Mal in Kasachstan.
In den folgenden Jahren besuchte Heinrich Rathke auf zahlreichen Reisen die weit verstreut lebenden Gebetskreise und Gemeinden, die oft nichts voneinander wussten. So bildeten seine Kenntnisse und Kontakte die Grundlage für die Organisation der Evangelisch-Lutherischen Kirche in den 80er Jahren, deren erster geistlicher Leiter er als „Bischöflicher Visitator“ 1992 wurde. Es hat durchaus sein Recht, in Dr. Heinrich Rathke nicht nur den Gründer der Partner-schaft, sondern der Partnerkirche zu sehen.
In Mecklenburg entstand schon in den 70er Jahren eine Arbeitsgruppe Kasachstan und Mittelasien, die gegenseitige Besuche organisierte. 1994 wurde die Partnerschaft zwischen Mecklenburg und Kasachstan offiziell beschlossen, 2009 wurde ein schriftlicher Vertrag unterzeichnet.